
Hass, Hetze, Desinformation. Ein Beispiel aus der Philosophie
Von Dieter Schönecker (Siegen)
Seit der Gründung des Netzwerks Wissenschaftsfreiheit (NW) gibt es immer wieder den Vorwurf, das NW sei rechts, rechtsradikal, ja rechtsextrem. Kaum jemand macht sich die Mühe, diesen Vorwurf zu belegen, und wenn doch, dann mit Belegen, die diesen Namen nicht verdienen.
Weiterlesen: Hass, Hetze, Desinformation. Ein Beispiel aus der PhilosophieZu solchen Kritikern des NW zählt auch Daniel Lucas, ein Philosophie-Doktorand an der ETH Zürich. Nachdem Michael Esfeld, Carola Freiin von Villiez und ich letztes Jahr im Cicero einen kritischen Beitrag zum Projekt der ,Dekolonisierung‘ und ‚Diversifizierung‘ in der Philosophie veröffentlicht hatten, bezeichnete Lucas uns auf X als „Mitglieder einer (zumindest in Teilen) rechtsextremen Lobbygruppe“. Fragen meinerseits für Belege blieben unbeantwortet.
Auch der Hinweis, dass das NW auch linke Wissenschaftler (z. B. Jürgen Zimmerer, Nancy Fraser) verteidigt hat und ich selbst wiederholt vor der Gefahr gewarnt habe, die von Rechts gegen die Wissenschaftsfreiheit ausgeht, hat Lucas offenkundig nicht beeindruckt. Vielmehr schrieb er kürzlich im nd (ehemals neues deutschland und zuvor Neues Deutschland): „Dieter Schönecker, der sich gerne darüber beklagt, in die rechte Ecke gestellt zu werden, zugleich aber in der extrem rechten Jungen Freiheit im Namen der Wissenschaftsfreiheit dafür eintritt, entspannter gegenüber einer taxonomischen Erforschung menschlicher »Rassen« zu sein – also die Wiederaufnahme eines in sich rassistischen Forschungsprogramm zumindest nicht sonderlich problematisch sieht.“ In meinen Augen ist das genau die Art von Hass, Hetze und Desinformation, die Lucas wie viele andere Linke auch bewogen hat, X zu verlassen.
Denn erstens ist das frei erfunden. Tatsächlich habe ich nur Folgendes geschrieben: „Meinen und aber auch sagen dürfen sie [Menschen], daß es biologisch gesehen nur zwei Geschlechter gibt; daß es taxonomisch sinnvoll ist, menschliche Rassen zu unterscheiden; daß Gendern der Geschichte und Struktur der deutschen Sprache widerspricht; daß es relativ gesehen mehr ausländische Straftäter gibt als deutsche; daß das Recht auf Erbschaft abgeschafft oder stark eingeschränkt werden sollte; daß die DDR kein Unrechtsstaat war; oder daß Israel ein Apartheidstaat ist, der im Gazastreifen einen Genozid begeht. Solche Meinungen müssen nicht wahr sein, damit man sie äußern darf, und sie müssen nicht einmal gut begründet sein. Man kann sie einfach so haben, solange sie strafrechtlich irrelevant sind und keinen direkten Angriff auf die Verfassung beinhalten oder fordern. Das nennt man Meinungsfreiheit.“
Wie sehr unschwer zu erkennen ist, habe ich hier einige (starke) Meinungen aufgezählt, die man typischerweise einem (eher) linken und (eher) rechten Weltbild zuordnet, um aufzuzeigen, wie weit die Meinungsfreiheit reicht, und zwar ohne dabei der einen Sorte von Meinungen oder der anderen zuzustimmen. Geschrieben habe ich also nur, dass man, auch juridisch betrachtet, die Meinung vertreten darf, es sei ,taxonomisch sinnvoll sei, menschliche Rassen zu unterscheiden‘. Lucas aber fabriziert daraus, dass ich die ,Wiederaufnahme eines in sich rassistischen Forschungsprogramm zumindest nicht sonderlich problematisch‘ sehe. Aber aus der Tatsache, dass man jemanden im Sinne der Meinungs- oder auch Wissenschaftsfreiheit für frei hält, eine bestimmte Position zu vertreten, folgt natürlich nicht, dass man diese Position für unproblematisch, geschweige denn für wahr hält (tatsächlich halte ich den Rassebegriff aus philosophischen Gründen nicht für sinnvoll). Um noch ein anderes Beispiel aus den zitierten zu nehmen: Ich halte die These, dass die DDR kein Unrechtsstaat war, für objektiv falsch und sogar für moralisch verwerflich; aber man darf sie eben vertreten, und mehr sage ich nicht, wenn ich mich für Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit einsetze.
