23 Jun

Hegel als Zombie. Eine Erwiderung auf Daniel James und Franz Knappik

von Folko Zander (Jena)


Dass Hegel in vielen seiner Schriften leicht misszuverstehen ist, kann vorbehaltlos zugegeben werden. Das ist auch leicht verständlich angesichts der Schwierigkeit seiner philosophischen Gegenstände und der sich daraus ergebenden Probleme der sprachlichen Vermittlung. Deswegen sind in der seriösen Hegelliteratur Fehldeutungen, Uneinigkeiten und ein eher langsames Voranschreiten des Verständnisses eher zu finden als bei anderen Philosophen. Das ist bedauerlich, aber nicht zu ändern.

Was aber nicht heißt, dass es auch bei Hegel Passagen gibt, die an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig lassen und wo es selbst bei oberflächlicher Lektüre eigentlich gar nicht möglich ist, ihn fehlzudeuten. Wenn also die Autoren Daniel James und Franz Knappik in ihrem kürzlich auf praefaktisch.de erschienenen Artikel „Das Untote in Hegel. Warum wir über seinen Rassismus reden müssen“ Verzerrung an üble Nachrede reihen, so kann hier nur eine Absicht vermutet werden, Hegel misszuverstehen. Gewiss, dies ist eine Unterstellung, aber zu dieser fühle ich mich angesichts eines an Unterstellungen nicht eben armen Traktats mehr als berechtigt.

Es geht im besagten Artikel nicht darum, bei Hegel rassistische Tendenzen bloß zu vermuten, denn dass Hegel ein Rassist sei, dieses Urteil steht mit der Überschrift schon fest. Der Artikel soll vielmehr als ein Beitrag des zumal in Deutschland sehr beliebten Genres des Debattenaufrufs verstanden werden. Es soll also über Hegels Rassismus geredet werden, wobei die Autoren großzügig einräumen, „dass die Beschäftigung mit Hegel auch heute philosophisch überaus lohnend sein kann“. Dies unterstellt erstens, dass Hegel ein Rassist gewesen sei, zweitens, dass eine Debatte über seinen Rassismus lohnenswert sein könnte. Für das erste glauben die Autoren, Textbelege liefern zu können. Für das zweite behaupten die Autoren, einen impliziten Rassismus in Lehrstücken Hegels nachgewiesen zu haben. Wenn dem so ist, dann werden unschuldig anmutende Lehrstücke Hegels immer noch lebendig diskutiert, obwohl sie im Kern tot, weil rassistisch sind. Der Rassismus Hegels geistere also, so ich die Überschrift der Autoren richtig gedeutet habe, immer noch als Zombie durch die Universitäten.

Zunächst wäre es wünschenswert, zu erfahren, was die Autoren sich unter Rassismus eigentlich vorstellen, weswegen hier wenigstens eine Minimaldefinition am Platze ist. Rassismus, und ich denke, das ist allgemein zustimmungsfähig, unterstellt die prinzipielle Ungleichwertigkeit bestimmter Menschengruppen aufgrund biologischer Abstammungsmerkmale. Es steht völlig außer Frage, dass eine solche Einstellung wie auch der Begriff der Rasse selbst heute völlig indiskutabel ist. Ich empfehle nicht, diese Charakterisierung von Rassismus noch auszuweiten, will man diesen Begriff nicht unbrauchbar machen und damit dem Kampf gegen Rassismus schaden. Für die Problematisierung anderer Positionen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit stehen genug andere -ismen zur Verfügung.

Was wird nun als belastendes Material herangetragen? Da ist zunächst die Einschätzung der Bewohner des subsaharischen Afrika als „Kindernation, die aus der kindlichen Interessenlosigkeit nicht herausgehn“. Schließlich die Behauptung der „Inferiorität“ der indigenen Völker Amerikas, die sich „physisch und geistig zu erkennen“ gebe, sodann Hegels Annahme verschiedener „Lokalgeister“ mit je unterschiedlicher „Befähigung des intelligenten und sittlichen Charakters der Völker“. Kann dies als herablassend und arrogant aufgefasst werden? Ganz sicher. Aber ist dies rassistisch? Dafür fehlt der Bezug zur Biologie, und die Autoren hätten zumindest darauf hinweisen sollen, dass Hegel mit Montesquieu ausschließlich geographische Gründe für die Besonderheiten der geschichtlichen Entwicklung der Völker geltend macht, die einer Befreiung von natürlichen Zwängen mal günstiger sind und mal eben nicht.

Aber davon ab – ist nicht auffällig, dass nur ein Paragraph vor der Diskussion über die Lokalgeister sich ein Zusatz findet, der damit eingeleitet wird, dass aus der Abstammung „kein Grund für die Berechtigung oder Nichtberechtigung der Menschen zur Freiheit und zur Herrschaft geschöpft“ (Enz., §393) werden könne? Ist nicht hinreichend bekannt, dass Hegel die zu seiner Zeit aufkommende rassistische Schädellehre lächerlich machte, wo er nur konnte, und die Erhebung der Physiognomik und der Kranioskopie zu den Wissenschaften zu einer der „leersten Einfälle“ zählte, „noch leerer als eine signature rerum, wenn aus der Gestalt der Pflanzen ihre Heilkraft erkannt werden soll“ (Enz., §411)? Ist die Bemerkung Hegels nicht schon Gemeingut, „wonach der Mensch gelte, weil er Mensch ist, nicht weil er Jude, Katholik, Protestant, Deutscher, Italiener usf. ist“? (Wer in der Aufzählung eine eurozentrische Selektivität erkennen zu können glaubt, beachte das „usf.“) Ist es nicht bemerkenswert, dass Hegel, völlig gegen den Zeitgeist, bei ethnisch gemischten Nationen, wie es z.B. die Griechen waren, ein schnelleres Fortschreiten im Bewusstsein der Freiheit am Werk sah als bei ethnisch reinen?

