Heilloses Lachen. Gelotophile Affinitäten in Philosophie und Religion
von Robert Lehmann (Greifswald)
Selbstbeherrschung
„Religion ist eine ernste Sache“, dachte ich, als mich vor einigen Jahren zwei Notärztinnen mit Kabeln umkränzt aus einer Kirche trugen. Myokardinfarkt mit Anfang 30 ist unwahrscheinlich, selbst unter Philosophen. Und auch ich sollte am Ende zum rettenden Durchschnitt gehören. Was meine Brust zuschnüren, Arm und Kiefer schmerzen ließ, war, wie ich später erfuhr, nämlich nicht der träge Muskel meines Herzens. Es waren wohl auch nicht die Verlockungen des Engels der Duineser Elegien, die an diesem Abend mit Verve und heiligem Ernst von der Kanzel erklungen waren. Es war vielmehr die schiere Gewalt, die es brauchte, damit ich der unfreiwilligen Komik dieses Ernstes nicht den Platz einräumte, den sie so dringlich einforderte. Verkniffen und verkrampft habe ich mich in den Griff bekommen, bin nicht dem rüden Reflex schallenden Gelächters erlegen. Das war schon deshalb vernüftig, weil ich nun für einen Augenblick Repräsentant eines erstaunlichen Menschenschlages war: des Selbstbeherrschers, jenes Wesen, das sich in der paradoxen Leistung gefällt, sich zusammenreißen zu können.
Charles Taylor verdanken wir eine aufschlussreiche Geschichte der Verinnerlichung, die uns erklärt, warum wir, westlich und modern, der Aufassung sind, dass dieser Menschenschlag ein beinahe fragloses Ideal darstellt.i Philosophie und Religion sind in dieser Geschichte nicht nur zwei vielgestaltige Weisen, uns einen Reim auf die Tatsache zu machen, dass wir als bewusste, ja selbstbewusste Wesen gemeinsam eine Welt bewohnen und uns Antworten auf die Frage zumuten: „Was tun, jetzt, wo wir schonmal hier sind?“ – Religion und Philosophie waren und sind immer auch Versuche, den Menschen anzuleiten, sich in den Griff zu bekommen. Ausdrückliche Vorgaben in Form moralischer, lebenspraktischer oder spiritueller Erziehung dienen diesem Zweck genauso, wie ihre Artikualtion in umfassenden systematischen Architekturen. Religion und Philosophie sind gleichermaßen darauf aus, verbindliche Orientierung über Sein und Sinn des Ganzen, den Ort menschlicher Existenz und die moralische Ordnung dieses Ortes zur Verfügung zu stellen. Dabei dienen diese Orientierungsangebote nicht selten dazu, den Menschen seinen so flüchtigen wie widrigen Verhältnissen entweder gleich zu entheben oder sie ihm so vor Augen zu führen, dass er durch ihre Beherrschung zu den beständigen Sphären der Wirklichkeit, der Wahrheit, gelangt. Die täuschungsanfällige Unbeständigkeit seines Geistes, die letztlich letale Unbeständigkeit seines Körpers und vor allem die zerstreuende Unbeständigkeit seiner Affekte sind die wesentlichen Bereiche, die es in den Griff zu bekommen gilt. Unter den Affekten nimmt das Lachen dabei eine Sonderstellung ein und es lässt sich über das Verhältnis von Philosophie und Religion etwas sagen, wenn man bedenkt, wie ihnen das Lachen fragwürdig wird.
Innere Äußerlichkeiten
Genauer gesagt zeigt sich am Lachen, was wir heute landläufig meinen, wenn wir Philosophie und Religion in ein Spannungsverhältnis stellen. Ein gleichberechtigtes Verhältnis in Hinsicht auf die oben genannte Orientierungsleistung anzunehmen, halten wir nur in dem Maße für berechtigt, wie wir die Institutionalisierung, die uns aus den abrahamitischen Großrelgionen geläufig ist, einklammern. Zögen wir sie ins Kalkül, begegnete uns eine Skepsis gegenüber dem Lachen, von der wir hoffen müssten, der Philosphie sei sie schon aus äußerlichen Gründen unbekannt. Wenn wir mit Bergson das Lachen als entlarvende Reaktion auf die Versteifung und Mechanisierung vormals lebendigen Ausdrucks verstehenii, steht die Institutionalisierung des sinnstiftenden Geschäftes mit Riten und Ritualen vor einer kreativen Herausforderung: das Lachen zu verbannen oder sich, wie manche höfische Kultur, der erfrischenden Gefahr möglicher Narrenfreiheit auszusetzen. Schon das leidlich belegte Streben religiöser Systeme nach exklusiver Autorität lässt vermuten, dass sie diese Freiheit nicht ins Innere ihrer Ordnung holen. Sie werden sie vielmehr als Ganzes diskreditieren, in der kultivierten Externalisierung von Ventilsurrogaten wie dem Karneval bewahren oder wie Paulus die „Narrheit um Christi willen“ kurzerhand für sich vereinnahmen.
