
10 Jahre Berufsethik Soziale Arbeit (DBSH)
von Thomas Bek (Hochschule Reutlingen)
Der Berufskodex des DBSH wurde nach einem längeren Entstehungsprozess Anfang 2015 im Heft Forum Sozial 4/2014 veröffentlicht. Das damals erschienene Heft beinhaltete nicht nur einen Berufskodex für die Soziale Arbeit, sondern auch etliche Bausteine für eine umfassendere Berufsethik Sozialer Arbeit. Das schon länger vergriffene Heft wird nun zum 10 Jährigen Jubiläum eine Neuauflage erfahren. Für eine bessere Lesbarkeit wurde es neu gesetzt und mit neuer Optik versehen. Wie weit hier auch eine inhaltliche Überarbeitung stattfinden wird, ist abzuwarten. Ein Exkurs zu den „Global Social Work Statemant of Ethical Principles“ (IFSW 2018) kann aber erwartet werden. Die angekündigte Jubiläumsausgabe ist ein guter Anlass, den Gesamtzusammenhang von den „zentralen ethischen Prinzipien Sozialer Arbeit“ (Bek 2025) hin zum Kernstück des Heftes, dem Berufskodex, zu umreißen.
Grundlegende ethischer Prinzipien (IFSW 2014)
Die Erarbeitung des Berufskodex nahm entsprechend dem internationalen Diskurs Sozialer Arbeit die damals brandaktuelle Definition der International Federation of Social Workers (IFSW 2014) mit in das Heft auf. Heute setzt die IFSW mit ihren mittlerweile 3 Millionen Mitgliedern aus über 150 Ländern wichtige Referenzpunkte für das Selbstverständnis Sozialer Arbeit und ihren anschließenden Anpassungen auf nationaler Ebene. In der deutschen Übertragung des DBSH lautet die viel zitierte Definition von 2014: „Soziale Arbeit fördert als praxisorientierte Profession und wissenschaftliche Disziplin gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen. Die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, die Menschenrechte, die gemeinsame Verantwortung und die Achtung der Vielfalt bilden die Grundlage der Sozialen Arbeit. Dabei stützt sie sich auf Theorien der Sozialen Arbeit, der Human- und Sozialwissenschaften und auf indigenes Wissen. Soziale Arbeit befähigt und ermutigt Menschen so, dass sie die Herausforderungen des Lebens bewältigen und das Wohlergehen verbessern, dabei bindet sie Strukturen ein. Diese Definition kann auf nationaler und/oder regionaler Ebene weiter ausgeführt werden.“ (IFSW 2014, DBSH 2016)
Im Zentrum der Bestimmung (oben hervorgehoben) stehen die ethischen Prinzipien, die als Grundlage der Sozialen Arbeit benannt werden. Das bedeutet, dass diese ethischen Prinzipien nicht einfach zur Sozialen Arbeit hinzukommen, sondern für das Selbstverständnis Sozialer Arbeit zentral sind (Bek 2025). Oder anders formuliert: Ohne ethische Ausrichtung ist Soziale Arbeit keine mehr. Dies zeigt sich schon zu Beginn der Definition, in der Aufgaben und Funktionen benannt werden. So setzt die Förderung „gesellschaftlicher Veränderungen“ schon einen Bezug zu den genannten grundlegenden ethischen Prinzipien voraus. Denn Soziale Arbeit fördert nicht irgendwelche gesellschaftlichen Veränderungen, sondern hin zu einer menschen- und sozialgerechteren Gesellschaft. Die Ausrichtung an Menschenrechten und sozialer Gerechtigkeit ist international gängig. Von hier aus lässt sich, wenn auch recht weit gefasst, ein Professionsverständnis Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession oder Gerechtigkeitsprofession rechtfertigen. Der Bezug zu den grundlegenden Prinzipien betrifft auch das Verständnis der „Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen“. Westliche Gesellschaften legen hier schnell ihre zentrale Wertausrichtung fest. Zu bedenken ist aber, dass diese Werte über die oben genannten grundlegenden Prinzipien ausgelegt werden sollten. Das englische Original, „empowerment and liberation of people“, lässt diese Nuance schneller erkennen. Der im Hintergrund stehende Zentralwert ist die Würde der Menschen (IFSW 2018).
