Die ethische Relevanz des Geldes
von Edeltraud Koller (Frankfurt a. Main)
Die Wirtschaftswissenschaften verstehen Geld herkömmlich recht nüchtern als Mittel, um verschiedene Waren und Dienstleistungen zu tauschen und deren Wert festzulegen. Das Geld erleichtert den Austausch, weil Güter verkauft bzw. gekauft werden können, ohne auf den direkten Tausch Ware gegen Ware angewiesen zu sein. Es ist somit zunächst schlicht das Mittel für die Zahlung, zum Rechnen, für die Bewertung und zur Wertaufbewahrung.
In soziologischer Perspektive lässt sich das Geld als Instrument des Wirtschaftssystems der Gesellschaft fassen. So wird das Geld in der Systemtheorie des Soziologen Niklas Luhmann (Die Wirtschaft der Gesellschaft, 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1999, 14) als das Medium verstanden, durch das die Gesellschaft die Verteilung knapper Güter im Rahmen wirtschaftlicher Prozesse regelt. Damit dient das Geld der wirtschaftlichen Grundfunktion der Verteilung knapper Güter. In dieser Hinsicht ist das Geld auf die Knappheit von Waren oder Dienstleistungen bezogen. Denn wenn Güter nicht knapp, sondern in ausreichendem Maße für jeden Menschen zugänglich sind, ist es unnötig zu wirtschaften, sind Kaufentscheidungen sinnlos und ist das Geld bedeutungslos. Soweit die Theorie, aufgrund derer etwa der Soziologe Niklas Luhmann (Die Gesellschaft der Gesellschaft. Bd. 1-2, Frankfurt a. M. 1998, S. 758) die Funktion des Wirtschaftssystems in der Sicherstellung künftiger Versorgung unter der Bedingung knapper Güter sieht.
Allerdings ist das Geld nicht nur ein Mittel zur Befriedigung von Bedürfnissen bzw. zur Verteilung knapper Güter. Das Geld ist selber knapp. Diese Bedeutung des Geldes als ein an sich knappes Gut ist gegenüber seiner Funktion der Ermöglichung des Handels mit Waren- und Dienstleistungen stark gestiegen. Damit ist die Grundfunktion des Wirtschaftssystems, Waren und Dienstleistungen zu kaufen und zu verkaufen, nicht aufgehoben. Aber insbesondere die Größe des globalen Finanzmarktes lässt unschwer erkennen, dass die Vermehrung des Geldes eben auch als Selbstzweck verstanden wird. Wenn das Geld einen Wert an sich darstellt und der Zuwachs an Geld um seiner selbst angestrebt wird, dann erscheint es bleibend knapp, weil man zwar in der Gegenwart oder Zukunft nichts Bestimmtes damit kaufen will, aber gerade deshalb anscheinend nicht genug oder zu viel davon besitzen kann. Hinter dieser Haltung steht eine veränderte oder zumindest eine zusätzliche Zuschreibung, was die Angelegenheit der Wirtschaft ist: Sie hat demnach die Aufgabe, Geld zu vermehren. Die Basis dieses Ziels, das Geld beständig zu vermehren, und des Fehlens eines Genug ist das Verständnis, dass ein Mehr an Geld eine Förderung der Sicherung und des Wachstums von Wohlstand bedeutet.
Die Rolle des Geldes reicht damit weit über die ökonomischen Funktionen als Zahlungsmittel, Recheneinheit, Bewertungs- und Wertaufbewahrungsmittel hinaus. Dadurch ist das Geld ein bedeutsames und lohnendes Thema der Ethik. Hervorzuheben sind dabei in ethischer Perspektive die Wirkungen, die sich durch die Bedeutung des Geldes – für Gesellschaft und Individuen – entfalten.
Zunächst ist Geld in unserer Gesellschaft wesentlich das Grundsymbol für vorhandene Handlungsspielräume. Denn Geld verkörpert, wie Christoph Deutschmann (Die Verheißung des absoluten Reichtums, 2. Aufl., Frankfurt a.M. / New York 2001, S. 5) mit Bezug auf Karl Marx und Georg Simmel formuliert, „die individuelle Freiheit als den höchsten Wert des Menschen.“ Über viel Geld zu verfügen, erlaubt es beispielsweise, viele Wünsche nach Waren oder teuren Unternehmungen zu erfüllen. Aber Geldvermögen eröffnet auch andere Optionen, die nicht primär in Entscheidungsfreiheiten hinsichtlich des Bezahlens, also des Konsums oder der Investition, liegen. Denn (viel) Geld zu haben, bedeutet Macht, was sich im sozialen Status abbildet. In modernen Gesellschaften wird die soziale Stellung von Menschen wesentlich durch die Kaufkraft, das Vermögen bzw. das Einkommen bestimmt. Hierbei bildet auch der Zusammenhang von sozialem Status und beruflicher Position keine Ausnahme, weil von der beruflichen Stellung wiederum auf die Einkommenshöhe geschlossen wird. Beispielsweise kann eine Aufwertung von Berufen – etwa den Pflegeberufen – und folglich eine Verbesserung des sozialen Status von den in diesen Bereichen Arbeitenden nicht ohne eine entsprechende höhere Entlohnung gelingen. Auch der niedrige soziale Status von Personen sowohl ohne Einkommen als auch ohne Geldvermögen hat einen entscheidenden Grund darin, dass die Handlungsspielräume merkbar eingeschränkt sind.