Gelten Philosophie und Religion hingegen als gleichbereichtigte Wege, Welt und Mensch in den Griff zu bekommen, muss auffallen, dass sich Religionen nicht wie Philosophien vorrangig in einem Begreifen organisieren, sondern auf Ergriffenheit aus sind. Während das affektive Ergriffensein durch die Liebe ein traditionelles Analogon zu religiöser Widerfahrnis bietet, wird die eruptive Ergriffenheit durch das Lachen in dieser Hinsicht kaum bedacht. Das mag mit seinem heiteren, ja unseriösem Charakter zu tun haben, oder damit, dass das Lachen immer auch als ein „entgleitendes Hineingeraten und Verfallen in einen körperlichen Vorgang“ (Plessner 2003, 259)iii erlebt wird, und damit das Pathos von Geistigkeit und Reinheit unterminiert. Es könnte aber auch daran liegen, dass sich im Lachen eine eigentümlich abgründige Ambivalenz in unserem Selbst- und Weltverhältnis ausdrückt. Sie hat Nietzsches Zarathustra vor Augen, wenn er das Lachen heilig spricht und sie ist es, die ein Kerngeschäft religiöser Orientierung empfindlich tangiert – das Versprechen auf Erlösung.
Selbst-Erlösung
Der Philosoph, der das Lachen heilig spricht, kennt auch eine größte Sünde: „War es nicht das Wort Dessen, der Sprach: ‚Wehe denen, die hier lachen!‘“ (Nietzsche 2008, 365)iv – aber Jesus versagt das Lachen nur, weil er es kurz zuvor bereits versprochen hatte: „Selig seid ihr, die ihr hier weinet; denn ihr werdet Lachen (Lukas 6,21)“.v Nur „hier“ gibt es nichts zu lachen. Diesseitig herrscht die radikale Sehnsucht postmortaler Entrückung. Zarathustra kennt viele Weisen des Lachens, aber keine ist das Verprechen einer anderen Welt, höchstens das Versprechen einer neuen Aussicht. In seiner stillsten Stunde, vor dem Schmerz eines Abschieds, reicht ein Lachen so tief, dass es ihm die Eingeweide zerreißt und das Herz aufschlitzt. Solches Lachen muss auch dem Begreifen, muss der Vernunft verdächtig werden. Hier verliert sie schon deshalb ihren Griff, weil es fassungslos macht.
Es gibt ein Lachen, in dem sich der Mensch selbst entfremdet, in dem er anonym wird und sich so umfassend zum Ganzen hin öffnet, dass Plessner ihm einen impersonalen Zug zugesteht: „Er selbst lacht eigentlich nicht, es lacht in ihm, er ist gewissermaßen Schauplatz und Gefäß für diesen Vorgang“ (Plessner 2003, 333). In der entgrenzenden Impersonalisierung des Lachens entgleitet sich der Mensch, verliert vielleicht die Fassung. Und doch ist es gerade solches Lachen, das Zarathustra die Wanderung der Selbsterkenntnis hin zu seinem „letzten Gipfel“ unternehmen lässt. Und zuletzt ist es ein unerhörtes Lachen, das jenen Hirten umfängt, der auf Zarathustras Weisung hin, der schwarzen Schlange der Schwere den Kopf abbeißt: „Nicht mehr Hirt, nicht mehr Mensch, – ein Verwandelter, ein Umleuchteter, welcher lachte. Niemals noch auf Erden lachte je ein Mensch, wie er lachte.“ (Nietzsche 2008, 202 )
Das befreite Lachen des Selbst-Erlösers. Hier lacht niemand über etwas – hier lacht es. So wundert es auch nicht, wenn uns die Wertschätzung eines großen Lachens aus einer Kultur überliefert ist, in der sich selbst zu erkennen bedeutet, sich zu vergessen.vi Hier sind Begreifen und Ergriffenheit nicht nur eins, das ganze Programm des Sich-in-den-Griff-bekommens wird im Zen-Buddhismus so entschieden geübt, dass der Griff der Selbstbeherrschung am Ende ins Leere geht.vii Daran mag es liegen, dass die asiatischen Kulturen den westlichen Philosophien stets zu religös, den Religionen zu philosophisch waren. Verdächtig ein religiöses Philosophieren, dessen soteriologische Kategorie satori lautet – Verstehen – und dessen radikal-diesseitiger Charakter keine Erbauung, nur Erfahrung zu bieten hat, die nicht dem lästigen Wankelmut der Wirklichkeit enthebt, vielmehr schonungslos in sie hineinführt. Wenn man den Ochsen der Erleuchtung gefunden hat, geht es auf den Markplatz zurück: „Mit entblößter Brust und nackten Füßen kommt er herein auf den Markt. Das Gesicht mit Erde beschmiert, der Kopf mit Asche über und über bestreut. Seine Wangen überströmt von mächtigem Lachen. Ohne Geheimnis und Wunder zu mühen, läßt er jäh die dürren Bäume erblühen.