21 Sep

Hegel und die Notwendigkeit des Zufalls

Würfel am Tisch

Von Achim Wamßler (Berlin)


Wer die gemeine Hegelianerin fragt, was das Erste ist, was ihr zum Zufall bei Hegel einfällt, wird wohl in den allermeisten Fällen hören: Hegels Rede von der Notwendigkeit des Zufalls. Doch abgesehen von der Griffigkeit dieser Wendung, mit der Hegel andeutet, dass er ein durchaus guter Twitternutzer gewesen wäre, ist es alles andere als klar, was er damit eigentlich meint. Das Ziel dieses Beitrags ist, eine Antwort auf diese Frage zu geben. Dafür möchte ich zuerst drei Formen von Zufall definieren, um ein Vorverständnis für das Thema zu gewinnen. Zweitens möchte ich zeigen, dass sich Hegel mit der spezifischen Art des Zufalls, die bei dem Ausdruck »Notwendigkeit des Zufalls« zentral ist, Probleme hinsichtlich Letztbegründungsfragen der Welt einhandelt, die alles andere als einfach zu beantworten sind. Und schließlich werde ich erläutern, wie Hegel diese Probleme aus dem Weg zu schaffen glaubt, womit sich dann auch zeigt, was Hegel meint, wenn er von der Notwendigkeit des Zufalls spricht.

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07 Sep

Neuer Wein in alten Schläuchen?! Philosophische Rassismuskritik zwischen Akademisierung und Katalyse

von Peggy H. Breitenstein (Jena)

Bei Betrachtung der jüngsten deutschsprachigen Debatten um das rassistische und kolonialistische Erbe der Philosophie zeigen sich aufschlussreiche Tendenzen. Einige von ihnen erinnern an vergangene Zeiten, in denen dieses Thema auch bereits kürzere Konjunkturen erlebte, bevor es dann wieder erfolgreich verdrängt oder vergessen wurde. Doch diesmal scheinen sich auch Entwicklungen anzubahnen, die wirklich neuartig sind, und manche könnten Gärstoff enthalten, der alte Schläuche zum Bersten bringt.

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03 Feb

»Denken dichten. Philosophische Poetologien jüngerer und ältester Gegenwart« – Ein Vorwort

Von Florian Arnold (Stuttgart und Offenbach)


Lyrik genießt derzeit freudigen Zuspruch. Eine rege Szene, insbesondere im deutschsprachigen Raum, ist in den letzten zehn-fünfzehn Jahren durch weithin beachtete Veröffentlichungen, gutbesuchte Lesungen, aber auch poetologische-programmatische Reflexionen einem größeren Publikum bekannt geworden. Darunter finden sich Bestseller von einem späteren Büchner-Preisträger (Jan Wagners Regentonnenvariationen von 2014), experimentierfreudige Produktions- und Lebensgemeinschaften (kookbooks), aber auch parauniversitäre Forschungsprojekte (Spekulative Poetik) auf der Grenze zwischen Wissenschaft und Kunst. So fehlt es weder an euphorischen Suggestionen in einer neuen „Blütezeit der Lyrik“[1] zu leben noch an halbironischen Hassliebe-Bekundungen, von den Prätentionen dieser Gattung nicht lassen zu wollen, auch wenn ein beständiges Scheitern der Sache nach unvermeidlich, ja geradezu gefordert scheint.[2]

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09 Dez

Ein hegelianischer Rawls

Von Hannes Kuch (Frankfurt a.M.)


Rawls wird meist als Kantianer verstanden, doch steht er auch Hegel nahe, viel näher als gemeinhin angenommen wird. Diese Nähe betrifft nicht nur die Interpretation von Rawls, sie hat deutliche Konsequenzen für die Frage nach Alternativen zum Kapitalismus, die Rawls selbst stellt: Anstelle einer Eigentümerdemokratie befürwortet der hegelianische Rawls viel stärker einen liberalen Sozialismus.

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04 Aug

Was meinen wir mit „Rassismus“, wenn wir von Rassismus in Hegels Philosophie sprechen? Replik auf Folko Zander, Teil 2

Von Daniel James (Düsseldorf) & Franz Knappik (Bergen)


In unserem Beitrag „Das Untote in Hegel: Warum wir über seinen Rassismus reden müssen“ haben wir für eine verstärkte Auseinandersetzung mit rassistischen und pro-kolonialistischen Elementen in Hegels Philosophie plädiert. Diese Elemente, so haben wir argumentiert, stehen in engerem systematischem Zusammenhang mit heute noch populären Ideen Hegels, als uns lieb sein kann. Ehe wir an jene Ideen philosophisch anknüpfen, sollten wir daher genauer verstehen, wie sie sich genau zu den ‚untoten‘ Seiten von Hegels Denken verhalten. In einer Replik hat Folko Zanders neben anderen Kritikpunkten, auf die wir an anderer Stelle geantwortet haben, auch die Frage aufgeworfen, wie in diesem Zusammenhang der ‚Rassismus‘-Begriff zu verstehen ist.

