Herausforderungen für philosophische Zeitschriften und Jahrbücher in Deutschland

von Michael Reder (München)


Die Veröffentlichung philosophischer Forschung hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten stark gewandelt, auch in Deutschland. Wurden früher philosophische Arbeiten vor allem in Form von Monographien und als Beiträge in Sammelbänden publiziert, haben seitdem Veröffentlichungen in Zeitschriften und Jahrbüchern stetig an Bedeutung gewonnen. Zwar gab es auch schon früher wichtige Zeitschriften in Deutschland; allerdings fanden sich in diesen oftmals primär Veröffentlichungen renommierter Philosoph*innen und Lehrstuhlinhaber*innen.

Durch die Veränderungen der Publikationspraxis in anderen Disziplinen, die Internationalisierung und die Digitalisierung der Forschung hat sich diese Praxis insgesamt verändert. Es ist heute nicht nur gängige Praxis, sondern auch für den akademischen Karriereweg von zentraler Bedeutung, die Ergebnisse der eigenen Forschung in Zeitschriften zu publizieren. Besonders wichtig sind dabei Veröffentlichungen in Zeitschriften, die eine (einfach, doppelt oder sogar dreifach) blinde Begutachtung der eingereichten Manuskripte vornehmen, weil damit die Qualität der eigenen Arbeit noch einmal von anderen in Unkenntnis der eigenen Person bestätigt wird. Angestoßen durch diese Entwicklung, sind in den letzten Jahren neue Zeitschriften und Jahrbücher in Deutschland entstanden, die eine Plattform für genau solche Beiträge sein wollen. Dabei hat sich auch der thematische Zuschnitt der Zeitschriften im Vergleich zu früher deutlich ausdifferenziert.

Vor diesem Hintergrund hat sich die Hochschule für Philosophie in München 2016 entschieden, ein neues Jahrbuch herauszugeben, das den Standards einer (doppelt blind begutachteten) Zeitschrift entspricht und einmal im Jahr erscheint. Entsprechend des langjährigen Forschungsschwerpunktes der Hochschule auf Themen der praktischen Philosophie mit globalem Zuschnitt und des dort angesiedelten Rottendorf-Projektes Globale Solidarität wurde das Jahrbuch Praktische Philosophie in globaler Perspektive gegründet. Das Ziel dieses Jahrbuches ist es, einen akademischen Ort für philosophische Fragen mit globalem Bezug zu etablieren und damit auch die philosophische Diskussion insgesamt zu bereichern. In jedem Jahr gibt es ein Schwerpunktthema, zu dem im jeweiligen Sommersemester auch eine Tagung an der Hochschule für Philosophie in München stattfindet. Eingereicht werden können Beiträge zu diesem Schwerpunktthema (beispielsweise im Jahr 2017: Pragmatismus) oder zu einem allgemeinen Teil, in dem aktuelle Forschungsbeiträge aus dem Themenfeld veröffentlicht werden. Die Autor*innen bewerben sich zuerst im Frühjahr jeden Jahres mit einem Abstract, von deren Autor*innen dann einige zur Einreichung eines Beitrages aufgefordert werden. Diese Beiträge werden doppelt blind begutachtet und ergänzen die eingeladenen Beiträge, die auch ein einfach blindes Begutachtungsverfahren durchlaufen.

Auch wenn das Jahrbuch für Praktische Philosophie in globaler Perspektive noch jung ist, so zeigen die bisherigen Erfahrungen doch bereits einige Herausforderungen. Diese können unterschieden werden in Herausforderungen für Herausgeber*innen von Zeitschriften und für Autor*innen.

Die erste Herausforderung für die Herausgeber*innen ist schlicht und ergreifend der deutlich größere Mehraufwand. Dem Jahrbuch voraus ging eine Buchreihe, die aus Sammelbänden zu den Tagungen bestand. Die Organisation eines Jahrbuchs ist gegenüber solchen Sammelbänden deutlich aufwendiger. Der Call for Abstracts muss diskutiert, veröffentlicht und dann müssen die Abstracts ausgewählt werden. Für die eingeladenen Beiträge müssen Gutachter*innen gefunden und deren Voten gegebenenfalls noch einmal von den Herausgeber*innen diskutiert oder Drittgutachten eingeholt werden. Besonders die Suche nach Gutachter*innen ist nicht immer einfach, weil viele Kolleg*innen verständlicher Weise selbst zeitlich sehr eingespannt sind. Da es immer mehr Zeitschriften gibt, werden zudem auch mehr Gutachten benötigt. Es besteht eine gewisse Gradwanderung für die Verantwortlichen, einerseits zum Thema passende Gutachter*innen zu finden und andererseits um Gutachten zu bitten, die eine fundierte Beurteilung (inkl. konstruktiver Verbesserungsvorschläge) ermöglicht und gleichzeitig die Kolleg*innen auch nicht zeitlich über Gebühr belastet.