“ (Ohtsu 2018, 49)viii
Es ist aber keine philosophische Apotheose buddhistischer Praxis notwendig. Heillosen Lachen lässt sich zwanglos als Ausdruck und sogar Vehikel solcher Zustände auffassen, in denen uns außeralltägliche Erfahrungen des Heiligen oder Numinösen möglich werden. Im Horizont eines häretischen Imperativs hat Peter L. Berger einen Versuch in diese Richtung unternommen.ix Wenn die Fassungslosigkeit menschlichen Lachens Philosophie und Religion gleichermaßen angeht, wird ein Philosophieren, dem nichts menschliches fremd ist, die Ergriffenheit religiösen Erlebens also schon dadurch anerkennen können, dass es mit dem Begreifen des Lachens ernst macht.
RobertLehmann ist Postdoc an der Universität Greifswald. Seine Forschung widmet sich vorrangig Fragen der Phänomenologie, der interkulturellen Philosophie und Ästhetik. Gerade erscheint seine Dissertation zum Thema Selbstbewusstsein in Phänomenologieund dem indischen Vedānta im Verlag Karl Alber.
iCharles Taylor: Quellen des Selbst. Die Entstehung der neuzeitlichen Identität. Übers. v. J. Schulte. Suhrkamp Frankfurt 1994.
iiHenri Bergson: Das Lachen. Ein Essay über die Bedeutung des Komischen. Übers. v. R. Plancherel-Walter. Meiner: Hamburg 2011.
iiiHelmuth Plessner: Lachen und Weinen. Eine Untersuchung der Grenzen menschlichen Verhaltens. In: Ausdruck und menschliche Natur. GS. VII. Frankfurt: Suhrkamp, 2003.
ivFriedrich Nietzsche: Also Sprach Zarathustra I-IV. KSA 4, hrsg. v. G. Colli und M. Montinari. De Gruyter: Berlin/New York.
v Ich folge hier Ryōsuke Ōhashi: Das ‚Lachen‘ als Augenblick und als Kairos. Nietzsches Zarathustra und Zen. In: Ryōsuke Ōhashi: Schnittpunkte. Essays zum ost-westlichen Gespräch. Band I: Dimensionen des Ästhetischen. Traugott Bautz: Nordhausen 2013.
viIn Dōgens Shōbōgenzō heißt es: „Den Buddha-Weg erlenen heißt, sich selbst (jiko) erlernen. Sich selbst erlernen heißt, sich selbst vergessen. Sich selbst vergessen heißt, durch die zehntausend dharma von selbst erwiesen werden. Durch die zehntausend dharma von selbst erwiesen werden heißt, Leib und Herz (shinjin) meiner selbst (jiko) sowie Leib und Herz des Anderen (tako) abfallen zu lassen (totsaruko). Die Spur des Erwachen kann verschwinden, die verschwundene Spur des Erwachens [soll man] lang, lang hervortreten lassen.“ Vgl. Dōgen Shōbōgenzō. Ausgewählte Schriften. Anders Philosophieren aus dem Zen. Zweisprachige Ausgabe, übers., erl. und hrsg. Von R. Ōhashi und R. Elberfeld. Frommann-Holzboog: Stuttgart 2006.
viiRobert E. Carter: »Why Do Birds Shit on Buddha’s Head?« Zen and Laughter. In: Laughter in Eastern and Western Philosophies. Hrsg: H.-G. Moeller, G. Wohlfart. Alber: Freiburg / München 2010.
viiiDer Ochs und sein Hirte. Erl. von D. R. Ohtsu, übers. v. K. Tsujimura u. H. Buchner. Klett-Cotta: Stuttgart 2018.
ixPeter L. Berger: Erlösendes Lachen. Das Komische in der menschlichen Erfahrung. de Gruyter: Berlin 1998. Den Begriff des herätischen Imperativs entfaltet er hier: Heretical Imperative: Contemporary Possibilities of Religious Affirmation. Doubleday: New York 1979.