Die Entwicklung der fachwissenschaftlichen Zeitschriften – Sicht eines Verlages

von Andreas Beierwaltes (Springer: VS und J.B. Metzler) und Franziska Remeika (Springer: J.B. Metzler)


Es scheint so, als habe sich kein Publikationstypus in den letzten Jahren so stark gewandelt, wie der der wissenschaftlichen Fachzeitschriften. Es ist noch nicht lange her, da wurden die Erfolgskriterien einer Zeitschrift bemessen an ihrem langen Bestehen (Tradition und Bedeutung), deren gedruckter Auflage bzw. der Zahl der Subskribenten (Reichweite), der Herausgeberschaft (Qualität) und manchmal auch an der Bedeutung des Verlages, in dem das Periodikum erschien – um nur ein paar Indikatoren zu nennen.

Diese Situation hat sich in den letzten Jahren dramatisch verändert – nicht nur in den Naturwissenschaften, sondern auch in den Sozial- und Geisteswissenschaften: Impact-Faktor, Rejection-Rate, (Double Blind) Peer-Review und Downloads sind die heutigen Währungen, an denen der Erfolg und die Qualität – durch Quantitäten scheinbar objektiviert – einer Zeitschrift bemessen wird. Darüber hinaus spielt eine immer größere Rolle die Forderung, dass die Publikation Open Access, d.h. frei zugänglich, sein soll.

Für Autorinnen und Autoren hat dieser Wandel Konsequenzen, die bereits heute deutlich spürbar sind. Schon längst werden in den Berufungsverfahren diese bibliometrischen Parameter herangezogen und auch in den Gehaltsverhandlungen spielen diese neuen Kriterien eine zunehmend wichtige Rolle.

Die Konsequenzen dieser Entwicklung sind gravierend – und dies gilt in besonderem Maße für die deutsche Wissenschaftslandschaft. Im Folgenden möchten wir drei kritische Entwicklungen nennen. Den Anspruch, damit die gesamte Veränderung zu diskutieren, erhebt dieser Beitrag allerdings nicht.

  1. Zunahme der Fachzeitschriften

Publizieren in renommierten Fachzeitschriften gehörte schon immer zum festen Bestandteil der Publikationsstrategien in der Wissenschaft. Durch die zunehmende Konzentration auf diesen Publikationstypus entstand in den letzten Jahren jedoch mehr Druck auf die großen und fachrelevanten Zeitschriften, indem die Einreichungen zum einen deutlich zunahmen, zum anderen aber zugleich die Ablehnungsrate aufgrund des begrenzten (Heft-)Umfangs der jeweiligen Zeitschrift wuchs. Die Konsequenz daraus war, dass immer mehr kleinere Zeitschriften zu spezielleren Gebieten und Diskursen des Faches entstanden.

Das Kritische daran: Zum einen fordert die Wissenschaft das Schreiben von Zeitschriftenartikeln, aber wenn es um die Aufrechterhaltung der dafür notwendigen Infrastruktur (Herausgeberschaft oder Redaktion) geht, dann scheint das Wissenschaftssystem – zumindest in Deutschland – das nicht zu unterstützen: Nicht selten untersagen Universitäten ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern diese Tätigkeiten als nicht hochschulrelevant. Wie aber soll so eine funktionierende Struktur entstehen bzw. beibehalten werden, wenn für die notwendigen Aufwendungen keine Anreize geschaffen werden?

Oder werden (weitere) sogenannte Megajournals als Open Access- bzw. rein elektronische Publikationen Zeitschriften klassischer Machart ablösen?

  1. Qualitätssicherung durch Peer Review

Die Herausgeberschaft galt bislang immer als ein Ausweis der Qualität einer Zeitschrift. Heute hingegen gelten anonymisierte Begutachtungsverfahren als das Maß aller Dinge. Eine echte Herausgeberschaft wäre dazu eigentlich nicht mehr notwendig und es scheint, als sei die ordentliche und transparente Organisation des Review-Verfahrens mit zwei oder mehr Gutachten für die Sicherung der Qualität ausreichend.

Das Kritische daran: Auch das Schreiben von Reviews ist aus Sicht der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nicht attraktiv. Es wird nicht entlohnt, erfolgt neben den eigentlichen universitären Tätigkeiten und beruht auf dem Prinzip „Eine-Hand-wäscht-die-andere“. Inzwischen sind lediglich nur etwas mehr als 30% der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bereit, ein Gutachten zu schreiben. Eine steigende Zahl von Einreichungen führt aber zu einem immer größer werdenden Bedarf an Begutachtung. Auch an dieser Stelle baut dieses System auf eine Struktur, die auf Dauer nicht belastbar ist und nicht aufrechterhalten werden kann (dazu mehr in diesem ZEIT-Artikel).

Und wie geht es weiter? Werden Reviewer durch automatisiert erstellte Reviews abgelöst? Das ist keine Zukunftsmusik, denn schon heute lassen sich Prognosen über die Wahrnehmung und die Zitation eingereichter Artikel erstellen. Warum also diese Prognosen nicht als Gütezeichen für eine Publikation heranziehen?

  1. Sprache

Impact Faktoren (IF) einer Zeitschrift spielen eine immer größere Rolle bei der Wahl des Publikationsorgans. Als bibliometrisches Mittel für die Anschaffungspolitik der Bibliothekare gedacht, ist der IF heute ein Gradmesser für die inhaltliche Qualität einer Zeitschrift geworden. Von einem privaten Unternehmen betrieben, mit Aufnahmekriterien versehen, deren Transparenz nicht immer gegeben ist, hat sich zudem in den letzten Jahren ein starker Bias zu Ungunsten der deutschsprachigen Zeitschriften ergeben. Auch wenn einige Zeitschriften den Sprung in die Indices geschafft haben, so sind doch weitaus mehr hochqualitative Zeitschriften aus dem deutschsprachigen Raum nicht in den entsprechenden Indices enthalten, womit es für die Autorinnen und Autoren zunehmend unattraktiver wird, dort ihre Beiträge einzureichen.