Somit ist Geld in modernen Gesellschaften ein Machtmittel. Denn einerseits symbolisiert Geld Sicherheit und Absicherung, wodurch es als Instrument für den Umgang mit Kontingenzen erscheint. Geldvermögen zu besitzen, erlaubt es, bei Bedarf darauf zurückzugreifen oder Versicherungen gegen verschiedenste Risiken abzuschließen. So meint auch Deutschmann (ebd.), dass Geldvermögen die Kontrolle von Unsicherheiten verkörpere und „insofern Macht in verallgemeinerter Form“ darstelle. Andererseits bedeutet Geld Macht im Konkreten, weil es Chancen eröffnet, etwas zu „machen“, also gestaltend zu wirken. Wer finanziell reich ist, hat in vielerlei Hinsicht mehr Möglichkeiten der Einflussnahme, der Lebensgestaltung und der sozialen Teilhabe bzw. Teilnahme als mittellose oder armutsgefährdete Menschen. Daher ist es eine zutiefst ethische Frage, wie Geld verteilt ist. Beispielsweise ist die Gestaltung des Systems der Sozialleistungen sowie der Höhe der unterschiedlichen Erwerbseinkommen nicht zuletzt aus Gerechtigkeitsgründen unverzichtbar.
Zudem kann Geld auch selbst Macht über den Menschen ausüben und zum Selbstzweck werden. Was im Hinblick auf das Finanzsystem gesagt wurde, kann auch auf Individuen zutreffen: Dann will man das Geld nicht wegen irgendwelcher Kaufabsichten, sondern um des Geldes willen – letztlich deshalb, weil der Besitz von Geld oder geldmäßig bewertetem Vermögen Wohlstand, hohen sozialen Status, Freiheit und Sicherheit symbolisiert. Freilich gewährleistet viel Geld zu haben aber noch nicht, ein gutes Leben zu führen. Ethisch brisant ist zudem das Faktum, das bereits in den frühen Tugendlehren bekannt war: Wo Geld im Zentrum steht, gewissermaßen selber herrscht und alles bestimmt, wird es ruinös für das Zusammenleben.
Damit ist das Geld als ein Mittel der Gestaltung der Gesellschaft angesprochen. Wofür von der öffentlichen Hand Geld verwendet wird und in welches Begriffsframing die konkrete Geldverteilung gestellt wird (beispielsweise „Sozialschmarotzer“ oder „Anspruchsberechtigte“), ist sowohl Ausdruck als auch Formung des tatsächlichen oder fehlenden Strebens nach einer gerechteren Gestaltung der Gesellschaft. Eine große Bedeutung kommt der Finanzmarktgestaltung zu, die aber im demokratischen Diskurs stark vernachlässigt wird und die Gerechtigkeitsansprüche bzw. das Kriterium des Gemeinwohls bei den unterschiedlichsten Finanzprodukten strikt beachten müsste.
Darüber hinaus ist in ethischer Hinsicht bedeutsam, dass in unserer Gesellschaft tatsächlich fast alle Werte in Geld bewertet werden können. Der Umstand, dass beispielsweise Intimität, politischer Einfluss und akademische Titel gekauft werden können, setzt voraus, dass diese immateriellen Güter in einen Geldwert übersetzt werden. Unvermeidlich erfolgt mit dieser Übersetzung wie bei jeder Interpretation nicht nur eine Bedeutungszuschreibung durch die monetäre Bewertung, sondern auch ein Bedeutungsverlust bzw. eine Bedeutungsveränderung. Daher ist eine Verständigung darüber erforderlich, welche Werte und Bedeutungen in der modernen Gesellschaft als nicht ökonomisierbar und daher nicht als Geldwert betrachtet werden sollen oder dürfen. Allein die Tatsache, dass es darüber eines gesellschaftlichen Konsenses bedarf, heißt, dass die Bewertung in Geld nicht prinzipiell ausgeschlossen ist. Das liegt bei den oben genannten Beispielen von Intimität usw. auf der Hand, aber ebenso können faktisch auch Menschen im Rahmen des Kinder- und Frauenhandels Geldwerte zugeschrieben werden. Die Frage ist damit, welche Gesellschaft zu sein wir anstreben und was gerade deshalb einer Bewertung in Geld bzw. letztlich dem Markt entzogen sein muss.
Insgesamt ist Geld eine ambivalente Sache: Es kann eingesetzt werden, Leben und Lebensmöglichkeiten zu fördern, Gemeinschaft zu unterstützen, die Welt gerechter zu machen. Es kann aber auch zerstörend wirken. Daher ist Geld in unserer Welt nicht moralisch neutral.
Edeltraud Koller ist Juniorprofessorin an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main und vertritt dort den Lehrstuhl für Moraltheologie.