Darüber hinaus werden in der Definition von 2014 noch zwei ethische Prinzipien genannt, die sich zwar aus den Menschenrechten und der sozialen Gerechtigkeit ableiten lassen, aber im internationalen Diskurs als besonders hervorhebungswürdig benannt wurden. Zum einen das Prinzip „gemeinsamer Verantwortung“, welches im Bewusstsein eigener Verletzlichkeit an die Solidarität mit Schwächeren appelliert. Als Teil der (Menschen)Gemeinschaft, die uns trägt, soll auch für diese Verantwortung übernommen werden. Zum andern das Prinzip der „Achtung der Vielfalt“, welche auf der gemeinsamen Basis der Würde der Menschen die Vielfalt des gelebten Menschseins in seinen kulturellen, regionalen, lebensweltlichen und individuellen Besonderheiten anerkennt und fördert. Die Definition Sozialer Arbeit der IFSW enthält weitere normativ geladene Begriffe, die über die grundlegenden Prinzipien zu deuten sind. Diese fallen, wie zum Ende der Definition, recht allgemein aus, wenn etwa pauschal und euphemistisch von der Bewältigung von „Herausforderungen des Lebens“ und dem Verbessern des „Wohlergehens“ gesprochen wird. Dies ist nicht nur dem notwendigen Kompromiss internationaler Abstimmungen, sondern auch der Sache geschuldet, die immense Bandbreite der Arbeitsfelder übergreifend zu bündeln. Die normative Grundausrichtung der Sozialen Arbeit wird damit aber nochmals deutlich sichtbar (Bek 2025).
Globale ethische Prinzipien (IFSW 2018)
Die vier Jahre später verabschiedeten „Global Ethical Principles“ (2018), welche nun als Exkurs im neuen Heft zu erwarten sind, versuchen die ethischen Grundlagen der Sozialen Arbeit weiter zu präzisieren. Unter den dort genannten ethischen Prinzipien wird an erster Stelle die „Anerkennung der Würde des Menschen“ genannt. Es folgt die „Förderung der Menschenrechte“ und die „Förderung sozialer Gerechtigkeit“. In letzterem finden sich als Unterpunkte u.a. auch die ergänzenden Prinzipien der obigen Definition wie die „Achtung der Vielfalt“ und die „gemeinsame Verantwortung“ als „Aufbau von Solidarität“ wieder. Erst an vierter Stelle wird die „Förderung des Rechts auf Selbstbestimmung“ benannt, gefolgt von dem „Recht auf Teilhabe“ und der „Achtung der Vertraulichkeit und Privatsphäre“. Es ist hier zwar nicht von einer strengen Hierarchie auszugehen, aber die Listung zeigt doch gewisse Prioritäten im internationalen Diskurs auf, welche eine individualistische Perspektive etwas relativiert. Der siebte Abschnitt verweist darauf, den „Menschen als ganze Person zu behandeln“. Dieser Bezug auf Ganzheitlichkeit hat eine lange Tradition. Theoretisch anspruchsvoll, methodisch notwendig und als Haltung gegenüber den Menschen geboten, umschreibt es ein zentrales Anliegen im Selbstverständnis Sozialer Arbeit (Bek 2023). Der achte Abschnitt bezieht sich auf ein spezifisches Thema, dem „ethischen Einsatz von Technologie und sozialen Medien“. Wie weit dieses in einer Zusammenstellung von ethischen Prinzipien der richtige Ort ist, kann diskutiert werden. Die gesellschaftlichen Veränderungen und Verwerfungen, welche im Zuge der Digitalisierung entstanden sind und noch unabsehbar weiter wirken, rechtfertigen es hier, die Soziale Arbeit zu sensibilisieren, dass alle Bereiche ihrer Arbeit in der Praxis und auch Bildung und Forschung davon betroffen sind. Zum Schluss der „Global Ethical Principles“ wird die „Professionelle Integrität“ umrissen, welche neben der Unterstützung von Frieden und Gewaltlosigkeit auch auf die notwendigen weiteren nationalen Anpassungen verweist.
Berufsethische Prinzipien (DBSH 2014)
Der von der DBSH 2014 erarbeitete Berufskodex griff in seiner weiteren Ausarbeitung auf das Vorläuferpapier der „Global ethical Principles“, die „Ethics in Social Work, Statement of Principles“ (IFSW 2004), zurück. Wie weit es das neue Heft mit einem Exkurs zu den Ersteren belassen kann, oder ob es auch zu einer inhaltliche Überarbeitung des Kodex kommen sollte, kann zur Diskussion gestellt werden. Es sind nicht nur die Disruptionen der Digitalisierung, die damals noch nicht im Blick waren und welche oben angesprochen wurden, sondern auch neue Flüchtlingskrisen, Corona-Pandemie, Klimawandel oder Not- und Krisen- und Katastrophenhilfe machen eine erneute Durchsicht nötig. Der Berufskodex des DBSH ist aber recht robust aufgebaut, so dass es hier eher um ein moderates Nachjustieren gehen wird. Die Praxis Sozialer Arbeit ist hier aufgefordert, die berufsethischen Grundlagen der Profession kontinuierlich weiterzuentwickeln.
