Philosophie im Kinosessel
von Andrea Klonschinski (Kiel)
Philosophische Filmreihe als populäre Philosophie
Philosophische Themen auf eine unterhaltsame Art vermitteln und mit einem breiteren, nicht unbedingt philosophisch vorgebildeten Publikum diskutieren – geht das? Ja, das geht – und zwar sehr gut! Diese Erfahrung habe ich zumindest mit der philosophischen Filmreihe „Filmisches Philosophieren“ gemacht, die ich 2012 in Regensburg aus der Taufe gehoben, dort bis 2016 organisiert habe und seit 2017 in Kiel fortführe. Ich möchte im Folgenden das Konzept dieser Reihe vorstellen, einen Überblick über Filme und diskutierte Themen geben und skizzieren, warum ich die Filmreihe und vergleichbare Formate für „populäre Philosophie“ im Besten Sinne halte, von der sowohl die Öffentlichkeit, als auch die akademische Philosophie selbst profitieren.
Das Projekt „Filmisches Philosophieren“
Wie sieht also so ein philosophischer Filmabend aus? Wir zeigen einen Film in einem Programmkino – in Regensburg war das die Filmgalerie im Leeren Beutel, in Kiel ist es das Kino in der Pumpe – nach einer kurzen Pause hält ein/e ReferentIn einen Impulsvortrag von ca. 20 Minuten, in dem er oder sie die philosophisch interessanten Aspekte des Films aus fachlicher Perspektive beleuchtet. Schließlich folgt eine Diskussion mit dem Publikum. Da diese Diskussionen meist sehr angeregt verliefen, wurden und werden sie meist am späteren Abend noch in einer Kneipe fortgesetzt. Pro Semester stehen etwa drei Filmabende auf dem Programm, sodass es seit 2012 25 Veranstaltungen dieser Art gegeben hat; drei weitere für das aktuelle Sommersemester stehen bereits fest. Die ReferentInnen stammen dabei aus Regensburg bzw. Kiel selbst oder werden aufgrund ihrer Expertise zu einem bestimmten Thema eingeladen (an dieser Stelle sei nochmal dem Institut für Philosophie in Regensburg für die großzügige finanzielle Unterstützung sowie insbesondere den ReferentInnen gedankt, die zum Teil für die Mitwirkung an der Filmreihe – ohne Honorar! – weite Strecken auf sich genommen haben).
Themen und Referenten
Um ein paar Beispiele für Filme, Themen und Vortragende zu nennen: Elif Özmen (Regensburg) diskutierte auf Basis des Films Gattaca das Thema genetisches Enhancement und soziale Ungleichheit, Mark Schweda (Göttingen) machte nach dem Film 21 Gramm Organspende zum Gegenstand seines Kurzvortrags und Zachary Goldberg (Regensburg) sprach anhand von Minority Report über moralische und rechtliche Verantwortung und staatliche Verbrechensprävention. Michael Kühler (Münster) referierte über die Philosophie der Liebe am Beispiel von her, Martina Schmidhuber (Erlangen) sprach nach Still Alice über den Umgang mit Demenzkranken, und Annette Dufner (Bayreuth) thematisierte personale Identität auf der Basis des Films Memento. Jonas Hock (Regensburg) arbeitet heraus, inwiefern Little Miss Sunshine als Kritik sowohl an der gesellschaftlichen Konstruktion von Weiblichkeit als auch als Postfeminismus-Kritik gelesen werden kann. Den Aufschlag in Kiel machte David Lauer mit einer sprachphilosophischen Analyse des Films Lost in Translation. Auch ReferentInnen aus anderen Disziplinen bereicherten das Programm mit ihrem Fachwissen; so sprach etwa der Onkologe Matthias Edinger (Regensburg) nach Das Meer in mir zum Thema Sterbehilfe, der Volkswirt Jürgen Jerger (Regensburg) referierte zu Finanzkrise und Berufsethik anhand von Inside Job und die Psychoanalytikerin Heidrun Jarass (Regensburg) lieferte eine Freud’sche Lesart des Films Black Swan.