Es zeigt sich leider bei James und Knappik, dass solche Widersprüche zum unterstellten Rassismus stets zuungunsten Hegels aufgelöst werden, statt ihnen auf den Grund zu gehen, und dass sie dabei mitunter ganz unbefangen auf Textstellen zurückgreifen, dessen wacklige philologische Grundlage von den Autoren selbst zugegeben wird, die ebenfalls von den Autoren zitierte Warnung Klaus Viewegs, diese mit „aller gebotener Vorsicht“ zu behandeln, in den Wind schlagend. All die angeführten Stellen und mehr, die Hegel klar als Feind des Rassismus zeigen, lassen sich im Übrigen finden bei Sandra Bonetto, Race and Racism in Hegel. An Analysis, frei verfügbar im Netz und von den Autoren mit keiner Silbe erwähnt. In diesem Aufsatz kann man übrigens erfahren, dass der von den Autoren für seine „minuziöse Quellenarbeit“ gerühmte Robert Bernasconi, statt Verzerrungen und Übertreibungen Hegels bei der Auswahl seiner Quellen zugunsten seines angeblichen rassistischen Lehre nachzuweisen, selber bei Hegels Schriften übertrieb, verzerrte – und vor allem ausließ. Bei diesem wie bei den Autoren waltet ausschließlich eine Hermeneutik des Verdachts.

Dass die zitierten Textstellen beim schlechtesten Willen aus Hegel keinen Rassisten machen, scheint von den Autoren selbst eingesehen worden zu sein. Aber es gibt noch andere Möglichkeiten des bewussten Missverstehens, zum Beispiel die Verwischung des Unterschieds zwischen Beschreibung und Rechtfertigung. So wird aus Hegels Beschreibung des Faktums des Kolonialismus kurzerhand eine Legitimation, hinter der sogar eine „Strategie“ stecke. Dass mit der Kolonialisierung erstens einfach von Hegel ein weltgeschichtlicher Sachverhalt beschrieben wird (§351 RPh), der zweitens in der Moderne einem Defekt der bürgerlichen Gesellschaft geschuldet ist, der diese zu diesem Mittel „treibt“, lässt die Frage offen, was daran eine „Apologie“ sein soll. Ebenso verwischen die Autoren den Unterschied zwischen Antinomie und Ambivalenz: Dass z.B. die Befürworter der Sklaverei den Menschen als bloßes Naturwesen betrachten, wird von Hegel als „unwahrer Standpunkt“ charakterisiert, da der Mensch seine unmittelbare Natürlichkeit und mit ihr die Antinomie zwischen sich als Naturwesen und sich als „an sich freien“ aufzuheben und so sich freie Existenz zu geben habe, was die Ambivalenz vermissen lässt, welche die Autoren Hegel im §57 der Rechtsphilosophie unterstellen.

Aber die Ausweisung einiger expliziter Texte als „problematisch“ an Peripherstellen ist nicht das einzige Mittel der Autoren, Hegel zu denunzieren. Im Anschluss sehen sie dann auch „genauer hin“, um Hegel auf rassistische Implikationen einzelner Lehrstücke abzuklopfen. Hohl klingt es für die Autoren beim Eigentumsbegriff Hegels, wobei die Argumentation darauf hinausläuft, dass Völker, die kein Eigentumskonzept entwickelt haben, kein Eigentumskonzept entwickelt haben. Nach diesem Muster kann wirklich jede Eigentumskonzeption als kolonialistisch ausgegeben werden. Deswegen wird der Vorwurf obskur, Hegel habe die Frage zu stellen unterlassen, „ob die europäischen Siedler nicht gegen die Eigentumsrechte indigener Völker verstoßen“ haben. Als ob den Umweg über das Eigentum zu gehen nötig wäre, um mit Hegel das Unrecht der Siedler gegen die indigenen Völker herauszustellen!

Die Autoren geben sich bewusst, dass die Textstellen, auf welche sie sich beziehen, viele „Deutungsfragen aufwerfen“. Aber diese Fragen scheinen sich ja erledigt zu haben: Hegel ist in den Augen von James und Knappik Rassist und Kolonialist, und dies sei – die offenen Deutungsfragen gleich wieder vergessend – „wohl dokumentiert“. Deswegen nimmt es auch nicht Wunder, wenn sie auch das Lehrstück „Herrschaft und Knechtschaft“ als eine Apologie der Sklaverei missverstehen, ganz unbeeindruckt davon, dass diese Lesart auf der, vorsichtig ausgedrückt, stark umstrittenen Deutung von Alexandre Kojève basiert, welche den erkenntnistheoretischen Kontext dieses Abschnitts völlig ignoriert, der eine sozialphilosophische Deutung höchst zweifelhaft macht.

Hegel wurde – je nach politischer Wetterlage – ja schon vieles vorgeworfen: Vorbereiter des Nationalsozialismus, des Kommunismus oder gleich von beiden zu sein. Aber dass James und Knappik ausgerechnet einem Autor, der in seinen Angriffen auf Rassismus seiner Zeit weit voraus war, dem Philosophen der Freiheit schlechthin, Rassismus nachzuweisen vorgeben, dazu gehört ein Wille zur Auslassung und Entstellung, der beinahe schon Achtung abnötigt. Ein solches herablassendes Abkanzeln eines Autors, der die besten Argumente gegen Unfreiheit und Rassismus geliefert hat, und zwar unmissverständlich, schadet der Sache des Kampfes gegen Rassismus selbst.


Folko Zander ist Privatdozent am Institut für Philosophie der FSU Jena und arbeitet derzeit zu Hegels Wissenschaft der Logik.

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