Adam Smith als Philosoph

Von Norbert Paulo (Berlin und München)


Adam Smith wurde am 16. Juni 1723 in Kirkcaldy, einer kleinen schottischen Hafenstadt in der Nähe von Edinburgh getauft und vermutlich auch geboren. Als er 1790 im Alter von 67 Jahren starb, war er ein gefeierter Intellektueller, der nicht nur beste Kontakte zu David Hume, Voltaire, Benjamin Franklin und anderen großen Geistern seiner Zeit pflegte, sondern auch ranghohe Politiker beriet. Seinen Zeitgenossen wäre es nicht in den Sinn gekommen, ihn vor allem oder ausschließlich als Ökonom zu anzusehen. Sein 300. Geburtstag ist eine gute Gelegenheit, sein erstaunlich breites Werk neu zu entdecken, zumal er das Schicksal anderer Klassiker teilt, mit Ideen verbunden zu werden, die er gar nicht vertreten hat, während wichtige Teile seines Denkens nur noch Experten bekannt sind.

Die frühen Jahre

Um nachvollziehen zu können, wie sich das Denken Smith’ entwickelt hat, ist es hilfreich, vorne anzufangen: Wie damals üblich, begann Smith sein Studium an der Universität Glasgow im Alter von nur 14 Jahren. Er absolvierte zunächst Kurse in Griechisch, Logik, Metaphysik, Naturphilosophie, Mathematik und Geometrie. Latein war noch immer die übliche Unterrichtssprache. Die Ausnahme von der Regel war damals der als Vater der schottischen Aufklärung geltende Professor Francis Hutcheson, bei dem Smith Moralphilosophie gehört hat. Hutcheson unterrichtete auf Englisch; anders als seine Kollegen las und kommentierte er nicht nur lateinische Texte, sondern sprach frei zu den Studenten. Smith hatte das Glück, zu einer Zeit zu studieren, da an den schottischen Universitäten bereits erkannt wurde, dass Arbeitsteilung auch in der Lehre sinnvoll ist. Statt der bedauernswerten sogenannten Regents, die ihre nicht minder bedauernswerten Studenten in allen Fächer unterrichten mussten, wurden nun Professuren für bestimmte Fächer eingerichtet.

Im Alter von 16 Jahren schloss Smith sein Studium in Glasgow ab und erhielt wegen hervorragender Leistungen ein begehrtes Stipendium für ein weiterführendes Studium in Oxford. Ziel des Stipendiums war die Vorbereitung auf eine Laufbahn innerhalb der anglikanischen Kirche. Smith sollte ganze sechs Jahre in Oxford verbringen. In dieser Zeit wurde ihm wohl klar, dass die kirchliche Laufbahn nicht die seine war. Schon 1740, kaum in Oxford angekommen, schrieb er in die Heimat, jedermann sei „selbst schuld, wenn er seine Gesundheit in Oxford durch übermäßiges Studium gefährdet, denn unsere einzige Aufgabe hier ist es, zweimal am Tag zum Gebet zu gehen und zweimal in der Woche eine Vorlesung zu besuchen“.[1]

Jedenfalls haben ihm diese Umstände viel Zeit zum Selbststudium gelassen, die er auch zu nutzen wusste. Neben vielen Klassikern las er den erst kurz zuvor veröffentlichten Treatise of Human Nature (Traktat über die menschliche Natur) des nur zwölf Jahre älteren David Hume, wofür er in Oxford prompt bestraft wurde, denn das Buch stand auf dem Index. Vor allem hat er die Jahre in Oxford wohl genutzt, um seine Kenntnisse der klassischen römischen und griechischen Literatur ebenso zu erweitern wie die der damals modernen englischen und französischen Literatur.

