Feministische Philosophie: Was, wie, weshalb?

von Christine Bratu (Göttingen) & Deborah Mühlebach (FU Berlin)


„Ach, du machst feministische Philosophie? Was genau ist das denn?“ Das sind in der Philosophie nach wie vor häufig gestellte Fragen. Ebenso sehen sich feministische Philosoph:innen zuweilen mit Nachfragen folgender Art konfrontiert: „Geschlechterunterdrückung ist zweifelsfrei ein wichtiges Thema, aber ist das denn auch philosophisch interessant?“ Solche Reaktionen auf feministische Forschungsinteressen erstaunen nicht, denn obwohl es im deutschsprachigen Raum schon seit Langem vereinzelte Philosoph:innen gibt, die feministisch arbeiten, fängt die deutschsprachige Fachgemeinschaft gerade erst an, feministische Philosophie im etwas größeren Stil für sich zu entdecken. Dies zeigt sich beispielsweise daran, dass manche große Fachtagungen erst neuerdings Sektionen zu feministischer Philosophie führen. Ebenso sind erst seit wenigen Jahren ein paar Stellenausschreibungen zu finden, die explizit nach dieser Spezialisierung fragen. Was also ist feministische Philosophie?

Im Grunde scheint es simpel: Feministische Philosophie ist ein Forschungsbereich, dessen Gegenstand Geschlecht in seinen zahlreichen Wirkungsformen ist. Sie fragt danach, wie die Kategorie „Geschlecht“ zu fassen ist bzw. was die einzelnen Geschlechter sind. Weil Unterdrückungsverhältnisse wie Sexismus oder Transfeindlichkeit maßgeblich mitbestimmen, wie Geschlechterkategorien verstanden werden und welche sozialen Beziehungen zwischen verschiedenen Geschlechtern bestehen, liegt ein weiterer Fokus feministischer Philosophie auf der Theoretisierung geschlechtsspezifischer Unterdrückungsverhältnisse. Eng mit der Kategorie „Geschlecht“ und den geschlechtsspezifischen Unterdrückungsverhältnissen verbunden ist zudem die Sexualität. Somit ist auch sie Gegenstand feministischer Philosophie.

Der Fokus auf geschlechtsspezifische Unterdrückungsverhältnisse führt im Weiteren dazu, dass zwischen der feministischen Philosophie und der critical race theory, den disability studies oder auch der trans philosophy eine enge Verbindung besteht. Denn nicht nur, dass sich diese Forschungsbereiche auch mit Macht und Unterdrückung auseinandersetzen – in unserem sozialen Gefüge sind verschiedene Unterdrückungsformen stark miteinander verwoben. Unser Verständnis von race, Klasse oder Behinderung wäre demnach verkürzt, wenn wir diese Gegenstände unabhängig von Geschlecht betrachten würden. Genauso bringt es wenig, Geschlecht isoliert von den anderen Kategorien zu untersuchen.

Neben diesen offensichtlichen Affinitäten liefern feministische Philosoph:innen schließlich Beiträge zu Diskussionen innerhalb klassischer Subdisziplinen wie zum Beispiel der Sprachphilosophie, der Erkenntnistheorie oder der Ethik. Sie untersuchen beispielsweise, welche Machtstrukturen unsere Begriffe beeinflussen, unsere Erkenntnisprozesse prägen oder verzerren und unsere ethischen Maßstäbe problematisch einfärben. Solche Beiträge erfordern von ihnen eine Expertise in mehreren Feldern. Zum einen kennen sie sich in sogenannten Mainstreamdiskussionen innerhalb der jeweiligen Subdisziplin aus. Zum anderen orientieren sie sich in ihrer Arbeit immer am breiten Kanon der feministischen Literatur. Dieser beinhaltet zentrale Arbeiten und Ideen aus unterschiedlichsten philosophischen Gebieten.

Wäre dies alles, was feministische Philosophie als Forschungsfeld ausmachte, d.h. wäre feministische Philosophie ausschließlich über einen spezifischen Gegenstandsbereich bestimmt, würde dieser Blogbeitrag hier enden oder – und das wäre viel wahrscheinlicher – es gäbe ihn gar nicht erst. Wäre die feministische Philosophie lediglich ein philosophisches Forschungsfeld wie alle anderen, bestünde hier wohl kaum das Interesse, sich einem Themenblock mit verschiedenen Blogbeiträgen zu feministischer Philosophie zu widmen. Bei anderen Forschungsfeldern wie der Sprach- oder der Moralphilosophie fragen wir uns ja für gewöhnlich auch nicht, was sie sind und insbesondere weshalb es sie (noch) braucht.

