
Hegels Familientheorie
Von Karen Koch (Basel) & Ana Maria Miranda Mora (Utrecht)
Hegel ist einer der Philosoph:innen, die sich ausdrücklich mit der Struktur der Familie im Rahmen einer Sozial- und Rechtsphilosophie auseinandersetzen. Ihn zeichnet es aus, dass er Familie als Institution denkt, die in einer Theorie der sozialen Verhältnisse nicht fehlen darf; die dort ihren philosophisch begründeten Platz findet. Die Familie ist die kleinste soziale Einheit, die vor allem die Ausbildung der Individualität ihrer Mitglieder fördert.
Zugleich gehen in Hegels Familienkonzeption Stereotype seiner Zeit ein, die zwar im verschiedenen Maße, aber dennoch leider auch immer noch unsere Stereotype sind und die Hegel nicht nur einfach nebenbei, gleichsam zufällig in seine Sozialphilosophie platziert, sondern die er philosophisch zu fundieren sucht. Nicht nur besteht Familie bei Hegel definitorisch aus einem heterosexuellen Paar mit Kinder(n), sondern auch weist er in seiner Konzeption der Familie der Frau den Platz am Herd zu. Er versteht die Familie als eine Person, als ein Kollektiv, dem als solches Rechte zukommen, das familiäre Leben selbst bleibt aber privat und Oberhaupt des Kollektivs ist der Mann. Die Familie hat eine patriarchale Struktur.
Damit ist Hegels Theorie der Familie eines der Elemente seiner Philosophie, an denen systematisch orientierte Philosoph:innen mit Hegel gegen Hegel über ihn hinaus denken müssen. Einerseits knüpfen sie an Gedanken an, wie etwa an denjenigen, dass das Nachdenken über die Familie seinen eigenen philosophischen Platz hat. Oder an denjenigen, dass der Familie als solcher Rechte eingeräumt werden müssen. Andererseits jedoch sollten dabei Stereotype nicht perpetuiert werden sowie der Familie nicht nur als solcher Rechte zugesprochen werden sollten, sondern auch ihren einzelnen Mitgliedern.
Nun können wir uns fragen, warum wir uns eigentlich überhaupt an Hegel wenden sollten, wenn wir darüber nachdenken wollen, was es mit der Familie heute auf sich hat. Ganz gemäß der von praefaktisch geschriebenen kurzen Einführung zu diesem Themenbereich ist die Rückfrage zu stellen, ob sich das Konzept der Familie nicht stetig ändert und derzeit gar einem so großen Wandel – wie aus den Beiträgen von Sabine Hohl, Johanna Rensing und Angelika Walser ersichtlich wird – unterlegen ist, dass absolut unklar ist, was jemand wie Hegel, der vor mehr als 250 Jahren das Licht der Welt erblickte, noch dazu beizutragen hätte. Wir müssen uns nicht an Hegel wenden, wenn wir eine Theorie der Familie, die den gegenwärtigen Wandel aufnimmt, ausarbeiten wollen. Dennoch ist es vielleicht gerade dieser gegenwärtige Wandel, aufgrund dessen sich auch immer mehr (Hegel-)Forscher:innen seiner Familienkonzeption, die lange Zeit wenig berücksichtigt worden ist, zuwenden. Denn mit diesem Wandel gehen Fragen nach dem normativen Gehalt von Familie sowie nach ihrem sozial-politischen Status einher. Sind Familienstrukturen normativ wünschenswerte Strukturen? Sollten Sie aufrechterhalten werden? Wenn ja, aus welchen Gründen? Welcher rechtliche Status darf und soll der Familie innerhalb politischer Strukturen zukommen? Hier schließt sich nicht zuletzt auch die Frage nach dem Verhältnis von Familie und Ehe an.
Ein Blick in die Philosophiegeschichte hilft dabei, wenn wir wissen wollen, auf welchen normativen Ideen westliche Familienkonzepte eigentlich aufbauen und was diese normativen Ideen letztlich implizieren. Dieser Blick hilft dann letztlich zu verstehen, welche normativen Ideen uns heute noch tangieren. So tragen wir einige der normativen Ideen, die Hegel mitgetragen hat, auch heute noch aus.
