Was meinen wir mit „Rassismus“, wenn wir von Rassismus in Hegels Philosophie sprechen? Replik auf Folko Zander, Teil 2

Von Daniel James (Düsseldorf) & Franz Knappik (Bergen)


In unserem Beitrag „Das Untote in Hegel: Warum wir über seinen Rassismus reden müssen“ haben wir für eine verstärkte Auseinandersetzung mit rassistischen und pro-kolonialistischen Elementen in Hegels Philosophie plädiert. Diese Elemente, so haben wir argumentiert, stehen in engerem systematischem Zusammenhang mit heute noch populären Ideen Hegels, als uns lieb sein kann. Ehe wir an jene Ideen philosophisch anknüpfen, sollten wir daher genauer verstehen, wie sie sich genau zu den ‚untoten‘ Seiten von Hegels Denken verhalten. In einer Replik hat Folko Zanders neben anderen Kritikpunkten, auf die wir an anderer Stelle geantwortet haben, auch die Frage aufgeworfen, wie in diesem Zusammenhang der ‚Rassismus‘-Begriff zu verstehen ist.

Zander moniert zum einen, dass wir keine Definition dieses Begriffs liefern, und wendet zum anderen ein, dass nach einer Definition, die den Begriff ‚Rassismus‘ auf die Unterstellung einer Ungleichwertigkeit von Menschengruppen aufgrund biologischer Abstammungsmerkmale einschränkt, Hegel keinen Rassismus vertreten habe. Was den ersten Punkt angeht, denken wir nicht, dass die von uns angesprochenen Themen in Hegels Denken erst dann sinnvoll erforscht und diskutiert werden können, wenn sich die Teilnehmer:innen der Debatte auf eine Definition von ‚Rassismus‘ geeinigt haben. Wie mehrere Jahrzehnte der Rassismusforschung bezeugen, ist dieser ein vielgestaltiges und dynamisches Phänomen, das sich beständig an neue gesellschaftliche und kulturelle Gegebenheiten anpasst[i]. Wir hielten es daher für unproduktiv, würden wir uns in der Debatte über die rassistischen Elemente im Denken Hegels oder anderer klassischer Autoren in verbale Dispute über einen so umkämpften Begriff wie ‚Rassismus‘verfangen (die sich ja auch trefflich als Ablenkungsmanöver eignen) und gar nicht zu einer inhaltlichen Diskussion über Hegels Positionen kommen. Erst durch eine solche inhaltliche Diskussion – die u. a. Hegels Behauptungen und Argumentationen im intellektuellen und politischen Kontext seiner Zeit verortet und dadurch Kontinuitäten und Diskontinuitäten im Denken über ‚Rasse‘, Kultur und Zivilisation sowie über die Rechtmäßigkeit von Sklaverei und Kolonialismus offenlegt – können wir zu einer Definition von Rassismus gelangen, die dessen historischer Dynamik Rechnung trägt.