In Bezug auf die feministische Philosophie scheinen diese Fragen hingegen auf Interesse zu stoßen, was sich auch in der Häufigkeit von Ratschlägen der folgenden Art zeigt: „Sind Sie sicher, dass Sie ‚Feministische Philosophie‘ als Forschungsinteresse in Ihrem offiziellen Lebenslauf angeben wollen? Damit kann man in der Fach-Community nicht wirklich für sich werben. Nicht, dass Sie dadurch rüberkommen als eine von denen, die ständig Ärger machen…“ Solche Ratschläge wurden beiden Verfasserinnen in der einen oder anderen Art schon mehrfach nahegelegt. Diese Karrieretipps mögen wohlgemeint sein, sind allerdings kontraproduktiv – sowohl für diejenigen, die sich für feministische Philosophie interessieren als auch für die Themenvielfalt im Fach. Jedoch zeigen solche Ratschläge wie auch die Frage, weshalb es die feministische Philosophie noch braucht, an, dass die feministische Philosophie noch für etwas ganz Anderes steht als für ein spezifisches Forschungsfeld.

Tatsächlich zeichnet sich die feministische Philosophie nicht nur über den Forschungsgegenstand des Geschlechts aus, sondern ebenso über eine bestimmte Haltung der Forschenden. Feministisch ist Philosophie nämlich dann, wenn sie nicht nur theoretisch nachzeichnet, was Geschlecht ist und wie Geschlechterverhältnisse zu bestimmen sind, sondern wenn sie die dabei zentralen Macht- und Unterdrückungsverhältnisse mittheoretisiert und hierzu kritisch Stellung nimmt. Feministische Philosophie zu betreiben heißt demnach immer auch, Philosophie in praktischer feministischer Absicht zu betreiben. Sie zielt darauf ab, zur Abschaffung von geschlechterspezifischen Unterdrückungsverhältnissen beizutragen. Wenn also bspw. Kant oder Hegel über Geschlecht schreiben oder sich zur Situation von Frauen äußern (was sie an manchen Stellen ihrer Arbeit durchaus tun), so macht sie diese Themenwahl noch lange nicht zu feministischen Philosophen. Denn weder theoretisieren sie die zugrundeliegenden Machtstrukturen ausreichend mit und können so gar kein fundiertes Verständnis von Geschlecht entwickeln, noch kritisieren sie diese in emanzipatorischer Absicht.

Die Verschränkung von Gegenstand und Haltung in der feministischen Philosophie ist nahezu unumgänglich. Denn Unterdrückungsverhältnisse theoretisch nachzuvollziehen und sie dann praktisch zu ignorieren würde über kurz oder lang in die schlimmsten kognitiven Dissonanzen führen. Wenn feministische Philosoph:innen also Geschlecht, Geschlechterverhältnisse und Unterdrückungsformen theoretisch untersuchen, ist es nicht erstaunlich, dass diese Arbeit Erkenntnisse hervorbringt, die wiederum einen Einfluss auf die praktischen Verhältnisse des akademischen Betriebs haben. Oft sind es feministische Philosoph:innen, die sich der Bekämpfung sexistischer und anderweitig exkludierender oder unterdrückender Strukturen innerhalb der Universität widmen. Ähnlich naheliegend ist es, dass feministische Philosoph:innen sich in den meisten Fällen als Teil einer sozialen Bewegung verstehen.

Der Eindruck, dass feministische Philosoph:innen dazu neigen, Ärger zu machen, ist also nicht vollkommen unbegründet. Allerdings scheint die kritische (Selbst-)reflexion zum Selbstverständnis der meisten Philosoph:innen und das Hinterfragen fundamentaler Annahmen zum zentralen Bestandteil der Disziplin zu gehören. Daher haben wir die Hoffnung, dass der feministische Ärger in der Philosophie, wenn er auch nicht willkommen sein mag, so doch immerhin auf fruchtbaren Boden fällt.


Christine Bratu ist Professorin für Philosophie mit einem Schwerpunkt in der Genderforschung an der Georg-August-Universität Göttingen. Sie interessiert sich für/ arbeitet zu feministischer Philosophie und praktischer, vor allem politischer Philosophie. Deborah Mühlebach ist zurzeit Postdoc an der FU Berlin. Ihre Arbeiten in der politischen Sprachphilosophie und Erkenntnistheorie sind immer feministisch motiviert. Nach ihrer Dissertation zur sprachlichen Bedeutung abwertender Ausdrücke widmet sie sich in ihrer Habilitation nun dem Verhältnis von Kritik und Verständn