Zweitens bleibt Lucas auch für seine beiläufig aufgestellte These, die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Frage, ob es menschliche Rassen gibt, oder auch die Position, es gäbe sie, sei ,in sich rassistisch‘, jeden Beleg schuldig. Tatsächlich ist sie, wie ich an anderer Stelle gezeigt habe, nachweislich falsch; sowohl in der Biologie wie auch in der Philosophie der Biologie wird immer noch (oder wieder) die These vertreten, der Rassebegriff (bzw. der Begriff einer Population oder Varietät) sei taxonomisch sinnvoll. Und erst recht impliziert eine solche Position nicht zwingend Rassismus (auch wenn es de facto natürlich meistens so war und ist); übrigens hält auch die für Lucas gewiss ganz unverdächtige Kristina Lepold die These, es gebe menschliche Rassen, für nicht zwingend rassistisch (wie sie in der GAP-Reihe „Umkämpfte Begriffe“ argumentierte). Und die These, dass Rasseforschung nicht Rassismus impliziert, wird auch dann nicht falsch, wenn man mit der Grundidee Tim Hennings[1] argumentierte, dass man bei der Frage, ob es menschliche Rassen gibt, Urteilsenthaltung üben sollte, weil bei angenommener mangelnder Evidenz andernfalls die Kosten für die Betroffenen zu hoch wären; es wäre dann zwar falsch, die Realität menschlicher Rassen zu behaupten (und vielleicht sogar falsch, darüber zu forschen), aber es wäre gleichwohl nicht rassistisch.
Drittens unterschlägt Lucas bei seinem Verweis auf meine (übrigens einzige) Publikation in der Jungen Freiheit, dass ich darin ausdrücklich auf die Gefährdungen der Wissenschaftsfreiheit durch Rechte eingehe, etwa durch die AfD, die ich scharf kritisiere (an anderer Stelle habe ich auch Orban und deSantis kritisiert). In der Tat habe ich die Einladung der Jungen Freiheit zum Schreiben eines Artikels vor allem angenommen (und zwar durchaus nach einigem Zögern), weil ich die Chance nutzen wollte, in einem rechten Medium Rechte und (vermutlich) Rechtsradikale zu kritisieren.
Angesichts solcher Verdrehungen ist es umso absurder, dass nun ausgerechnet Lucas behauptet, „um wissenschaftliche Auseinandersetzung geht es den Mitgliedern des Netzwerks gerade nicht“; es ginge ihnen „keineswegs um das bessere Argument“. Viele der Mitglieder des NW (auch ich selbst) haben sich zum Thema Wissenschaftsfreiheit wissenschaftlich geäußert ‒ was nicht dadurch unwahr wird, dass das NW als solches eine (registrierte) Lobbygruppe ist, die gesellschaftskritische Ziele verfolgt und dass einzelne ihrer Mitglieder in Zeitschriften, Blogs oder anderen Medien Stellung in Texten beziehen, die natürlich (auch) politische Ziele verfolgen (wie auch dieser Text). Lucas kritisiert praefaktisch und PhilPublica dafür, solche Texte zu publizieren. Aber es ist ja ganz unbestreitbar, dass auf praefaktisch und Philpublica (und gerade auf diesen Portalen) ständig Texte veröffentlicht werden, die (auch) politische Ziele verfolgen in dem Sinne, dass Philosophinnen und Philosophen sich philosophisch fundiert zu gesellschaftlich relevanten Themen äußern. Das kann es also nicht sein, was Lucas problematisch findet; immerhin ist sein eigener Beitrag in der nd (wie auch übrigens einer auf praefaktisch) ja genau dies – politisches Engagement eines Philosophen.
