#metoo und Männlichkeit. Soziologische Zugänge und Perspektiven auf die Überwindung sexueller Gewalt
von Paul Scheibelhofer (Innsbruck)[1]
Unter dem Label „MeToo“ hat die schwarze Bürgerrechtsaktivistin Tarana Burke bereits vor Jahren damit begonnen, öffentliches Bewusstsein für die weite Verbreitung von sexuellen Übergriffen gegen Frauen zu schaffen. Befeuert durch aufsehenerregende Fälle und breite mediale Berichterstattung wurde diese Realität nun weithin sichtbar und drängte sich in das Leben vieler, die das Thema bis dato ausblendeten oder belächelten. Die #metoo-Bewegung stellte damit auch gängige Erzählungen über männliche sexuelle Gewalt in Frage, die diese lediglich an den gesellschaftlichen Rändern verortete und dadurch ein positives Selbstbild einer aufgeklärten gesellschaftlichen Mitte nährt. Hier setzt der vorliegende Text an und wirft einen Blick auf Männlichkeiten im Kontext von #metoo. Gefragt wird, welche Erklärungen eine soziologische Perspektive auf Männlichkeit für jene Realitäten bietet, die von #metoo zur Sprache kamen. Und welche Implikationen so eine Perspektive für die Überwindung sexualisierter Gewalt von Männern gegen Frauen hat.
Auf der Suche nach Erklärungen für die weite Verbreitung von sexualisierten Übergriffen soll hier nicht auf Annahmen über die Rolle evolutionärer Prägungen, von Hormonen oder körperlicher Kraft für männliche Gewalt zurückgegriffen werden, deren Erklärungswert vielfach in Frage gestellt wurde (vgl. etwa Fine, 2012). Stattdessen wird an dieser Stelle eine andere, soziologische, Perspektive entwickelt. Jedes menschliche Verhalten wird dabei erstmal als menschlich mögliches Verhalten verstanden – so liegen sexualisierte Übergriffe und Gewalt offensichtlich im Rahmen dessen, was Menschen einander antun können. Eine soziologische Perspektive fragt nun nach den Zusammenhängen zwischen Verhalten und sozialen Bedingungen.
Die Fragen, die sich daraus für die vorliegende Auseinandersetzung mit #metoo und Männlichkeit ergeben sind: Welche gesellschaftlichen Bedingungen führen dazu, dass Männer gegenüber Frauen sexuell übergriffig werden? Wieso unterbinden andere Männer dieses Verhalten oft nicht, auch wenn sie davon erfahren? Und, was können Männer tun, um zur Beendigung von sexuellen Übergriffen durch Männer beizutragen? Als zentral wird sich bei der Beantwortung dieser Fragen die Rolle von Machtungleichgewichten erweisen und wie diese das Verständnis von einer idealisierten „richtigen Männlichkeit“ prägen.
Übergriffe, wie sie im Rahmen von #metoo zur Sprache gebracht wurde, werden hier als Formen der „Gewalt im Geschlechterverhältnis“ (GiG-net 2008) verstanden. Sie passieren nicht außerhalb des Geschlechterverhältnisses sondern werden durch die darin bestehenden Machtungleichgewichte befördert und tragen zur Reproduktion dieser Ungleichheit bei. Gewalthandlungen von Männern gegenüber Frauen sind dabei lediglich ein Aspekt eines umfassenderen Systems männlicher Dominanz (vgl. Forster, 2007). Gestützt werden diese durch strukturelle Ungleichheiten (wie die ungleiche Verteilung von Macht und Geld) und androzentrische Geschlechterbilder und –diskurse, die etwa die sexualisierte Objektivierung von Frauen propagieren.
1. Man wird nicht als Mann geboren: Die gesellschaftliche Produktion von dominanter Männlichkeit
Bereits vor mehreren Jahrzehnten hat die Feministin Simone de Beauvoir (2000 [1949]) mit ihrem Ausspruch „Man wird nicht als Frau geboren, man wird es“ auf den gesellschaftlich „gemachten“ Charakter von Weiblichkeit hingewiesen. So ist für die Frage, was es bedeutet, eine Frau zu sein, keine göttliche oder natürliche Ordnung verantwortlich, sondern gesellschaftliche Konventionen und Strukturen sowie deren Verinnerlichung durch Frauen selbst. Was de Beauvoir über Frauen gesagt hat, kann auch auf Männer übertragen werden: Auch sie werden nicht „als Männer geboren“, auch sie sind mit Erwartungen und Normen konfrontiert und auch sie stellen Geschlechtsidentität in Auseinandersetzung mit diesen Erwartungen her.