Wenn wir aber dennoch über Definitionen von ‚Rassismus‘ diskutieren wollen, dann erweist sich Zanders Definitionsvorschlag („Rassismus […] unterstellt die prinzipielle Ungleichwertigkeit bestimmter Menschengruppen aufgrund biologischer Abstammungsmerkmale“) aus mehreren Gründen als anachronistisch und unangemessen eng. Zunächst einmal ist Zanders Definition in Bezug auf das 18. und 19. Jahrhundert wenig brauchbar, da damals schlicht und ergreifend noch sehr wenig Verständnis für Vererbungsmechanismen und biologische Bedingungen psychologischer Eigenschaften bestand. Für Autoren, die manchen Gruppen von Menschen charakteristische, vererbte geistige Defizite zuschrieben, war Vererbung ein mysteriöser Prozess, für den keine wirkliche biologische Erklärung zur Verfügung stand (eine solche Erklärung wurde erst allgemein zugänglich, als sich Anfang des 20. Jahrhunderts die moderne Genetik entwickelte, u. a. infolge der Wiederentdeckung von Mendels Erblehre). Dementsprechend schreibt beispielsweise ein so einflussreicher ‚Rassen‘-Theoretiker wie der Göttinger Philosoph und Historiker Christoph Meiners (1747-1810) Angehörigen der afrikanischen ‚Rasse‘ die unterschiedlichsten, denkbar abwertenden angeborenen geistigen Defizite zu, führt aber nur in sehr begrenztem Umfang biologische Erklärungen dafür an. Stattdessen spricht er, auch in seiner Definition des Begriffs „Raçe“, von einer Vererbung sowohl von „cörperliche[n]“ als auch „uncörperliche[n] Eigenschaften“[ii], ohne sich darauf festzulegen, dass letztere stets durch erstere erklärbar sind. Und selbst Arthur de Gobineau (1816-1882), der oft als Vordenker des ‚wissenschaftlichen Rassismus‘ genannt wird, schreibt nicht-europäischen ‚Rassen‘ angeborene körperliche und geistige Nachteile zu, ohne zu erläutern, wie sich beide zueinander verhalten und vererbt werden[iii].

Legt man Zanders Definition zugrunde, sind Meiners‘ und de Gobineaus Thesen zu den angeborenen geistigen Defiziten mancher ‚Rassen‘ nicht rassistisch, weil sie diese Defizite selbst nicht explizit als biologische „Abstammungsmerkmale“ verstehen. Macht aber das bloße Fehlen einer biologischen Vererbungstheorie derartige Positionen weniger problematisch und rassistisch als Positionen des 20. Jahrhunderts, die oft die gleichen mentalen Unterschiede zwischen ‚Rassen‘ behaupteten, aber zusätzlich eben auch eine biologische Erklärung für sie anboten? Wohl kaum. Der moralische Vorwurf, den die Verwendung des Begriffs ‚Rassismus‘ (zumindest sofern sie im Zusammenhang mit Äußerungen und Überzeugungen erfolgt) heutzutage impliziert, scheint uns in erster Linie darauf abzuzielen, dass die als ‚rassistisch‘ beschriebenen Meinungen nicht einfach nur empirisch falsch sind, sondern die von ihnen behaupteten wertenden Merkmale von ‚Rassen‘ dazu geeignet sind, dazu verwendet wurden und auch wieder dazu verwendet werden können, Unrecht und Gräueltaten einschließlich Kolonialherrschaft und Sklaverei, aber auch Segregation, Eugenik und Genozid zu rechtfertigen. Diese Rechtfertigungsfunktion teilen aber die Positionen von Autoren wie Meiners (aber auch Hume, Kant und vielen anderen), die Menschengruppen angeborene Defizite zuschreiben, voll und ganz mit den Theorien des 20. Jahrhunderts, die mit den gleichen Arten von Merkmalen operieren, aber sie nun ausdrücklich biologisch erklären. Dementsprechend sehen wir keinen guten Grund dafür, warum der Begriff ‚Rassismus‘ auf Theorien der letzteren Art eingeschränkt werden sollte. Im Gegenteil hat eine derart eingeengte Definition leicht zur Folge, dass die Rolle der genannten und anderer Autoren als Wegbereiter späterer biologischer Formen von Rassismus und als Apologeten von Kolonialismus und Sklaverei unsichtbar gemacht wird (‚also doch kein Rassist‘). Dass eine Theorie bestimmten Gruppen differenzielle wertende Eigenschaften zuschreibt, die zur Rechtfertigung von Diskriminierung, Unrecht, Herrschaft und Gewalt geeignet sind, sollte hinreichend dafür sein, dass sie als ‚rassistisch‘ bezeichnet werden kann.

