Toleranz wird weithin als einer der Grundwerte einer liberalen Gesellschaft angesehen, die durch tiefe Meinungsverschiedenheiten über die Natur des Guten und Gerechten gekennzeichnet sind. Toleranz anderer Meinung und Lebensstile scheint eine unverzichtbare demokratische Tugend zu sein, die angesichts von Populismus und Nationalismus in Gefahr gerät. Die zeitgenössischen Debatten über Toleranz und ihre Grenzen umfassen eine immense Vielfalt an philosophischen Themen, die von Kontroversen über die Meinungsfreiheit, die legitime Rolle religiöser Erziehung bis hin zur Debatte um Sexualkunde in der Schule reichen.
Dabei ist das Konzept der Toleranz ist in der zeitgenössischen politischen und ethischen Theorie umstritten. Dies gilt nicht nur für unterschiedliche Interpretationen des spezifischen Zusammenspiels der zentralen Komponenten verschiedener Toleranzkonzepte (z.B. Ablehnungskomponente, Akzeptanzkomponente usw.), sondern auch für die verschiedenen Arten und Weisen, wie diese Komponenten mit anderen wichtigen Konzepten und Werten in Beziehung stehen (z.B. Respekt, Anerkennung).
Gibt es einen spezifischen Zusammenhang zwischen Demokratie, Bürgerschaft und Toleranz? Ist Toleranz als eine öffentliche Tugend oder eher als eine persönliche Tugend zu verstehen? Inwieweit sollten illiberale Ansichten in liberalen Demokratien toleriert werden (z.B. die Kontroverse um „Hassreden“ und Blasphemiegesetze)? Wie hängen unterschiedliche Vorstellungen von Pluralismus mit Toleranz zusammen? Welche Rolle sollten Rationalität und Autonomie in den Toleranzkonzepten spielen? Was ist der Wert von Toleranz? Ist es möglich, Toleranz unabhängig von einer bestimmten Konzeption des Guten zu rechtfertigen? Ist Toleranz als ein zentrales Bildungsziel zu betrachten, das in öffentlichen Schulen gefördert werden sollte? Wie sollten liberale Staaten mit den Ansprüchen von Eltern umgehen, die nicht liberale Grundwerte teilen (z.B. Debatten über Freistellungsklauseln für Mitglieder religiöser Gruppen)? Schließlich stellen sich auch Fragen der Kritik der Toleranz und ihrer Verwobenheit in Machtasymmetrien und andere Ungleichheiten. Inwieweit kann der Rekurs auf Toleranz dazu verwendet werden, hegemoniale Bestrebungen zu rechtfertigen und aufrecht zu erhalten?
Dieser Themenblock des Philosophieblog praefaktisch.de will einige der Konflikte und Ambivalenzen beleuchten, die das Konzept und die Praxis der Toleranz durchdringen.
Buchtipp: Im Herbst 2020 erscheint das Buch “Toleration and the Challenges to Liberalism” (Routledge).