David Hume und Adam Smith. Zur seltenen Freundschaft zweier genial begabter Menschen

Von Gerhard Streminger (Graz)


Die Freundschaft mit Hume sucht ihresgleichen in der Geschichte der Wissenschaft, der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften wie auch der Geschichte der Philosophie. Kaum jemals begegneten sich zwei Denker allerersten Ranges derart freundschaftlich auf Augenhöhe, bei aller Konkurrenz und Differenz der theoretischen Ansätze und Anschauungen.

Heinz D. Kurz und Richard Sturn

David Hume und Adam Smith, die beiden Fixsterne am Himmel der Aufklärung und des Humanismus, hatten vieles gemeinsam: Beide entstammten alten schottischen Familien; beide Väter waren Rechtsanwälte; beide wuchsen praktisch vaterlos auf, denn Davids Vater starb, als sein zweiter Sohn etwa zwei Jahre alt war, und Adams Vater starb noch vor der Geburt seines ebenfalls zweiten Sohns; beide Kinder wurden in Großfamilien mit einer tiefreligiösen Mutter groß.

Aber neben dem Gemeinsamen gab es auch viele Unterschiede: Während Smith in einer kleinen, sehr lebendigen Handelsstadt aufwuchs, lebte Hume im Sommer auf einem verschlafenen Gut im Süden Schottlands und in den Wintermonaten im kulturell reichen und kosmopolitisch gesinnten Edinburgh; während Hume in der Hauptstadt Jura studierte, ging Smith im damals noch eher provinziellen Glasgow zur Universität, fand dort jedoch in der Person des Philosophen Francis Hutcheson einen besonders anregenden Lehrer, nachdem er bereits zuvor in Kirkcaldy in der Grundschule von einem ausgezeichneten Lehrer unterrichtet worden war; Hume hingegen fand nie einen hervorragenden Lehrer und ihm blieb auch das reiche Feld der Bildung und Erziehung Jugendlicher fremd. Smith jedoch wurde als Universitätslehrer ein begnadeter Pädagoge, der nicht nur große Energien in die Erlangung von Wissen, sondern auch in dessen Vermittlung steckte. Zu guter Letzt war Hume wesentlich religionskritischer als Smith, weshalb seine Bewerbungen um einen Lehrstuhl für Philosophie an den Universitäten Edinburgh und Glasgow scheiterten. Smith hingegen wurde mit 28 Jahren Professor für Logik in Glasgow, ein Jahr später für Moralphilosophie, obwohl er noch nichts Wesentliches veröffentlicht hatte, allerdings auf äußerst erfolgreiche Vorlesungszyklen in Edinburgh verweisen konnte. Hume hatte seinen Bewerbungsunterlagen u.a. seinen Treatise of Human Nature beifügen können, jenes Buch, das heute gemeinhin als das wichtigste Zeugnis der englischsprachigen Philosophie gilt. Aber gegen die vorherrschende calvinistische Orthodoxie konnten er und seine Unterstützer sich nicht durchsetzen.

Neben dem Traktat über die menschliche Natur, den Smith während der Studentenjahre in Oxford im Selbststudium durchgearbeitet hatte, übten zwei weitere Hume‘sche Arbeiten auf ihn einen nachhaltigen Einfluss aus und bestimmten maßgeblich seine intellektuelle Entwicklung: Die 1751 veröffentliche Enquiry concerning the Principles of Morals sowie die im darauffolgenden Jahr publizierten Political Discourses.