In Schottland wurde (und wird) Scots und Gälisch gesprochen. Mit gutem Englisch – also dem Englisch, das im Machtzentrum der Monarchie gesprochen wurde –, konnte man sich für hohe Positionen in den britischen Kolonien qualifizieren. Viele wollten sich daher mit der englischen Hochsprache vertraut machen. Smith hat seine Zeit in Oxford offenbar nicht nur einsam in Bibliotheken verbracht, sondern auch mit Engländern gesprochen. Jedenfalls beherrschte er bei seiner Rückkehr nach Kirkcaldy 1746 die heute als Oxford-Englisch bezeichnete Hochsprache so gut, dass seine Kenntnisse und Fähigkeiten begehrt waren. Ab 1748 hielt er in einer der vielen Societies Edinburghs öffentliche Vorlesungen zur englischen Literatur. In diesen Vorlesungen machte Smith das große und illustre Publikum anhand einiger englischer Autoren, die er mit den griechischen Klassikern verglich, mit den Stilmerkmalen, aber auch mit der grundsätzlichen Grammatik der englischen Sprache vertraut. Seine Studienjahre in Oxford zahlten sich also aus.

Smith hielt in Edinburgh noch eine zweite Vorlesungsreihe. Es handelte sich um Vorträge über rechtliche Fragen, die allerdings aus einer philosophischen Perspektive dargestellt wurden. Es ging Smith nicht um eine Darstellung des damals geltenden Rechts, sondern um Fragen des Naturrechts. Zwar blieb das schottische Recht auch nach der Union mit England von 1707 der kontinental-europäischen Tradition des stark kodifizierten römischen Rechts verpflichtet, was den schottischen Gerichten eine gewisse Unabhängigkeit vom an Präzedenzfällen ausgerichteten englischen Rechtssystem sicherte. Die nun möglichen vielfältigen Interaktionen zwischen Schotten und Engländern machten es aber unmöglich, sich einfach auf eine Rechtstradition zu beziehen. Die noch andauernde Gestaltung eines wahren Groß-Britannien machte eine Rückbesinnung auf die eigentlichen Probleme, die das Recht lösen soll, und auf Grundsätze, an denen sich die Problemlösung orientieren sollte, nötig.

Die Zeit in Edinburgh war für Smith äußerst folgenreich. Er lernte Hume kennen, dessen Traktat über die menschliche Natur er als Student ja begeistert gelesen hatte. Hume ist nicht nur einer der bis heute einflussreichsten Philosophen, er sollte auch ein enger Freund von Smith werden. Außerdem verhalfen ihm die öffentlichen Vorlesungen in Edinburgh zu einem derart guten Ruf, dass ihm an der Universität Glasgow eine Professur für Logik angeboten wurde, die er 1751 auch antrat. Da Hutchesons Nachfolger erkrankt und wenig später verstorben war, wechselte Smith schon 1752 auf die Professur für Moralphilosophie, die er bis 1764 innehatte.

Smith als Moralphilosoph

Smith hielt nun in Glasgow also die große Vorlesung über Moralphilosophie, die er ein gutes Jahrzehnt zuvor selbst bei Hutcheson gehört hatte. Wie wir aus Berichten seiner Studenten wissen, war die Vorlesung in vier Teile gegliedert: natürliche Theologie, Ethik, Recht und Politik. Die Gliederung hat Smith zwar von Hutcheson übernommen, den Inhalt aber nach und nach weiterentwickelt. Im Teil zur natürlichen Theologie ging es vor allem um Gottesbeweise. Da in diesem Themenfeld keine Vorträge oder Schriften Smith’ bekannt sind, darf man wohl annehmen, dass er sich außerhalb der Lehre nicht intensiv damit befasst hat. Ganz anders die anderen drei Teile der Vorlesung. Diese wollte Smith als ein zusammenhängendes System der Moralphilosophie entwickeln und seine Ergebnisse auch veröffentlichen: Der Ethikteil wurde zur Theory of Moral Sentiments (Theorie der moralischen Gefühle) ausgearbeitet und 1759 veröffentlicht. Der Politikteil ging im 1776 veröffentlichten Wealth of Nations (Reichtum der Völker) auf. Von verstreuten Bemerkungen in der Theorie der moralischen Gefühle und einigen Passagen im Reichtum der Völker abgesehen, hat Smith zu Lebzeiten nichts zum Recht veröffentlicht, bis zuletzt plante er aber die Veröffentlichung einer „Theorie und Geschichte des Rechts und der Regierung“.[2] Das unvollendete Buchmanuskript wurde auf seinen Wunsch hin vernichtet; allerdings wurden viel später zwei in der Zwischenzeit aufgefundene Mitschriften seiner Vorlesungen zum Recht publiziert – die erste im Jahr 1896, die zweite erst 1978.