Ein Problem in diesem Zusammenhang ist auch, dass die deutschsprachige philosophische Szene insgesamt noch keine wirkliche „Kultur der Begutachtung“ entwickelt hat. Die Verfahren der Publikationsorgane unterscheiden sich teils erheblich. Selbst bei etablierten Zeitschriften kommt es teilweise vor, dass man als Autor*in die Gutachten nicht bekommt und deshalb nicht weiß, worauf sich die Ablehnung oder aber auch die Annahme des Beitrages gründet. Die sehr große Bandbreite der Verfahren und auch teilweise ihre Intransparenz sind ein Indiz dafür, dass sich die philosophische Community in Deutschland über Verfahren und Kriterien von Begutachtungen austauschen sollte, gerade auch um den Autor*innen transparente und faire Rückmeldungen geben zu können.

Eine weitere Herausforderung für die Verantwortlichen von Zeitschriften und Jahrbüchern ist die sehr große Spannbreite von Beiträgen, die eingereicht werden. Diese reicht von Hausarbeiten von Studienanfängern, über Zusammenfassungen von Bachelor- und Masterarbeiten bis hin zu Forschungsdesideraten aus der Postdoc-Phase und Artikeln von etablierten Professor*innen. Will man der Anonymität der Beiträge Rechnung tragen, darf dies keine Rolle spielen. Wenn man jedoch mit vorgeschalteten Abstracts arbeitet, wie in unserem Fall, stellt dies ein gewisses Problem dar. Denn aus den Abstracts ist nicht immer das Qualifikationsniveau (und damit zum Teil auch die spätere Qualität der Beiträge) ersichtlich, und es ist auch nicht immer so, dass der Beitrag des etablierten Professors überzeugen wird. Einerseits will man offen für alle Beiträge sein, andererseits kann man auch nicht jeden Beitrag anfordern und in die Begutachtung geben. Dies würde den Umfang und Zeitaufwand der Verfahren sprengen.

Eine weitere Herausforderung für Herausgeber*innen ist die Platzierung in (inter-)nationalen Rankings. Natürlich will sich jede Zeitschrift im Vergleich gut platzieren und damit auch eine größtmögliche Aufmerksamkeit für ihre Beiträge (und Anziehungskraft für zukünftige Autor*innen) erzielen. Damit übernimmt man aber indirekt auch Kriterien, die aus normativen Überlegungen heraus problematisch sein können – beispielsweise was die Ökonomisierung der Wissenschaft angeht. Die Verantwortlichen sind deshalb immer herausgefordert, wie stark sie auf Rankings um der Sichtbarkeit willen oder auf selbst gewählte Kriterien der Qualität und Innovation achten.

Ein wichtiger Aspekt des Ranking ist dabei sicherlich auch die Sprache, in der die Beiträge publiziert werden. Für unser Jahrbuch haben wir uns für eine Zweisprachigkeit entschieden (deutsch/englisch). Einerseits erscheint es uns wichtig, Deutsch als Wissenschaftssprache in der Philosophie zu fördern und deshalb auch eine Plattform für deutschsprachige Artikel zu bieten. Andererseits findet der philosophische Diskurs heute in einer globalisierten Welt statt – und deshalb v.a. auf Englisch. Sowohl für die Sichtbarkeit der Beiträge als auch die Attraktivität für Autor*innen erscheint es uns deshalb wichtig, Beiträge in beiden Sprachen zu ermöglichen. Für die Autor*innen wie Herausgeber*innen bedeutet dies jedoch auch, dass sie die Kompetenz mitbringen müssen, englischsprachige Beiträge auf einem international akzeptablen Niveau zu schreiben, was den Aufwand deutlich steigert.