Was Lucas kritisiert, ist einmal mehr, dass den aus seiner Sicht falschen Positionen und Personen Raum gegeben wird, nämlich solchen, die er, da sie von Mitgliedern einer „(extrem) rechten politischen Interessengruppe“ vertreten werden, offenkundig für „rechtsradikal“ oder sogar „rechtsextrem“ hält. Einen Beleg für diese Behauptung hat Lucas auch im nd nicht erbracht. Ich weiß nicht, wie Lucas „rechtsradikal“ oder „rechtsextrem“ definiert (ein entsprechender Text ist mir jedenfalls nicht bekannt). Bei allem anzuerkennenden definitorischen Streit über diese Begriffe ‒ nicht ein einziges der üblichen Merkmale dieser Begriffe (etwa der exklusive Nationalismus bis hin zu einer völkischen Ideologie und Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus, Ablehnung des demokratischen Rechtsstaats bis hin zum Angriff auf unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung) passt auch nur im Geringsten auf Menschen wie Michael Esfeld, Carola Freiin von Villiez, Maria-Sibylla Lotter oder eben mich selbst (und übrigens auch nicht auf Ulrich Vosgerau); tatsächlich ist für die Liberalen und Libertären unter uns sogar das krasse Gegenteil der Fall. Solche Titulierungen sind schlichtweg grotesk und ehrabschneidend (selbst dann, wenn man jemanden wie im Falle Jörg Baberowskis gerichtsfest rechtsradikal nennen darf ‒ wie Lucas betont, um dabei geflissentlich zu unterschlagen, dass damit keineswegs gerichtlich festgestellt wurde, dass Baberowski rechtsradikal ist).
Aber woher rühren dann diese eines Philosophen unwürdigen Attacken, die man kaum anders denn als üble Nachrede oder sogar Verleumdung verstehen kann? Ein wesentlicher Grund (und vermutlich sogar der entscheidende) für die neueren kulturkämpferischen Auseinandersetzungen der jüngeren Zeit liegt m. E. im inflationären, durch den concept creep aufgeblähten Gebrauch solcher Begriffe wie „Rassismus“, „Sexismus“ und eben auch „rechts“ oder „rechtsradikal“. Dahinter wiederum verbirgt sich, so meine Hypothese, unter anderem die in progressiven Kreisen der Philosophie auf starke Zustimmung stoßende Idee sogenannter ameliorativer Definitionen à la Sally Haslinger; Begriffe werden dabei vor allem mit Blick auf normativ-politische Zielsetzungen so definiert, dass sie für eben die Realisierung dieser Ziele passen (man betrachte einmal die Vorträge in der besagten GAP-Reihe „Umkämpfte Begriffe“). Und wer den Zweck verfolgt, alles, was nicht links ist, politisch zu bekämpfen, der wird dann „rechtsradikal“ so definieren, dass darunter auch all das fällt, was früher konservativ, liberal, Mitte oder auch rechts war. Aber das eben ist ungefähr so, als hielte man es für eine notwendige Bedingung für die Definition von „Frau“, unterdrückt zu werden.
Dieter Schönecker ist Professor für praktische Philosophie und Gründungsmitglied des Netzwerks Wissenschaftsfreiheit.
[1] Tim Henning: Wissenschaftsfreiheit und Moral. Berlin: Suhrkamp, 2024.