Fokus und Zielgruppe
Diese exemplarische Auflistung zeigt die große Bandbreite philosophischer Themen, die sich anhand von Filmen veranschaulichen und diskutieren lassen. Die Filmreihe ist dabei dezidiert an Inhalten orientiert; es geht mit anderen Worten nicht um eine Philosophie des Mediums Film, sondern um die Reflexion von im Film implizit oder explizit verhandelten Themen. Das heißt nicht, dass die Machart des Films, Farbgebung oder Kameratechnik in Vortrag oder Diskussion gar nicht thematisiert werden; dies geschieht aber nicht als Selbstzweck, sondern um das Thema zu ergründen. Dieser Fokus der Filmreihe hängt unmittelbar mit ihrem Adressatenkreis zusammen: eine breitere, philosophisch interessierte Öffentlichkeit und eben gerade nicht nur Fachphilosophen oder Filmwissenschaftler.
Filme: unterhaltsam und vielschichtig
Diese Überlegung steuert auch die Auswahl der Filme: sie sollen zwar thematisch ergiebig und facettenreich, dabei aber dennoch unterhaltsam und für ein breiteres Publikum zugänglich sein. Ein Paradebeispiel für einen solchen Film ist in meinen Augen The Dark Knight aus der Batman-Trilogie von Christopher Nolan. In dem Film kracht es ordentlich und es explodiert so Einiges, die Handlung ist spannend und die Ästhetik interessant, sodass man den Film ohne weiteres nach einem langen Tag im Büro mit einer Tüte Popcorn auf dem Schoß ansehen kann. Zugleich weist er jedoch eine tiefere, philosophische Ebene auf, etwa durch die moralischen Dilemmata, in die der Joker Batman permanent verstrickt, dem Gegeneinanderstellen von utilitaristischen und deontologischen Handlungsgründen oder der für einen Superheldenfilm sehr komplexen Darstellung von Gut und Böse. Der Film macht einem damit das freundliche Angebot, über ihn nachzudenken, aber er nimmt es einem auch nicht übel, wenn man es nicht tut. Genau diese Vielschichtigkeit unterhaltsamer Filme, die sich an ein breiteres Publikum richten, ist es, die meines Erachtens ein großes Potential für das „populäre“ Philosophieren mit Filmen birgt.
Publikum
Der gewünschte Adressatenkreis ist aber natürlich nicht automatisch identisch mit dem tatsächlichen Publikum und so könnte man vermuten, dass auch das Filmische Philosophieren doch letztlich Philosophieren mit und für andere Philosophen bedeutet – und damit eine etwas unterhaltsamere Art des akademischen Abendvortrags ist. Dem ist aber nicht so. Zunächst einmal fand und findet die Veranstaltung absichtlich in beliebten Programmkinos und nicht etwa im universitären Hörsaal statt. Die akademische Philosophie soll damit nicht nur bildlich, sondern tatsächlich auf die interessierte Öffentlichkeit „zugehen“ – und dass diese Öffentlichkeit nicht gänzlich zurückweicht, zeigt sich an den Besucherzahlen. Hinsichtlich der Zusammensetzung des Publikums unterscheiden sich interessanterweise Regensburg und Kiel, zumindest meiner subjektiven Wahrnehmung nach, denn Statistik wurde nicht geführt. Während in Regensburg größtenteils Studierende und Mitarbeiter der Universität, wenn auch nicht unbedingt des Instituts für Philosophie, die Reihe frequentierten, so scheint sich in Kiel der größte Teil des Publikums aus der interessierten Öffentlichkeit (mit mir natürlich unbekannten Hintergründen und Berufen) zu rekrutieren, gefolgt von Studierenden und Mitarbeitern. Das Publikum ist also insgesamt gemischt und besteht nur zu einem verschwindend geringen Teil aus professionellen Philosophen. In diesem Sinne kann die Filmreihe folglich schon mal zu Recht als „populär“ bezeichnet werden.
