Die Sittenwächter von PhilPublica oder über den Mangel an Einbildungskraft

Von Dieter Schönecker (Siegen)


Seit etwa dreieinhalb Jahren gibt es PhilPublica, ein Portal, das man nicht missen möchte. Es sammelt an einem übersichtlichen Platz Beiträge von Philosophinnen und Philosophen, die in verschiedenen Medien Stellung beziehen zu philosophischen und (im weiteren Sinne) politischen Themen. Eine von der DGPhil und der GAP eingesetzte Arbeitsgruppe (AG) sucht die Beiträge aus. Es ist eine Serviceleistung, die es einfacher macht, auf dem Laufenden darüber zu bleiben, was die Kolleginnen und Kollegen in der breiteren Öffentlichkeit erörtern und diskutieren. So weit, so sehr gut.

Vor kurzem habe ich PhilPublica vorgeschlagen, einen Beitrag mit dem Philosophen Michael Esfeld und dem Juristen Titus Gebel zu verlinken, der bei indubio publiziert wurde, dem podcast von Achgut.com. Das wurde abgelehnt. Hier ist die Begründung (ich zitiere mit Erlaubnis der AG):

Sehr geehrter Herr Schönecker,

haben Sie besten Dank für Ihre Einreichung. Die „Achse des Guten“ gehört zu denjenigen Kanälen, die die Redaktion nicht regelmäßig selbst auswertet, weil kaum akademische Philosophinnen und Philosophen dort publizieren. 

Beiträge, auf die wir hingewiesen werden und die den Leitlinien entsprechen, nimmt PhilPublica regelmäßig auf. Zu den Leitlinien zählt, dass PhilPublica nur auf Beiträge verlinkt, die einen professionellen journalistischen Filter durchlaufen haben. Die Frage ist, ob AchGut als ein Medium mit einem solchen Filter zählt. Dass der Blog eine bestimmte politische Ausrichtung erkennen lässt, ist für sich genommen kein Hinderungsgrund. Eine ganze Reihe von Medien haben eine politische Tendenz; die Leitlinien von PhilPublica haben dazu wohlweislich keine Klausel. 

Trotzdem gibt es natürlich rote Linien, die implizit mit dem Kriterium „professioneller journalistischer Filter“ mitbezeichnet sind. Es ist notorisch schwierig, diese roten Linien auf eine Weise zu beschreiben, die sich nicht selbst in den politischen Meinungsstreit hineinziehen lässt. Eine Möglichkeit wäre diese: Professionelle journalistische Standards sind die, die auf Journalistenschulen gelehrt werden, an Universitäten in den Medienwissenschaften diskutiert werden und in den von PhilPublica ausgewerteten Qualitätsmedien mehr oder weniger exemplifiziert werden. Ideologische Agenden, die das Kriterium eines professionellen journalistischer Filters mit „Systempresse“-Vorwürfen angreifen, können sich nicht auf eben dieses Kriterium berufen. Mit einer solchen Agenda kann man eigene Kanäle gründen und beispielsweise Verschwörungstheorien verbreiten, die in seriösen Medien bzw. in der bekämpften Systempresse keine Chance hätten. Dann steigt man in einem Kampf um kulturelle Hegemonie ein. Für diese Strategie kann es gute Gründe geben. In einem Kampf um kulturelle Hegemonie kann man sich aber nicht darüber beschweren, von den Bekämpften nicht gefeatured zu werden.

Ein weiterer und vielleicht wichtigerer Gesichtspunkt ist die Funktion von PhilPublica. PhilPublica ist ein Instrument der (weit verstandenen) Wissenschaftskommunikation. Im besten Fall sprechen und schreiben die Autorinnen und Autoren aus eigener fachlicher Kompetenz. Wo sie es nicht oder nur in geringem Umfang tun, möchte PhilPublica dokumentieren, dass Tugenden, wie sie in einem philosophischen Studium ausgebildet werden, auch in allgemeinpolitischen Debatten mit Gewinn eingesetzt werden können.

Im Tagesgeschäft bekommt die Redaktion manchmal heterogene Beiträge und muss dann abwägen, ob zumindest Teile des Beitrags die genannten Funktionen erfüllen. So auch hier.

– Der Auftakt des Gesprächs tut es schon einmal nicht. Lange, penetrante Eigenwerbungen dieser Art sind bisher auf PhilPublica nicht erschienen. 

