Politische Philosophie und politische Arbeit an der Universität

Von Gottfried Schweiger (Salzburg)


Politische Philosophie denkt oft über die großen Probleme und Ungerechtigkeiten in der Welt nach. Wie steht es aber um die politische Arbeit für politische Ideale und Ideen an der Universität? Diese politische Arbeit und die Besonderheiten der Organisation und des sozialen Raums „Universität“ werden nur selten explizit reflektiert, dabei hätte die politische Philosophie doch das Handwerkszeug dazu.

Politische Philosophie fragt nach der richtigen politischen Ordnung und der Regelung des sozialen Zusammenlebens. Wahrscheinlich gibt es schon bei dieser allzu vagen Bestimmung reichlich Widerspruch. Das Feld ist reichlich ausdifferenziert und alle möglichen Fragen und Probleme werden unter dem Banner der politischen Philosophie – und der Ethik – bearbeitet. Klar ist nur, dass die irgendetwas mit Politik zu tun hat, wobei der Begriff der Politik meist sehr weit ausgelegt wird und politische Parteien, Wahlen, politische Systeme oder konkrete Politiken und ihre Umsetzung nicht den Fokus der philosophischen Reflexion darstellen – diese Themen werden zumeist der Politikwissenschaft überlassen. Oft geht es um abstrakte politische Ideen und ihre Umsetzung durch die Politik: also Gerechtigkeit, Freiheit oder Toleranz.

Die Universität ist ein politischer Ort. Sie ist das, weil sie in ihrer Form und inneren Gestaltung politisch geprägt ist – allen voran trifft das auf staatliche Universitäten zu und die stellen in Österreich und Deutschland eine bedeutende Mehrheit. Das Universitätsgesetz in Österreich – ich bleibe, wenn es konkret wird bei Österreich, weil ich mich hier besser auskenne als in anderen Ländern – gibt einen recht konkreten Rahmen vor, wie Universitäten aufgebaut, finanziert und geleitet werden sollen und was sie zu tun haben bzw. was sie tun dürfen und was nicht. Das Universitätsgesetz kann geändert werden und darüber bestimmen nicht die Universitäten oder die dort arbeitenden Menschen. Diese können nur hoffen, bei den politischen EntscheidungsträgerInnen gehört zu werden. Die Universität ist aber nicht nur ein politischer Ort, weil sie die Politik als ihr äußeres Gegenüber hat, welches über sie nicht unbeträchtliche Macht hat, sondern, weil sich in der Universität allerhand Politik abspielt und ereignet. Damit meine ich nicht dasjenige, was manchmal abfällig „Universitätspolitik“ genannt wird, also die Kämpfe um Macht und Einfluss zwischen Abteilungen, Fakultäten oder Personen – Kämpfe, die es in jeder Organisation gibt. Ich meine damit vielmehr, die Universität als Ort der politischen Arbeit, also der Arbeit für politische Ideen und Ideale. Hier kommt die politische Philosophie wieder ins Spiel. Sie macht es sich ja zur Aufgabe darüber nachzudenken, welche politischen Ideen verfolgenswert sind und warum und auch darüber, wie diese realisiert werden können. Gerade die Umsetzungsfrage politischer Ideale und Ideen, die noch immer etwas stiefmütterlich behandelt wird, ist hier interessant.

Politische Arbeit in der Universität lässt sich ihrem Tätigkeitsfeld nach in vier Bereiche unterteilen. Erstens ist die Universität ein Ort der Lehre. Universitäre Lehre ist Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten, sie ist aber auch in vieler Hinsicht nicht immer politisch neutral. Gerade in der Lehre der politischen Philosophie ist davon auszugehen, dass bestimmte politische Ideen stärker in den Vordergrund treten als andere und das trotz des Anspruchs, mehrere Meinungen und immer auch Gegenargumente zu diskutieren. Ich kann mir persönlich nicht vorstellen, dass in Seminaren oder Vorlesungen, in denen es um Migration, globale Armut oder Kinderrechte geht, alle im politischen und gesellschaftlichen Spektrum vorhandenen Meinungen als ernsthafte Alternativen diskutiert werden – allein schon weil manche Positionen, die auch in Deutschland oder Österreich von vielen Menschen und einigen Parteien vertreten werden, von niemandem in der politischen Philosophie ernsthaft vertreten oder mit Argumenten untermauert werden. Die Lehre der politischen Philosophie wird bei jeder gebotenen Ausgewogenheit der Diskussion von Pro und Contra einen progressiven Grundton haben (ich möchte das hier nicht als links(liberal) bezeichnen, aber ich bin mir sicher, einige würden es so klassifizieren wollen). Universitäre Lehre ist aber auch insofern ein Medium politischer Arbeit als sie den lehrenden Personen erlaubt, ihre eigenen politischen Meinungen einzubringen. Das muss auch keineswegs in Form offensiver Agitation oder versuchter Indoktrination geschehen – sondern ergibt sich mitunter einfach dadurch, dass Lehrende ihre eigene Meinung vorbringen und im Lichte der aktuellen Fachdebatte darstellen und untermauern. Das hat übrigens durchaus Tradition – Hegel hat seine Lehrveranstaltungen zur Rechtsphilosophie fast nur dafür verwendet, seine eigenen Argumente und Gedankengänge darzulegen und sich nicht sehr viel um Gegenpositionen geschert. Schon alleine die Auswahl von Themen und Texten ist hier relevant. Wenn man eine Lehrveranstaltung zu Fragen der feministischen Philosophie abhält, dann ist zu erwarten, dass dort bestimmte Argumente und Inhalte dominieren werden, die die Studierenden für die existierenden Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern sensibilisieren sollen.