In derUntersuchung über die Prinzipien der Moral, Humes Lieblingswerk, entwickelte er – im Anschluss an Hutcheson, der allgemein als der Vater der schottischen Aufklärung gilt – seine Gefühlsethik. Hume zufolge sind es letztlich Empfindungen, mit deren Hilfe wir Werte, also das moralisch Gute und das ästhetisch Schöne wahrnehmen. Der Verstand vermag zwar in Verbindung mit Erfahrung und Experiment grundsätzlich Wahres und Falsches zu erkennen, nicht jedoch Richtiges oder Unrichtiges, Schönes und Hässliches. Dafür sind spezielle Gefühle zuständig. Aber um diese aus dem Chaos an Empfindungen freizulegen, bedarf es des Verstandes. Denn erst durch logisch-diskursives Denken, mit dessen Hilfe wir nach Erklärungen suchen und auf mögliche Konsequenzen schließen, sowie mit Hilfe der Einbildungskraft, die uns in die Lage anderer versetzt und so verstehen lässt, gelangen jene spezifischen Gefühle an die Oberfläche. Verstandesleistungen sind also nötig, aber nicht hinreichend, um das Gute und Schöne zu erfassen, denn unser Wertebewusstsein ist kein rein rationales Wissen.

Diese Überlegungen baut Smith in seiner 1759 veröffentlichten Theory of Moral Sentiments weiter aus, wobei seine Reflexionen um einiges subtiler als diejenigen Humes sind. Neu bzw. wesentlich deutlicher ist seine Betonung der Notwendigkeit einer Perspektive der Unparteilichkeit im Prozess des Erkennens moralischer Werte. Dieses Beharren auf ein zusätzliches kognitives Bemühen – „Gut ist, was dem Unparteiischen Betrachter, dem guten Richter gefällt“ – übte auf Immanuel Kant einen enormen Einfluss aus, der Smith seinen „Liebling“ genannt haben soll.

Eine dritte wichtige Quelle, aus der Smith zahlreiche Hume‘sche Anregungen schöpfte, waren die 1752 veröffentlichten Politischen Diskurse. Hume entwickelt darin die Grundgedanken der klassischen Ökonomie, wobei etwa sein Plädoyer für freien Handel eine Eloquenz erreicht, die Smiths diesbezügliche Erörterungen übertrifft. Die vielen Gedankenfäden, die dieser aus Humes Diskursen zur Ökonomie und aus vielen anderen Quellen bezog, verdichtete er zum Wealth of Nations, dem großen Lehrbuch, dem Quelltext der Wirtschaftswissenschaft.

Smiths methodisches Vorgehen lässt sich am besten so charakterisieren: Sein Forschergeist war mit Beobachtungen, die er selbst gemacht oder von anderen übernommen hatte, überreich gefüllt. Wie ein geistiger Schwamm nahm er eine Fülle solcher Fakten in sich auf und errichtete darauf seine epochalen Theorien. Zur Illustration möge die berühmte unsichtbare Hand des Marktes dienen, der mit Abstand bekannteste Teil seiner Philosophie. Die Idee, dass die nicht-intendierten Folgen menschlichen Handelns oft anders sind als die Absichten der Menschen, stammt nicht von Smith, auch nicht von Hume, sondern vom niederländischen Arzt Bernard Mandeville. Der Untertitel seiner berühmten Fable of the Bees lautet: Private Vice, public Benefits, also Private Laster, öffentliche Wohltaten.

Im Wohlstand der Nationen, einem der einflussreichsten Bücher, die je geschrieben wurden, entwickelt Smith nun eine Theorie des Marktes und fragt sich, ob und welche positiven oder negativen Konsequenten sich aus dem Marktgeschehen ergeben. So beeinflusste seiner Meinung nach die unsichtbare Hand des Marktes in ganz entscheidender positiver Weise die Entwicklung Europas: Aus einem Zustand feudaler Despotie kam es Jahrhunderte später, nach vielen Hungersnöten und kriegerischer Auseinandersetzungen, zu größerer Freiheit, Sicherheit, Ordnung und guter Verwaltung. Diese demokratischeren Verhältnisse, basierend auf Gewaltenteilung, sind für den Aufklärer Smith der bestmögliche politische Zustand einer Gesellschaft. Da kein Mensch ihn beabsichtigt hatte, muss er das Werk der unsichtbare Hand des Marktes gewesen sein.