– Im Fortgang erfährt man dann, dass die Geisteswissenschaften an Universitäten ein Auffangbecken für Minderleister mit Freiheitsekel seien. Auch diese Einschätzung zu verbreiten gehört sicherlich nicht zu den Aufgaben einer von geisteswissenschaftlichen Fachgesellschaften eingerichteten Plattform. Das Problem ist nicht, das diese Meinung außerhalb eines behaupteten Meinungskorridors läge, sondern dass sie belegfrei, beleidigend und ohne erkennbares Interesse an Klärung oder Aufklärung vorgetragen wird. Hier soll offenkundig kein Diskurs geführt, sondern ein unter der Zielgruppe verbreitetes oder erhofftes Ressentiment befeuert werden.

– Weiterhin erfährt man, dass 80% der Bevölkerung programmierbare Bio-Roboter seien, die den Mainstream-Medien alles glauben. 

– Von der medizinischen Wissenschaft heißt es, das seien auch nur „Medizinmänner“, die keine Ahnung hätten oder nicht mehr wüssten als jeder sonst.

Bei diesen und zahllosen anderen Einlassungen des Gesprächs handelt es sich weder um weit verstandene Wissenschaftskommunikation noch um philosophisch Relevantes, sondern schlicht um politische Meinungsäußerungen, die zude [sic], in Spannung zu den genannten Zielen der Plattform PhilPublica stehen. Natürlich kann man im Rahmen von Geisteswissenschaftskommunikation auch über Wissenschaftsskepsis diskutieren. Das geschieht hier aber nicht, statt dessen wird selbst welche verbreitet.

Nun kann man einwenden, dass die plumpesten Ausfälle im Gespräch nicht von Michael Esfeld stammen, sondern von seinen beiden Gesprächspartnern. Insbesondere vor dem Hintergrund dieser Tatsache haben wir den Beitrag in der AG „Philosophie und Öffentlichkeit“ ausführlich, ernsthaft und ergebnisoffen diskutiert. Wir fanden die Entscheidung durchaus schwierig, weil wir dem Mill-Argument dafür, dass auch abwegig erscheinende Minderheitsmeinungen ein Forum bekommen sollten, viel abgewinnen können. Aktuell geht es aber nicht um Rede-, Meinungs- oder Pressefreiheit. Es geht darum, ob ein bereits erschienener Beitrag zusätzlich über PhilPublica verbreitet werden sollte. Und diese Entscheidung muss sich an den oben genannten Funktionen der Plattform orientieren.

Wir haben, wie gesagt, lange diskutiert. Wenn alle Argumente ausgetauscht sind, muss am Ende prozedural entschieden werden. Es hat sich in der sechsköpfigen von den Vorständen der beiden Fachgesellschaften eingesetzten AG keine Mehrheit dafür gefunden, den Beitrag aufzunehmen. 

Es wird ihnen nicht entgangen sein, dass PhilPublica durchaus schon libertäre, staats- und medienskeptische Beiträge gespiegelt hat, auch einen von Michael Esfeld. In diesem Fall ist die Entscheidung anders ausgegangen.

Mit freundlichem Gruß

Die PhilPublica-Redaktion

Als ich den Vorschlag machte, befürchtete ich schon, dass er keine Zustimmung erhalten wird. Man konnte nämlich in den letzten Jahren durchaus den Eindruck gewinnen, dass es bei der DGPhil und der GAP viele und jedenfalls einflussreiche Stimmen gibt, die sich nicht gerade als vehemente Verfechter der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit auszeichnen, im Gegenteil. Dieser Eindruck nährt sich aus eigener Erfahrung, aus einer Reihe von Gesprächen und Diskussionen, aber auch aus dem Umgang mit dem Fall der britischen Philosophin Kathleen Stock ‒ auch wenn sich die GAP im Unterschied zur DGPhil immerhin zu einer (recht lauwarmen) Stellungnahme durchgerungen hat, die wiederum manchen Aktivisten missfiel. Außerdem haben drei Mitglieder der AG in der Vergangenheit meine Einladung, bei indubio mit mir über Wissenschaftsfreiheit zu diskutieren, abgelehnt – nicht wegen des Themas, sondern allein wegen des Mediums. (Ich war von indubio eingeladen worden, wollte aber nicht ohne Kontrahenten zur Verfügung stehen.)

