Will die Öffentlichkeit eigentlich die Philosophie oder will die Philosophie nur in die Öffentlichkeit?. Ein Kommentar zum Beitrag von Laura Martena und Gottfried Schweiger
von Martin Hähnel (Universität Bremen, Universität Augsburg, Verlag Karl Alber)
Der Beitrag von Laura Martena und Gottfried Schweiger ist sehr erhellend, weil es ihm gelingt, interessante Perspektiven auf die Rolle der Philosophie außerhalb des rein akademischen Diskurses zu werfen. Persönlich befasse ich mich mit der Rolle der Philosophie zwischen Universität und Öffentlichkeit schon eine ganze Weile, was nicht zuletzt mit meiner beruflichen Situation zu tun hat. Als Editorial Director eines bekannten Philosophieverlages setze ich mich tagtäglich mit der Frage auseinander, welche philosophischen Inhalte sowohl für ein reines Fachpublikum als auch für den „interessierten Laien“ (wie man das immer so schön zu sagen pflegt) interessant sein könnten und wie man diese Inhalte bestmöglich an diese Zielgruppen herantragen kann. Daneben arbeite ich am einzigen deutschen Lehrstuhl für angewandte Philosophie, deren Denomination bereits anzeigt, dass Philosophie oder Ethik den berechtigten Anspruch hat, öffentliche Themen zu analysieren und dabei den Dialog mit Nichtphilosophinnen und -philosophen zu suchen.
Im Folgenden möchte ich immer wieder einige Gedanken von Martena und Schweiger aufgreifen und dabei auch versuchen mein persönliches Verständnis von „öffentlicher Philosophie“ darzulegen. Der Fokus meiner Ausführungen liegt dabei auf der Suche nach verschiedenen Ansatzpunkten, die es erlauben, den Ort der Philosophie zwischen Universität und einer sogenannten Öffentlichkeit besser zu bestimmen. Ich bin mir darüber im Klaren, dass meine Überlegungen nur kursorisch sein können, erhoffe mir aber, die Initiative von Martena und Schweiger zu unterstützen und eine Fortführung des Diskurses anzuregen.
Zunächst möchte ich mich auf einige, aus meiner Sicht grundlegenden Probleme in Bezug auf den Gebrauch des Begriffes „public philosophy“ konzentrieren:
- Welchen Begriff der „Öffentlichkeit“ hat man hier im Auge? Wie verhält sich die Rede von der „Öffentlichkeit“ zu der Auffassung, dass wir heutzutage (verstärkt durch das Internet) eher in einer fragmentierten Öffentlichkeit, die sich in mehrere, nebeneinander existierende Öffentlichkeiten aufspalten lässt, leben?
- Woher rührt eigentlich der Wunsch der Philosophie, „öffentlich“ zu werden? Fehlt es vielen Philosophierenden, wie der Ausgangsbeitrag auch erwähnt, vielleicht an alternativen Erlebnissen der Selbstwirksamkeit, vor allem, wenn sie immer wieder feststellen, dass die eigenen philosophischen Veröffentlichungen (!) in Zeitschriften oder anderswo nur von wenigen Menschen, meist Fachkolleginnen und -kollegen, gelesen werden?
- Ist es analog zum Öffentlichkeitsbegriff überhaupt möglich von der Philosophie zu sprechen, gerade auch wenn man dazu neigt, die eigene akademische Expertise über den disziplinären Tellerrand hinaus anzuwenden? Wie verträgt sich ein rein akademisches Verständnis der Philosophie, das z.B. eine Logikerin aus guten Gründen für sich reklamieren kann, mit der Idee, dass Philosophie oft als ein spezifischer „way of life“ angesehen wird? Was ist das eigentlich, was Philosophie heute so populär macht (zugegeben, der Grad der Popularität ist hier – gemessen an irgendwelchen Popstars – noch sehr gering)? Ersetzt eine solche populär gewordene Philosophie vielleicht ein Stückweit auch die Religion, indem sie unter anderem große existentielle Fragen aufwirft und sie auch zu beantworten vorgibt?