Neben der Lehre ist auch die universitäre Forschung ein Feld politischer Arbeit an und für bestimmte politische Ideen. Während in der Lehre auch der Anspruch besteht, den Studierenden eine breite Auswahl an Argumenten zu präsentieren und sie dazu anregen und dazu in die Lage versetzen sollte, selbst kritisch zu denken, ist die Forschung, mithin die Forschung in der politischen Philosophie, das Feld, in dem hauptsächlich die eigenen Ideen, Argumente und Theorien entwickelt und verteidigt werden. Wenn jemand also der Meinung ist, dass eine gerechte Gesellschaft so oder so aussehen sollte, dann wird er oder sie diese Meinung in seiner Forschung in Auseinandersetzung mit anderen Theorien entwickeln und verteidigen wollen. Auch wenn es prinzipiell in Ordnung ist, in Aufsätzen oder Büchern Ideen oder Theorien zu verteidigen, die man selbst für falsch hält, ist davon auszugehen, dass dies nur sehr wenige tun. Wenn jemand schreibt, eine marxistische Gesellschaftsordnung wäre die gerechte (oder zumindest gerechter als andere) und dies argumentativ untermauert, dann ist in der Regel davon auszugehen, dass er oder sie dies auch wirklich für wahr und richtig hält und diese Meinung auch seine eigene politische Überzeugung widerspiegelt. Das macht die Universität sogleich zu einem Ort politischer Arbeit, da hier also politische Ideen entwickelt, verfeinert und argumentativ gestützt werden. Die allermeisten politischen PhilosophInnen tun zwar nicht sehr viel dafür, dass ihre politischen Ideen Wirklichkeit werden, aber viele tun dennoch auch etwas dafür. Alleine schon die Entwicklung einer Idee einer gerechten Gesellschaft und deren Niederschrift und Verbreitung – selbst im kleinen Kreis akademischer Philosophie – ist eine Tat, die diese Idee näher zur Verwirklichung bringt als wenn sie nur im Kopf ihrer Urheberin geblieben wäre.

Ein drittes Feld politischer Arbeit an der Universität ist die sogenannte Third Mission, also der Versuch, Forschung für Menschen oder Organisationen außerhalb der Universität aufzubereiten und zu vermitteln. Das kann – grob vereinfacht – entweder in einer Form geschehen, die sich mehr an der Lehre orientiert, also Pro und Contra darstellt, oder in einer Form, die sich mehr an der Forschung orientiert, also auf die Verteidigung der eigenen Position fokussiert. Wenn eine Forscherin einen Meinungsartikel oder eine Kolumne schreibt oder ein Interview für eine Zeitung, Zeitschrift, Fernsehen oder Radio gibt, dann ist das, sofern es um eine politische Frage geht, eine Form der öffentlichen politischen Arbeit und Intervention. Es wird für eine Sache Partei ergriffen, für oder gegen bestimmte Politiken argumentiert, Missstände kritisiert oder vor Gefahren gewarnt etc. Die politische Philosophie hat viel zu politischen und öffentlichen Debatten beizutragen und dies geschieht oftmals in dem von PhilosophInnen die eigene politische Meinung auf Basis des philosophischen Fachwissens in den Diskurs eingebracht und argumentativ verteidigt wird. Das ist politische Arbeit, wenn auch nicht unbedingt im Sinne einer politischen Partei und deren Wahlprogramms, aber sicher im Sinne bestimmter politischer Ideen oder sogar bestimmter Politiken, die umgesetzt werde sollten. Wenn eine politische Philosophin über die Grenzen des Reichtums forscht und Argumente für die Legitimität oder moralische Forderung von Vermögenssteuern ausarbeitet und verteidigt und dies in den öffentlichen Diskurs über die Medien einbringt (angefragt oder aus eigenem Antrieb), dann ist das politische Arbeit. Was auch unter Third Mission fällt sind etwaige Beratungstätigkeiten für NGOs, Parteien oder staatliche Stellen. Auch hier kommt es zumeist nicht darauf an, neutral Pro und Contra darzustellen, sondern für etwas zu argumentieren. Wenn eine Ethikerin oder politische Philosophin eine Expertin dafür ist, wie mit der Herausforderung von autonom fahrenden Autos umgegangen werden sollte und diese Expertin dann im Rahmen einer Konsultation mitwirkt, ein Positionspapier oder gar einen programmatischen Entwurf für eine (gesetzliche) Regelung auszuarbeiten, dann genügt es nicht, Pro und Contra aufzuzählen, sondern es wird auch darum gehen, diese abzuwägen und konkrete politische Vorschläge oder Handlungsempfehlungen zu machen. 

