18 Jun

II: Was „Sex haben“ bedeutet

von Peter Wiersbinski (Regensburg)


Eine gute Erklärung dessen, was wir mit den Worten „Sex haben“ bezeichnen, muss zwei Dinge leisten: sie muss zum einen verständlich machen, wie es kommt, dass die verschiedenen Arten von Interaktionen und Praktiken, die wir zurecht so nennen, so rein gar nichts gemeinsam zu haben scheinen. Denn keine Eigenschaft, die uns im Zuge einer Erklärung des Begriffs einfallen könnte – „für Fortpflanzung offen“, „aus Liebe vollzogen“, „auf Orgasmus ausgerichtet“, „unter gegenseitiger Stimulation der Sexualorgane“ und so weiter–, trifft auf alles zu, was zurecht als „Sex haben“ bezeichnet wird. Und viele der Eigenschaften, die uns einfallen, treffen auch auf anderes als Sex zu. Zum anderen muss eine gute Erklärung von „Sex haben“ aber auch verständlich machen, weshalb alle diese so unähnlichen Interaktionen, die äußerlich wie völlig verschiedene Tätigkeiten aussehen, doch wenigstens das miteinander teilen: dass sie Weisen sind, miteinander Sex zu haben. An der Aufgabe, beides unter einen Hut zu bringen, kann man leicht verzweifeln.[1]

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09 Mai

I: Was bedeutet „Sex haben“?

von Peter Wiersbinski (Regensburg)


Es braucht nur wenig philosophische Anstrengung, um eine Ahnung davon zu gewinnen, wie leicht man an der Frage „Was ist Sex?“ verzweifeln kann. Und auch sehr ernsthaftes Nachdenken führt eher noch tiefer in Aporien hinein als zu einer allseits einleuchtenden und einheitlichen Antwort. Das gilt sogar dann, wenn wir von vornherein das (zumindest aus philosophischer Sicht) verwirrende[1] Phänomen der Masturbation außen vor lassen und auch nicht nach dem Wesen sexueller Orientierungen und Identitäten fragen, sondern lediglich wissen wollen, welche Art von Tätigkeit „Sex haben“ beschreibt, wenn von zwei Menschen gesagt wird, sie hätten Sex miteinander. Dass die Versuche, eine Antwort auf diese Frage zu geben, in Aporien, das heißt: in Widersprüche und Ausweglosigkeiten führen, könnte den Verdacht aufkommen lassen, dass Sex selbst etwas Widersprüchliches und eine Ausweglosigkeit ist – wenn auch zuweilen eine schöne Ausweglosigkeit. Wie man zu diesem Verdacht gelangt, darum geht es in diesem Beitrag.

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