Für meinen Geschmack ist die Begründung der AG zwar recht ausführlich, allerdings auch lavierend, sprunghaft und ungenau. Mit gutem Willen mag man im Wesentlichen drei Argumente erkennen; sie sind in anderen Kontexten ebenfalls schon geltend gemacht worden und also in gewisser Weise für die gegenwärtige Diskussion über Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit repräsentativ. Erstens verweist die AG auf die „Leitlinien für die Auswahl von Beiträgen“, wonach bei PhilPublica „Online-​Medienerzeugnisse“ präsentiert werden, die u.a. dadurch definiert werden, dass sie „einen professionellen redaktionellen Filter durchlaufen haben“ müssen. Bezieht man sich nur auf dieses (weder in den Leitlinien präzisierte noch sonst irgendwie formal hinreichend präzisierbares) Kriterium, ohne es mit inhaltlichen Kriterien zu vermengen, so liegt es auf der Hand, dass Achgut diesem Kriterium gerecht wird: Die Herausgeber bzw. Geschäftsführer sind seit Jahrzehnten professionell journalistisch tätig, und sie waren und sind dies ja auch in Medien, deren journalistische Qualität die AG nicht in Abrede stellt (Die Welt, Weltwoche usw.).

Aber so formal kann und will die AG, zweitens, nicht bleiben. Nun ist klar, dass auch die in den Leitlinien von PhilPublica sogenannten „Qualitätsmedien“ eine „politische Ausrichtung“ haben, und daher kann man Achgut eine solche politische Ausrichtung nicht ohne Weiteres vorwerfen. Was aber dann? Die Wahrheit liegt auf der Hand: Der AG passt diese Ausrichtung nicht, oder etwas genauer: sie widerspricht so sehr ihrer eigenen politischen Ausrichtung, dass sie es unerträglich findet, Achgut (wie die linken Gebetsmühlen es rasseln würden) ,ein Forum zu bieten‘. Einem Medium oder einer Person ,ein Forum zu bieten‘ soll dabei wohl bedeuten, einem Medium oder einer Person (ungewollt) neue Interessenten wie überhaupt durch den Einbezug in den Diskurs einen öffentlichen Status als anerkannten Diskussionspartner im politisch-öffentlichen Raum zu verschaffen oder zu erhalten. (In genau diesem Sinne sprach kürzlich der Rechtswissenschaftler Stefan Huster in seiner illiberalen und obendrein verlogenen Attacke auf Hans-Georg Maaßen in der FAZ davon, er möchte ihn „nicht hoffähig machen“.) Einer politischen Ausrichtung, die man ,nicht hoffähig‘ machen will, wirft man bevorzugt eine „ideologische Agenda“ und neuerdings gerne auch „Verschwörungstheorien“ vor, und das macht auch die AG. Nun sind im Allgemeinen die Grenzen zwischen einer ,politischen Ausrichtung‘ und einer ,ideologischen Agenda‘ gewiss fließend und schwer zu bestimmen, auch wenn dies kein Grund sein kann, keine Grenzen zu setzen; aber dafür braucht man eben Urteils- und auch Einbildungskraft. Blicken wir also auf den konkreten Fall: Ist Achgut ein Medium, das politische Positionen vertritt bzw. propagiert, die so radikal und abwegig sind, dass man diesem Medium nicht durch Verlinkung einzelner Beiträge ,ein Forum bieten‘, sie also nicht ‚hoffähig machen‘ sollte? Wenn ich recht sehe, findet man bei Achgut (und indubio) z. B. scharfe Kritik an der Identitätspolitik, an der Corona-Politik der alten und neuen Regierung, an grün-roter Energiepolitik, an der EU, man findet Islamkritik und Kritik an der Migrationspolitik der letzten Jahre, Zweifel am anthropogenen Klimawandel, eine Befürwortung der Atomkraft, von Trump und vom Brexit, usw. Solche Positionen muss man wahrlich nicht teilen. Aber intellektuell tugendhafte Menschen vertreten sie, man kann darüber streiten, und gewiss werden sie nicht dadurch falsch, dass sie vielleicht auch von der AfD vertreten werden. Ayaan Hirsi Ali, Russell A. Berman, Wolf Bierman, Peter Boghossian, Thea Dorn, Jonathan Haidt, Ingo von Münch, Boris Palmer oder Michael Wolffsohn zum Beispiel sind und waren sich jedenfalls nicht zu fein, auf Achgut zu veröffentlichen. Achgut ist in seiner Ausrichtung durchaus irgendwie ,rechts‘ – aber genau das gleiche gilt natürlich auf der anderen Seite des Spektrums etwa für die taz, die auf PhilPublica aber tatsächlich platziert wird. Die taz ist nicht im Geringsten weniger links als Achgut rechts ist. Den Vorwurf, Achgut verfolge eine ideologische Agenda, werden Menschen, die andere politische Auffassungen vertreten als offenkundig die Mehrheit der AG-Mitglieder, umgekehrt der taz machen.