Während sich aber in Weiblichkeitsnormen die gesellschaftlich abgewertete Position von Frauen widerspiegelt, sieht es bei Männern anders aus: Jene Eigenschaften, die es braucht, um als „richtiger Mann“ anerkannt zu werden, verweisen auf die dominante Position von Männern als Gruppe und sollen diese machtvolle Position der Männer legitimieren. Die Männlichkeitsforscherin Raewyn Connell (2015) hat in diesem Zusammenhang den Begriff der „hegemonialen Männlichkeit“ vorgeschlagen und argumentiert, dass es ein normatives Ideal von Männlichkeit darstellt, das in patriarchalen Gesellschaften herrscht und von weiten Teilen der Männer angestrebt wird. „Richtige Männlichkeit“ wird demnach mit Aspekten wie Erfolg, Stärke, Durchsetzungsfähigkeit, Dominanz und Härte in Verbindung gebracht und aufgewertet. Männer, die ihr Leben entlang dieses Bildes von Männlichkeit ausrichten, erhalten dafür Privilegien bzw. „patriarchale Dividende“. Jene hingegen, die diesen Eigenschaften nicht entsprechen (können oder wollen) laufen Gefahr, in die Sphäre der abgewerteten Weiblichkeit verwiesen zu werden (und nicht selten Opfer von männlicher Gewalt zu werden). Männlichkeit und Gewalt ist in diesem ungleichen Geschlechterverhältnis auf unterschiedliche Weise gekoppelt: So wird nicht nur die staatlich sanktionierte Gewalt (etwa im Militär, der Polizei, dem Gefängnis) vornehmlich in die Hände der Männer gelegt, sondern spielt auch in interpersonellen Beziehungen von Männern eine große Rolle.[2] Gewalt von Männern gegen Frauen versteht Connell dabei als eingebettet in die umfassende gesellschaftliche Marginalisierung von Frauen und hält fest: „Man kann sich eine dermaßen ungleiche Struktur, die mit einer so massiven Enteignung sozialer Ressourcen einhergeht, eigentlich kaum gewaltfrei vorstellen.“ (Connell 2015, S. 104) Gewalt sieht sie dabei sowohl als Ausdruck von ungleicher Machtbeziehungen als auch als Mittel, um diese Ungleichheit abzusichern. Die Idealbilder hegemonialer Männlichkeit und die darin eingelagerte Abwertung von Frauen und Weiblichkeit fördern die Verbindung von Männlichkeit und Gewalt und machen Gewalt zu einer Männlichkeitsressource.
Wie der Soziologe Pierre Bourdieu (2005) herausgearbeitet hat, bleiben Männlichkeitsideale den Personen nicht äußerlich, sondern werden von ihnen angeeignet, in die eigene Persönlichkeit integriert und verkörpert – also „habitualisiert“. Im Rahmen dieses Habitualisierungsprozesses, der bereits mit der Kindheit einsetzt und sich später fortsetzt, bilden Männer jene Kompetenzen und Eigenschaften heraus, die sie benötigen, um in den „ernsten Spielen“ unter Männern mitzuspielen und Anerkennung als Mann zu erlangen. Wie Bourdieu herausstreicht, sind es dabei insbesondere andere Männer, die diese Anerkennung verleihen oder entziehen können, wodurch ein widersprüchliches Band von Konkurrenz und Loyalität zwischen Männern entsteht, das sie aneinander bindet. Die Habitualisierung normativ-hegemonialer Männlichkeit geht dabei nicht nur mit der Entwicklung von Kompetenzen, sondern auch mit der Formierung von tief sitzenden Dispositionen einher, die das „Mitspielen“ als Mann erfordern. Im Kontext ungleicher Machtbeziehungen sei demnach dem männlichen Habitus eine spezifische libido dominandi eigen: Eine körperlich empfundene Lust zu dominieren und in Auseinandersetzungen den eigenen Willen durchzusetzen.