Wie sieht es nun mit Hegel aus? Zwar müssen viele der Eigenschaften, die er den ‚Rassen‘ zuschreibt, vor dem Hintergrund anderer Theoriestücke als Resultat kultureller Entwicklung (oder deren Ausbleiben) gelten, nicht als stabile angeborene Eigenschaften—beispielsweise das fehlende oder defizitäre Freiheitsbewusstsein, das Hegel nicht-europäischen ‚Rassen‘ zuschreibt (z.B. GW 25.2, 611f.[iv]), oder das Fehlen von Persönlichkeitsbewusstsein, sittlichen Empfindungen, wechselseitigem Respekt und Achtung für das Leben unter afrikanischen Menschen (GW 25.1, 35; TW 12, 122, 124f.). Teilweise deutet Hegel auch Erklärungen an, die kulturelle Unterschiede zwischen den ‚Rassen‘ auf äußere Faktoren zurückführen, wie etwa physische Barrieren oder natürliche Verbindungswege. Das lässt aber für sich genommen die Frage völlig offen, ob es für Hegel auch ‚Rasse‘-spezifische angeborene geistige Eigenschaften gibt, die die unterschiedliche kulturelle Entwicklung der ‚Rassen‘ mit bedingen. Im Hinblick auf diese Frage stellt das kolonialisierte Amerika einen wichtigen Testfall dar, denn dort sind Menschen von ganz unterschiedlicher Abstammung in enge Berührung mit europäischen Kulturen gekommen—Hegel betont ja u.a. gerade die Bildungsfunktion der christlichen Missionierung. Wenn es nun so wäre, dass für Hegel alle ‚Rasse‘-spezifischen geistigen Eigenschaften kultureller Art und daher anerzogen, nicht angeboren sind, dann müsste er davon ausgehen, dass für Menschen, die eine europäische Erziehung erhalten, die Abstammung keinen Unterschied für das geistige Vermögen machen kann—Menschen würden demnach generell mit den gleichen geistigen Anlagen auf die Welt kommen, alle diesbezüglichen Unterschiede wären individueller Art. Das scheint aber nicht Hegels Position zu sein. Vielmehr sagt er von den indigenen Völker Amerikas, dass sie „das höhere der Europäer […] nicht aufnehmen konnten, als sie in deren Atmosphäre gerathen waren“ (GW 25.2, 611, Nachschrift Walter); den pädagogischen Bemühungen der Missionare setzen die geistige Schwäche und Ohnmacht der Amerikaner:innen enge Grenzen: „Trieb und Aufregung ist nicht in diese Menschen hineinzubringen“ (PhGesch 59), bei der Missionierung habe sich „die ganze Schwäche und Stumpfsinn dieser Völcker“ gezeigt (GW 27.3, 823). Dagegen kommen laut Hegel die südamerikanischen „Kreolen“— „Abkömmlinge[…] von Europäern mit europäischem Blut“ (PhGesch 59), „Vermischungen von Spaniern und Portugisen“ mit den Indigenen (GW 27.2, 510)—„zu dem höhren Selbstgefühl, dem Emporstreben zu Selbständigkeit, Unabhängigkeit“ (GW 27.2, 510) bis hin zur Gründung eigener, von den Kolonialmächten unabhängigen Staaten (vgl. GW 27.1, 79); sie geben „daselbst den Ton an“ (GW 27.2, 510). Mit anderen Worten: Indigene amerikanische Menschen leiden an einer angeborenen geistigen Schwäche, an der europäische Erziehung nichts ändert; sobald sie sich dagegen mit der europäischen ‚Rasse‘ „vermischen“, werden durch das europäische „Blut“ auch in Amerika moderne Subjektivität, Freiheitsstreben und Staatsgründungen möglich.[v]

