Wer wächst wohin? Zum Begriff des wissenschaftlichen Nachwuchses

von David Willmes (Freiburg im Breisgau)

 

Was fällt Ihnen zuerst ein, wenn Sie Begriffe wie „Betreuer“ oder „Nachwuchs“ hören? Fragt man Lieschen Müller, wird sie wohl kaum an Hochqualifizierte auf dem Weg zum Doktorgrad oder zur Professur denken. Sondern vielleicht eher an Kinder oder Pflegebedürftige. Im Hochschuljargon sind diese Ausdrücke gang und gäbe – trotz Infantilisierung, anscheinend mangels Alternativen. Auch bei mir hat sich der Sprachgebrauch eingeprägt. Allerdings bleibt ein Beigeschmack. Wir sollten genauer hinschauen, was serviert wird.

Im jüngsten Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs steht:

„Mit dem Begriff des wissenschaftlichen Nachwuchses sind im engeren Sinne Personen gemeint, die sich wissenschaftlich qualifizieren, das heißt eine Promotion anstreben oder als sogenannte Post-docs an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen beschäftigt sind und das Karriereziel der Professur beziehungsweise einer wissenschaftlichen Leitungsposition verfolgen.“ (BuWiN 2017, S. 28)

Eine gute Annäherung – mit drei Problemen. Eines lässt sich schnell beheben. Nicht alle Postdocs sind „beschäftigt“, manche finanzieren sich über ein Stipendium. Das Verb sollte deshalb gestrichen oder ersetzt werden, zum Beispiel durch „tätig“. Die zweite Schwierigkeit steckt im letzten Satzteil. Denn: Wer keine Professur oder wissenschaftliche Leitungsposition anstrebt, zählt per definitionem nicht zum wissenschaftlichen Nachwuchs. Seltsam, sind doch nur 17 Prozent der Promovierten überwiegend in Forschung und Entwicklung tätig, auch das steht im BuWiN (S. 187). Außerhalb der Wissenschaft zu arbeiten, ist für sie also die Regel, nicht die Ausnahme. Der Bericht weist zwar darauf hin (S. 65), aber eine weite Definition, die das berücksichtigt, sucht man vergeblich.

Eine solche Definition im weiten und, wie ich meine, angemesseneren Sinn sollte diejenigen einschließen, die eine außerwissenschaftliche Karriere anstreben. Nicht zu vergessen diejenigen, die sich noch nicht für einen bestimmten Berufsweg entschieden haben. Elke Luise Barnstedt bringt es auf den Punkt: „Wenn vom wissenschaftlichen Nachwuchs die Rede ist, dann geht es um den wissenschaftlichen Nachwuchs in oder an einer Hochschule, nicht aber unbedingt für die Hochschule.“ (Barnstedt 2018, S. 225)

In die gleiche Kerbe schlägt die US-amerikanische National Postdoctoral Association. Sie lässt in ihrer Postdoc-Definition den Karriereweg bewusst offen und betont, dass die Berufsentscheidung eine individuelle sei. Unklar ist jedoch, wer zu den Postdocs zählt – eine wichtige Frage, da diese Personengruppe in der Definition des wissenschaftlichen Nachwuchses die einzige neben den Promovierenden ist. Wir nähern uns Problem Nummer drei.

Einigkeit besteht darin, dass Postdocs promoviert und wissenschaftlich tätig sind (an Hochschulen oder außeruniversitären Forschungseinrichtungen). Aber wann endet die Postdoc-Phase? Gehören beispielsweise Habilitierte, die teils älter als 40 Jahre sind, zu den Postdocs? Hanna Kauhaus schlägt vor, auf ein „hartes zeitliches Kriterium“ zu verzichten, „da es in Einzelfällen zu Erstberufungen in fortgeschrittenem Alter kommt und die Qualifizierungsphase sich deshalb entsprechend lang hinziehen kann“ (Kauhaus & Hochheim 2017, S. 7). Stattdessen nimmt sie das Beschäftigungsverhältnis in den Blick und setzt die Grenzmarke „unterhalb der W2-Professur“ (ebd.). Ein kluger Schachzug für ein klares Abgrenzungskriterium. Doch die Frage verlagert sich: Ist der Begriff des wissenschaftlichen Nachwuchses angemessen für Forscherinnen und Forscher mit einer Juniorprofessur, Habilitation oder Nachwuchsgruppenleitung?

Antworten sollten diejenigen, die es betrifft. Drei Beispiele aus dem Stimmen-Spektrum: Die Junge Akademie versteht sich auf ihrer Webseite als „Akademie des wissenschaftlichen Nachwuchses“. Auch die Deutsche Gesellschaft Juniorprofessur verwendet den Begriff auf ihrer Homepage, bezeichnet sich dort aber als einen „Zusammenschluss von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in einem frühen Karrierestadium“. Die Society for Women in Philosophy Germany findet den Nachwuchsbegriff „nicht angemessen für Personen, die bereits habilitiert sind oder sich gerade habilitieren“ (SWIP-Stellungnahme 2018, Fußnote 1).

Wem der Begriffs-Beigeschmack zu stark ist, sollte die Karrierephasen konkret benennen, um die es jeweils geht. So kann zum Beispiel die Postdoc-Phase in eine frühe und eine fortgeschrittene unterteilt werden (Kauhaus & Hochheim 2017, S. 8). Die EU-Kommission unterscheidet in ihrem European Framework for Research Careers zwischen First Stage, Recognised, Established und Leading Researchers (wobei letztere nicht zum Nachwuchsbereich zählen). Als Gradmesser dienen etwa Forschungserfahrung, Unabhängigkeit und Vernetzung in der wissenschaftlichen Gemeinschaft.

Wer den Nachwuchsbegriff für genießbar hält, findet schließlich hier angemessene Zutaten: Der Begriff des wissenschaftlichen Nachwuchses bezeichnet im weiten Sinn Personen, die eine Promotion anstreben oder sich als Postdocs an Hochschulen oder außeruniversitären Forschungseinrichtungen wissenschaftlich qualifizieren. Wohl bekomms!

 

David Willmes promovierte 2013 in Wissenschaftsphilosophie an der Universität Bielefeld. Heute ist er Berater, Coach und Mediator. Er publiziert zu Themen aus dem Promotionswesen und ist Mitherausgeber der Zeitschrift für Beratung und Studium. Hauptberuflich berät er Doktorandinnen und Doktoranden der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg zu allen Fragen rund um die Promotion.