12 Apr

3 Jahre praefaktisch. Populäre Philosophie, Aufmerksamkeit und Loslassen

von Gottfried Schweiger (Salzburg)


Nun gibt es praefaktisch, den besten aller möglichen Philosophieblogs, seit drei Jahren. Das freut uns sehr. Die Zugriffe haben sich kontinuierlich gesteigert (wir wissen ehrlich gesagt aber nicht, ob unsere Zugriffszahlen hoch oder niedrig sind, da uns die Vergleiche fehlen). Fast alle, denen wir schreiben, haben vom Blog schon einmal gehört, einige lesen ihn sogar regelmäßig und gerne. Unser Dank gebührt natürlich vor allem den AutorInnen. Pro Jahr sind es mehr als einhundert Beiträge, die wir veröffentlichen. Wegen Corona waren es 2020 noch um ein paar Dutzend mehr. Es tut sich also etwas. Eine kurze Reflexion auf Bloggen, populäre Philosophie, Aufmerksamkeit und Loslassen.

Öffentliche Philosophie

Es gibt von der GAP und der DGPhil seit einigen Wochen die schöne Seite philpublica.de, die als Schaufenster von öffentlicher Philosophie im deutschsprachigen Raum dient. Da sieht man, wie viel Philosophie – oder Texte von PhilosophInnen – in den Medien eigentlich stattfindet. In der FAZ, der Zeit, im Deutschlandfunk oder auf praefaktisch. Öffentliche und populäre Philosophie ist wahrscheinlich noch immer nichts, was einem einen Job bringt oder reich macht, aber ein paar Vorteile sind damit schon verbunden. Es ist zu erwarten, dass es eine Hierarchie zwischen den unterschiedlichen Formaten und Medien gibt. Ich schätze, die meisten Menschen finden, es bringt mehr Prestige, in der FAZ zu veröffentlichen als auf praefaktisch. Sicher hat die FAZ eine höhere Reichweite, mehr LeserInnen und professionelle RedakteurInnen, die Texte korrigieren. Vielleicht – oder hoffentlich und selbstverständlich! – bezahlen diese Medien sogar für Beiträge, schließlich verdienen sie damit etwas. Wir können das leider nicht, weil praefaktisch weder Sponsoren noch Einnahmequellen hat.

Zugriffsstatistiken auf praefaktisch im März 2021

Das ist natürlich unfair. Die Texte, die bei uns erscheinen, sind in der Regel nicht schlechter als die, die woanders erscheinen und es steckt in ihnen auch nicht weniger Arbeit durch die AutorInnen. Was könnte also solche Differenzen in Status, Bezahlung oder Aufmerksamkeit rechtfertigen (zum Glück haben wir gerade einen Rawls Schwerpunkt, vielleicht findet man dort Anhaltspunkte für diese Frage)? Das klingt jetzt vielleicht etwas angerührt und ich will auch nicht den Eindruck erwecken als wären wir deshalb beleidigt oder neidisch. Wir sind ganz zufrieden mit dem, was ein kleiner Start-up Blog aus der Provinz erreichen konnte und in Zukunft noch erreichen wird. Dennoch ist es sinnvoll, darüber nachzudenken, welche Ungleichheiten die öffentliche Philosophie produziert und reproduziert, wer gehört wird und wer nicht, wer in welche Medien kommt. Weil es gibt sicher ein paar KollegInnen, die gerne auch einmal ihre Meinung oder ihre Ideen ins Schaufenster stellen wollen. Oder KollegInnen, die sich über eine E-Mail-Anfrage einer Zeitung oder Zeitschrift freuen, welche ihnen signalisiert, dass sie interessante GesprächspartnerInnen sind. (Apropos: Ich wäre sehr interessiert, wenn man philpublica in einem Jahr oder so zur Auswertung heranziehen und sich mal anschauen würde, wie es zum Beispiel um das Verhältnis der Geschlechter in der medial vertretenen Philosophie bestellt ist oder ob es nicht Cluster von Personen oder Universitäten gibt, die überproportional häufig in den Medien sind.)