Aber der Markt zeitigt nicht immer solche Folgen, die besser sind als menschliche Intentionen. Smith beobachtet, dass die Arbeitsteilung, wodurch die Produktivität um das Hundertfache gesteigert werden konnte, wesentlich zur geistigen Verkümmerung der Arbeitenden führt. Daraus schloss er, dass es Aufgabe des Staates sei, durch Bildung in umfassendem Sinn die negativen Folgen der Arbeitsteilung zu mildern und damit die Teilhabe am demokratischen Entscheidungsprozess zu ermöglichen. Smith sah also mit großer Deutlichkeit die gesellschaftlich negativen Folgen der Arbeitsteilung. Heute sind es darüber hinaus ökologische Probleme, die eine nicht-intendierte Folge menschlichen Handelns sind. Niemand wollte die Ozonschicht zerstören oder das Klima wandeln, und doch ist es geschehen. In diesen Fällen griff die unsichtbare Hand des Marktes fürchterlich daneben.

Fazit: Auf einer Anregung von anderen baute Smith bezüglich der unsichtbaren Hand des Marktes ein Theoriengebäude, in dem gezeigt wird, welche positiven und negativen Folgen für die Gesellschaft die Einführung des Marktes haben kann.

Hume und Smith hatten einander wahrscheinlich im Jahre 1749 persönlich kennengelernt, als jener Vorträge von Smith in Edinburgh besuchte. Im Lauf der Jahre war ihre Freundschaft gereift. Aus dem ersten uns erhalten gebliebenen Brief Humes an Smith vom 24. September 1752 geht eindeutig hervor, dass sie einander schon längere Zeit persönlich gekannt und über Humes Plan, eine Geschichte Englands zu schreiben, diskutiert hatten. Dieser Brief beginnt noch mit dem förmlichen „Dear Sir“, jener vom 26. Mai 1753, einige Monate später, endet bereits mit dem herzlichen „Your affectionate friend“. Smith war Humes bester Schüler, nun wurde er auch noch sein bester Freund.

Bezüglich ethischer, ökonomischer und methodischer Fragen gab es zwischen beiden keine grundsätzliche Meinungsverschiedenheit. Hume und Smith teilten die Überzeugung, dass die Lösung der Probleme, etwa die Frage nach einer guten Regierung, nach Reichtum und Wohlstand von Nationen oder nach individuellem Glück nur durch eine genaue Kenntnis der menschlichen Natur möglich sei, frei von den Fesseln kirchlicher und religiöser Dogmen. Eine solche erfahrungsbasierte Wissenschaft vom Menschen galt als Schlüssel zu aufgeklärtem Denken und Dasein. So wie Isaac Newton, von Beobachtungen und Experimenten ausgehend, auf dieser Basis eine Naturphilosophie begründet hatte, sollte dies nun auch für die moral sciences, die Human- und Geisteswissenschaft geschehen. In den von Hume so sehr geschätzten „ruhigen und friedlichen Festen der Vernunft unter Freunden“ wurden diese Fragen erörtert. Derartige Zusammenkünfte der schottischen Aufklärer, zumeist in Pubs, endeten üblicherweise in gegenseitigem Einverständnis, nicht so, wenn religiöse Fragen zur Debatte gestanden waren.

Zwar lehnten alle jede Form religiösen Fundamentalismus ab, wandten sich vehement gegen die Vorstellung, dass die menschliche Natur verderbt und nur durch die Gnade Gottes zur Moralität fähig sei. Hume und Smith erdachten sich sogar alternative Ethiken, in denen nicht mehr Gott, sondern die positive Menschennatur, Mitgefühl und Empathie die zentrale Rolle spielen. Aber Hume ist wohl zur kleinen Fraktion der Atheisten zu zählen. Zwar leugnete er die Existenz Gottes nicht rundweg – wie Denis Diderot oder Thiry d´Holbach dies taten –, aber er war überzeugt, dass alle Versuche, Gottes Existenz und Eigenschaften zu beweisen, kläglich gescheitert sind.