Was also hat Hegel zur Familie zu sagen? Im Folgenden werden wir vier Aspekte von Hegels Familienkonzeption vorstellen, die diese zwar nicht erschöpfen, aber uns doch als die relevantesten Punkte in der feministisch-philosophischen Auseinandersetzung mit dieser Konzeption erscheinen.
Individualität und Kollektivität
Die Familie umfasst die eheliche Bindung sowie ihre mögliche Auflösung, die Erziehung und Bildung der Kinder und das Eigentum. Sie fördert Hegel zufolge die individuelle Freiheit innerhalb einer definierten sozialen Struktur (PR §153)[1] und bildet das Umfeld, in dem sich die Individuen erhalten und als Individuen entwickeln können. Als solches stellt die Familie eine kollektive Identität dar, die über die Bedürfnisse des Einzelnen hinausgeht, in der die Individualität des Einzelnen zwar einerseits innerhalb der Familie gefördert wird, aber andererseits auch mit seiner Rolle im Haushalt, in der kollektiven Identität, die die Familie ist, verbunden ist. Die Familie ist so das erste Austarieren, individueller Bedürfnisse und Wünsche der Familienmitglieder mit den Zielen der Familie als kollektiver Einheit (das zweite Austarieren besteht für Hegel zwischen den Wünschen und Zielen der Familie als kollektiver Einheit und anderen Familien innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft).
Die Familie ist als Bereich des Zusammenlebens und der Zusammenarbeit durch die Bande der Liebe konstituiert und steht als dieser Bereich im Gegensatz zum ökonomischen Wettbewerb und politischen Konflikten in der Zivilgesellschaft und im Staat. Als Ausgangspunkt der Familie gilt Hegel die Ehe. Hegel vertritt die Auffassung, dass die Liebesbeziehung zwischen den Ehepartner:innen ein bedeutendes Band und Engagement schafft, das es den Einzelnen ermöglicht, gemeinsam eine neue rechtliche und ethische Identität zu schaffen, die durch den Ehevertrag besiegelt ist. Durch diesen verwandelt sich die Verbindung von zwei voneinander unabhängigen Individuen in eine rechtlich abgesicherte kollektive Einheit mit gemeinsamen Lebenszielen, Kindern, Vermögen und Eigentum. Als solche bedarf aber die Liebesbeziehung zu ihrer eigenen sozial-rechtlichen Absicherung und somit Stabilisierung, sozial-rechtlicher Praktiken und Institutionen wie den Ehevertrag, die Hochzeitszeremonie, die Nachkommenschaft, das Eigentum und das Vermögen.
Mit dem Verweis auf die Liebesbeziehung als notwendiges Moment der Ehe bringt Hegel die These zum Ausdruck, dass soziale Institutionen, die aus Verträgen hervorgehen, nur dann die Freiheit einzelner verwirklichen können, wenn die Beteiligten nicht nur juristisch verpflichtet sind, sondern auch ethisch, d.i. durch Liebe geschaffene Anerkennungsstrukturen des:der jeweilige:n anderen (PR §161) . So betrachtet er die Ehe als mehr als einen nur rechtlichen Vertrag zwischen Individuen (PR § 163, 146). Sie schafft vielmehr subjektive (durch Leidenschaften und persönliche Wünsche) und objektive Bindungen (durch soziale und rechtliche Institutionen), modern gesprochen Fürsorgestrukturen, die nur dann aufrechterhalten und vertieft werden können, wenn sich die Ehepartner:innen (und Kinder) als mehr als nur juristische Personen betrachten (siehe dazu auch den nächsten Abschnitt). In der Ehe beispielsweise geben beide Partner:innen bewusst ihre Unabhängigkeit auf und entscheiden sich stattdessen dazu, ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse in einen gemeinsamen Kontext, in ein gemeinsames Projekt zu stellen, durch den sie erfüllt bzw. befriedigt werden sollen (PR § 163). Der Familie als Kollektiv werden dabei Rechte zugesprochen, wobei sich Hegel zufolge dann aber die Strukturen innerhalb der Familie als ein privater, rechtsfreier Raum darstellen.