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28 Jul

Warum wir über die rassistischen und pro-kolonialistischen Elemente in Hegels Denken reden müssen: Replik auf Folko Zander, Teil 1

Von Daniel James (Düsseldorf) & Franz Knappik (Bergen)


In seiner Replik auf unseren Text „Das Untote in Hegel: Warum wir über seinen Rassismus reden müssen“ versucht Folko Zander, unseren Diskussionsbeitrag als einen bewussten Akt der Fehldeutung, der „üblen Nachrede“ und sogar des „[D]enunzieren[s]“ zu diskreditieren. Dass klassische Autoren wie Hegel in manchen Teilen der akademischen Philosophie nach wie vor als Identifikationsfiguren dienen, deren Kritik offene Empörung bis hin zu derartigen Angriffen auslöst, halten wir für einen Teil des Problems, nicht der Lösung. In der Hoffnung, dass wir damit zu der sachlichen Debatte beitragen, die die Thematik unseres Erachtens erfordert, haben wir uns dennoch dafür entschieden, auf Zanders Text zu antworten, um unsere Position gegen seine Einwände zu verteidigen, und nicht zuletzt auch, um mögliche Missverständnisse zu klären. Auf die von Zander aufgeworfene Frage, wie der Begriff des ‚Rassismus‘ in diesem Zusammenhang verstanden werden sollte, werden wir in einem eigenen Beitrag eingehen.

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07 Jul

Vom Sinn und Zweck eines Rassismusvorwurfs gegen Hegel

von Charlotte Baumann (Sussex)


Zanders Reaktion auf James und Knappiks Beitrag über Hegels Rassismus wirft neben Interpretations-fragen zu  bestimmten Stellen bei Hegel vor allem die Frage auf: Was bringt es, Hegel des Rassismus zu beschuldigen? Dies ist eine berechtigte Frage, nicht zuletzt deswegen, weil diese Frage de facto bei vielen ähnlichen Diskussionen im Raum steht und zum polemischen Begriff der Cancel Culture beigetragen hat. Also, zwei Dinge sollten von vornherein klar sein: Es kann nicht darum gehen, dass man von Hegel erwartet, nach heutigen Maßstäben ‚woke’ zu sein, und es geht James und Knappik ganz bestimmt nicht darum, nie wieder Hegel zu lesen oder andere dazu zu motivieren. (Sie sind ja selbst Hegelianer und richten ihren Kommentar vor allem an uns andere Hegelianer). Was bringt es dann, wenn man aufzeigt, wo und wie Hegel andere Ethnien oder generell marginalisierte Gruppen abschätzig behandelt? Zunächst ist es klar, dass Rassismus nicht unbedingt etwas mit Biologie zu tun haben muss[1] und dass eine Wortklauberei nicht zielführend sein kann. Stattdessen geht es meines Erachtens um vier Dinge: 1.  historische Korrektheit, 2. analytische Schärfe, 3. den ‚eigenen’ Hegel und 4. die Lehre und das Hegel-ernst-Nehmen.

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23 Jun

Hegel als Zombie. Eine Erwiderung auf Daniel James und Franz Knappik

von Folko Zander (Jena)


Dass Hegel in vielen seiner Schriften leicht misszuverstehen ist, kann vorbehaltlos zugegeben werden. Das ist auch leicht verständlich angesichts der Schwierigkeit seiner philosophischen Gegenstände und der sich daraus ergebenden Probleme der sprachlichen Vermittlung. Deswegen sind in der seriösen Hegelliteratur Fehldeutungen, Uneinigkeiten und ein eher langsames Voranschreiten des Verständnisses eher zu finden als bei anderen Philosophen. Das ist bedauerlich, aber nicht zu ändern.

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27 Mai

Das Untote in Hegel: Warum wir über seinen Rassismus reden müssen

Von Daniel James (Düsseldorf) & Franz Knappik (Bergen)


Ob als Theoretiker der Anerkennung, der Freiheit, der Normativität, der staatlich eingegrenzten Märkte, der Logik oder der Kunst—das Erbe Hegels floriert derzeit im Inland wie im Ausland. Autor:innen in den unterschiedlichsten philosophischen Traditionen finden Inspiration in den Schriften Hegels, und selbst in der einst so geschichtsvergessenen analytischen Philosophie hat der Philosoph, dessen Geburtstag sich 2020 zum 250. Mal jährte, viele Verehrer. In den zahlreichen Beiträgen zum Hegel-Jahr lag der Schwerpunkt so zumeist auf Hegels Aktualität, auf dem „Lebenden in Hegels Philosophie“, wie es Benedetto Croce formuliert hatte. Warum auch sollte man sich heute noch mit dem „Toten“ in Hegels Denken beschäftigen, mit dem, wovon wir ohnehin wissen, dass es falsch ist?

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