Das Kritische daran: Die wissenschaftliche Community wendet sich zunehmend englischsprachigen Zeitschriften zu, deren internationale Ausrichtung eine weitere Verbreitung/Sichtbarkeit und damit eine höhere Zitationswahrscheinlichkeit verspricht. Damit kommen aber auch zunehmend die renommierten deutschsprachigen Zeitschriften unter Druck, die sich der englischen Sprache als einzige Publikationssprache nicht (gänzlich) öffnen wollen. Ob die Themen und Herangehensweisen der in Deutschland gepflegten Wissenschaftstradition international so optimal repräsentiert werden können, darf durchaus bezweifelt werden.

Aber was wird aus dieser Tradition, wenn sich Texte automatisiert übersetzen lassen und die Sprache eine immer geringere Rolle zu spielen scheint? Wie werden die Geisteswissenschaften mit dieser Entwicklung umgehen?

Wie können nun Verlage auf diese kritischen Entwicklungen reagieren? Wissenschaftliche Fachverlage sind zunächst einmal Dienstleister für die wissenschaftliche Community. Und nur, wenn sie sich als solche verstehen, können Sie auch im Wettbewerb mit anderen Institutionen und neuen Anforderungen bestehen.

Zugleich ist die Zunahme der Fachzeitschriften auch für die Verlage nicht unproblematisch, denn schnell werden themenspezifischere Zeitschriften für eine kleinere Interessentengruppe auch wirtschaftlich schwierig zu handhaben, wenn zugleich die Etats der Zeitschriftenbeschaffer bzw. Bibliotheken nicht gleichermaßen wachsen.

Dennoch haben wir uns bei J.B. Metzler bzw. SpringerNature zum Beispiel dazu entschlossen, unser Zeitschriftenportfolio mit der Zeitschrift für Ethik und Moralphilosophie (ZEMO) zu erweitern. Wir sind davon überzeugt, dass eine Zeitschrift zum Profil eines Verlages viel beiträgt. Und genau dann ist es auch sinnvoll, sich neuen Zeitschriftenprojekten zu öffnen: Thematische Bedeutung für den Wissenschaftsdiskurs und damit inhaltliche Profilierung des Verlages in diesem Themengebiet.

Um diesem Anspruch gerecht zu werden, muss ein Verlag sich auf eine zentrale Aufgabe konzentrieren, nämlich für eine möglichst weite Verbreitung der Inhalte –  auch international –  zu sorgen.

Bei Springer | J.B. Metzler ist dieser Vertrieb im Wesentlichen ein elektronischer, wie z.B. über die zentrale Plattform SpringerLink, die der zunehmenden elektronischen Nutzung von Inhalten durch die Forschenden Rechnung trägt, über Publikationen als Open Access-Veröffentlichungen oder über sogenannte Hybrid-Modelle, d.h. Subskriptionszeitschriften, in denen auch einzelne Artikel Open Access publiziert werden können.

Zusätzlich unterstützen Verlage die Herausgeberschaften mit ihrem Wissen um die Kriterien der Aufnahme in die bekannten Indices. So kann eine der möglichen Strategien sein, sich englischsprachigen Texten und Autorinnen und Autoren zu öffnen. Da durch den Vertrieb auch die deutschsprachigen Zeitschriften international verbreitet werden, haben diese Texte und damit die Zeitschriften selbst eine gute Chance, neben den englischen Texten und Organen wahrgenommen und zitiert zu werden, womit auch eher die Hürde einer Aufnahme genommen werden kann. Und durch die zunehmende Perfektionierung von Übersetzungssoftware lassen sich die deutschen Beiträge immer besser erschließen. Auf diesem Weg haben einzelne deutschsprachige Zeitschriften eine Zugriffsrate von fast 25% aus dem nicht-deutschsprachigen Ausland erreicht.

Formal unterstützen wir bei Springer | J.B. Metzler die Herausgeberinnen und Herausgeber mit dem Einsatz technischer Hilfsmittel, wie z.B. dem Editorial Manager, einem Redaktionssystem, mit dessen Hilfe der technische Aspekt des Review-Verfahrens unterstützt und erleichtert werden kann. Ergänzend wird das eingereichte Manuskript auf Plagiate hin überprüft. So wird überflüssige Verwaltungsarbeit in den Redaktionen eingespart, werden erste Hinweise auf mögliche Betrugsfälle  gegeben, und die damit eingesparte Zeit kommt anderen Tätigkeiten zugute.

Alle hier genannten Maßnahmen führen natürlich nicht dazu, die oben genannten Probleme im Hinblick auf Zeitschriftenpublikationen abschließend zu lösen, aber sie alle tragen dazu bei,  dieses Publikationsmodell zu unterstützen und Lösungen anzubieten, die es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erleichtern, daran teilzunehmen. Mit anderen Worten: Verlage können die Probleme der Wissenschaft nicht lösen, aber sie können mit ihrer spezifischen Kompetenz ein Teil der Lösung sein.


Andreas Beierwaltes ist Editorial Director Social Sciences & Humanities bei Springer. Franziska Remeika ist Senior Editor bei J.B. Metzler.