Das damalige Verständnis dessen, was zur Moralphilosophie gehört, weicht vom heutigen ab. Vieles, worüber Smith in den drei Texten schreibt – auch in der Theorie der moralischen Gefühle – hat mit Moralphilosophie im heutigen Sinne nicht viel zu tun. Man würde diese Themen heute neben der Ethik etwa der Psychologie, der Soziologie, der Politologie, der Rechtswissenschaft und natürlich der Ökonomie zurechnen. Man kann sagen, dass „Moralphilosophie“ für Smith in etwa das bedeutet hat, was wir heute als „Geistes- und Sozialwissenschaften“ bezeichnen. Die Bezeichnung „Moralphilosophie“ grenzte den Themenbereich aber zur Naturphilosophie ab, die das umfasste, was wir heute „Naturwissenschaften“ nennen. In diesem Sinne war Newton also Naturphilosoph, während Smith als Ethiker wie als Ökonom als Moralphilosoph bezeichnet wurde.

Die Irrelevanz der „unsichtbaren Hand“

Smith war aber nicht „nur“ Moralphilosoph in diesem weiten Sinne, sondern hat sich auch intensiv mit naturwissenschaftlichen Fragen beschäftigt. Smith’ Aufsatz zur History of Astronomy (Geschichte der Astronomie[3]), in dem sich auch die erste Erwähnung der „unsichtbaren Hand“ bei Smith findet, bietet Einblicke in seine Vorstellungen von Wissenschaftstheorie. Er geht davon aus, dass Wissenschaft als menschliche Tätigkeit von bestimmten gesellschaftlichen Umständen abhängt. Bevor der Staat für Sicherheit und Ordnung sorgt, werde sich der Mensch schwerlich für die verborgene Zusammenhänge in der Natur interessieren. Wenn er aber diese Zusammenhänge nicht kennt, könne er das Auftreten bestimmter Phänomene nicht erklären. Es sei dann ganz natürlich, dass er sich vor Blitz und Donner fürchtet, und auch, dass er für nichtwissenschaftliche Erklärungen empfänglich sei:

[E]s ist zu beobachten, dass in allen polytheistischen Religionen […] nur die unregelmäßigen Ereignisse der Natur dem Wirken und der Macht ihrer Götter zugeschrieben werden. Feuer brennt und Wasser erfrischt, schwere Körper sinken herab und leichtere Substanzen fliegen nach oben […]. Nie wurde angenommen, dass die unsichtbare Hand Jupiters in diesen Dingen tätig sei. Aber Donner und Blitz, Stürme und Sonnenschein, diese eher unregelmäßigen Ereignisse, wurden seiner Gunst oder seinem Zorn zugeschrieben.

Adam Smith. Philosophische Schriften, hg. von Norbert Paulo, Berlin 2023, S. 20 f.

Bemerkenswert ist, dass die „unsichtbaren Hand“ hier eine andere Bedeutung hat als in seinem späteren Werk. Hier geht es um eine dunkle Macht, die willkürlich Blitz und Donner schickt. Die Menschen haben vor dieser göttlichen Macht Angst und sind ihr ausgeliefert, hoffen aber auch auf ihre Gnade. Dort führt die „unsichtbare Hand“ zu Gutem, was man über die „unsichtbare Hand Jupiters“ nicht sagen kann.