Ich möchte es mit diesen Fragen und Problem erst einmal belassen, denn hier ließen sich sicher noch weitere Bedenken anfügen. Ich komme nun zu der Vorstellung verschiedener Ansatzpunkte, wie sich öffentliche Philosophie verstehen und betreiben lassen könnte.
- Zunächst halte ich es nicht für zielführend, die Unterscheidung von akademischer und populärer Philosophie zugunsten der Unterscheidung zwischen besserer und schlechterer Philosophie aufzugeben, denn den richtigen Maßstab, der es erlauben sollte, guter von schlechter Philosophie zu unterscheiden, kann allein die universitäre Philosophie vorgeben. Natürlich ist auch die universitäre Philosophie nicht davor gefeit, schlechte Philosophie zu produzieren, aber dass außerhalb des akademischen Kontextes bessere Philosophie gemacht werden könne als innerhalb, bezweifle ich doch stark. Aus diesem Grund sehe ich die erste Aufgabe darin, die Qualität der akademischen Philosophie zu erhalten bzw. zu verbessern. Das ist auch die Grundlage dafür, um die Philosophie in der Öffentlichkeit als seriösen und satisfaktionsfähigen Ansprechpartner dastehen zu lassen.
- Ich bin der Auffassung, dass Philosophie nur dort öffentlich werden sollte, wo sie auch gebraucht wird. Gerade bei ethischen Fragen und Entscheidungen ist man auf die Expertise von Philosophinnen und Philosophen angewiesen. Wer beispielsweise nicht versteht, ab wann ein (menschliches) Wesen eine Person ist oder als diese aufgefasst werden kann, der wird niemals an den Punkt gelangen (dürfen), diesem Wesen irgendwelche Rechte zusprechen zu können. Oftmals ist sich die sogenannte Öffentlichkeit nicht bewusst, dass bei der Bearbeitung dieser oder jener komplexen Probleme oder Sachverhalte die Hilfe der Philosophie angebracht wäre und auch in Anspruch genommen werden sollte. Dass es heute – vor allem in Deutschland – immer weniger public intellectuals gibt, „die durch Stellungnahmen den demokratischen Diskurs, durch Mitarbeit in Kommissionen und Gremien aber auch handfeste politische Entscheidungsprozesse beeinflussen“ (Beitrag von Martena und Schweiger), mag einerseits an der zurückhaltenden Persönlichkeit und dem fehlendem Sendungsbewusstsein vieler akademischer Philosophinnen und Philosophen liegen (etwas, das man ihnen aber nicht zum Vorwurf machen sollte), andererseits an der Inkompatibilität der Diskurse und Unterschiedlichkeit der Sprachspiele liegen. Ich erlebe immer wieder Philosophinnen und Philosophen in der medialen Öffentlichkeit, die entweder Selbstverständliches verkomplizieren oder komplexe Sachverhalte auf ein Niveau herunterbrechen, das es erlaubt, ein spezifisches Problem besser zu verstehen oder komplett an diesem vorbeizureden. Leider viel zu selten kommt das, was die Philosophie in der Öffentlichkeit aussendet, beim Empfänger auf die ursprünglich intendierte Weise an. Vielmehr entsteht hier der ästhetische Effekt, hier habe jemand mit problembewusster Miene etwas Interessantes gesagt, das der Empfänger zwar mit generellem Wohlwollen, aber ohne spürbaren Erkenntnisfortschritt zur Kenntnis nimmt. Damit diese hermeneutische Kluft geschlossen werden kann, bedarf es nicht nur der Nutzung verschiedener Instrumente und Angebote wie des Dialogformats philosophischer Praxen, philosophiedidaktische Bemühungen an Schulen und anderswo oder die Entwicklung neuer Formen der medialen Vermittlung philosophischer Forschungsergebnisse an Laien, sondern der allgemeinen Förderung eines grundlegenden Wahrheitsinteresses des Menschen. Nun ist die Öffentlichkeit bzw. sind die verschiedenen Öffentlichkeiten gerade massiv bedroht durch eine unkontrollierbare Einfuhr von Lügen, Falschbehauptungen, Täuschungen und schrecklichen Simplifizierungen. Aus diesem Grund empfehle ich, dass wir nicht weiter Informationen und Wissen generieren, das in bestimmten Kontexten absichtlich verfälscht oder unabsichtlich fehlinterpretiert werden kann, sondern dass wir uns wieder auf die großen Werke und Fragen der Philosophie besinnen und parallel dazu versuchen unser Leben philosophischer, d.h. wahrheitsdienlicher, zu machen. Dann wird man auch besser erkennen können, wozu die Philosophie außerhalb und innerhalb der akademischen Welt gebraucht wird.