Die Familie geht damit über ihre einzelnen Mitglieder hinaus. Sie ist nicht auf ihre einzelnen Mitglieder zu reduzieren, sondern ist als solche, eine kollektive Einheit, der wiederum eine eigene rechtliche und politische Identität und Individualität zukommt, die durch die Familienmitglieder in einem bestimmten Zeitraum gestaltet wird. Familienmitglieder etwa verwalten und optimieren die gemeinsamen Ressourcen, so dass die Familie als eigenständiger Akteur– vertreten durch den Mann – an der Zivilgesellschaft teilzunehmen vermag. Sie ist dadurch in der Lage, Güter und Dienstleistungen auszutauschen und im Staat umfassende politische Rechte und Pflichten zu genießen. Eheliche und elterliche Beziehungen stellen damit die erste Erfahrung dar, gemeinsam mit anderen auf gemeinsame Ziele hinzuarbeiten, die nicht nur zum Selbsterhalt, sondern auch zur individuellen Selbstentwicklung beitragen.
So plausibel es einerseits ist, individuelle Selbstentwicklung an kollektive Projektrealisierungen zu koppeln und Fürsorgestrukturen rechtlich abzusichern, so fraglich ist es aus systematischer Perspektive jedoch, ob es dafür die traditionelle Familie braucht. Warum könnten Freundschaften nicht etwa dasselbe leisten? Für Hegel scheint die Antwort klar: Um Fürsorgestrukturen im vollen Sinne zu etablieren, braucht es rechtliche Absicherungen. Die Familie erhält ihren rechtlichen Status aber erst durch die Ehe, durch den Entschluss zweier Subjekte, hier Mann und Frau, eine Person auszumachen, der dann Rechte zugesprochen werden. Es ist daher nach Hegel eine „sittliche Pflicht […] in den Stand der Ehe zu treten“ (PR § 162).
Und so plausibel es einerseits ist, Familie als Kollektiv zu denken, der als dieses Kollektiv Rechte zugesprochen werden müssen, so gefährlich ist es andererseits sie nur als Kollektiv zu denken und Strukturen innerhalb der Familie als rein privat zu verstehen (siehe dazu auch den praefaktisch Beitrag von Sabine Hohl).
Begierde, Sex und Liebe
Wie im letzten Abschnitt hervorgehoben, spielen Liebesbeziehungen für Hegels Familienkonzeption eine wesentliche Rolle. Hegels Theorie der Liebe, innerhalb derer die Partner:innen in einem Liebesverhältnis zueinander stehen, beinhaltet als wesentliches Moment die Begierde- und Gefühlskomponente. Nicht allein der Sexualtrieb, sondern emotionale Bindung generell bildet ein Moment ehelicher Bindung – beides muss Hegel zufolge aber nicht unbedingt die Ehe initiieren, sondern kann auch nach dem Eingang der ehelichen Bindung entstehen. Jedoch besteht Hegels Konzeption der Liebe und damit auch das der Ehe aus mehr als nur sexuell-emotionaler Bindung. Anders gesagt: Das, was Hegel unter Liebe versteht, beschränkt sich nicht allein auf die sexuell-emotionale Bindung. Denn diese kann zum einen durch ihren Zufälligkeitscharakter die eheliche Bindung nicht stabilisieren. Zum anderen werden die Beziehungen zwischen den Ehepartner:innen vereinfacht, wenn sie auf physisches Vergnügen reduziert werden. Anders gesagt: Ebenso wenig wie die Ehe auf einen juristischen Vertrag reduziert werden kann, kann sie darauf reduziert werden, dass dieser nur zustande kommt, weil zwei Menschen sich physisch vergnügen wollen. Die Bildung von ehelichen Partnerschaften ist daher vom bloßen Paarungstrieb zu unterscheiden (PR §19). Der Hauptunterschied zwischen Ehe und Konkubinat liegt daher in den Beweggründen: Das Konkubinat befriedigt natürliche Begierden, während mit der Ehe zwar auch natürliche Bedürfnisse befriedigt werden, aber durch die Transformation eigener Ziele in gemeinsame Ziele vor allem eine neue Identität geschaffen wird (PR §163Z).