Vor dem Hintergrund der Ausführungen von Connell und Bourdieu weist Michael Meuser (2002) auf die widersprüchliche Verbindung von normativer Männlichkeit und Gewalt hin: Während männliche Gewalt einerseits ein „Ordnungsproblem“ für die Gesellschaft darstellt, dient sie auch der Reproduktion einer Ordnung des Geschlechterverhältnisses, in der Männer über Frauen dominieren. In diesem Kontext ist männliche Gewalt zwar rechtlich verboten und (insbesondere aufgrund feministischer Skandalisierung) zunehmend geächtet, sie entspricht aber gleichzeitig der Strukturlogik von hegemonialer Männlichkeit und des männlichem Habitus in patriarchalen Gesellschaften.[3]
2. Von locker room talk und männlichem Anspruch auf weibliche Sexualität
Als im Jahr 2016, kurz vor der US-amerikanischen Präsidentschaftswahl, eine Aufnahme publik wurde, in der der damalige Kandidat Donald Trump einem TV-Moderator von seinen sexuellen Erfolgen bei Frauen berichtete, die er auch durch physische Übergriffe erziele, waren viele geschockt ob der Einblicke in das Verhalten dieses Mannes, aber auch durch das Gutheißen dieser Praktiken durch sein Gegenüber. Ein weiterer Moment des Schocks war es für viele, als dieser Kandidat einige Wochen später trotz der Aussagen zum Präsidenten der USA gewählt wurde. Für viele WählerInnen waren die Aussagen – die später als „locker room talk“ unter Männern abgetan wurden – offensichtlich kein Grund, Trump nicht zu wählen.
Die Erzählung Trumps verweist dabei auf einen Aspekt, der auch für das Verständnis von sexuellen Übergriffen relevant ist: Es ist die, wie selbstverständlich erscheinende, Überzeugung als Mann einen Zugriff auf weibliche Körper und weibliche Sexualität zu haben.
Wie oben ausgeführt, erhalten Männer im Kontext ungleicher Geschlechterverhältnisse das implizite Versprechen, dass eine Orientierung an und Verkörperung von männlichen Idealen mit dem Erhalt von patriarchaler Dividende einhergeht. Normative Männlichkeit nährt dadurch das Gefühl des „entitlements“, also des Anrechts auf privilegierten Zugang zu verschiedenen Gütern: sei es ein Mehr an gesellschaftlicher Macht oder an Lohn oder der Zugriff auf weibliche Sexualität. Dieser Zugriff war lange Zeit auch rechtlich abgesichert[4] und lebt in gängigen Geschlechterklischees bezüglich Sexualität weiter. Sex sei demnach etwas, das vor allem durch Männer gewollt und initiiert werde und Frauen gleichsam „abgerungen“ werden müsse und könne (Perry, 2008).
Wie Forschung mit jungen Männern zeigt, lernen viele dieses Bild des Mannes als sexueller Eroberer im Zuge ihrer Sozialisation kennen und orientieren sich daran. So haben etwa die feministische Psychologin Deborah Tolman und Kolleginnen (2003) in Interviews mit jugendlichen Männern gezeigt, dass Versatzstücke dieses Bildes bereits in jungen Jahren ihre Erwartungen und Verhaltensweisen in heterosexuellen Beziehungen prägen (vgl. auch Jösting, 2007). Die Tatsache, dass Donald Trump trotz Aufkommens der besagten Aufnahme zum US-Präsidenten gewählt wurde, mag junge Männer dabei in ihrer Orientierung an einem auf Dominanz ausgerichteten Verständnis von männlicher Sexualität bestätigen. Was Meuser zuvor bezüglich Gewalt im Allgemeinen gesagt hat, zeigt sich hier in abgewandelter Form: Zwar ist das Prahlen mit sexuell übergriffigem Verhalten in der Öffentlichkeit heute verpönt, jedoch entspricht der ostentativ zur Schau gestellte sexuelle Erfolg bei und der Zugriff auf Frauen dennoch der Strukturlogik dominanter Männlichkeit.[5]
Seien es anzügliche Kommentare und „cat calling“ auf der Straße oder sexuelle Grenzüberschreitungen und Übergriffe im Arbeitskontext: Dieses Verhalten aktualisiert einen männlichen Anspruch auf weibliche Körper und Sexualität. Es basiert auf einem Selbstverständnis, als Mann ein Anrecht auf den Körper von Frauen zu haben und auf einer Habitualisierung dieser Verbindung von Macht und Sexualität im Kontext dominanter Männlichkeit. Was hier sichtbar wird ist demnach weder einfach ein Ausdruck sexueller Lust, noch lediglich eine männliche Machtdemonstration – sondern die Verschmelzung von beidem. In diesen Handlungen wird sowohl eine spezifisch habitualisierte Lust der beteiligten Männer bedient als auch ihre dominante Position in einer heteronormativen Ordnung zwischen Männern und Frauen bestätigt. So sehr es also aus dieser Perspektive verkürzt erscheint, hier lediglich von einer sexualisierten Ausübung von Macht durch Männer über Frauen auszugehen, zeigt sich doch, dass diese Handlungen immer auch in institutionalisierte Machtverhältnisse eingebettet sind und von ihnen befördert werden. Ein Aspekt, der abschließend behandelt werden soll.
