Eine Dosis Populismus gefällig?
von Thomas Plieseis (Salzburg)
Im Jahr 2000 ging ein Aufschrei durch die demokratischen Länder Europas und der westlichen Welt. Die Europäische Union sah sich zum ersten Mal mit einer Regierung in der eigenen Reihe konfrontiert, die zum Teil aus einer populistischen Partei bestand. Die Rede ist von der Regierungsbeteiligung der damals EU-kritischen FPÖ in Österreich. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel von der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) formte gemeinsam mit Jörg Haider von der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) eine schwarzblaue Koalition. Die in den Augen vieler als klar populistisch-einzustufende FPÖ machte im Wahlkampf vor allem mit einem EU-kritischen und ausländerfeindlichen Wahlkampf auf sich aufmerksam und erreichte bei der Nationalratswahl 1999 Platz 2 mit rund 27 Prozent der Stimmen. Sie verwies damit sogar knapp die Altpartei ÖVP auf den dritten Rang. Als diese zwei Parteien eine Regierung bildeten und die erstplatzierte Sozialdemokratische Partei Österreich (SPÖ) in die Opposition schickten, ertönten sowohl national als auch international kritische Stimmen, die darin eine Gefahr für unsere westlichen, demokratischen Werte sahen. Der österreichische Bundespräsident Thomas Klestil (ÖVP) musste am Ende sichtlich widerwillig die neue Regierung angeloben, doch nicht ohne zuvor von Schüssel und Haider ein klares Bekenntnis zur Demokratie und der Europäischen Union abzuverlangen. International kündigten 14 der damals 15 Mitgliedstaaten an, Österreich im Falle einer Regierungsbeteiligung der FPÖ zukünftig diplomatisch zu isolieren. Am Ende gab es eine typisch österreichische Lösung, um alle zu befriedigen: Die ÖVP und die FPÖ bildeten zwar eine Regierung, aber Jörg Haider wurde nicht Teil davon und wurde stattdessen Landeshauptmann von Kärnten.
Heute, fast 20 Jahre später, hat Österreich wieder eine schwarzblaue Regierung, doch der nationale und internationale Aufschrei blieb diesmal aus. An der Situation und an der FPÖ selbst hat sich wenig geändert. Der Parteichef ist ein anderer, aber EU-Kritik und Flüchtlinge waren auch bei der letzten Wahl beliebte Themen. Doch warum hielten sich diesmal die kritischen Stimmen im Zaum? Wurde man einfach müde, auf dieses kleine Land im Herzen Europas mit all seinen Fehlern hinzuweisen oder akzeptierte man schlicht, Populismus als einen Schatten der Demokratie anzuerkennen, mit dem man notwendigerweise auskommen muss? Die negativen Auswirkungen sind sehr wohl bekannt und in Ländern wie Ungarn oder Türkei kann man sehr gut erkennen, welche Gefahren Populismus birgt. Fakt ist aber auch, wie manche Forscher behaupten, dass Populismus auch positiv auf eine Demokratie auswirken kann und auch dessen Werte festigen kann, (Kaltwasser 2014, 484).
Doch inwiefern kann sich eine Regierungsbeteiligung einer populistischen Partei positiv auf ein Land bzw. auf eine Demokratie auswirken? Dies will ich nun an dem Beispiel der Freiheitlichen Partei Österreichs versuchen aufzuzeigen. Jedoch will ich davor noch eine kurze Definition von Populismus liefern, um zu zeigen, warum die FPÖ in meinen Augen als eine rechtspopulistische Partei einzustufen ist. Dies ist kein einfaches Unterfangen, da der Begriff „Populismus“ zu jenen schwammigen Begriffen gehört, über den man stundenlang diskutieren kann und dann am Ende immer noch mit leeren Händen dasteht.