Das betrifft auch unseren Blog. Wir lehnen immer wieder Beitragsvorschläge aus inhaltlichen Gründen ab. Dennoch sind wir als Blog in der Lage, quasi so viele Beiträge zu bringen, wie wir wollen. Der Platz im Internet, den praefaktisch einnimmt, ist nicht begrenzt wie der Platz in einer gedruckten Zeitung oder der Slot in einem Radio- oder Fernsehprogramm. Wir haben auch kein Problem damit, zu einem Thema mehrere Texte zu bringen. Wir verknappen unseren Platz selbst auf circa zwei Beiträge pro Woche, aber bis jetzt mussten wir noch niemanden absagen, weil wir keinen Platz gehabt hätten, ein Thema schon „erledigt“ wurde durch einen anderen Beitrag oder wir einen Beitrag mit aktuellem Bezug nicht zeitgerecht bringen hätten können. In meiner eigenen bescheidenen Erfahrung sind das die häufigsten Gründe, warum einem Zeitungen, Zeitschriften oder andere Publikationsmedien absagen.

Elternschaft und der Blog als Kind

Norbert und ich sind so ja etwas wie die Eltern von praefaktisch. Und wie für alle Eltern ist der Prozess des Erziehens und Erwachsenwerdens des eigenen Kindes schwierig. Man will nur das Beste für das eigene Kind, liest ein paar Ratgeber, Texte im Internet und redet mit anderen Eltern (das konnten wir nicht wirklich, da es wenige BlogbetreiberInnen in der Philosophie gibt) und macht trotzdem viele Fehler. Ein Menschenkind ist natürlich widerständiger und sagt von alleine, was es will und irgendwann verabschiedet es sich ins eigene Leben. Dann ruft es nur mehr hin und wieder an oder kommt zu den Feiertagen auf Besuch. Das kann praefaktisch nicht.

Eine Frage, die Norbert und ich uns aber manchmal stellen, ist die, ob und wann und wie wir praefaktisch nicht mehr nur als „unser Kind“ sehen wollen und sollen. Wann wäre der richtige Zeitpunkt, andere Kolleginnen (die Betonung liegt hier bewusst auf weiblichen Kolleginnen) als HerausgeberInnen oder RedakteurInnen ins Team einzuladen – auch damit es nicht ein all-male Blog bleibt? Praefaktisch würde sicher davon profitieren, wenn wir ein größeres Team wären, wenn Leute dabei wären, die gute Ideen, Zeit, Ressourcen und Kontakte mitbringen, um den Blog wachsen zu lassen und zu professionalisieren. Wir sind auch optimistisch, dass es da draußen Kolleginnen gibt, die da gerne mitmachen würden. Aber das würde uns nicht nur Arbeit abnehmen, sondern natürlich auch bisschen Arbeit schaffen und vor allem, wir wären dann nicht mehr alleine die „Eltern“, unsere Gestaltungsmacht und Kontrolle wären begrenzt(er).

Wir müssten lernen, loszulassen. Vielleicht hieße es sogar, das Projekt praefaktisch einmal ganz zu verlassen und darauf zu hoffen, dass es sich hin und wieder bei einem meldet und einen nicht total vergisst. (Ich habe mich bei einem anderen Projekt, indem viel Zeit, Energie und Herz von mir steckt, nämlich der Zeitschrift für Praktische Philosophie, dafür eingesetzt, dass wir neue HerausgeberInnen aufnehmen und das war eindeutig richtig so. Ein bisschen schwierig war und ist es trotzdem, Kontrolle abzugeben und andere mitbestimmen zu lassen, wenn man sich jahrelang für eine Sache engagiert hat und sich Routinen etabliert haben.) Zum Wohle des eigenen Kindes sollte man die eigenen Bedürfnisse zurückstellen. Nun ist ein Blog natürlich kein Kind mit einem moralischen Status, aber irgendwie trägt diese schiefe Analogie vielleicht doch. Daher wird die Zeit sicher kommen, wenn wir praefaktisch an neue „Eltern“ übergeben werden oder uns zumindest Co-Eltern dazu holen. (Kalle Grill hat sich dafür ausgesprochen, dass auch Menschenkinder mehrere Eltern haben sollten.)

Praefaktisch soll nicht nur unser Privatprojekt sein. Es soll auch ein „dienendes“ Projekt für andere sein und zwar für die philosophische Gemeinschaft, die AutorInnen und die LeserInnen. Es gibt viel zu diskutieren in und über die Philosophie als akademische Disziplin. Es scheint als würden gerade ein paar Dinge aufbrechen: Diskussionen über Wissenschaftsfreiheit, akademisches Prekariat, Rassismus oder Sexismus. Dafür braucht es möglichst inklusive Gesprächsforen und wir hoffen, dass praefaktisch ein solches ist. Damit das gelingt, freuen wir uns über alle Zusagen auf unsere E-Mail-Anfragen, über Textangebote, Kommentare, Likes, Retweets, Verlinkungen, Mundpropaganda und vieles mehr.