Die AG schafft es nicht, eine andere Perspektive einzunehmen. Ihr fehlt offenkundig die Einbildungskraft, um sich vorstellen zu können, dass auf einen Liberalen wie Michael Esfeld ein auf PhilPublica verlinktes taz-Interview mit Rahel Jaeggi ‒ in dem diese von der „Revolution“ schwärmt und ziemlich unterkomplexe Thesen aufstellt wie etwa die, man brauche, „um festzustellen, dass man den Geflüchteten auf dem Mittelmeer helfen muss, […] nicht unbedingt eine komplexe Theorie“ ‒ ebenso bizarr wirken könnte wie umgekehrt das Interview mit Esfeld auf die AG. Sie kommt nicht auf den Gedanken, dass Menschen mit einer anderen philosophisch-politischen Orientierung z. B. eine These wie die von Donatella Di Cesare: „Was heutzutage geschieht, ist im Grunde ein Krieg der Nationalstaaten, ein Krieg Europas gegen die Migranten“ (verlinkt auf PhilPublica) für nicht weniger grotesk halten als die auf Achgut zu lesende These, man müsse, um die Schlepperei auf dem Mittelmeer zu beenden, Flüchtlingsboote zurückschicken. Und die AG kann oder will offenkundig nicht begreifen, dass für einen Philosophen wie Uwe Steinhoff Thesen wie die von Gen Eickers ‒ Menschen werde bei der Geburt ihr Geschlecht bloß „zugewiesen“, die Unterscheidung von gender und sex sei „nicht mehr haltbar“, ein solches „bio-essentialistisches Verständnis von Geschlecht“ sei die „Basis transfeindlicher Narrative in den Medien“ (verlinkt auf PhilPublica) ‒ schlichtweg Unfug sind und zudem politisch gefährlich. Wie praefaktisch einen Beitrag von Daniel Luca gegen Steinhoff treffend betitelte: Ideologisch sind immer die anderen.

Vielleicht ist aber, drittens, das Problem gar nicht die angeblich politisch-ideologische Ausrichtung von Achgut, sondern, obwohl davon kaum zu trennen, eher ihr polemischer Stil, ein Mangel an journalistischer Sorgfalt und Qualität. Vielleicht sieht die AG hier vor allem Polemik und die berühmte Hetze, Ressentiment und persönliche Herabsetzung Andersdenkender, Besserwisserei und einen Mangel an politischer Urteilskraft am Werk ‒ und in der Tat spricht die AG in Bezug auf die konkrete Folge mit Esfeld und Gebel von „plumpen Ausfällen“, von „belegfreien“ und „beleidigenden“ Meinungen „ohne erkennbares Interesse an Klärung oder Aufklärung“. Aber werden andere mit einer anderen politischen Sicht nicht das gleiche über die taz sagen, über Telepolis oder über den Freitag? Aus einer liberal-konservativen Perspektive verbreitet die taz fortlaufend freiheits- und demokratiefeindliche Unwahrheiten, schreibt etwa über Rassen und Geschlecht postfaktisch, hetzt gegen Andersdenkende (und dafür kann und muss man nicht nur auf Hengameh Yaghoobifarah oder Deniz Yücel verweisen); manche halten Telepolis (verlinkt auf PhilPublia) für verschwörungstheoretisch, Rudolf Augstein vom Freitag (verlinkt auf PhilPublia) für antisemitisch. Man schaue sich einmal die Minuten 4.01.06-4.02.30 bei diesem Römerberggespräch an, bei dem auch Romy Jaster anwesend war, Mitglied der AG (verlinkt bei PhilPublica); der Moderator ergießt sich in undifferenzierter, beleidigender Polemik. Es trifft zu, dass die Folge mit Esfeld polemische Äußerungen („Bio-Roboter“, „Medizinmänner“) enthält, die man sich vielleicht hätte sparen können – aber, Grundgütiger, soll das ernsthaft ein Grund sein, solche Beiträge nicht zu verlinken? Ist es kritikwürdiger, Mediziner, die aus der Sicht von Esfeld kein echtes Wissen über Corona hatten, aber als Experten auftraten, aus eben diesem Grund „Medizinmänner“ zu nennen ‒ als Trump ziemlich unverhohlen einen Faschisten, wie Daniel Loick es tat (verlinkt auf PhilPublica)? Loick warf sogar dem Supreme Court vor, „mit juristischen Mitteln den Weg für einen fundamentalen Abbau von Grundrechten“ freizumachen und verstieg sich zu der Behauptung, „die Abschaffung des Rechts auf Abtreibung“ sei Teil „einer Agenda, die auf nationale Homogenität und weiße Vorherrschaft“ setze – ist das weniger „belegfrei, beleidigend und ohne erkennbares Interesse an Klärung oder Aufklärung“, ist das weniger ideologisch oder verschwörungstheoretisch als die libertären Auslassungen Esfelds und Gebels? Und soll es ernsthaft ein Problem sein, dass es in der indubio-Folge um „politische Meinungsäußerungen“ ging? Geht es nicht um politische Meinungsäußerungen, wenn Stefan Gosepath in der taz seinen Umverteilungsphantasien freien Lauf lässt, um am Ende seiner ungeniert parteipolitischen Hoffnung Ausdruck zu verleihen, „dass die linken Reformkräfte die Mehrheit bekommen“ (verlinkt bei PhilPublica)? Die AG stört sich am Werbungseinschub zu Beginn der Folge ‒ machen die anderen Medien keine Werbung? Man wird den Verdacht nicht los, dass es der AG um solche Kritikpunkte gar nicht geht und auch nicht gegen kann; es geht darum, einem Medium kein Gehör zu verschaffen, dass Meinungen vertritt, die AG-Mitglieder verachten. Wem aber tatsächlich der Stil bei Achgut Grund genug ist, aus diesem Medium nichts zu verlinken, dem sollte auch der Stil der taz Grund genug sein für die analoge Reaktion. Ich plädiere für die Freiheit: Beiträge bei Achgut sind mir genau so willkommen wie Beiträge bei der taz.