Die angebliche geistige Schwäche der Amerikaner:innen ist also ein Beispiel für ‚Rasse‘-spezifische mentale Merkmale—weitere Kandidaten umfassen die behauptete Unfähigkeit afrikanischer Menschen, von sich aus allgemeine Inhalte zu erfassen (GW 25.1, 35) und „sich aus ihrer Natürlichkeit herauszumachen“ (GW 25.1, 36)—, die aus Hegels Sicht dem Individuum aufgrund seiner Abstammung angeboren sind. (Wie eben auch bei anderen ‚Rasse‘-Theoretikern seiner Zeit bleibt dabei bei Hegel offen, wie genau dieses Angeborensein erklärt werden kann.) Unseres Erachtens vertritt demnach Hegel im Kontext seiner Theorie der ‚Menschenrassen‘ durchaus eine rassistische Auffassung im oben genannten Sinn, also einen Rassismus der angeborenen Eigenschaften. Dabei lohnt es sich auch darauf hinzuweisen, dass diese Art von Rassismus nicht etwa ein universelles Vorurteil von Hegels Zeit war, sondern eine unter mehreren diskutierten Positionen, die auch ihre vehementen Kritiker hatte (darunter auch Hegel nachweislich bekannte Autoren)[vi].

Noch wesentlich wichtiger als dieser Rassismus angeborener geistiger Eigenschaften erscheint uns aber eine weitere Dimension des Rassismus in Hegels Philosophie, die gleichfalls durch Zanders eingeengte Definition des Rassismus verdeckt wird. Hegel nimmt ja wie gesagt auch massive wertende Unterschiede zwischen den kulturellen Eigenheiten der einzelnen ‚Rassen‘ an, die für ihn teils durch angeborene Eigenschaften, teils durch den Einfluss topographischer und klimatischer Gegebenheiten auf die Möglichkeit kultureller Entwicklung bedingt sind[vii]. Es sind diese kulturellen Leistungen bzw. Defizite, wie etwa mehr oder weniger ausgeprägte Selbstkontrolle (GW 25.2, 611: „Die Afrikaner […] sind immer in der gediegenen Natureinheit und [B]egierde geblieben“), Freiheitsbewusstsein, soziale Praktiken gegenseitiger Anerkennung sowie Organisation staatlicher Institutionen und der ‚Sittlichkeit‘ im Allgemeinen, die für Hegel Kolonialismus rechtfertigen und Sklaverei zu einem notwendigen und nützlichen Instrument der Bildung machen können (siehe unsere Behandlung im vorherigen Beitrag [Link]). Dass manche Menschengruppen aufgrund derartiger kultureller Faktoren als „Wilde“ (GW 25.1, 38; GW 27.3, 845) stigmatisiert und dehumanisiert werden können (GW 27.2, 525f.: „wenn man fürchterliche Erscheinungen in der menschlichen Natur will kennenlernen, so findet man sie in Afrika“; TW 12, 122: „es ist nichts an das Menschliche anklingende in diesem [sc. afrikanischen] Charakter zu finden“), dass solche Faktoren Kolonialherrschaft und Gewalt bis hin zu den Gräueln der kolonialen Sklaverei zumindest als vorübergehende Maßnahme (GW 25.1, 115: „Stufen der Zucht“) rechtfertigen können – und damit dieselbe Funktion erfüllen wie der spätere biologische Rassismus[viii] –, dies sind Annahmen, die von Hegels Rassismus der angeborenen Eigenschaften logisch unabhängig sind und auch dann intakt bleiben, wenn letzterer aus dem System gestrichen wird.

