
Demokratie und Konstitutionalismus
Welche Rolle kann, muss und soll das Bundesverfassungsgericht in der Demokratie spielen? Kann die Demokratie inhaltlich auch in Abgrenzung zu anderen Staatsformen als abstrakter Begriff überhaupt bestimmt werden? Im Gespräch mit Dr. Sarah Rebecca Strömel beantwortet Prof. Manow folgende Fragen:

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00:51 Der Begriff der liberalen Demokratie In Ihrem Buch „Unter Beobachtung: Die Bestimmung der liberalen Demokratie und ihrer Freunde“ stellen Sie ganz zu Beginn die provokative Frage, ob es eigentlich vor 1990 Feinde der liberalen Demokratie gegeben hat. Und Sie beantworten die Frage auch sogleich selbst, nämlich überraschenderweise mit „Nein“. Das ist ja schon eine starke These, könnten Sie uns die vielleicht näher erläutern?
06:37 Definition der Demokratie? Sie laden ja nicht nur mit der These, sondern auch allgemein dazu ein, das Verhältnis von Zeit und Demokratie zu durchdenken und machen uns darauf aufmerksam, dass unsere Klassen, Klassifikationen, Idealvorstellungen und Verständnisse von Demokratie immer temporär und nur historisch verstehbar sind, auch kausal miteinander zusammenhängen. Diese Idee einer Demokratie als fast schon Utopie, als Projekt oder eben als eine „Démocratie à venir“, haben ja schon Derrida und Rosanvallon formuliert. Wie können wir Demokratie, wenn wir sie als etwas begreifen, das im ständigen Wandel ist, dann aber noch von anderen Staats- und Gesellschaftsformen abgrenzen? Führt das – überspitzt gefragt – nicht zu einer Art „anything goes“ der Klassifikation von politischen Systemen?
12:38 Konstitutionalismus als Bedrohung? Sie stellen in Ihrem Buch außerdem die These auf, dass nicht nur der Populismus, sondern auch der Konstitutionalismus die Demokratie gefährden kann, während viele andere Theorien und die Erfahrung in der politischen Praxis seit der Einführung des Bundesverfassungsgerichts 1951 davon ausgehen, dass Gewaltenteilung und Verfassungsgerichte die Demokratie eher stärken oder schützen. Sie kehren das Verhältnis also um, könnten Sie uns das näher erläutern?
17:36 Entmächtigung des Demos? Jetzt ist für uns sehr deutlich geworden, dass Sie den Verfassungsgerichten eine zentrale Bedeutung zukommen lassen, wenn es darum geht: Wer entmächtigt eigentlich den Demos? Aber sind hier nicht andere Faktoren, wie zum Beispiel die ökonomische Globalisierung oder Deutschlands Eingebundenheit in die EU bei zentralen Entscheidungen von größerer Bedeutung, wenn es darum geht zu sehen: Warum schwindet die Macht des Demos?
22:26 Kern des Problems? Wenn ich Sie vorhin richtig verstanden habe, sind Sie der Auffassung, dass Demokratie immer selbst auch zum Gegenstand kontroverser Debatten gehört und nicht abschließend definiert werden kann, vor allem eben nicht als ein abstraktes, zeitloses Konzept. Verfassungsgerichte müssen ja qua Aufgabe hingegen, wissen was demokratisch ist und was undemokratisch ist. Ist dieses Spannungsverhältnis der Kern des Problems, das Sie benennen? Oder gibt es einen anderen Kern des Problems?
26:04 Wehrhafte Demokratie? Der Idee, dass die Demokratie selbst nicht abschließend definiert werden kann, widerspricht ja gewissermaßen das Konzept einer wehrhaften Demokratie, der „militant democracy“, das eigentlich ja gerade entwickelt wurde, um die Demokratie vor Extremismus zu schützen und eben bestimmte Grenzen des Diskutierbaren setzt. Gerade mit Blick auf die deutsche Geschichte scheint das ja durchaus geboten. Nimmt das Bundesverfassungsgericht hier nicht eine zentrale Schutzfunktion ein? Und wenn nicht, wer könnte diese Aufgabe Ihrer Ansicht nach alternativ übernehmen? Oder brauchen wir diese Schutzfunktion gar nicht?
30:45 Populismus? Ich würde abschließend trotzdem gerne noch einmal mit Ihnen über den Populismus sprechen, mit dem Sie sich ja auch viel beschäftigt haben. Sie haben hierzu geschrieben, dass der Populismus nicht der Gegner, sondern das Gespenst der liberalen Demokratie sei, weil er als Wiedergänger der vom Liberalismus erstickten Politik verstanden werden muss. Das fand ich eine schöne Formulierung, über die ich gestolpert bin und ich habe mich gefragt: Heißt das, dass wird dem Populismus, demokratietheoretisch gesprochen, auch etwas Positives abgewinnen können oder vielleicht sogar müssen?