3. Hierarchien, Abhängigkeiten und männerbündische Organisationen
Ein großer Teil, der im Zuge von #metoo bekannt gewordenen Übergriffe, fand in Arbeitskontexten statt und verweist auf die Notwendigkeit, die Frage nach der institutionellen Einbettung dieser Handlungen zu stellen. Die Männer, um die es hier ging, waren oftmals mit institutioneller Macht ausgestattet. Sie okkupierten Positionen, in denen sie über Karrieren der betreffenden Frauen entscheiden und ihr Arbeitsleben maßgeblich torpedieren konnten.
Viele dieser Übergriffe sind also im Rahmen institutionalisierter, hierarchischer Beziehungen geschehen. Insofern haben diese Übergriffe auch Aspekte, die nicht allein durch einen Blick auf Männlichkeitskonstruktionen erklärt werden können. Ganz offensichtlich spielen hier Missbrauch von institutioneller Macht und die Sexualisierung von Abhängigkeitsverhältnissen eine gewichtige Rolle. Beides ist nicht intrinsisch mit Männlichkeit verbunden und kann ebenso durch weibliche Vorgesetzte ausgeübt werden, wie etwa der Fall einer New Yorker Professorin zu bestätigen scheint, die von einem früheren Doktoranden der sexuellen Belästigung beschuldigt wurde und zu einer einjährigen Suspendierung führte.[6] Was sich darin zeigt, ist die grundsätzliche Tendenz von autoritären Strukturen und diffusen Abhängigkeitsverhältnissen, Missbrauch zu befördern. Und die Notwendigkeit, solche Strukturen zu demokratisieren, um sexuellen Übergriffen entgegenzuwirken.
Und dennoch zeigt sich, dass Fragen von Geschlecht und Männlichkeit hier eine Rolle spielen. Denn die Arbeitswelt, so Joan Acker (1990), existiert nicht getrennt von herrschenden Geschlechterverhältnissen, sondern ist von diesen Verhältnissen geprägt. Die hartnäckige Praxis der Besetzung von institutionellen Machtpositionen durch Männer führt dabei zu einer Reproduktion vergeschlechtlichter Hierarchien, in denen „Führung“ mit Attributen dominanter Männlichkeit verbunden wird und dem Versprechen auf den Zugriff hierarchisch niedriger positionierter Frauen einhergeht. Was die Dominanz von Männern in vielen Bereichen von Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst ebenfalls befördert, ist die Etablierung männerbündischer Strukturen, die ihrerseits dazu beitragen, dass übergriffiges Verhalten durch Männer nicht unterbunden wird. Männliche Seilschaften und Männerbünde in Institutionen sind nicht nur Netzwerke, die der Weitergabe von Wissen, Ressourcen und Macht unter Männern dienen, sondern auch Loyalitäten und Abhängigkeiten unter ihnen schaffen (Doppler, 2005). Wie in den von Bourdieu beschriebenen „ernsten Spielen“ ist dabei ein Herausfallen aus dem Kreis der legitimen „Mitspieler“ potentiell mit Verlusten männlicher Privilegien verbunden. Unter solchen Bedingungen ist ein Einschreiten bei beobachtetem übergriffigem Verhalten riskant und kann auf den Einschreitenden zurückfallen. Ein Wegschauen, Gutheißen, Herabspielen oder Mitspielen ist hier die „sicherere“ Option um die eigene Position zu wahren und im Kreis der richtigen Männer zu bleiben.
4. Abschluss
Das „Phänomen #metoo“ zeigt die Verschiebungen, die aktuell im Umgang mit männlicher sexualisierter Gewalt stattfinden. Eine große Anzahl an Frauen, die Opfer von Übergriffen wurden, hat sich aus dem damit einhergehenden Stillschweigegebot gelöst und ist an die Öffentlichkeit getreten. Für Männer sollte #metoo ein Weckruf sein, Teil dieses veränderten Umgangs mit männlicher Gewalt zu werden und die mühsame Arbeit zur ihrer Überwindung nicht jenen zu überlassen, die darunter leiden müssen. So vielschichtig wie die Faktoren sind, die sexuelle Übergriffe von Männern begünstigen, so vielschichtig sollte dabei auch die Arbeit an ihrer Überwindung sein.
