Blogging in der Philosophie
von Gottfried Schweiger (Salzburg) & Norbert Paulo (Salzburg & Graz)
Das deutsche Bundesministeriums für Bildung und Forschung hat im November 2019 ein Grundsatzpapier zur Wissenschaftskommunikation veröffentlicht. Darin heißt es: „Die Wissenschaft trägt in Zeiten des gesellschaftlichen Wandels besondere Verantwortung: Sie sucht nach evidenzbasierten Antworten und entwickelt Lösungen für die drängenden Fragen unserer Zeit. Ihre Aufgabe ist es jedoch auch, zunehmend den Dialog zu suchen, Debatten zu versachlichen und über Herausforderungen und Chancen wissenschaftlicher Entwicklungen aufzuklären. Die Wissenschaft hat diese Verantwortung erkannt.“
Man kann sich fragen, ob das auch auf die deutschsprachige Philosophie zutrifft. Wie man u.a. an den ziemlich überschaubaren Aktivitäten der wichtigsten deutschsprachigen Philosophiezeitschriften in den Sozialen Medien ablesen kann, werden die Möglichkeiten zum Dialog mit der Öffentlichkeit offenbar als gering oder als wenig relevant eingeschätzt. Und auch die Überzeugung, dass Soziale Medien und Blogs ein wichtiges Mittel der Kommunikation innerhalb der philosophischen Community sein können, ist im deutschsprachigen Raum noch nicht sehr weit verbreitet. Vor diesem Hintergrund wollen wir zwei der wichtigsten Möglichkeiten der Nutzung von Blogs ansprechen, wobei uns vor allem die Situation der Philosophie im deutschsprachigen Raum interessiert.
Fachinterner Austausch
Erstens können Blogs dazu dienen, Informationen für Philosoph*innen zur Verfügung zu stellen. Das können Stellenausschreibungen und Tagungsankündigungen sein, aber natürlich auch Informationen zur Entwicklung des Fachs oder schlichter Gossip. Während es in der Politischen Theorie und Philosophie mit dem Theorieblog [theorieblog.de] einen sehr aktiven Blog gibt, der diese (und weitere) Funktionen übernimmt, gibt es für andere Bereiche der Philosophie keine derartige Plattform. Das wichtigste Medium zur Erfüllung dieser Funktionen scheinen die Mailinglisten der DGPhil und der GAP zu sein. Mailinglisten haben gegenüber Blogs einige Vorteile, wenn es um die Bereitstellung von Informationen geht: Vor allem stellen sie das technisch anspruchsloseste Mittel dar, Informationen zu verbreiten. Sie haben aber auch Nachteile: Sie bedürfen etwa der Subskription, ihre Archive sind oft schwer zu durchsuchen bzw. zu navigieren (sofern sie überhaupt zugänglich sind). Blogs hingegen sind in der Regel für alle sichtbar, ganz ohne Anmeldung oder Mitgliedschaft. Sie sind also kostenlos und ermöglichen außerdem Kommentare, Ergänzungen etc. Die Beiträge in Blogs sind auch thematisch sortierbar, können mit Schlagwörtern versehen werden und sind via Google leicht auffindbar (viele Mailinglisten sind gar nicht auffindbar).
Wenn es aber nicht nur um die Verbreitung von Ankündigungen und Ausschreibungen geht, können Blogs ihre Vorteile noch besser ausspielen, da man sich über die Kommentarfunktion einfach an Diskussionen beteiligen und diese gut nachvollziehen kann. Das ist bei Mailinglisten kaum möglich bzw. führt es zu einer schrecklichen Häufung von E-Mails, die üblicherweise nur für wenige Abonnent*innen interessant sind. Blogs zur aktiven Diskussion von Themen des Fachs fehlen im deutschsprachigen Raum fast vollständig. Zum Vergleich: Im englischsprachigen Raum bietet etwa Daily Nous [dailynous.com] zwar auch Ankündigungen, ist aber insgesamt deutlich diskussionsorientiert. Diskutiert werden dort die Begutachtungspraktiken von Zeitschriften ebenso wie die Rolle von Frauen in der Philosophie (#metoo), Best Practices von Tagungen, die Vergabe von philosophischen Preisen. Es finden sich aber auch Auseinandersetzungen mit den eigentlichen philosophischen Inhalten, die das Fach aktuell bewegen.
Ähnlich ist Leiter Reports [leiterreports.typepad.com] angelegt. Dieser Blog wird von Brian Leiter betrieben, der selbst mit starken Kommentaren nicht zurückhaltend ist und auf dem Blog auch oft über das bloße Geschehen in der akademischen Philosophie hinaus zu allgemeinen Themen der (vor allem US-amerikanischen) Politik und zu anderen Wissenschaften.