Bedarf an Reflektionen und Diskussionen
Aus den Besucherzahlen und meinen Erfahrungen mit den angeregten Diskussionen und Nachfragen seitens des Publikums wage ich zu schließen, dass offenbar ein großer Bedarf in der Öffentlichkeit besteht, grundlegende moralische, erkenntnistheoretische oder ontologische Fragen zu stellen und zu diskutieren. (Selbst der Film Locke, der in Kiel mit dem metaethischen und etwas sperrigen Thema „Vorrang der Moral?“ angekündigt worden war, führte zu einem ausverkauften Kinosaal – mit immerhin 112 Plätzen.) Dieser Eindruck wird nicht zuletzt auch durch die Verkaufszahlen der Bücher von Richard David Precht oder der populären Philosophiemagazine, um nur zwei Beispiel zu nennen, gestützt. Als jemand, der dafür bezahlt wird, sich tagtäglich mit (fast) nichts anderem als philosophischen Fragen zu beschäftigen, gilt es sich dabei zu vergegenwärtigen, dass die allermeisten Menschen in ihrem Alltag keine Zeit und auch keine oder kaum Gelegenheit haben, darüber nachzudenken, ob sie schmerzhafte Erinnerung auslöschen würden, wenn sie könnten (Eternal Sunshine of the Spotless Mind), was sie von pharmakologischem Enhancement (Limitless) und postmortaler Samenspende (Frozen Angels) halten oder ob die Welt um sie herum vielleicht nur eine Computersimulation ist (Matrix). Die Filmreihe bietet eine solche Gelegenheit, indem sie im Alltag einen Raum zum Denken und Diskutieren eröffnet.
Trivialisierung?
Findet im Rahmen der Filmreihe nun aber überhaupt noch „echte“ Philosophie statt oder trivialisiert das Format komplexe Inhalte bis zur Unkenntlichkeit? Es geht natürlich im Kontext der Filmreihe nicht darum, im Impulsvortrag den neusten Forschungsbeitrag zu Parfits Kritik an Williams Konzeption internalistischer Gründe auf Basis eines nicht-metaphysischen nicht-naturalistischen Kognitivismus darzulegen. Auch ist es nicht Ziel der Reihe, das Publikum in philosophischen Fachtermini oder der Geschichte der Philosophie zu schulen. Es geht vielmehr darum, in einem Impulsvortrag und der Diskussion Denkanstöße zur Reflektion und Diskussion grundlegender philosophischer Fragen zu liefern und den Teilnehmern unterschiedliche Sichtweisen auf ein bestimmtes Sujet aufzuzeigen. Und diese grundlegenden Fragen sind es ja letztlich auch, die hinter kleinteiligen Spezialdebatten stecken (siehe Beitrag von Elke Brendel) und sie sind es, die in verständlicher Weise dargestellt und mit philosophischen Laien diskutiert werden können (müssen). Dass „verständlich“ keineswegs „niveaulos“ bedeutet, haben die Vortragenden bislang eindrucksvoll bewiesen. Und auch die Diskussionen waren durchaus facettenreich und anspruchsvoll. Auch wenn der professionelle Philosoph im systematischen Denken und Argumentieren besonders geschult ist, so funktioniert das auch bei manchem Nicht-Philosophen ganz gut. Die Filmreihe ist damit nicht nur „populär“, sie beinhaltet auch „Philosophie“.