Wir denken, dass auch Annahmen dieser Art als eine Form des Rassismus gedeutet werden sollten (wie es viele Rassismus-Forscher:innen seit Jahrzehnten tun[ix] und auch offizielle Dokumente internationaler Organe anerkennen[x])—ein Rassismus, der wertende kulturelle Unterscheidungen trifft, welche dazu geeignet sind und auch jederzeit wieder dazu verwendet werden können, Diskriminierung, Unrecht, Herrschaft und Gewalt zu rechtfertigen. Spielt man hingegen solche Annahmen als bloß „herablassend und arrogant“ herunter, wie Zander es zum Einen tut, so verharmlost man sie, weil man die rechtfertigende Funktion unterschlägt, die sie in Hegels Philosophie spielen. Engt man zudem die Definition des Rassismus auf biologische Spielarten desselben ein, wie es Zander zum Anderen tut, macht man auch in dieser Hinsicht vieles unsichtbar. Man macht unsichtbar, dass solche biologische Spielarten, nachdem sie im Zuge des Kampfes gegen den Nationalsozialismus weitgehend an Akzeptanz verloren hatten, vielfach durch kulturelle Argumentationsmuster ersetzt wurden, die dieselben Funktionen erfüllen (z. B. antimuslimischer Rassismus). Man macht unsichtbar, dass herrschaftslegitimierende Ideologien, die sich auf kulturelle statt biologischer Merkmale stützen, mit denselben sozialen Mechanismen arbeiten wie die biologischen Versionen[xi]. Man macht unsichtbar (ein weiterer Anachronismus), dass im 18. und 19. Jh. die Übergänge zwischen einem Rassismus der angeborenen Eigenschaften und der Annahme werthafter kultureller Differenzen fließend waren, weil zu dieser Zeit der Unterschied von Natur und Kultur, von angeborenen und anerzogenen Eigenschaften noch viel weniger klar gefasst war als heutzutage (u. a. aufgrund der weiten Verbreitung des Lamarckismus und seiner Vorformen[xii]; für Hegel vgl. GW 25.1, 244). Und man macht unsichtbar, dass auch die kulturelle Hierarchisierung stets auch ein Werkzeug war, das zur Rechtfertigung von Herrschaft, Gewalt und Unrecht eingesetzt wurde. Letzteres zeigt sich in Argumentationsfiguren aus imperialistischer Zeit wie der mission civilisatrice ebenso wie in der kolonialapologetischen Rolle, die der Gegensatz von ‚wilden‘ und ‚zivilisierten‘ Menschen schon in der Aufklärung spielte, und zwar auch unabhängig vom Rassismus der angeborenen Eigenschaften[xiii].

Warum es wichtig sein kann, derartige Kontinuitäten sichtbar zu machen, indem man den Rassismus nicht von vornherein definitorisch auf den Gedanken einer Ungleichheit von Menschengruppen aufgrund von „biologischen Abstammungsmerkmalen“ oder auch nur ‚angeborenen‘ Eigenschaften eingrenzt, macht Robert Bernasconi deutlich, wenn er in einem analogen Kontext (Nietzsches Begriff der ‚Rasse‘, den viele Kommentatoren als nicht-rassistisch einstufen, weil er nicht biologisch sei) ausführt:

[T]he assessment of [Nietzsche’s] racism has been further confused by attempts to see his discussion through the lens of the 1950 UNESCO Statement on Race, especially its reliance on a distinction between nature and culture, where race was assigned exclusively to nature […]. The suggestion was that if one abandoned the exclusively biological sense of the term ‚race‘, then one would be free from racism. It was an approach designed to build on the Consensus against the Nazis, while leaving largely untouched other forms of racism, including cultural racism, segregation, and various forms of colonialism.[xiv]

Im Fall von Hegel scheinen uns die Dinge ganz ähnlich zu liegen. Hegel trifft abwertende Annahmen über die kulturellen Defizite mancher ‚Rassen‘, um damit Kolonialismus und teilweise sogar Sklaverei zu verteidigen. Die Frage ist, wie wir mit diesem zentralen Problem umgehen wollen. Engt man den Begriff ‚Rassismus‘ nur ausreichend ein, ist es einfach – allzu einfach –, Hegel das Prädikat „free from racism“ zu verleihen. Man riskiert dann aber nicht nur, das damit genannte Problem zu verdrängen, sondern verbaut sich zudem die Möglichkeit, aus der Philosophiegeschichte zu lernen: Denn nur, wenn wir begreifen, warum in der Philosophie Hegels aufklärerische Ideale wie das der Freiheit für alle Menschen mit einer Rechtfertigung des Kolonialismus und einer partiellen Verteidigung der Sklaverei einhergehen, können wir ernsthaft darüber nachdenken, wie Hegels Versionen dieser Ideale von derartigem Ballast befreien werden und wirklich ‚lebend‘ für uns sein können.


