Bildung im Dienst der Aufklärung

von Jonas Pfister (Bern)


Bildung dient der Aufklärung. Mit „Aufklärung“ ist das Streben gemeint, mit Hilfe der Vernunft Mythen, religiöse Glaubenssätze, Dogmas, Ideologien, Vorurteile und dergleichen zu hinterfragen. Wie Kant in seinem berühmten Diktum sagt, ist Aufklärug „der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“. Dabei stützt sich der Mensch auf Erfahrung und Wissenschaft. Durch die Prüfung der Begründung von Überzeugungen und der Suche nach besseren Begründungen kann man Wissen erreichen. Der Wahlspruch der Aufklärung ist nach Kant: „sapere aude“ – wage zu wissen!

Zuweilen wird die Aufklärung in Frage gestellt. Von Romantikern wird bemängelt, dass damit das Ziel des Lebens verfehlt werde. Wer lebt, der will erleben, empfinden und mit anderen Menschen zusammen sein. Aber dieser Einwand zeigt lediglich, dass Aufklärung nicht das einzige Ziel des Lebens sein kann, nicht jedoch, dass es nicht ein wichtiges Ziel ist. Von politisch konservativer Seite wird zuweilen behauptet, die Aufklärung führe zu Individualisierung und zur Zerstörung der Familie als Grundstruktur der Gesellschaft. Insofern die Aufklärung jedoch eine Befreiung aus Strukturen ist, die Wertvorstellungen vertreten, die nicht den eigenen entsprechen, ist dieser Prozess zu begrüssen. Zudem haben diese Prozesse noch ganz andere, vorwiegend sozioökonomische Ursachen. Von politisch linker Seite wird zuweilen behauptet, die Aufklärung hätte zu einer Überhöhung des Werts der Vernunft und damit zu den Katastrophen des Zwanzigsten Jahrhunderts geführt, unter anderem zum Holocaust und zum Bau der Atombombe. Doch auch wenn diese ohne die moderne Wissenschaft nicht möglich gewesen wären, so kann man nicht die Schuld einem einzigen Faktor unter vielen zuschreiben. Und es ist eine starke Verengung des Blickfelds, wenn man lediglich die negativen Konsquenzen beachtet und die zahlreichen positiven Effekte der Aufklärung nicht berücksichtigt, von der Demokratisierung über den technologischen Fortschritt bis hin zur allgemeinen Wohlstandssteigerung.

Es gibt andererseits zum Teil erschreckende Entwicklungen, die unbestritten nach mehr Aufklärung verlangen. Das Bestehen und die Zunahme von populistischen Parteien und Politiker in Europa und den USA. Die allgegegenwärtige Werbung, unter anderem für Produkte, für die durch die Werbung das Bedürfnis (oder den Eindruck, das Bedürfnis zu haben) bei den Menschen erst erzeugt wird. Das Verhalten von vielen Menschen, vor allem den jüngeren, sich nicht über klassische journalistische Medien wie Tages- und Wochenzeitungen, das öffentliche Radio und Fernsehen, sondern über so genannte „soziale Medien“ wie Facebook, Instagram und Youtube zu informieren. Die Verbreitung von Falschmeldungen („fake news“) und die gezielte Fälschung von Fotos und neuerdings von Videos („deep fake“). Das Bestehen von einer durch Algorithmen hergestellte virtuellen Realität von Bildern und Meinungen, in der solche, die den persönlichen Meinungen widersprechen, herausgefiltert wurden und nun nur noch die persönlichen Meinungen widerspiegeln („filter bubbles“ und „echo chambers“). Angesichts solcher Entwicklungen scheint der Ruf nach Aufklärung berechtigter denn je.

Doch wo findet Aufklärung statt? Wenn die klassischen Medien, die bislang diese Aufgabe auch übernommen haben und so gut wie möglich nach wie vor übernehmen, immer seltener und von immer weniger Menschen konsultiet werden, so kann zum einen versucht werden, über das Internt zu informieren – so wie dies mit dem Philosophieblog praefaktisch.de genau versucht wird. Zum anderen wird damit die Erziehung und Bildung noch wichtiger. Eltern sind gefordert, aber auch Lehrpersonen. Während einiges Wissen leicht zu verstehen und der Nutzen davon unmittelbar einleuchtend ist – wenn ich weiss, dass ich das Risiko der Ansteckung durch eine bakteriellen Krankheit durch richtiges Händewaschen reduzieren kann, dann werde ich mich auch entsprechend verhalten -, ist anderes nur schwer zu verstehen, und der Nutzen erscheint auf den ersten Blick nicht einleuchtend – wenn ich von meinen Eltern die Überzeugung übernommen habe, dass Ausländer Kriminelle sind, so werde ich nicht so leicht erkennen, dass dies falsch ist, und auch nicht unmittelbar einsehen, dass es gut wäre, meine Überzeugung zu ändern. Zudem ist es so, dass uns die Anerkennung durch andere existentiell wichtig ist. Wir orientieren uns an den Menschen, mit denen wir uns identifizieren und mit denen wir in Beziehung stehen, und somit auch mit dem, was diese für wahr halten. Und so übernehmen wir auch zum Teil deren Überzeugungen. Wird nun eine unserer Überzeugungen durch widesprechende Belege in Frage gestellt, so ist unsere Reaktion oftmals gerade nicht, diese zu überdenken, sondern uns gegen die Angriffe zu wehren und noch stärker an der ursprünglichen Überzeugung festzuhalten. Dies lässt sich damit erklären, dass wir uns mit der Überzeugung identifizieren, sie Ausdruck unserer Persönlichkeit ist. Doch wenn wir darüber nachdenken, so ist dies keine vernünftige Reaktion, wenn das Ziel ist, möglichst gut begründete und wahre Überzeugungen zu haben. Man könnte sich allerdings auch fragen, warum man überhaupt nach Wahrheit strebt, und ob die Bildung nicht einfach ein Mittel für Menschen ist, damit sie besser auf dem Arbeitsmarkt bestehen können, wie dies von einigen Politikern aber auch von vielen Jugendlichen gesagt wird. Bildung als Mittel zu einem ökonomischen Zweck. Das kann auch ein Zweck sein. Aber in erster Linie ist es ein Teil des Zwecks, ein gutes Leben zu führen. Denn nur, wer nach möglichst begründeten und wahren Überzeugungen strebt kann ein reflektiertes Leben führen. Das heisst freilich wiederum nicht, dass dies das ganze gute Leben ausmachen würde. Dazu gehört selbstverständlich mehr, aber ohne Aufklärung ist es nichts.


Jonas Pfister unterrichtet Philosophie an einem Gymnasium in Bern. Er ist Autor verschiedener Bücher, darunter „Philosophie. Ein Lehrbuch“ und „Werkzeuge des Philosophierens“ (beide Reclam Verlag) sowie „Fachdidaktik Philosophie“ (Haupt Verlag).