Liebe bedeutet für Hegel die Anerkennung der einzigartigen Individualität des Menschen, der geliebt wird, und der Beziehung, die mit ihm eingegangen wird. Sie spiegelt den „Sinn des Geistes für seine eigene Einheit“ (PR §158) wider und enthält eine affektive und kognitive Dimension. Die kognitive Dimension nun ist für die Entwicklung des Selbstbewusstseins von entscheidender Bedeutung. Sie ermöglicht Selbsterkenntnis durch das Verstehen des oder der anderen, während der:die andere zugleich seine:ihre Verbindung mit dem:derselben anerkennt. Der ethische Aspekt der Liebe stellt Liebesbeziehungen also in einen kognitiven Prozess zur Förderung des Selbst- als auch des kollektiven Wissens dar. Durch Liebesbeziehungen werden zwar wechselseitige Abhängigkeiten geschaffen, diese sind jedoch konstitutiv für die eigene individuelle Entwicklung. Durch diese Einsicht ist deutlich, dass erstere als integraler Bestandteil der eigenen Selbstentwicklung gepflegt werden müssen. Liebe bezieht sich auch immer auf das verbindende Moment zwischen Personen. Daher fördern Liebesbeziehungen nicht nur die Selbstentwicklung, sondern auch das Verständnis der Irreduzibilität kollektiver Bindungen.
Für Hegel verwirklicht also die rechtlich-sittliche und selbstbewusste Liebe Freiheit nur insofern, als die liebende Beziehung eine Einheit erreicht, die die Willkür der unmittelbaren Befriedigung ihrer körperlichen Triebe und Begierden füreinander überwindet, den kontingenten Moment der verliebten Leidenschaft in eine dauerhafte Bindung und Verkörperung in den Kindern überführt, und die Leere und Abstraktion des bloßen rechtlichen Einverständnisses mit einer ethisch begründeten und selbstbewussten Bindung ausfüllt. Hegel versteht Liebe so nicht als ein rein affektives Geschehen, sondern ganz im Gegenteil als ein kognitives, insofern sie notwendiges Konstituens der eigenen Selbstverwirklichung ist.
Affektgeladene sexuelle Triebe können also zwar ein erstes Moment sein, das zur rechtlich-sittlichenLiebesbeziehung führt, sie begründen diese jedoch nicht. Insofern sexuelle Triebe bindenden Charakter haben, können sie der Ermöglichungsgrund für die individuelle Selbstverwirklichung, die wiederum nur innerhalb kollektiver Strukturen möglich ist, sein. Andererseits betont Hegel aber die Zufälligkeit und Willkür solcher Triebe, die allein kollektive Strukturen nicht stabilisieren können. Auch hier drängt sich die Frage auf, inwiefern nicht auch Freundschaften solche kollektiven Strukturen ermöglichen können, die zur eigenen Selbstverwirklichung beitragen. Ja, es lässt sich gar fragen, ob sie dieses nicht eigentlich sogar besser können, insofern die Zufälligkeit und Willkür sexueller Triebe, die eben nicht zur Stabilität kollektiver Beziehungen beitragen hier keine so große Rolle spielt (damit möchten wir nicht sagen, dass Freundschaften nicht auch auf affektiven Beziehungen beruhen). Wäre es dann aber nicht sogar plausibler, Familie auf freundschaftlichen Beziehungen zu gründen?
Natürliche und soziale Reproduktion: Geschlechtliche Arbeitsteilung
Nun kommen wir an Hegels Familienkonzeption nicht vorbei, ohne nicht auf die Strukturen geschlechtlicher Arbeitsteilung hinzuweisen, die Hegel in seiner Konzeption etabliert. Denn mit ihnen reproduziert Hegel nicht nur einfach Stereotype (nicht allein) seiner Zeit über den sozialen Status von Männern und Frauen, sondern er sucht sie philosophisch zu begründen. Gehen wir zunächst auf die Stereotype selbst ein.
Hegel schreibt Frauen ihren alleinigen Platz im Haushalt und in der Fürsorgearbeit zu, während Männer ihren Platz generell in der Öffentlichkeit, etwa im Staatswesen und in der Wissenschaft haben (PR §166). Mit der Begründung dieser Zuschreibungen gehen nun Stereotype einher, die die Frau als das Verhältnis nach innen verkörpernd, passiv und emotional, den Mann als das Verhältnis nach außen verkörpernd, vermögend und aktiv beschreiben. Mann und Frau werden hier auf bestimmte Rollen festgelegt, die jeweils auf ein Aufgabenbereich eingeschränkt sind.