[i] So schreiben die Soziologen John Solomos und Les Back, unter Rückgriff auf den Historiker George L. Mosse: „[R]acism is not a coherent set of propositions that has remained the same in the period since the eighteenth century, but can best be conceived as a scavenger ideology, which gains its power from its ability to pick out and utilise ideas and values from other sets of ideas and beliefs in specific socio-historical contexts […]. There is, in other words, no essential notion of race that has remained unchanged by wider political, philosophical, economic and social transformations (dies., Racism and Society. London: Palgrave MacMillan, 1996, 213). Vgl. auch George L. Mosse, Toward the Final Solution: A History of European Racism. Madison, Wisconsin: University of Wisconsin Press, 1985, xxv, 210 f. Aus philosophischer Sicht schreibt Sally Haslanger, „Racism, Ideology, and Social Movements“. Res Philosophica 94(1) (2017), 1-22, hier 17, über die Dynamik rassistischer ‚Praktiken‘: „[T]he system is dynamic; although relatively stable, there is a historical development; the adjustments don’t always return the system exactly to the original state, but can allow a shift to a different sort of hierarchical structure. For example, in the case of African Americans, slavery evolved into Jim Crow segregation, which evolved into the current hierarchy maintained by mass incarceration and felonization, ghettoization, economic marginalization, and cultural stigma“. Ein weiteres, in der Rassismusforschung vieldiskutiertes Beispiel für eine solche Anpassung ist der sogenannte ‚Neorassismus‘ oder ‚Rassismus ohne Rassen‘, bei dem die diskriminierten Gruppen kulturell, nicht biologisch definiert werden; vgl. dazu die in Endnote ix zitierten Texte von Balibar/Wallerstein, Hall und Taguieff.

[ii] Christoph Meiners, „Ueber die Natur der Afrikanischen Neger, und die davon abhängende Befreyung oder Einschränkung der Schwarzen“. Göttingisches Historisches Magazin 6 (1790), 385-456, hier 396.

[iii] Arthur de Gobineau, Essai sur l’inégalité des races humaines. Paris: Firmin-Didot frères, 1853-1855, Buch I.12-14.

[iv] Wir verwenden die folgenden Abkürzungen für Werke Hegels: GW = Gesammelte Werke. Hg. Nordrein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und Künste, Hamburg: Meiner, 1968ff.; TW = Werke in 20 Bänden (Theorie-Werkausgabe). Hg. Eva Moldenhauer, Karl Markus Michel. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1969–1971; PhGesch = Die Philosophie der Geschichte. Vorlesungsmitschrift Heimann (Winter 1830/1831). Hg. Klaus Vieweg. München: Wilhelm Fink, 2005.

[v] Christoph Meiners, „Ueber die Natur der Afrikanischen Neger, und die davon abhängende Befreyung oder Einschränkung der Schwarzen“. Göttingisches Historisches Magazin 6 (1790), 385-456, hier 396.

[vi] Vgl. z.B. Guillaume-Thomas Raynal, Histoire philosophique et politique des établissemens et du commerce des Européens dans les deux Indes. Genf: Jean Léonard Pellet, 31780, u.a. Buch VIII.1 und XI; Johann Friedrich Blumenbach, Beyträge zur Naturgeschichte, Göttingen: Heinrich Dieterich, 21806, 1. Teil, Kap. 13.

