25 Jun

Kants zu radikales Argument für Menschenwürde

Von Bernward Gesang (Mannheim)

Kants Argumentation für eine Menschenwürde, die keinen Preis kennt, ist Fluch und Segen zugleich. Segen, weil sie nach Jahrtausenden der Despotie den unverrechenbaren Wert des Individuums betont. Das war historisch gesehen ein riesiger Schritt. Man konnte das Individuum nicht mehr als notwendiges Opfer für die Entwicklung der Weltgeschichte verbuchen. Das prägt auch die deutsche Verfassung und Rechtsprechung. Hier erweist sich die Argumentation heute aber als Fluch: Man darf nicht die Würde einiger weniger für die Rettung der Würde von vielen in Kauf nehmen. Das lehrt das Verfassungsgerichtsurteil gegen den Abschuss eines entführten Flugzeugs, das als Waffe gegen Frankfurter Bankentürme eingesetzt werden soll – ähnlich dem 11. September Attentat in den USA. Kants Verständnis von Menschenwürde blockiert auch eine vernünftige Regelung der Sterbehilfe. Kant verbietet die völlige Instrumentalisierung eines Menschen, es gibt aber Fälle, in denen eine solche Instrumentalisierung sogar geboten ist. Wenn ein Kind im See ertrinkt, muss man es retten, wenn man dies am Ufer registriert. Wenn nun der einzige Weg, es zu retten darin besteht, ein Boot von Herrn Müller dazu zu verwenden, Müller aber wegen möglicher Kratzer den Schlüssel des Bootes herauszugeben verweigert, ist man verpflichtet, Müller den Schlüssel zu entwenden, und das gegen seinen Willen also unter Inkaufnahme einer völligen Instrumentalisierung. Kants Verbot einer völligen Instrumentalisierung ist eingängig, aber falsch und gefährlich.

30 Apr

Geht Kants Menschenwürde am Menschen vorbei?

Von Bernward Gesang (Mannheim)

Zwar betont Kant den absoluten Wert des Individuums, auch weil vor ihm das Individuum von absoluten Monarchen mit Füßen getreten wurde. Aber Kants Ethik überzieht den Schutz des Individuums. Eine Orientierung am Menschen und an dessen Bedürfnissen fehlt.

Ethik ist bei Kant kein Instrument, um menschliches Zusammenleben konfliktfrei zu regeln, sondern sie orientiert sich am Gebot der Widerspruchsfreiheit. So wurde Kant schon zu Lebzeiten kritisiert, dass ein Regent, vor die Wahl gestellt, zu lügen oder sein Volk in intensivste Sklaverei zu werfen, nach Kant nicht lügen dürfe. Nicht der Mensch, sondern die Pflicht ist der Mittelpunkt. Wenn die Gerechtigkeit aus dem Lot geraten ist, muss diese für Kant um jeden Preis (Todesstrafe) wiederhergestellt werden. Damit wird Gerechtigkeit zum Selbstzweck: Menschen sind nicht an sich wertvoll, sondern nur als Instanzen von Gerechtigkeit.

28 Jan

Warum experimentieren wir nicht?

von Bernward Gesang (Mannheim)


Dass etwas faul ist im Staate, pfeifen die Spatzen von den Dächern. Der Klimawandel schreitet voran, die Politik erweist sich als unfähig, angemessen zu reagieren, denn das demokratische Ringen um Kompromisse zersetzt zum Beispiel jedes „Klimapaket“. Unsere westlichen Demokratien begeistern zudem die meisten ihrer Bürger nicht mehr. Viele fühlen sich nicht mehr durch das System repräsentiert. Politik kann nichts mehr bewegen. Sie ist auf kurzfristige Balancierung der mächtigsten Interessen abonniert, verliert auf diesem Weg die Herzen der Bürger und überlastet zudem den Planeten ökologisch. „Demokratiemüdigkeit“ nennt sich ein Teil des Phänomens. Das bringt das subjektive Empfinden vieler Bürger auf den Punkt. Dagegen mobilisieren sich basisdemokratische Volksbewegungen, „Occupy“, „Pulse of Europe“, „Piraten“ usw., aber diese Bewegungen verebben und finden keinen Hebel, um das System zu ändern. Ob „Fridays for future“, deren Anliegen nicht basisdemokratisch ist, hier eine Ausnahme machen, muss sich noch zeigen.

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