Neben der Reflexion und der Veränderung von eigenem Verhalten ist die „Entsolidarisierung mit dem Männerbund“ (Forster 2007, S. 23) ein wichtiger Schritt für Männer, die an der Beendigung sexueller Gewalt von Männern gegen Frauen teilhaben wollen. Diese Männer müssen also das „Risiko“ eingehen, hinzusehen und sich zu Wort zu melden, wenn andere Männer übergriffiges Verhalten an den Tag legen (oder in den locker rooms der männlichen Gesellschaft darüber prahlen). Sie müssen sich aus Loyalitäten befreien, die ein Wegsehen auf Kosten von Frauen befördern und ihre ablehnende Haltung gegenüber den Versprechungen an dominante Männlichkeit klar kommunizieren. Auf struktureller Ebene gilt es, sich für die Demokratisierung von Institutionen einzusetzen, um der Reproduktion von Männerbünden und personalen Abhängigkeiten entgegenzuwirken.
Die Auseinandersetzung mit #metoo zeigt aber auch die Notwendigkeit, herrschende Verständnisse von Männlichkeit infrage zu stellen und Alternativen auszuloten. Forschung zu „inclusive masculinity“ (Anderson, 2009) oder „Caring Masculinities“ (Elliott, 2016), die nicht um Abwertung und Dominanz sondern Solidarität und Empathie kreisen, können hier inspirieren, um nach Wegen zu suchen, die enge Verknüpfung von Männlichkeit und Gewalt zu lösen. Mit der Infragestellung dominanter Männlichkeitsideale, gilt es auch männliche Sozialisationsprozesse in den Blick zu nehmen und dahingehend zu verändern, dass diese nicht auf die Habitualisierung problematischer Geschlechternormen ausgerichtet sind, sondern vielfältige, emanzipatorische Entwicklungsmöglichkeiten bereitstellen.
Die teils heftigen Debatten um #metoo haben gezeigt, dass bereits die Frage, was als Gewalt gilt (und was lediglich ein „ungeschickter Annäherungsversuch“ oder als Kompliment gedacht gewesen sei), Teil der Auseinandersetzung mit Gewalt ist. Die Perspektive, die in diesem Text entwickelt wurde, geht davon aus, dass unterschiedliche Formen sexueller Grenzverletzungen und Übergriffe durch Männer mit einander in Beziehung stehen und in dominante Männlichkeitsbilder eingebettet sind. #metoo ist darum auch als Aufruf zu verstehen, diese Männlichkeitsbilder zu überwinden. Dabei gilt es, den gesellschaftlichen Rahmen im Blick zu behalten: Sexuelle Gewalt von Männern ist sichtbarer Ausdruck männlicher Herrschaft. Die Arbeit an der Überwindung sexualisierter Gewalt durch Männer ist darum unauflöslich mit der Arbeit an der Überwindung männlicher Herrschaft verbunden.
Zitierte Literatur
Acker, Joan (1990) Hierarchies, Jobs, Bodies. A Theory of Gendered Organizations. In: Gender & Society 4 (2): 139-158.
Anderson, Eric (2009) Inclusive masculinity. The changing nature of masculinities. New York: Routledge.
Beauvoir, Simone de (2000 [1949]) Das Andere Geschlecht. Hamburg: Rowohlt.
Bergmann, Nadja, Scambor, Christian und Scambor, Elli (2014) Bewegung im Geschlechterverhältnis? Zur Rolle der Männer in Österreich im europäischen Vergleich. Wien, Berlin: Lit Verlag.
Bourdieu, Pierre (2005) Die männliche Herrschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Connell, Raewyn W. (2015) Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. Wiesbaden: Springer VS.
Doppler, Doris (2005) Männerbund Management. Geschlechtsspezifische Ungleichheit im Spiegel soziobiologischer, psychologischer, soziologischer und ethnologischer Konzepte. Mering: Hampp Verlag.
Elliott, Karla (2016) Caring Masculinities: Theorizing an Emerging Concept. In: Men and Masculinities 19 (3): 240 – 259.