Die „Berufsethischen Prinzipien“ wurden in sieben Abschnitte mit mehreren Unterabschnitten aufgegliedert. Den Beginn machen „Allgemeine Grundsätze beruflichen Handelns“, welche u.a. darauf hinweisen, Diskriminierung entgegenzuwirken oder die Selbstbestimmung und Teilhabe zu unterstützen. Der zweite Abschnitt „Handeln im eigenen beruflichen Arbeitsfeld“ verweist u.a. auf den verantwortungsvollen Umgang mit Macht und das Bewusstsein der Grenzen eigener Kompetenz. Im dritten Abschnitt, „Handeln gegenüber Menschen“ werden u.a. die Achtung vor der Privatsphäre und das Fördern individueller Ziele wie auch das Informieren über Rechte und Pflichten formuliert. Die folgenden Abschnitte klären über die angemessene Haltung gegenüber Berufskolleginnen, Angehörigen anderer Professionen, Arbeitgebern und Organisationen auf. Thematisch abgeschlossen wird mit dem „Handeln in der Öffentlichkeit“ mit dem Verweis, die eigene Arbeit transparent und positiv sichtbar zu machen.
Mit der Ausarbeitung eines deutschen Berufskodex legt das Heft von 2014 die in der internationalen Definition geforderte Konkretisierung der dort genannten ethischen Prinzipien Sozialer Arbeit vor. Damit wird ein wichtiger Beitrag zur Professionalisierung der Sozialen Arbeit in Deutschland geleistet. Der Berufskodex verfolgt hierbei mehrere Funktionen, u.a. kann und soll er als Reflexionshilfe für die Praxis dienen. Auf den ersten Blick scheint der Kodex hierfür etwas zu allgemein gehalten zu sein. Zum einen liegt dies daran, dass dieser alle möglichen Arbeitsfelder umfassen sollte und damit recht generell gehalten werden muss, zum andern aber auch daran, und dies ist weitaus wichtiger, dass sich eine Profession in der Praxis durch einen Entscheidungsspielraum auszeichnet, in welchem das „Was“ und „Wie“ des Handelns in Ko-Produktion mit den Menschen zu regeln ist. Eine Profession hat nicht nur ihre Arbeit fachlich zu begründen, sondern auch ethisch zu rechtfertigen. Ein Berufskodex ist kein Verhaltenskodex, der einem die Entscheidung in der Praxis abnimmt. Stattdessen will er als Reflexionshilfe ethische Sensibilität fördern und erste Orientierung für verantwortbare Entscheidungen geben. Der Kodex gibt also nicht konkret vor, was man tun soll (und würde damit Verantwortung abnehmen), sondern ermöglicht eine reflektierte, begründete Verantwortungsübernahme.
Die Erarbeitung eines nationalen Berufskodexes ist ein wichtiger Baustein für die Profession Soziale Arbeit und so ist es eine Freude, dass dieser Meilenstein der Professionalisierung neu aufgelegt wird.
Thomas Bek ist Professor für Ethik in der Sozialen Arbeit an der Evangelischen Hochschule, Campus Reutlingen.
Bek, T. (2023): Der Anspruch auf Ganzheitlichkeit – Reflexionen über den „ganzheitlichen Blick“ in der Sozialen Arbeit. In: Soziale Arbeit Deutsches Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI), 11/2023, S. 399-405.
Bek, T. (2025): Zentrale ethische Prinzipien Sozialer Arbeit. Ein kompakter Überblick nach IFSW 2014/ 2018. In: FORUM sozial, 1/2025, S. 22-25.
DBSH. Berufsethik des DBSH. Ethik und Werte in der Sozialen Arbeit https://www.dbsh.de/profession/berufsethik.html (2025.04.01)
IFSW/IASSW (2004). Ethics in Social Work, Statement of Principles. https://www.iassw-aiets.org/wp-content/uploads/2015/10/Ethics-in-Social-Work-Statement-IFSW-IASSW-2004.pdf. (2025.04.01)
IFSW (2014). Global Definition of Social Work. https://www.ifsw.org/what-is-social-work/global-definition-of-social-work/ (2025.04.01)
IFSW (2018). Global Social Work Statemant of Ethical Principles (GSWSEP) https://www.ifsw.org/global-social-work-statement-of-ethical-principles/ (2025.04.01)