14 Mai

Kants (Beinahe-)Schluss vom Sein aufs Sollen

Von Elke Elisabeth Schmidt (Siegen)

Zu den überholten Elementen aus Kants praktischer Philosophie gehört neben Rassismus, Sexismus usw. der hier und da überraschend aufblitzende Versuch, moralische Forderungen aus der Natur abzuleiten. Aus der Annahme einer zweckmäßig eingerichteten Natur resultieren, anders als Kant meinte, aber keine normativen Implikationen (die von ihm selbst diskutierte Frage, ob die Rede von Zwecken in der Natur sinnvoll ist, klammere ich aus). So folgt beispielsweise, anders als Kant zu denken scheint (§ 7, Tugendlehre), allein aus der zweckmäßigen Einrichtung der Sexualorgane – hier liegen natürliche Strukturen vor, die grundsätzlich der Funktion der Fortpflanzung bzw. Arterhaltung dienen – nicht, dass sexuelle Handlungen ohne Fortpflanzungszweck verwerflich sind. Andernfalls läge eine Art Sein-Sollen-Fehlschluss vor; es ist auch nicht moralisch verwerflich, langsam zu gehen, nur weil wir schnell rennen können. Weder Masturbation noch Sex mit Verhütung noch homosexueller Sex dienen zwar der Arterhaltung. Doch sie zerstören diese Funktion auch nicht, und jedenfalls sind sie nicht deswegen verwerflich, weil es diese Funktion gibt. Sie wären nur dann verwerflich, wenn Fortpflanzung Pflicht wäre und sexuelle Handlungen ohne Fortpflanzungszweck die Fortpflanzung zu einem anderen Zeitpunkt prinzipiell ausschlössen. Doch kann man heute das eine tun und morgen das andere (Zwecke muss man nicht immer verfolgen), und außerdem ist es nicht Kants These, dass Fortpflanzung Pflicht ist (er sagt nur: Wenn man Sex haben will, dann so, dass er der Fortpflanzung dient). Eigentlich ist also nicht recht zu sehen, wo selbst für Kant das Problem liegen soll, wenn es darum geht, Sex bloß zum Spaß zu haben. (Und so ergänzt Kant seine Kritik am Sex wohl auch mit der von ihm geltend gemachten Instrumentalisierungsgefahr der, nota bene, eigenen Person. Im Hintergrund steht dabei seine berühmte Menschheitsformel – aber das ist ein anderes Thema.)

05 Sep

Wissenschaft und Elternzeit. Wunsch und Wirklichkeit

Von Elke Elisabeth Schmidt (Siegen)


Nachwuchswissenschaftler*innen mit Kindern sind immer im Spagat zwischen Job und Familie. Viele Spannungen sind bekannt: ein hohes Arbeitspensum, geforderte zeit- und räumliche Flexibilität sowie Befristung auf der einen Seite und Kinder und all das auf der anderen. Weniger bekannt ist: Mutterschutz und Elternzeit könnten den Spannungen zwar eigentlich Abhilfe schaffen, scheitern aber an der akademischen Lebenswirklichkeit.

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