Fine, Cordelia (2012) Die Geschlechterlüge. Die Macht der Vorurteile über Frau und Mann. Stuttgart: Klett-Cotta.
Forster, Edgar (2007) Gewalt ist Männersache. In: Erich Lehner und Christa Schnabl (Hg.) Gewalt und Männlichkeit. Wien: Lit Verlag, S: 13-26.
GiG-net (2008) Gewalt im Geschlechterverhältnis. Erkenntnisse und Konsequenzen für Politik, Wissenschaft und soziale Praxis. Opladen: Verlag Barbara Budrich.
Kaufman, Michael (1996) Die Konstruktion von Männlichkeit und die Triade männlicher Gewalt. . In: BauSteineMänner (Hg.) Kritische Männerforschung. Neue Ansätze in der Geschlechtertheorie. Berlin: Argument Verlag, S: 138-171.
Meuser, Michael (2002) „Doing Masculinity“ – Zur Geschlechtslogik männlichen Gewalthandelns. In: Regina-Maria Dackweiler und Reinhild Schäfer (Hg.) Gewalt-Verhältnisse. Feministische Perspektiven auf Geschlecht und Gewalt. Frankfurt/New York: Campus Verlag, S: 53-78.
Perry, Brad (2008) Hooking Up with Healthy Sexuality: The Lessons Boys Learn (and Don’t Learn) About Sexuality. In: Joclyn Friedman und Jessica Valenti (Hg.) Yes means Yes! Visions of Female Sexual Power & a World Without Rape. Berkeley: Seal Press, S: 193 – 207.
Tolman, Deborah, Spencer, Renée, Rosen-Reynoso, Myra und Porche, Michelle (2003) Sowing the Seeds of Violence in Heterosexual Relationships: Early Adolescents Narrate Compulsory Heterosexuality. In: Journal of Social Issues 59 (1): 159-178.
Paul Scheibelhofer ist Universitätsassistent am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Innsbruck und ist dort Sprecher des Lehr- und Forschungsbereichs Kritische Geschlechterforschung. Er befasst sich in Forschung, Publikationen und Lehre mit den Themen: Kritische Männlichkeitsforschung; Geschlechterverhältnisse und Sexualität; Migration und Rassismus sowie emanzipatorische Pädagogik und Sexualpädagogik.
[1] Dies ist die gekürzte Fassung eines Artikels, der demnächst im Rahmen der Publikationsreihe Frauen.Wissen.Wien erscheint. Wir danken den HerausgeberInnen für die Genehmigung, ihn hier vorab zu veröffentlichen.
[2] So spricht etwa Michael Kaufman (1996) von der „Triade männlicher Gewalt“ im Kontext patriarchaler Geschlechterverhältnisse und verweist damit auf Gewalt von Männern gegen Frauen, gegen andere Männer und gegen sich selbst. Eine grundlegende Auseinandersetzung mit Gewalt und Männlichkeit müsste diese Einbindung von Männlichkeit in Gewaltverhältnisse umfassend in den Blick nehmen, steht jedoch nicht im Fokus des vorliegenden Textes.
[3] Das heißt freilich nicht, dass Frauen nicht gewaltmächtig und gewalttätig sind und dass auch die Gewalt von Frauen kritisch analysiert und an ihrer Beendigung gearbeitet werden muss. Bezüglich sexueller Gewalt zwischen Erwachsenen, die im Fokus dieses Textes steht, weisen jedoch alle seriösen Studien auf eine eklatante Überrepräsentation von Männern hin (vgl. etwa Kap. 6 in Bergmann, Scambor und Scambor, 2014). #metoo-Berichte bestätigten diese Erkenntnis von der „Männlichkeit“ dieser Form der Gewalt. Dass dennoch auch Frauen gegenüber Männern sexuell übergriffig sein können, wird weiter unten gewürdigt.
[4] Wie etwa die späte Einführung des Straftatbestands der Vergewaltigung in der Ehe in Österreich, 1989, zeigt.
[5] Und so kann auch in der Wahl Trumps eine implizite Bestätigung dieser Sicht auf „richtige Männlichkeit“ gesehen werden.
[6] Siehe etwa “What Happens to #MeToo When a Feminist Is the Accused?” in: New York Times, 13. August 2018, online unter: https://www.nytimes.com/2018/08/13/nyregion/sexual-harassment-nyu-female-professor.html [letzter Zugriff 15.09.2018]