In der Politikwissenschaft wurde schon oftmals versucht – jedoch ohne Erfolg – eine einheitliche Definition von Populismus zu finden. Für Freeden ist Populismus eine „thin-centred ideology“, welche im Vergleich zu „thick-centred ideologies“, wie Liberalismus oder Sozialismus, nicht wirklich zu bestimmen ist, da es gerade die theoretische Abstraktheit ist, die ihn auszeichnet (Freeden, in Mudde 2013, 7). In anderen Worten: PopulistInnen aus verschiedenen Ländern bedienen sich unterschiedlicher Themen, welche sie gerade als wichtig erachten, und „leihen“ sich Inhalte oder Positionen anderer Ideologien. Dies kann sich auch innerhalb eines sehr kurzen Zeitrahmens ändern. Weitere Merkmale können sowohl Hervorhebung des eigenen, „wahren“ Volkes und Elitenkritik sein (Rooduijn 2013). Für Jan-Werner Müller kann man populistische Parteien jedoch an einem Merkmal festmachen: dem moralischen Alleinvertretungsanspruch (Müller 2016, 57). PopulistInnen und populistische Parteien glauben, dass sie als einzige mit der Stimme des Volkes sprechen und daher auch die einzig legitimen Volksvertreter seien.
Die FPÖ hat schon früh unter Jörg Haider die Wichtigkeit des österreichischen Volkes hervorgehoben. Heutzutage wird zwar angenommen, dass Donald Trump mit seiner „America First“-Kampagne Neuland betrat, aber es war die FPÖ, welche 1992 mit dem Slogan „Österreich zuerst“ Aufsehen erregte. (Derselbe Slogan wurde 2009 nochmals von Heinz-Christian Strache als Titel von einem FPÖ-produzierten Rap Video aufgegriffen.) In ihren Wahlkämpfen sparte die FPÖ auch nie mit Elitenkritik, um die Entfremdung anderer Politiker vom Volk aufzuzeigen. Norbert Hofer (FPÖ) warf seinem Kontrahenten im Präsidentschaftswahlkampf, Alexander Van der Bellen von den Grünen, vermehrt vor, dass dieser mit seinen Sympathisanten Teil der „Schickeria“ sei. So sagte Hofer zu Van der Bellen: „Sie sind ein Kandidat der Schickeria, ich bin ein Kandidat der Menschen“ (Sapinski 2016). Wenn Hofer zwischen der „Schickeria“ und „den Menschen“ unterscheidet, deutet dies an, dass er die Menschen als das wahre Volk betrachtet und die „Schickeria“ als etwas, das außerhalb des Volkes liegt. Das Volk wird meist als homogene Masse angesehen. Die Eliten, gegen die sich PopulistInnen richten, gehören meist nicht zum wahren Volk, da sie es nur ausnützen wollen, um sich auf ihre Kosten zu bereichern. Wie auch Jörg Haider vor 25 Jahren verwendet auch der derzeitige Parteiobmann der Freiheitlichen Partei Heinz-Christian Strache in seinen Wahlkämpfen Plakate, auf denen zu lesen ist: „Sie sind gegen ihn, weil er für Euch ist“. Einerseits haben wir „Sie“, welche wiederum als die Eliten gedeutet werden könnte und andererseits ist „Euch“ als Adressat der Nachricht erkennbar. „Euch“ kann als das österreichische Volk betrachtet werden, nämlich als Ganzes. Dies bedeutet, dass es nur ein österreichisches Volk gibt, welches von bösen Einflüssen zu schützen gilt. Neben dem schon genannten Slogan benutzte Haider im Wahlkampf auch den Slogan „Er sagt, was wir denken“, das den moralischen Alleinvertretungsanspruch der FPÖ weiter untermauert. Eine weitere Untermauerung lässt sich auch auf Heinz-Christian Straches Wiener Wahlplakat „Mehr MUT für unser Wiener Blut“ erkennen, da hier das Wort „unser“ in „unser Wiener Blut´“ deutlich hervorgehoben wird. Es wurden hier nur einige Merkmale besprochen, welche zeigen sollten, ob die FPÖ als eine rechtspopulistische Partei einzuordnen ist. Dies ist meines Erachtens eindeutig zu bejahen.