Warum also Beiträge in der taz auf PhilPublica verlinken, nicht aber solche von Achgut? Das ist so wenig konsistent, wie es inkonsistent wäre, für die Redefreiheit von Peter Singer einzutreten (der Positionen vertritt, die manche für ableistisch halten), die Redefreiheit von Kathleen Stock aber einschränken zu wollen (die Positionen vertritt, die manche für transphob halten). PhilPublica hat die Aufgabe, eine Serviceleistung zu erbringen, und dabei sollte sie politisch neutral arbeiten. Das heißt nicht, dass die AG alles verlinken muss. Vielleicht muss sie nicht Beiträge von Caroline Sommerfeld-Lethe verlinken (so liberal wie Noam Chomsky, der die Meinungsfreiheit des Holocaustleugners Robert Faurisson verteidigte, muss man ja nicht sein). Wenn aber ein so überaus anerkannter Philosoph wie Michael Esfeld, dessen intellektuelle Tugendhaftigkeit und auch Kompetenz in Wissenschaftskommunikation außer Frage stehen, kein Problem damit hat, bei Achgut seine Position kundzutun, dann sollte PhilPublica daraus auch kein Problem machen. Wenn ein Philosoph wie Michael Esfeld auf Achgut publizistisch aktiv wird, sollte der AG das also als Gütesiegel reichen, so wie es als Gütesiegel ausreicht, wenn sagen wir: Robin Celikates etwas bei der taz publiziert (und z. B. die jüngsten Formen zivilen Ungehorsams verteidigt – was aus der Sicht anderer Philosophen wiederum Besserwisserei und einen Mangel an politischer Urteilskraft beweist). Warum überlässt die AG es nicht den Nutzern von PhilPublica, zu entscheiden, was sie von den Angeboten in Anspruch nehmen wollen, die auf PhilPublica gemacht werden? Warum tritt sie so paternalistisch auf? Oder begreift PhilPublica sich in Wahrheit als politische Akteurin im Kampf um Hegemonie? Ein Satz in der Begründung der AG lässt hier vielleicht tief blicken: „In einem Kampf um kulturelle Hegemonie kann man sich aber nicht darüber beschweren, von den Bekämpften nicht gefeatured zu werden.“

P. S. Soeben höre ich, dass der Vorstand der GAP ihren Ehrenpräsidenten, Georg Meggle, gecancelt hat. Meggle war eingeladen, an einer Podiumsdiskussion über Wissenschaftsfreiheit und Moral teilzunehmen. Jetzt wurde er wieder ausgeladen. Als Grund wurde seine Unterschrift unter den neuen Krefelder Appell angeführt. Der Inhalt dieses Appells ist, mit Verlaub, in der Tat abwegig. Aber genau das sind, wie oben gezeigt, andere Meinungen aus einer anderen Perspektive auch, und dass Philosophen abwegige Meinungen haben, ist ja nun wahrlich gute Tradition. Dieser neuerliche Akt akademischer Verbannung passt leider perfekt zu dem, was hier über PhilPublica geschrieben wurde. Shame on you!


Dieter Schönecker ist Professor für Praktische Philosophie an der Universität Siegen. Zuletzt erschien von ihm „Reden wir lieber von Verbannung“.