Nicht nur wird hier debattiert, wie sich diese Aussagen zu Hegels These über die Selbstverwirklichung der Individuen und zu seiner Theorie der Liebe generell verhält, sondern auch woher diese Zuschreibungen eigentlich stammen. Klar ist, dass Hegel diese Stereotype durch sein Einweben in sein philosophisches System auch philosophisch zu begründen sucht. Unklar ist dabei aber erstens, ob diese Begründungen innerhalb seines Systems eigentlich plausibel sind, und zweitens wo sie ihren philosophischen Ort haben. So bezieht sich Hegel in den entsprechenden Paragrafen seiner Rechtsphilosophie auf seine Naturphilosophie, in der ebenfalls der Mann als in einem Verhältnis nach außen stehend und aktiv und die Frau als „unentwickelte Einheit“, insofern sie nicht zu einem Verhältnis nach außen kommt, und passiv beschrieben wird (Enz §369Z)[2]. Einmal abgesehen davon, dass die naturphilosophische Begründung dieser Zuschreibungen selbst höchst zweifelhaft ist, lässt sich ein direktes Argument von seiner Naturphilosophie zu seiner Rechtsphilosophie nicht ziehen. Aus Hegels naturphilosophischen Thesen lässt sich nichts direkt für die Rechtsphilosophie herleiten. Anders gesagt: Seine naturphilosophischen Thesen sind nicht normativ begründend für die Rechtsphilosophie. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie in gar keinem Verhältnis zueinanderstehen. Es ist ja Hegel selbst, der diesen Bezug dennoch herstellt.
Diese Problematik zeigt, dass vor diesem Hintergrund grundsätzliche Fragen aufgeworfen werden müssen, wie die nach dem Verhältnis von Geist und Natur bei Hegel und die nach den Schlüsselbegriffen- und Thesen, die diese Stereotype tragen sollen. Die Identifizierung von Schlüsselkonzepten und -argumenten, die diese Vorurteile und Ideen stützen, ist für Philosoph:innen heute von entscheidender Bedeutung, da diese immer noch weit verbreitet sind und wichtige Auswirkungen in Bezug auf soziale und politische Ungleichheit und Herrschaft haben. Denn es handelt sich um Ideen, die auch heute noch vorherrschend sind. Ein Beispiel dafür ist, dass Pflegearbeit immer noch vor allem von Frauen verübt wird und dieser einen geringen Wert beigemessen wird. Hegel war sicherlich – als klassischer Philosoph, der zum Kanon der Philosophie gehört – eine entscheidende Figur, die diesen Stereotypen eine mehr als nur kontingente Bedeutung verlieh und somit dazu beitrug, eine spezifische Bedeutung zentraler Begriffe im Zusammenhang mit diesen drängenden Fragen zu etablieren.
Heute ist klar, dass viele Aspekte von Hegels Familientheorie und die in ihr stattfindende geschlechtliche Arbeitsteilung politisch aufgeladen und gesellschaftlich regressiv sind. Für feministisch orientiere Philosoph:innen ist es aber zum einen unerlässlich, auf historischer Ebene zu klären, wie diese Konzepte innerhalb der Hegelschen Philosophie zu verstehen sind und welche Rolle sie in Hegels theoretischem Rahmen spielen. Darüber hinaus ist es unabdingbar, die Faktoren zu identifizieren, die zu Hegels patriarchalen Ansichten beitragen, und zu klären, ob diese Faktoren nicht nur aus heutiger Sicht regressiv sind, sondern vielleicht auch innerhalb von Hegels Theorie Probleme aufwerfen, deren Lösung dazu beitragen würde, einen progressiveren Hegel zu denken.
Karen Koch ist Assistentin (PostDoc) an der Philosophisch-Historischen Fakultät Basel.
Ana Maria Miranda Mora is Juniorprofessorin (Assistant Professor) für Gender- und postkoloniale Studien an der Universität Utrecht.
[1] G. W.F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1986.
[2] G. W.F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. Zweiter Teil: Die Naturphilosophie. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1986. (Z=Zusatz).