05 Apr

Ideologisch sind immer die Anderen: Zu Uwe Steinhoffs Polemik gegen Koch und Mühlebach

von Daniel Lucas


Auf diesem Blog hatten sich Heiner Koch und Deborah Mühlebach um eine Versachlichung der Debatte um die Äußerung von Kathleen Stock bemüht. Uwe Steinhoff hat darauf mit einer Replik geantwortet. Warum die Philosophie häufiger der Demut bedarf und die Grenzen ihrer Selbst wahrnehmen sollte.

Wo die scharfe Auseinandersetzung endet und die plumpe Beleidigung beginnt, mag im Auge der Betrachter*innen liegen (ja, mit einem komischen Sonderzeichen mitten im Wort). Dass die Polemik ein Teil der philosophischen Tradition ist, scheint mir zuzutreffen. Ob Steinhoffs Intervention in der Causa Kathleen Stock sich in diese Tradition einordnen kann, ist jedoch fraglich. Denn es stellt sich die Frage, inwiefern Beiträge als relevanter Teil einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung auftreten, die etwa solche Absätze beinhalten:

„Wenn der GAP an offener Diskussion gelegen ist, sollte sie Begrifflichkeiten vermeiden, welche sich eher für das einstige Sowjetregime mit seiner ausgeprägten Neigung eignen, Dissidenten als Geistesgestörte in die Psychiatrie zu sperren. Umgekehrt freilich ist die Popularität solcher Begrifflichkeiten im „woken“ linksautoritären Milieu nur die Fortsetzung der eigenen Tradition.“

Es hilft wenig zur Versachlichung der Debatte, wenn man seine Gegner*innen in die Nachfolge stalinistischer Vernichtungspolitik setzt.

Eine einfache Definition ist nicht immer eine gute Definition

Doch auch inhaltlich macht Steinhoff es sich zu einfach. Erkundigt man sich nicht im Duden, sondern in einem wissenschaftlichen Lexikon, danach, was ein Geschlecht sei, so kommt man unschwer zu der Erkenntnis: It’s complicated. Der Psychrembel etwa unterscheidet zwischen somatischem (vier Unterkategorien), psychischem (zwei Unterkategorien), sozialem (zwei Unterkategorien) und juristischem (vier Möglichkeiten) Geschlecht. Und wir lernen: Inkongruenzen zwischen den Geschlechtsmerkmalen sind selten, kommen aber vor.

Wenn Steinhoff den Menschen also anhand seiner Keimzellproduktion sortiert und behauptet Frauen seien lediglich dadurch definiert erwachsene Menschen zu sein, die große Keimzellen (Eizellen) produzieren während Männer kleine Keimzellen (Sperma) produzieren, so ist das zwar einfach und griffig, hat aber auch einen entscheidenden Nachteil: Er schafft es nicht das Phänomen zu erklären, welchem er sich widmet. Und gerade die analytische Tradition sollte doch wissen, dass es dem Verständnis der Welt wenig hilft, wenn die eigene Definition griffig, ihrem Gegenstand jedoch unangemessen, da etwa unterkomplex, ist. Erinnert sei hier auch an Aristoteles‘ ungefiederten Zweifüßler.

Die Gedanken sind frei, aber nicht folgenlos

Steinhoff verwehrt sich weiterhin gegen den Vorwurf, die Aussagen Stocks seien diskriminierend:

„Vielleicht meinen Koch und Mühlebach, dass der Sprechakt der Verkündung von Stocks Position diskriminierend sei. Aber auch das ist schlicht falsch. Diese Position zu lehren ist von der Wissenschafts- und Meinungsfreiheit eindeutig gedeckt (und jedes Gesetz, welches dies zu ändern suchte, wäre verfassungswidrig und unmoralisch).“

Auch hier macht er es sich wieder zu einfach: Eine Handlung oder Aussage kann natürlich noch von dem Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt und zugleich diskriminierend sein. Wir ändern Gesetze sogar in Bezug auf unser sittliches Empfinden. Und oft finden wir es empörend, dass gewisse Aussagen nicht justiziabel sind, wie etwa der Ausspruch: Wer Deutschland liebt, ist Antisemit. Dies kann der Ausgangspunkt der Änderung eines Gesetzes sein. Koch und Mühlebach weisen daher richtigerweise auf die geänderte und sich weiter ändernde Rechtslage hin. Insbesondere im Bezug auf das Recht zur Selbstdeklaration.

Auch sind Meinungen, wenn sie verbreitet werden, nicht folgenlos. Natürlich kann ich niemanden daran hindern, Antisemit zu sein, aber wir können als Gesellschaft Handlungen und Äußerungen rechtlich sanktionieren, die daraus folgen. Das wäre wohl weder verfassungswidrig noch unmoralisch. Zur (philosophischen) Auseinandersetzung gehört es daher auch, wie Koch und Mühlebach betonen, dass „es nicht offensichtlich ist, dass inhaltlich gut begründete Ausladungs- und Rücktrittsforderungen tatsächlich die Wissenschaftsfreiheit gefährden.“ Heißt hier: Nur weil etwas juristisch noch nicht verboten ist, muss es nicht in jedem Rahmen die Möglichkeit geben, dies äußern zu dürfen. Erwachsene Menschen sollten wissen, dass ihre Handlungen und Äußerungen Konsequenzen haben: Etwa, nicht mehr eingeladen zu werden. 

Ein wenig mehr Demut vor der Komplexität der Welt

Sind trans Frauen nun Frauen (und trans Männer Männer, was Steinhoff offenbar weniger interessiert)? Meinem – zugestanden vollkommen unzureichenden – Blick in die Diskussionsfrage folgend würde ich sagen: Klar, warum auch nicht. So wie auch cis Frauen, die keine Eizellen produzieren, natürlich Frauen sind. Ebenso wie cis Männer, die keine Spermien produzieren können, Männer sind. Wie Menschen mit Cochlea-Implantaten hören und solche mit Brillen sehen können. Aber was ich davon halte, ist auch nicht so wichtig. Wichtiger ist es vielleicht, bei mangelnder Einsicht in ein Problem, einfach mal die eigenen Gedanken für sich zu behalten. Oder, mit Kant gesprochen: Zumindest aus Pflicht zu handeln. Auch wenn das, um mich einmal abschließend in Steinhoff’scher Polemik zu üben, für alte weiße Männer mit viel Wut und Geltungsdrang oftmals schwer ist.


Daniel Lucas ist Wissenschaftliche Hilfskraft und Lehrbeauftragter am Institut für Philosophie an der Philipps-Universität Marburg. Er pflegt zudem einen uninspirierten Twitteraccount.

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