Das vierte Feld der politischen Arbeit an der Universität ergibt sich anders als die drei bisher genannten nicht aus der Spezifik der Universität als Lehr- und Forschungsorganisation. Es ist jeder betrieblichen und sozialen Organisation inhärent, nämlich die Umsetzung politischer Ideen in diesen selbst. Die Universität ist eine besondere Organisation in vielerlei Hinsichten: die stark hierarchische Ordnung zwischen ProfessorInnen und Mittelbau, die Trennung in die zwei Welten von administrative und wissenschaftliche MitarbeiterInnen, die unglaublich hohe Anzahl an befristeten MitarbeiterInnen, die trotzdem eine hohe intrinsische Motivation aufweisen etc. In anderer Hinsicht, ist sie ein ziemlich „normaler“ Betrieb: launische und übergriffige Vorgesetzte, (sexuelle) Belästigung, unbezahlte Mehrarbeit, Ängste um den Job, psychische Belastung etc. Diese Dinge berühren auch Fragen politischer Ideale und wie sie im „Kleinen“ umgesetzt und gelebt werden. Gerechtigkeit? Solidarität? Freiheit? Gutes Leben? Darum geht es auch an der Universität selbst und das birgt durchaus Konfliktpotential. Solche politische Arbeit findet auf mehreren Ebenen und in unterschiedlicher Form statt. Sie kann im Betriebsrat erfolgen, in der täglichen Arbeit, Vernetzung und den Umgang mit KollegInnen, in Führungspositionen, in Gewerkschaften oder politischen Parteien, wo man sich für die Änderung der (gesetzlichen) Rahmenbedingungen universitärer Arbeit engagiert kann.

Die Universität ist in gewisser Hinsicht – zumindest ist das meine Erfahrung in Österreich – ein sonderbar entpolitisierter Ort und das Interesse vieler wissenschaftlicher KollegInnen eher gering an konkreter politischer Arbeit innerhalb der Organisation. Betriebsversammlungen oder gar Streiks als Mittel der Auseinandersetzung in Betrieben und Sektoren gibt es an Universitäten auch fast nie; in Großbritannien sieht es dahingehend etwas anders aus als in Deutschland und Österreich, dort gab es zwischen 2018 und 2020 heftige Arbeitskämpfe um eine Pensionsreform. Das eher maue politische Engagement innerhalb der Universität für universitäre Belange mag unter anderem daran liegen, dass jene, die unbefristet angestellt sind und ein langfristiges Engagement eingehen könnten, tendenziell besser gestellt und in der Hierarchie weiter oben angesiedelt sind (ProfessorInnen), während jene, die besonders von Ungerechtigkeiten betroffen sind, nämlich der wissenschaftliche Nachwuchs, oft nur einige wenige Jahre an einer Universität bleiben und sich hauptsächlich darum kümmern müssen, wie sie an einer anderen Universität eine Stelle bekommen. Für sehr viele WissenschaftlerInnen – und politische PhilosophInnen – gibt es auch nicht sehr viel alternative Arbeitgeber, schon gar nicht in geographischer Nähe. Dazu kommt die schon erwähnte starke Abhängigkeit von der Politik, wenn es um Grundsatzfragen der Organisation der Universität geht.

Über die Rolle der Studierenden wurde von mir nun noch nichts geschrieben – eine Zeit lang galten sie als wichtige Akteure der Politisierung der Universität. Es gibt mehrere Gründe, warum sie es heute nicht mehr in diesem Ausmaß sind, aber das verdient eine eigenständige Betrachtung. Viele, der an der Universität tätigen – also arbeitenden – Menschen nutzen diese als Ort politischer Arbeit in unterschiedlicher Weise. Für die politische Philosophie wäre es also lohnend, sich diesen Ort einmal genauer anzusehen und für politische PhilosophInnen wäre es lohnend, darauf zu reflektieren, inwieweit und inwiefern sie selbst als politische Akteure und ArbeiterInnen für politische Ideale an diesem Ort in Erscheinung treten und auch danach zu fragen, ob und warum sie dies (stärker als bisher) tun sollten. Weil, wenn man politische Ideen für richtig und wichtig hält, ist es plausibel anzunehmen, dass man eine Verantwortung hat, sich für deren Verbreitung und Verwirklichung einzusetzen – auch an der Universität und durch die eigene Tätigkeit dort.


Eine englische, gekürzte Version dieses Textes erschien vorab hier: http://justice-everywhere.org/general/political-philosophy-and-political-work-at-university/