- Es sehe es als ein Zeichen intellektueller Redlichkeit an, wenn die Philosophie es auch versteht, sich aus manchen öffentlichen Diskussionen herauszuhalten. Schlimm wird es dann, wenn Philosophinnen und Philosophen meinen, Nicht-Philosophen sagen zu müssen, wie sich die Dinge verhalten. Dies löst bei den unfreiwillig Belehrten nicht selten ein spezifisches Reaktanzverhalten aus, das eigentlich als überwunden geglaubte Klischees bestätigt und ein generell schlechtes Licht auf die Disziplin der Philosophie und deren gesellschaftlichen Nutzen wirft, welcher gerade in der Fähigkeit besteht Nutzenerwägungen auszuklammern und kritisch zu reflektieren. Philosophinnen und Philosophen, die in der Öffentlichkeit auftreten, müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie mit jedem Auftritt und jeder Äußerung ein spezielles öffentliches Bild von der Philosophie erzeugen. Es ist daher angeraten, dass Philosophierende mit Hang zur Öffentlichkeit ein gewisses Maß an Selbstdisziplin und intellektueller Demut an den Tag legen und damit zeigen, dass Philosophie in der Öffentlichkeit auch Urteilsenthaltung, epistemische Bescheidenheit und Geduld bei der Wahrheitssuche bedeuten kann.
Es soll mir an dieser Stelle noch erlaubt sein, einige kritische Anmerkungen zum allgemeinen Projekt einer „öffentlichen Philosophie“ und auch zum Beitrag von Martena und Schweiger im Speziellen zu machen. Ich halte es demnach für problematisch, der Philosophie ein bestimmtes Label wie „öffentlich“ zu verleihen. Öffentliche Philosophie ist sozusagen ein pleonastischer Ausdruck, denn die akademische Philosophie ist, so könnte man mit einigem Recht behaupten, ja bereits öffentlich genug, indem sie über öffentliche Steuergelder finanziert wird und ihre Ergebnisse in Form von Texten der Öffentlichkeit zugänglich machen kann, d.h. publiziert. Was braucht es da noch mehr? Sicher, man könnte öffentliche Philosophie auch als eine bestimmte Form des Aktivismus begreifen. Allerdings ist das ein zweischneidiges Schwert, denn allzu oft führt philosophische Selbstüberschätzung („Die Philosophie kann die Welt verändern!“) zu einer Steigerung nicht-philosophischer Fremdunterschätzung, während philosophische Selbstunterschätzung („Die Philosophie kann die Welt nicht verändern.“) in die Inkaufnahme einer unspezifischen Unterlassungsschuld mündet („Hier hätte die Philosophie einen wichtigen Beitrag zur Veränderung leisten können und müssen!“). Um also der Philosophie ihren angemessenen Ort in der sogenannten Öffentlichkeit zu geben und dabei keine falschen Erwartungen zu wecken, plädiere ich dafür, Philosophie an den Universitäten weiterhin vornehmlich als Selbstzweck zu begreifen und sie nicht im Rahmen einer Third Mission-Strategie zu verbrauchen. Allerdings sollten Universitäten auch weiterhin individuelle Möglichkeitsräume für die Inanspruchnahme der Philosophie als Anlassgeber für Prozesse der Persönlichkeitsbildung oder für politisches Engagement zulassen. Es wäre jedoch allzu schade, wenn wir den Erhalt und die Weitergabe großer philosophischer Gedanken auf dem Altar ihrer kurzfristigen Verwertung in einer sich ständig wandelnden Öffentlichkeit opfern.