[vii] Hinsichtlich des im 18. Jahrhundert entwickelten ‚Rasse‘-Begriffs, den Hegel in seiner Theorie darin beerbt, schreibt der Historiker Christian Geulen, dass er „aufgrund seiner multiplen Bedeutung an[bot], klimatisch-geographische, historisch-politische und natürlich-körperliche Aspekte miteinander zu verbinden und aus ihrer Verschränkung die Eigenschaften der Rassen auch rational zu erklären“ (siehe ders., Geschichte des Rassismus. München: C.H. Beck, 2017, 56f.

[viii] In diesem Sinn schreibt der Historiker George M. Frederickson, unter Verweis auf den von Hegel verwendeten Begriff des ‚Volksgeistes‘: „[C]ulture can be reified and essentialized to the point where it becomes the functional equivalent of race. People or ethic groups can be endowed with national souls or Volksgeister, which, rather than being inherited by any observable biological or genetic process, are passed on from generation to generation by some mysterious or even supernatural means, a kind of recurring gift from God“ (ders., Racism: A Short History. Princeton: Princeton University Press, 2002, 7).

[ix] Vgl. z.B. Frantz Fanon, „Rassismus und Kultur.“ [1956] In: Ders.: Das kolonisierte Ding wird Mensch. Ausgewählte Schriften. Leipzig: Verlag Philipp Reclam jun. 1986, S. 134-148; Albert Memmi, Rassismus, übers. von Udo Rennert. Frankfurt a.M.: Athenäum, 1987 [1982]; Étienne Balibar; Immanuel Wallerstein, Race, Nation, Class: Ambiguous Identities. London: Verso, 1991 [1988]; Pierre-André Taguieff, The Force of Prejudice: On Racism and Its Doubles. Minneapolis & London: University of Minnesota, 2001 [1988]; Stuart Hall, „Rassismus als ideologischer Diskurs“, Das Argument 178, 1989, S 913-921; Wulf D. Hund, Negative Vergesellschaftung. Dimensionen der Rassismus-Analyse. Münster: Westfälisches Dampfboot, 22014.

[x] So hat die dem Europarat angegliederte ECRI (Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz) Rassismus 2001 wie folgt definiert: „die Überzeugung, dass ein Beweggrund wie Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, Staatsangehörigkeit oder nationale oder ethnische Herkunft die Missachtung einer Person oder Personengruppe oder das Gefühl der Überlegenheit gegenüber einer Person oder Personengruppe rechtfertigt“ (https://rm.coe.int/ecri-general-policy-recommendation-no-7-revised-on-national-legislatio/16808b5aac). Bereits 1978 hat die UNESCO den Rassismus-Begriff noch weiter gefasst: „Racism includes racist ideologies, prejudiced attitudes, discriminatory behaviour, structural arrangements and institutionalized practices resulting in racial inequality as well as the fallacious notion that discriminatory relations between groups are morally and scientifically justifiable“ (https://www.ohchr.org/en/professionalinterest/pages/raceandracialprejudice.aspx, Artikel 2.2, unsere Hervorhebung).

[xi] Vgl. Wulf D. Hund, Wie die Deutschen weiss wurden. Kleine (Heimat)Geschichte des Rassismus. Stuttgart: J.B. Metzler, 2017, 26.

[xii] Vgl. Robert Bernasconi, „The Philosophy of Race in the Nineteenth Century“, in Dean Moyar (Hg.), The Routledge Companion to Nineteenth Century Philosophy. London & New York: Routledge, 2010, 498-521, hier 516.

[xiii] Vgl. z.B. Nicolas de Condorcet, Esquisse d’un tableau historique des progrès de l’esprit humain. Paris: Agasse, 1795, 329ff.ix.

[xiv] Robert Bernasconi, „Nietzsche as a Philosopher of Racialized Breeding“, in Naomi Zack (Hg.), The Oxford Handbook on Philosophy of Race. Oxford: Oxford University Press, 2017, 54-64, hier 55.