Kommunikation und Legitimation
Warum nun aber populäre Philosophie in dieser Spielart? Einen zentralen Grund habe ich bereits genannt: es werden Räume der Reflektion und Diskussion für eine breitere Öffentlichkeit geschaffen. Zudem fördern Formate wie die Filmreihe in ihrem Rahmen die Kommunikation zwischen akademischer Philosophie und Gesellschaft. Dies geschieht einerseits konkret, indem die ReferentInnen sich bemühen, Sachverhalte verständlich darzustellen und sich der Diskussion mit dem Publikum zu stellen. Andererseits wird philosophischen Laien aufgezeigt, womit sich Philosophie überhaupt beschäftigt und dass philosophische Fragen (zu einem großen Teil) unmittelbar ihren Alltag betreffen. Indem sie Denkräume schaffen, Anstoß zur Reflektion geben und eine gewisse Transparenz des akademischen Betriebs herstellen, erfüllen Formate wie die Filmreihe eine weitere wichtige legitimatorische Funktion. Gottfried Schweiger und Norbert Paulo werfen in ihrer Einführung zu dem Themenschwerpunkt „Populäre Philosophie“ die Frage auf, ob aus der Steuerfinanzierung universitärer Forschung eine Verantwortung für Philosophen erwächst, sich um Kommunikation und Diskussion über die Grenzen der Disziplin hinaus zu bemühen. Auf jeden Fall! Das heißt nicht, dass jede Philosophin im Ethikrat sitzen oder populärwissenschaftliche Bücher schreiben muss. Meines Erachtens kann man dieser Verantwortung auch in viel kleineren Dimensionen nachkommen, immer dann nämlich, wenn man im außeruniversitären Kontext Impulse geben kann, Positionen zu hinterfragen, Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten oder auch einfach einzusehen und auszuhalten, dass es auf viele Fragen keine einfachen Antworten gibt. Gerade in Zeiten des zunehmenden Populismus und einer viel beklagten Verarmung des öffentlichen Diskurses können Formate wie die Filmreihe zumindest im Kleinen ein Gegengewicht zu diesen Entwicklungen schaffen; nicht nur, aber auch, um der Gesellschaft etwas zurückzugeben.
Mehrwert für die akademische Philosophie
Neben dieser Legitimationsfunktion kann das Philosophieren mit Filmen eine unmittelbarere Bereicherung für professionelle Philosophen und Studierende bieten, indem es einen alternativen Zugang zu den behandelten Themen ermöglicht. Philosophisches Arbeiten ist bekanntlich primär Arbeit am Text und gerade in der analytischen Tradition können diese Texte durchaus recht trocken daherkommen. Filme oder auch literarische Texte können in diesem Kontext mindestens zwei Dinge, die wissenschaftliche Texte normalerweise nicht können. Erstens lassen Sie den Zuschauer das Dargestellte mit-erleben, rufen Emotionen hervor und eröffnen damit neue Perspektiven auf philosophische Probleme. „Bloße“ Emotionen können und sollen das rationale Argument natürlich nicht ersetzen; sie können es aber anreichern. So ist es beispielsweise in der angewandten Ethik wichtig, Argumente auf der Basis eines möglichst umfassenden, empirisch stimmigen Bildes der jeweiligen Problemlage zu entwickeln und so kann es beispielsweise durchaus relevant für die Qualität eines Arguments gegen Sterbehilfe sein, sich anhand des Films Das Meer in mir zu vergegenwärtigen, was ein sterbewilliger Patient und seine Angehörigen unter Umständen durchmachen müssen. Spätestens wenn einem dabei ungewollt das Wasser in die Augen schießt, realisiert man, dass hinter theoretischen Abhandlungen im Seminar oder am Schreibtisch reale und individuelle menschliche Schicksale stehen. Zweitens können Filme nicht nur anschaulich darstellen, was ist, sondern auch was – jetzt oder zukünftig – sein könnte. Als Gedankenexperimente sind insbesondere Science-Fiction Filme unheimlich gut geeignet, aktuelle gesellschaftliche und technische Entwicklungen zu reflektieren und grundlegende Fragen danach, wie wir leben wollen und was eigentlich genuin menschlich ist, aufzuwerfen. So skizziert Gattaca etwa eine Zwei-Klassen Gesellschaft, in der genetisches Enhancement zum Standard geworden ist und Real Humans entwirft ein Szenario, in dem humanoide Roboter einen Großteil der anfallenden Dienstleistungen übernehmen und als Arbeiter am Band, als Haushaltshilfe oder Fitnesstrainer arbeiten – beides Entwicklungen, die im Heute bereits angelegt sind.
Fazit
Das populäre Philosophieren mit einem gemischten Publikum anhand von unterhaltsamen Filmen funktioniert meines Erachtens hervorragend, wird sehr gut angenommen, muss nicht niveaulos sein, erfüllt (in seinem Rahmen) wichtige Funktionen für Öffentlichkeit und akademische Philosophie und macht – sollte ich das noch nicht erwähnt haben – wahnsinnig viel Spaß!
Andrea Klonschinski ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Praktische Philosophie der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.