Sowohl in seiner ethischen als auch in seiner ökonomischen Theoriemacht Smith viele Bemerkungen über Institutionen und Praktiken, in denen für die Gesellschaft Nützliches geschieht, ohne dass dies von den Handelnden beabsichtigt worden wäre, so auch in Reichtum der Völker in einer Passage aus dem zweiten Kapitel von Buch IV. Dort listet Smith eine ganze Reihe von Gründen gegen den Merkantilismus auf – also gegen die Idee, Reichtum sei am Besitz von Edelmetallen und Geld zu bemessen. In diesem Zuge bespricht er auch die Tendenz von Händlern, auch dann in heimische Märkte zu investieren, wenn es keine Regularien gibt, die sie dazu motivieren oder zwingen. In Smith’ Worten:

Wenn [der einzelne Händler] die heimische Erwerbstätigkeit der ausländischen vorzieht, denkt er nur an seine eigene Sicherheit; und wenn er diese Erwerbstätigkeit so ausrichtet, dass die größte Wertschöpfung erfolgt, denkt er nur an seinen eigenen Vorteil, und dabei wird er, wie in vielen anderen Fällen auch, von einer unsichtbaren Hand geleitet, einem Zweck zu dienen, der nicht in seiner Absicht lag. […] Indem er sein eigenes Interesse verfolgt, fördert er häufig das der Gesellschaft wirksamer, als wenn er sich tatsächlich vornimmt, es zu fördern.

Adam Smith, Untersuchung über Wesen und Ursachen des Reichtums der Völker, hg. von Erich Strasser, übers. von Monika Strasser, Tübingen 2012, S. 467

In diese eigentlich wenig bemerkenswerte Passage wurde erstaunlich viel hineininterpretiert. Es hat sich bis ins allgemeine kulturelle Wissen hinein die Meinung festgesetzt, Smith habe gezeigt oder zumindest vertreten, dass das eigennützige ökonomische Verhalten eines jeden Einzelnen für die Gesellschaft insgesamt positive Effekte hätte, auch wenn (oder sogar gerade weil) niemand diese Effekte beabsichtigt hätte, was vor allem dann gelte, wenn es keine hinderlichen Regularien gibt.

Das ist ein Missverständnis, jedenfalls aber heillos übertrieben. Smith listet etliche Beispiele für egoistisches ökonomisches Verhalten auf, das, wenn es nicht reguliert wird, gesellschaftlich schädlich ist. Es handelt sich für Smith außerdem zwar um ein verbreitetes Phänomen, nicht aber um ein ausnahmslos gültiges ökonomisches Gesetz. Ferner wäre es für Smith absolut unüblich, wenn ein so wichtiger Punkt – ein allgemeines ökonomisches Gesetz – in einer relativ esoterischen Diskussion in der Mitte dieses umfangreichen Buchs versteckt wäre. Wie das Beispiel der Arbeitsteilung in Buch I des Reichtums der Völker ebenso zeigt wie der Einstieg in die Theorie der moralischen Gefühle mit dem Konzept der Sympathie, wusste er sehr wohl, wo man die wichtigsten Ideen eines Werks zu platzieren hat, wenn man will, dass sie wahrgenommen werden. Und tatsächlich legt Smith in Buch I die Grundlagen seiner ökonomischen Theorie dar. Dazu gehört auch die Idee, dass die natürlichen Anlagen die Menschen tendenziell zu Handlungen führen, die gesellschaftlich wertvoll sind. Aber an keiner Stelle sagt er, dass dies immer so sei oder gar, dass es eine „unsichtbare Hand des Marktes“ gebe, die den Eigennutz der Menschen in gemeinnützige Bahnen lenke.

