09 Jul

Grenzen der kosmologischen Erkenntnis?

Von Brigitte Falkenburg (Dortmund)

Kant argumentiert in der Kritik der reinen Vernunft, dass sich die menschliche Vernunft beim Versuch, die Naturerkenntnis zu vervollständigen, in die kosmologische Antinomie verwickelt. Diese Antinomie entsteht nach ihm aus vier Fragen über das Universum: Hat die Welt einen Anfang in der Zeit und Grenzen im Raum? Besteht die Materie aus unteilbaren Substanzen? Gibt es Kausalität aus Freiheit oder nur kausale Naturvorgänge? Ist alles, was in der Welt geschieht, notwendig oder zufällig? Beim Versuch, Antworten auf diese kosmologischen Fragen zu finden, verwechselt man nach Kant Sinneserscheinungen mit Dingen an sich und verwickelt sich deshalb in Widersprüche. Kant betrachtete seine Antinomie als „Experiment der reinen Vernunft“ – ein Gedankenexperiment, das stringent beweist, dass wir nur Sinneserscheinungen erkennen können, aber keine Dinge an sich. Danach beschränkt sich jede objektive Erkenntnis auf die Erfahrungswelt, bleibt immer unvollständig, und die traditionellen metaphysischen Fragen nach den „letzten“ Ursachen der Welt und dem Sinn des Lebens sind unbeantwortbar.

Auch wenn Kant damit grundsätzlich recht hat, ist seine Argumentation aus heutiger Sicht unhaltbar: Sein „transzendentaler Idealismus“ ist keineswegs die einzig denkbare Alternative zu dem „transzendentalen Realismus“, den er widerlegen wollte – es sind andere (auch moderatere!) metaphysische Positionen denkbar, die weder auf dem philosophischen Rationalismus beruhen, den Kant kritisierte, noch auf Kants Erkenntnistheorie. Und: Seine Beweise der kosmologischen Antinomie gehen am modernen Verständnis der Beziehung zwischen Theorie und Experiment in der Physik und den anderen Naturwissenschaften vorbei. Physikalische Kosmologie sowie Atom-, Kern- und Elementarteilchenphysik sind seit Einstein, Bohr und Heisenberg widerspruchsfrei möglich. Dabei lassen sich alle Theorien der Physik allerdings nur partiell testen, ihre Erfahrungsbasis ist beschränkt und überall lauert das Induktionsproblem.

Dennoch ist es sinnvoll, gut bewährte Theorien für angenähert wahr zu halten, also einen wissenschaftlichen Realismus bezüglich der Natur „an sich“ zu vertreten – von der Physik über die Chemie, Biologie und Medizin bis zur Klimaforschung. Zwar gibt es hartnäckige Grenzen der Naturerkenntnis, aber sie sind anders gelagert als Kant sich dies vorgestellt hatte. Das ehrgeizige Ziel einer einheitlichen, umfassenden Theorie der Natur scheitert nicht an einer Antinomie der Naturerkenntnis, sondern an der Komplexität der Natur. So gelingt es in der Physik seit hundert Jahren nicht, Kosmologie und Quantentheorie zu vereinheitlichen, um die Welt im Großen und im Kleinen durch ein-und-dieselbe Theorie zu beschreiben. Kant bleibt hier vielleicht anregend, aber seine kosmologische Antinomie hilft nicht weiter.

03 Jan

Welt und Welterklärung

Fragezeichen an Bäumen

Uwe Meixner (Universität Augsburg)


Die Welt ist in ganz bestimmter Weise; sie war es und wird es sein. In unendlich vielen anderen Weisen, in denen die Welt offenbar auch sein könnte, ist sie nicht. Warum also ist die Welt in dieser ganz bestimmten Weise und nicht in einer anderen? Diese Frage ist, wenn man sie ultimativ auffasst, also auf die Welt in ihrer zeitlichen Ganzheit – in der Gesamtheit ihrer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – schaut und nach „letzten“ (oder „ersten“) Gründen für „all dies“ fragt, eine der zentralen Fragen der Philosophie.

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