Warum solche Diskussionen über Themen des Fachs, aber auch der Wissenschaftslandschaft allgemein, soweit sie die Philosophie mitbetreffen, im deutschsprachigen Raum nicht auch auf Sozialen Medien oder Blogs stattfinden, darüber können wir hier nur spekulieren. Sicher liegt es aber nicht an einem Mangel an interessanten Themen. Vielleicht spielt es eine Rolle, dass jüngere Philosoph*innen, die besonders für Sozialen Medien affin sein dürften, in Deutschland, Österreich und der Schweiz im ganz überwiegenden Teil befristet beschäftigt sind und somit eine gewisse Zurückhaltung an den Tag legen, um es sich mit niemanden zu verscherzen.
Kommunikation über die Fachgrenzen hinweg
Eine zweite Funktion von Blogs ist die Kommunikation über das Fach hinaus. Der Schweizer Blog Philosophie.ch oder der von uns selbst betriebene Blog praefaktisch [praefaktisch.de] sind hierfür Beispiele. Es können unterschiedliche Ziele verfolgt werden. Es kann darum gehen, philosophische Themen für ein interessiertes Laienpublikum aufzubereiten. Wie das Eingangszitat verdeutlicht, wird eine solche Wissenschaftskommunikation aus politischer Perspektive derzeit für alle Wissensbereiche als wichtig angesehen. Vereinzelt wird sie auch von Universitäten und Förderstellen eingefordert – manchmal wird sie sogar unterstützt. Bislang spielen Blogs hier aber gegenüber klassischen Medien – Zeitungen, Zeitschriften, Radio und TV –, eine untergeordnete Rolle. Wichtig sind in diesem Kontext auch kommerzielle Printprodukte wie das Philosophie Magazin oder Hohe Luft, die philosophische Themen oft sehr geschickt so übersichtlich aufbereitet, dass sie in Schulen genutzt werden kann. Hier wie in anderen klassischen Medien schreiben aber üblicherweise nur ganz wenige Autor*innen die Texte, sodass eine gewisse thematische Engführung nicht ausbleibt und die inhaltliche Qualität stark schwankt. Wenn Fachleute auf Blogs für ein breiteres Publikum schreiben, bringt dies eine größere thematische Vielfalt und eine gleichbleibend hohe Qualität der Beiträge, was einem guten Schulunterricht sicher zuträglich wäre.
Blogs bieten grundsätzlich die Chance, sowohl mehr Themen als auch mehr Stimmen unterzubringen, da sie prinzipiell keine Platzbegrenzung haben – anders als etwa die Seiten, die jeden Monat in Printmedien für Philosophie zur Verfügung stehen, wo also hoch selektiv vorgegangen werden muss. Gerade für den wissenschaftlichen Nachwuchs ist der Zugang zu klassischen Medien oft schwieriger als für namhafte Professor*innen, da diese Medien zumeist auf Reichweite, Auflagen und sonstige Parameter Rücksicht nehmen müssen. Blogs können schnell und öffentlich zugänglich auf aktuelle Geschehen und Entwicklungen reagieren. Durch die COVID-19-Pandemie erleben wir gerade (Stand 20. März 2020) radikale Umwälzungen und auch wenn fundierte Analysen oft erst in der Nachbetrachtung möglich sind, ist es doch nötig und sinnvoll auf solche Ereignisse tagesaktuell und rasch zu reflektieren. Es besteht ein Bedarf an öffentlicher und wissenschaftlicher Diskussion, in die PhilosophInnen ihre Stimme und fachspezifischen intellektuellen Ressourcen einbringen sollten.
Blogs haben sicher den Nachteil, dass sie – zumindest noch – oft über geringere faktische Reichweiten und geringeres Prestige verfügen und manche Teile der Bevölkerung schwieriger bis gar nicht erreichen, was teilweise eine Generationenfrage sein dürfte. Das Medium Blog scheint dahingehend gerade auch bei älteren Professor*innen mitunter gänzlich unbekannt zu sein und teils mit Reserviertheit betrachtet zu werden, da hinter (den bestehenden) Blogs oft eben keine bekannten Medien, Institutionen oder Personen stehen.
Herausforderungen
Eine der größten Herausforderungen für deutschsprachige Philosophieblogs ist die Finanzierung. (Die viel gelesenen englischsprachigen Blogs generieren über Werbung nicht unerhebliche Einnahmen.) Damit verbunden sind Fragen nach den benötigten Ressourcen, der Verbreitung und der Inhaberschaft bzw. Verantwortlichkeit für Inhalte und Organisation.
