24 Sep

Philosophie und Geschichte der Philosophie. Überlegungen zu einer “philosophischen” Geschichte der Philosophie

Von Laura M. Castelli (München)

In dem Dialog, der das letzte Gespräch von Sokrates im Kreise seiner engsten Freunde vor seinem Tod darstellt, skizziert Platon eine Art philosophische Biographie von Sokrates selbst: nach seiner jugendlichen Begeisterung für die „Weisheit“ (sophia), „welche man die Naturkunde (peri physeos historian) nennt“, und nach der Enttäuschung über die grundsätzlich mechanistischen Erklärungen, die er bei den Naturforschern findet, trifft Sokrates eine Entscheidung von großer Tragweite – für Sokrates selbst und für die Philosophie und ihre Geschichte. Seinem ursprünglichen Interesse für eine Ursache oder einen Grund (aitia) dafür, dass die Welt und die Sachen darin so sind, wie sie sind, geht er nach, ohne direkt nach einer solchen Ursache oder nach einem solchen Grund zu fragen: „sondern mich dünkt, ich müsse zu den Gedanken (logoi) meine Zuflucht nehmen, und in diesen das wahre Wesen der Dinge anzuschauen. […] und indem ich jedesmal den Gedanken zum Grunde lege, den ich für den stärksten halte: so setze ich, was mir scheint mit diesem übereinzustimmen, als wahr, es mag nun von Ursachen die Rede sein oder von was nur sonst, was aber nicht, als nicht wahr“ (Phaidon, 99e-100a; Schleiermachers Übersetzung). Das griechische Wort, dass hier mit „Gedanke“ übersetzt wird, logos, ist bekanntermaßen schwer zu übersetzen; auf Englisch wird es häufig mit „account“ übersetzt, wobei der englische Ausdruck die gewisse Unbestimmtheit des griechischen Ausdrucks widerspiegelt. Die Beschreibung des Verfahrens im platonischen Text verdeutlicht die Natur der sokratischen Entscheidung: bei der Suche nach einem letzten Grund und Prinzip der Dinge werden Thesen und Gedanken auf Konsistenz mit den jeweils stärksten Hypothesen geprüft; diese Prüfung wird mittels Argumente durchgeführt.  

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21 Mai

Geschichte der Philosophie versus systematisches Philosophieren – Acht Thesen am Beispiel Hegels

Von Thomas Meyer (Berlin)

Wenn sich eines ganz klar sagen lässt, dann dies: Die Texte der sogenannten Deutschen Idealisten sind gegenwärtigen Leser*innen aus verschiedenen Gründen nur noch schwer zugänglich.[1] Das bringt die Frage mit sich, weshalb man sich heute überhaupt noch mit diesen Texten auseinandersetzen und die mühsame hermeneutische Arbeit, die mit einer solchen Auseinandersetzung einhergeht, auf sich nehmen sollte? Aber selbst wenn man ein Interesse für diese Texte bereits hat, wofür es viele gute Gründe gibt, steht gleich die nächste Frage im Raum, wie man sich am besten mit diesen auseinandersetzt.

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31 Jul

Naturalismus, Ontologie und Geschichte bei Marx. Eine Metareplik

Von Kurt Bayertz (Münster)


In seiner Replik auf meinen in diesem Blog erschienenen Marx-Beitrag, sowie auf mein Buch Interpretieren, um zu verändern[1], hat Urs Lindner drei zentrale Thesen meiner Überlegungen hervorgehoben und als „überaus fragwürdig“ charakterisiert. Bevor ich auf seine Kritik an diesen Thesen zu sprechen komme, möchte ich zwei allgemeine Bemerkungen voranschicken.

Zunächst fällt auf, dass Lindner ein zentrales Charakteristikum der Theorie von Marx völlig unberührt lässt: ihren Praxisbezug. Dieser Bezug ist von zentraler Bedeutung für das Verständnis dieser Theorie und liefert daher einen entscheidenden Interpretationsleitfaden bis in ihre (scheinbar) abstraktesten metaphysischen Annahmen hinein. Eine adäquate Metareplik auf die von Lindner erhobenen Einwände müsste daher von diesem Praxisbezug ausgehen, den ich bereits im Titel meines Buches angedeutet habe. Aus Platzgründen ist das leider nicht möglich, so dass ich mich an dieser Stelle damit begnügen muß, auf einige der einschlägigen Stellen meines Buches zu verweisen: [53ff; 228ff; 245f]. Alle drei von Lindner hervorgehobenen Thesen stehen mit dem von Marx angestrebten Praxisbezug seiner Theorie in Zusammenhang.

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