Eine letzte Herausforderung für die Herausgeber*innen betrifft die Zugänglichkeit der Artikel und die Finanzierung der Zeitschriften. Wir haben uns gegen eine Open Access Publikation des Jahrbuchs entschieden. Das Jahrbuch wird vom Alber-Verlag herausgegeben, auch um die faktische Präsenz der Einzelausgaben in den Bibliotheken sicherzustellen. Dies hat allerdings zur Folge, dass ein zusätzlicher finanzieller Aufwand für den Druck notwendig ist und außerdem die internationale philosophische Diskussion, die heute stark in die digitale Welt gewandert ist, diese Bücher nur zum Teil wahrnimmt. In diesem Zusammenhang sind vor allem auch die Verlage gefragt. Bis auf einzelne Ausnahmen (Springer, DeGruyter) steht die Digitalisierung der Verlagswelt in Deutschland allerdings erst am Anfang. Um die Beiträge der Zeitschriften und Jahrbücher gerade international jedoch sichtbarer zu machen, ist dies ein unumgänglicher Schritt für die Zukunft, aber für beide Seiten, Herausgeber*innen wie Verleger*innen, eine große Herausforderung.

Die gegenwärtigen Veränderungen der Publikationspraxis betreffen allerdings nicht nur die Zeitschriften selbst, sondern auch die Autor*innen. Abschließend seien einige dieser Herausforderungen aus Sicht unseres Jahrbuchs genannt. Dabei kann man zuerst festhalten, dass die Ausdifferenzierung der philosophischen Zeitschriftenlandschaft in Deutschland zuerst einige Vorteile für Philosoph*innen mit sich bringt. Es gibt heute Zeitschriften zu ganz unterschiedlichen Themenfeldern, so dass Beiträge dort eingereicht werden können, wo die Debatten wirklich stattfinden. Zudem führt die Entwicklung dazu, dass es immer weniger Zeitschriften gibt, in denen nur noch renommierte Lehrstuhlinhaber*innen ihre Beiträge veröffentlichen. Viele Zeitschriften und Jahrbücher sind offen für Artikel von Philosoph*innen anderer Qualifikationsniveaus. Dadurch wird auch die Breite der gegenwärtigen Forschung in den Zeitschriften abgebildet, was uns als ein Vorteil erscheint.

Die Herausforderung für die Autor*innen besteht dann darin, das passende Journal für ihren Beitrag zu finden. Dazu wäre es auch sinnvoll, die verschiedenen Publikationsorgane in Deutschland (inkl. ihrer Publikationsrichtlinien, Fristen und speziellen Ausschreibungen) auf einer Plattform gebündelt vorzustellen (z.B. durch die DGPhil). Eine wichtige Entscheidung für oder gegen eine Zeitschrift kann dabei wiederum auch sein, ob die Richtlinien der Begutachtung transparent veröffentlicht und fair gestaltet werden. Dabei geht es auch um klar ersichtliche Zeitfenster, in denen entschieden wird, ob ein Beitrag angenommen wird oder nicht. Dies ist leider bei vielen Zeitschriften (auch international betrachtet) nicht immer klar. Bei den renommierten Zeitschriften des Faches reicht dies von zwei Wochen bis zwölf Monate, ohne dass im vornhinein klar wäre, wann genau die Entscheidung fällt. In diesem Zusammenhang besteht auch für die deutschsprachige Szene sicherlich noch Nachholbedarf.

Eine letzte Herausforderung sei benannt: Begutachtungsverfahren helfen einerseits den Qualitätsstandard der Zeitschrift zu sichern. Andererseits neigen sie aber auch dazu, sowohl inhaltlich als auch formal den philosophischen Mainstream zu bevorzugen. Auch wenn bei der Auswahl der Gutachter*innen darauf geachtet wird, dass nicht Personen angefragt werden, die explizit aus einer anderen Theorietradition stammen als die der Beiträge, so tendieren Gutachten doch oftmals dazu, Beiträge „auf einen Mittelweg“ hin zu beurteilen. Dies betrifft inhaltlich betrachtet die Beurteilung von Argumenten, aber auch den Sprachstil selbst. Die Philosophie hat sich aber natürlich auch immer dadurch ausgezeichnet, dass sich neue Sprachformen und Argumente gegen den etablierten Mainstream gestellt haben; im 20. Jahrhundert lässt sich das von Ludwig Wittgenstein bis Judith Butler zeigen. Herausgeber*innen von Zeitschriften und Jahrbüchern sollten sich deswegen der Vor- und Nachteile von Begutachtungsverfahren bewusst sein und immer auch das Unkonventionelle in den Blick nehmen.


Michael Reder ist Professor für Praktische Philosophie und Inhaber des Lehrstuhls für Praktische Philosophie mit dem Schwerpunkt Völkerverständigung und Editor-in-Chief des Jahrbuchs Praktische Philosophie in globaler Perspektive.