Auch in der Theorie der moralischen Gefühle verwendet Smith den Begriff der unsichtbaren Hand. Hier steht er aber für die Idee, dass ökonomische Aktivität grundsätzlich für die Reichen genauso gut sei wie für die Armen:

Von einer unsichtbaren Hand werden sie dahin geführt, beinahe die gleiche Verteilung der zum Leben notwendigen Güter zu verwirklichen, die zustande gekommen wäre, wenn die Erde zu gleichen Teilen unter alle ihre Bewohner verteilt worden wäre; und so fördern sie, ohne es zu beabsichtigen, ja ohne es zu wissen, das Interesse der Gesellschaft und gewähren die Mittel zur Vermehrung der Gattung.

Adam Smith. Theorie der ethischen Gefühle, hg. von Horst D. Brandt, übers. von Walther Eckstein, Hamburg 2010, S. 296 f.

Diese Bemerkung ist nur die Wiederholung eines Punkts, den Smith oft macht, nämlich, dass der natürliche Lauf der Dinge dazu führe, dass es in (damals) modernen Gesellschaften auch den armen Menschen gut genug gehe – besser jedenfalls, als es selbst den reicheren Menschen in früheren Gesellschaften ging. Dieser Punkt ist jedoch kompatibel mit merkantilistischen und physiokratischen Organisationsformen. Hätte Smith also tatsächlich die Idee vertreten wollen, dass unreguliertes eigennütziges ökonomisches Verhalten immer gesellschaftlich positiv sei, wäre es sehr schwer, aus seiner Argumentation für (relativ) freie Märkte und gegen Merkantilismus und Physiokratie Sinn zu machen. Schließlich ist der Punkt gerade, dass (relativ) freie Märkte zu größerem Reichtum führen. Für diejenigen, die von der „Verteilung der zum Leben notwendigen Güter“ profitieren, wäre das Ausmaß des Reichtums des Volkes aber nahezu irrelevant.

Die Idee der unsichtbaren Hand ist für Smith also keineswegs so zentral, wie gewöhnlich angenommen wird. Es scheint sich nicht mal um eine Idee zu handeln, sondern eher um eine Metapher, mit der Smith ganz verschiedene Ideen illustriert.

Smith jenseits der Moralphilosophie

Neben der Ethik, der Ökonomie, der Jurisprudenz, der Geschichte der Naturwissenschaften und der Wissenschaftstheorie hat Smith sich auch intensiv mit Ästhetik, Sprach- und Erkenntnistheorie beschäftigt.

Wie zum Recht wollte Smith auch zur Ästhetik offenbar ein Buch ausarbeiten, wozu es aber nicht mehr kam. Gedanken zur Ästhetik finden sich im gesamten Werk[1], das geplante Buch hätte neben einem Aufsatz über die Imitative Arts (Nachahmende Künste[2]) aber vermutlich vor allem auf den Lectures on Rhetoric and Belles Lettres (Vorlesungen über Rhetorik und Belletristik) basiert, von denen eine Mitschrift (von 1763) erhalten ist und die und nun als Teil der Werkausgabe verfügbar sind.[3] In diesen Vorlesungen hat Smith das in der Geschichte der Astronomie entwickelte – im Wesentlichen an Newton orientierten – Programm fortgeführt und versucht zu zeigen, wie scheinbar unerklärliche Phänomene miteinander verbunden und auf ein einziges Prinzip zurückgeführt werden können.[4]

Wie die Vorlesungen über Rhetorik und Belletristik gehen vermutlich auch die Considerations Concerning the First Formation of Languages (Überlegungen zur ursprünglichen Herausbildung von Sprachen) auf die Vorträge zurück, die Smith als junger Mann in Edinburgh gehalten hat. Diese Überlegungen wurden 1761 erstmals veröffentlicht. Heutzutage sind sie als Teil der Werkausgabe zugänglich.[5] Die Überlegungen beinhalten bereits die Idee der nichtbeabsichtigten Konsequenzen, die, wie oben erwähnt, in der Theorie der moralischen Gefühle und im Reichtum der Völker eine wichtige Rolle spielen sollten. Der philosophische Kern der Überlegungen liegt in der Behandlung einer Frage, die sich allen Empiristen stellt. Sie gehen nämlich grundsätzlich davon aus, dass alle Ideen auf Wahrnehmung beruhen, und dass man nur Konkretes wahrnehmen kann. Wenn man aber nichts Abstraktes wahrnehmen kann, wie können wir dann jemals abstrakte Ideen formulieren? Hume und George Berkeley haben die Lösung in mentalen Strukturen gesucht. Smith entwickelt eine Antwort, die auf die Funktionsweise von Sprache abstellt und die Entwicklung der Sprache von einfachen und konkreten Bezeichnungen bis hin zu abstrakten Begriffen beschreibt.