Smith war hingegen Deist, also Anhänger jener konfessionsfreien, aufgeklärten Form von Religiosität, die zwischen der neu entstandenen Wissenschaft und der alten Religion vermitteln wollte, und der alle schottischen Aufklärer außer Hume nahestanden. Newton hatte gezeigt, dass mit der Annahme einer Anziehung der Massen sowohl das Fallen eines Apfels als auch die Bewegungen der Planeten erklärt werden könne. Es herrsche also im Universum Ordnung, wodurch Leben ermöglicht wurde. Aus dieser Idee schlossen die Deisten auf die Existenz eines gütigen Schöpfers, der der Natur seine weisen Pläne vorschrieb.

Hume blieb skeptisch. Seiner Meinung nach lässt die Weltordnung, in der es auch Tod, Krankheit, Leid, Erdbeben, Einschläge von Kometen – so groß wie der Himalaya – Ungerechtigkeit und Krieg gibt, auf keinen gütigen Gott, eher auf einen bösen, herzlosen Demiurgen schließen. In seinen Dialogues concerning Natural Religion, vielleicht DAS Meisterstück der Aufklärung, arbeitet Hume seine Kritik am Deismus detailliert aus. Ob der Brisanz des Inhalts ließ er sich von seinen Freunden überzeugen, diese religionskritische Arbeit zu Lebzeiten nicht zu veröffentlichen. Aber Hume wollte unbedingt die posthume Ausgabe sicherstellen und ersuchte Freund Smith wiederholt, ihm diesen letzten Wunsch zu erfüllen. Aber dieser winkte ab, auch noch am Sterbebett Humes.

Dieses höchst unerwartete Verhalten wird ein wenig verständlicher vor dem Hintergrund eines aufwühlenden Satzes, der sich in der letzten Auflage seiner Theorie der ethischen Gefühle findet. Smith schreibt dort, dass die Vorstellung eines vaterlosen Kosmos von allen die „trübsinnigste und fürchterlichste“ sei. Der vaterlos groß gewordene Smith wollte sich – wohl ähnlich Kant – keinesfalls den Restglauben nehmen lassen, demzufolge der Kosmos das geplante Werk einer gütigen Gottheit und damit nicht bloß Zufall sei.

Die Freundschaft zwischen David Hume und Adam Smith war, zusammengefasst, intellektuell äußerst fruchtbar. Ohne die ökonomischen und ethischen Anregungen des um 12 Jahre Älteren läse sich der Wohlstand der Nationen gewiss anders oder wäre vielleicht überhaupt nie geschrieben worden. In diesem Meisterwerk nennt Smith seinen Freund „den bei weitem berühmtesten Philosophen und Historiker unserer Zeit“. Und auch wenn er hinsichtlich Religion anderer Meinung war, sah Smith in Hume jene Ideale verkörpert, die er in seiner Ethik propagiert hatte. !777 veröffentlichte Smith sein Epitaph auf Hume und meinte im Schlusssatz, dass er ihn immer als denjenigen erachtet habe, der „dem Ideal eines vollkommen weisen und moralischen Menschen so nahekam, wie es die Schwäche der menschlichen Natur vielleicht überhaupt erlaubt“. Für diese Heiligsprechung des Großen Ungläubigen erntete Smith wüste Beschimpfungen und den Vorwurf moralischer Defizite. Doch die Geschichte hat recht gesprochen: Die beiden großen Denker aus dem kleinen Schottland sind Mitbegründer der Moderne, und es gibt keinen Philosophen vom Rang Humes, der auch ein so großer Historiker war, und es gibt keinen Ökonomen vom Rang Smiths, der ein so bedeutendes Werk zur Ethik veröffentlicht hat.


Prof. Dr. Gerhard Streminger, Universität Graz.


Literatur:

Rasmussen, Dennis C.: The Infidel and the Professor: David Hume, Adam Smith, and the Friendship that Shaped Modern Thought. Princeton 2017.

Streminger, G.: Adam Smith. Wohlstand und Moral. München 2017 (Kurzfassung: Rowohlt e-book 2022)

Streminger, G.:  David Hume. Der Philosoph und sein Zeitalter. München 2017 (2. Auflage)