Zwar sind Blogs quasi von jederfrau schnell und einfach aufzusetzen und zu administrieren. Wenn sie ordentlich betrieben werden und viele Leser*innen finden sollen, ist aber viel Aufwand zu betreiben. Beiträge müssen verfasst oder angefragt, online gestellt und dann vertrieben werden. Wenn Diskussionen gewünscht sind (und tatsächlich auch stattfinden), bedürfen sie der Moderation. Wir können aus eigenen Erfahrung berichten, dass diese Dinge einen erheblichen Zeiteinsatz erfordern, was den Betrieb eines Blogs ohne institutionellen Rückhalt und entsprechende (finanzielle und zeitliche) Ressourcen nicht unbedingt attraktiv macht. Schließlich ist auch völlig unklar, welche Prestigegewinne mit dem Bloggen oder dem Betrieb eines Blogs verbunden sind. Während der „Wert“ der klassischen wissenschaftlichen Betätigungsformen der Philosophie (Zeitschriftenaufsätze, Sammelbandbeiträge, Monographien, Herausgeberschaften, Organisation von Tagungen etc.) ziemlich klar taxierbar ist, ist der „Wert“ des Bloggens noch ziemlich unbestimmt, was (gerade jüngere) Philosoph*innen zweifeln lassen dürfte, ob es sich auszahlt, die Zeit darin zu investieren.
Die Kommunikation mit der Öffentlichkeit ist in der Philosophie heute sicherlich (wieder) ein größeres Thema als noch vor ein paar Jahren. Blogs sind ein Baustein der Wissenschaftskommunikation, der von unterschiedlichen Stakeholdern genutzt werden kann. So kooperiert zum Beispiel der Blog Justice Everywhere [justice-everywhere.org] mit dem Journal of Applied Philosophy. Ausgewählte neue Aufsätze aus diesem Journal werden von den jeweiligen Autor*innen selbst für den Blog aufbereitet (gekürzt, gestrafft, zugespitzt) und dort veröffentlicht. Ähnlich verläuft eine Kooperation zwischen dem Oxford Uehiro Centre for Practical Ethics und dem Online-Magazin Aeon [aeon.co]. Der Blog PEA Soup [peasoup.us] kooperiert mit Ethics und anderen renommierten englischsprachigen Zeitschriften im Bereich der praktischen Philosophie. Analog zu klassischen Buchsymposien werden zu ausgewählten Aufsätzen aus diesen Zeitschriften auf dem Blog längere Kommentare veröffentlicht, auf die die Autor*innen dann reagieren können. Solche Kooperationen sind sowohl für Fachphilosoph*innen als auch für Personen außerhalb der Philosophie interessant. Fachphilosoph*innen können so auf dem Laufenden bleiben und sich über aktuelle Entwicklungen zu informieren, ohne entweder nur den Abstract oder gleich den ganzen Aufsatz lesen zu müssen. Für ein philosophisch interessiertes Publikum genügt zumeist der Blogbeitrag, um die wichtigsten Thesen, Argumente und Gegenargumente nachvollziehen zu können; sie benötigen zumeist nicht die detaillierte Kontextualisierung und argumentative Auseinandersetzung, die im Fachaufsatz ausgebreitet wird.
Wie schon am Beispiel der Oxford University und Aeon angedeutet, können auch Stakeholder wie Institute, Universitäten, Gesellschaften oder Fördergeber Blogs nutzen, um philosophische Forschungen einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Gerade für die praktische Philosophie bietet es sich an, hier aktiv zu werden, da sie sich oft mit Fragen befasst, die auch die Öffentlichkeit betreffen. Aber natürlich sollte auch über abstraktere Fragen gebloggt werden, etwa aus dem Bereich der Wissenschaftstheorie, der Erkenntnistheorie, der Logik oder der Metaphysik. Auch vermeintliche philosophische Nischenthemen können für eine breitere Öffentlichkeit interessant sein, wenn sie gut dargestellt werden. Für die Philosophie, die in vielen Bereichen auch auf die Erkenntnisse anderer Disziplinen angewiesen ist (oder sie zumindest berücksichtigen sollte), ist das Medium Blog auch eine Chance, mit eben diesen anderen Wissenschaften in Kontakt zu treten und Diskussionsräume zu eröffnen.
Dieser Text erschien zuerst in den Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Philosophie, Frühjahr 2020.
Gottfried Schweiger arbeitet am Zentrum für Ethik und Armutsforschung an der Universität Salzburg.
Norbert Paulo arbeitet am Institut für Philosophie der Universität Graz und am Fachbereich für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften der Universität Salzburg.