Zuletzt sei noch der Aufsatz Of the External Senses[6] (Über die äußeren Sinne) erwähnt, in welchem Smith Berkeleys Erkenntnistheorie mit naturalistischen Argumenten kritisiert. Die Kernfrage, die Smith dort verhandelt, ist diese: Welche Eindrücke bringen uns dazu, ein Objekt für extern zu halten, also anzunehmen, dass es von uns und unserem Geist unabhängig existiert? Für Smith sind dies die Eindrücke, die der Tastsinn bietet.

Smith’ Werk ist also deutlich breiter als die übliche Fixierung auf Smith als Ökonom vermuten lässt. Wichtig ist vor allem die Einsicht, dass die verschiedenen Elemente seines Werks methodologisch und inhaltlich miteinander verbunden sind. Dies gilt insbesondere für die Theorie der moralischen Gefühle und den Reichtum der Völker, aber auch für die Vorlesungen über Jurisprudenz und jene über Rhetorik und Belletristik. Das Smith-Jubiläum 2023 ist eine gute Gelegenheit, die erstaunliche Breite seines Werks neu zu entdecken.


Norbert Paulo ist Mitgründer von praefaktisch, Vertretungsprofessor für Praktische Philosophie an der Freien Universität Berlin und Co-Leiter eines Forschungsprojekts an der Universität der Bundeswehr in München. Bei Suhrkamp ist kürzlich der von ihm herausgegebene Band Adam Smith. Philosophische Schriften erschienen, auf dem dieser Beitrag basiert.


[1] Brief an William Smith vom 24. August 1740, in: Ernest Campbell Mossner, Ian Simpson Ross (Hg.), The Glasgow Edition of the Works and Correspondence of Adam Smith, Band VI: The Correspondence of Adam Smith, 2. Aufl., Oxford 1987, S. 1 [Übersetzung: N. P.].

[2] Brief an Duc de la Rochefoucauld vom 1. November 1785, in: Mossner/Ross (Hg.), The Correspondence of Adam Smith, S. 287 [Übersetzung: N. P.].

[3] Deutsche Übersetzung: Adam Smith. Philosophische Schriften, hg. von Norbert Paulo, Berlin 2023, S. 7-31.

[1] Zu einer Übersicht siehe Catherine Labio, „Adam Smith’s Aesthetics“, in: Christopher Berry u. a. (Hg.), The Oxford Handbook of Adam Smith, Oxford 2013, S. 104-125.

[2] Deutsche Übersetzung: Adam Smith. Philosophische Schriften, hg. von Norbert Paulo, Berlin 2023, S. 219-246.

[3] J. C. Bryce (Hg.), The Glasgow Edition of the Works and Correspondence of Adam Smith, Band IV: Lectures on Rhetoric and Belles Lettres, Oxford 1983, S. 1-200.

[4] Zu den Vorlesungen siehe C. Jan Swearingen, „Adam Smith On Language and Rhetoric. The Ethics of Style, Character, and Propriety“, in: Berry u. a. (Hg.), The Oxford Handbook of Adam Smith, S. 159-174.

[5] Bryce (Hg.), Lectures on Rhetoric and Belles Lettres, S. 201-226.

[6] W. P. D. Wightman (Hg.), Glasgow Edition of the Works and Correspondence of Adam Smith, Band III: Essays on Philosophical Subjects, Oxford 1980, S. 135-168.