Die Frage, die sich nun stellt, ist, ob populistische Parteien, wie die FPÖ, nun als rein demokratiefeindlich einzustufen seien oder ob sie auch positive Auswirkungen auf eine Demokratie haben können. Ja, die FPÖ jammert und kritisiert viel und sieht sich immer gern in der Opferrolle, doch könnte sie damit sogar Demokratie selbst stärken und unser Verständnis dafür vertiefen? Dies mag auf den ersten Blick vielleicht etwas abwegig klingen, aber dennoch nicht unmöglich. Erstens möchte ich festhalten, dass Menschen, die populistischen Parteien wählen, nicht per se demokratiefeindlich eingestellt sein müssen. Die meisten sind nur mit den outputs des politischen Systems unzufrieden und machen den Fehler, Demokratie mit Politik gleichzusetzen. Tatsächlich sind die Menschen in Österreich mit der Funktion- und Leistungsfähigkeit von Demokratie sehr zufrieden. Studien haben gezeigt, dass Österreich neben Ländern wie Finnland, Dänemark, Luxemburg, Niederlanden und Deutschland zu den Ländern gehört, wo die Demokratiezufriedenheit im Laufe der Zeit stabil und durchaus positiv geblieben ist. Weiters werden auch die zentralen Grundprinzipien von der Mehrheit der Bevölkerung getragen und „die Zustimmungswerte für Demokratie als beste Regierungsform wie die generelle Wertschätzung des demokratischen Systems sind in Österreich überdurchschnittlich ausgeprägt“ (Plasser und Seeber 2012, 285). Qi und Shin (2011, 246) haben diese Leute, welche der Demokratie freundlich gesinnt sind, aber mit den Ergebnissen der Politik nicht zufrieden sind sog. „kritische Demokraten“ getauft. Sie spielen eine wichtige Rolle, um das demokratische System zu konsolidieren und zu vertiefen. Deswegen könnte man PopulistInnen und deren WählerInnen auch als KritikerInnen des Systems verstehen, welche ihre Defizite und Schwächen aufzeigen, um diese in Zukunft zu verhindern oder Dinge zu verbessern. Ich bin der Überzeugung, dass die Mehrheit der Leute, die FPÖ gewählt haben, Demokratie im Grunde als die beste Regierungsform akzeptiert haben, aber den beiden großen Altparteien ÖVP und SPÖ, da diese zu lange Probleme in der Gesellschaft ignoriert haben, ein Bein stellen wollen. Im Österreich der Nachkriegsjahre haben sich ÖVP und SPÖ das Land „geteilt“, was einerseits der Grund war, dass Österreich für viele Jahre stabile Regierungen besaß und viele Krisen relativ gut überstehen konnte. Andererseits wurden dadurch festgefahrene Strukturen geschaffen, welche teils bis heute noch existieren. Für jeden schwarzen Turnverein gibt es einen roten Turnverein; wenn es eine schwarze Lehrergewerkschaft gibt, muss es auch ein rotes Gegenstück dazu geben, usw. Dies war bis zur Jahrtausendwende in Österreich der Fall. Davor gab es nur kleinere Parteien, welche den Altparteien nie gefährlich werden konnten. Erst durch eine populistische FPÖ wurden bzw. werden diese alten Strukturen aufgebrochen und der staubigen, österreichischen Politiklandschaft wieder Leben eingehaucht. Demokratie lebt schließlich von Meinungsvielfalt und daher ist jede Partei, die dazu beiträgt und welche auch eine Chance hat Dinge zu verändern, eine Bereicherung.
Weiters hat eine Regierungsbeteiligung der FPÖ zumindest bei mir dazu geführt, dass ich über mein eigenes Demokratieverständnis reflektiere. Ich habe nie verstanden, wie man eine Partei, deren Mitglieder immer wieder mit antisemitischen Aussagen aufhorchen lassen und dessen Parteichef per einem Gerichtsbeschluss von 2004 offiziell eine Nähe zu nationalsozialistischem Gedankengut nachsagen darf, mit gutem Gewissen wählen kann. Bis vor kurzem habe ich deswegen auch verstanden, warum manche Parteien, wie die SPÖ und Die Grünen auf Bundesebene kategorisch eine Zusammenarbeit mit der FPÖ ablehnen. Doch was sagt das über das eigene Demokratieverständnis aus, wenn man eine politische Partei, die sich (noch) im Rahmen des demokratischen Spektrums bewegt und offiziell zu Wahlen zugelassen sind, isoliert und man sogar Gespräche und Diskussionen mit ihr verweigert? Demokratie lebt von Diskussion. Wer für Pluralismus in einem Land eintritt, kann nicht den Ausschluss einer politischen Partei rechtfertigen, da die Ausgrenzung von populistischen Parteien logischerweise in weniger Pluralismus enden würde. Müller pflichtet dem bei, wenn er schreibt, „dass eine Antwort auf Populisten nur in der Auseinandersetzung und nicht in automatischen Ausschluss bestehen kann – und sollte“. Dies würde Populisten weiters nur in ihrer Argumentation bestätigen, dass die alteingesessenen Parteien keinerlei Kritik am System zulassen würden. Das macht es Populisten leicht, sich als die wahren Vertreter liberal-demokratischer Werte darstellen zu können (Müller 2016, 96-97). Man sollte Populisten auch nicht manche Felder der Politik kampflos überlassen, sondern sie in die Diskussion miteinbeziehen. Dadurch wird Demokratie in der Öffentlichkeit gelebt und den Menschen gezeigt, dass man ihre Sorgen und Ängste, die durchaus begründet sind, auch ernst nimmt.
Dies waren nur einige wenige Gründe, warum Populismus auch positive Aspekte haben kann. Dieser Eintrag soll auf keinen Fall als Versuch einer Art Rechtfertigung verstanden werden, da, meines Erachtens nach, die negativen Dinge gegenüber den positiven überwiegen. Wie an anderen Stellen in diesem Blog besprochen (wie im Beitrag von Norbert Paulos „Populismus, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit“), sind die Gefahren von populistischen Parteien und Personen nicht zu unterschätzen: PopulistInnen können demokratische Einrichtungen untergraben, indem sie die Richtigkeit der Ergebnisse von Wahlen in Frage stellen; sie können den Rechtsstaat abbauen, argumentieren mit Emotionen anstatt mit Fakten und spielen verschiedene Schichten der Bevölkerung gegeneinander aus. Aber wie Paracelsus schon sagte, alle Dinge sind Gift, es kommt auf die Dosis an. Mein Ziel war es, zu zeigen, dass die richtige Dosis Populismus sich durchaus auch positiv auf eine Demokratie auswirken kann. Auch wenn das nur heißt, sich selbst und das eigene Demokratieverständnis einer genaueren Betrachtung zu unterziehen und sich auf demokratische Werte zurückzubesinnen.
Thomas Plieseis hat in Salzburg das Lehramtsdiplomstudium Englisch und Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung absolviert. Derzeit unterrichtet er als Sprachassistent an einer britischen Schule in Leeds und startet im Herbst 2018 sein Unterrichtspraktikum in Österreich.
Bibliografie
Kaltwasser, Cristóbal Rovira (2014) “The Responses of Populism to Dahl´s Democratic Dilemmas”. Political Studies 62: 470-487.
Mudde, Cas und Cristóbal Rovira Kaltwasser. 2013. “Populism”. Oxford Handbooks Online. Web.
Müller, Jan-Werner (2016) Was ist Populismus? Berlin: Suhrkamp.
Plasser, Fritz und Gilg Seeber (2012) “Politische Kultur und Demokratiebewusstsein in der Zweiten Republik im internationalen Vergleich”. Helms, Ludger/Wineroither, David M. [Hrsg.]: Die österreichische Demokratie im Vergleich. Wien: Nomos. 269-292.
Rooduijn, Matthijs (2013) “The Nucleus of Populism: In Search of the Lowest Common Denominator”. Government and Opposition 49 (4): 572-598.
Sapinski, Hellin (2016) Die Presse: „Wenn Hofer und Van der Bellen alleine sind“ (online abrufbar unter: http://diepresse.com/home/innenpolitik/bpwahl/4989353/Wenn-Hofer-und-Van-der-Bellen-alleine-sind, zuletzt aufgerufen am 04.05.2018).