22 Aug

Freundlich streiten unter Feinden. (Un)demokratische Debattenkultur – ein Tagungsbericht aus Regensburg

von Silvia Donzelli

Dieser Tagungsbericht erscheint parallel auf dem theorieblog.

Die diskursive Aushandlung von Meinungs- und Interessenkonflikten gilt zu Recht als Lebenselixier der Demokratie. Wie öffentliche Diskussionen geführt werden sollten und ob ihre Qualität ein Indikator für die Gesundheit einer Demokratie ist, steht indessen zur Debatte. Denn die vielerorts gestellte Diagnose einer demokratischen Krise oder gar einer demokratischen Regression betrifft, neben der institutionellen Ebene, auch Sprach- und Kommunikationspraktiken.

Die Stichworte der üblichen Verfalldiagnose der Gesprächs- und Debattenkultur in den sogenannten konsolidierten europäischen Demokratien – Polarisierung der Inhalte, Desinteresse am Wahrheitsgehalt, Aggressivität, hetzerische Wortwahl – weisen auf eine Verschiebung der Grenzwerte in Richtung steigender Feindseligkeit hin, die auch deshalb viele beunruhigt, weil sie sich allmählich zum Standard öffentlicher Kommunikation etabliert. 

Inwieweit ist eine solche Verrohung der Debattenkultur mit demokratischen Werten kompatibel? Wie lässt sich der Aufstieg der politischen Kategorie des Feindes, als Inhalt und Form öffentlicher Kommunikation, innerhalb demokratischer Ordnungen legitimieren? Sind grundlegende Konzepte westlicher Ideengeschichte wie politische Freundschaft und Zivilität inzwischen veraltet, oder können sie in aktualisierter Form einen brauchbaren Kompass für Theorie und Praxis der politischen Debattenkultur darstellen?

Ein Forum für die kritische, aber sicherlich freundschaftliche Diskussion gegenwärtiger (un)demokratischer Debattenkultur bot die internationale Tagung „How to dis/agree like friends. Historical insights, philosophical roots, and fresh perspectives on the current state of debate culture in liberal democracies”, die vom 12.06. bis zum 14.06.2024 in Regensburg stattfand. Das Organisationsteam mit Eva Helene OdzuckSarah Rebecca StrömelManfred Brocker Daniel Eggers und Ricarda Wünsch brachte auf der interdisziplinär ausgerichteten Tagung Positionen aus Demokratietheorie, Ideengeschichte und politischer Philosophie in Dialog.

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16 Mai

Demokratie und Zukunft

von Manfred Brocker (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt)

I. Die Herausforderungen der Zukunft: Existenzrisiken für die Menschheit

Die Gefahren für das Überleben der Menschheit sind zahlreicher geworden in den letzten Jahrzehnten. Die Fortexistenz der Gattung steht auf dem Spiel. Die gegenwärtige Zivilisation des Anthropozäns (Crutzen 2011) bedroht (a) massiv die Natur und damit ihre eigenen Lebensgrundlagen; aber auch (b) die Natur, so wissen wir heute, bedroht den Fortbestand unserer Spezies.

(a) Zu den anthropogen induzierten Risiken für die Fortexistenz der Menschheit zählt vor allem der Klimawandel (vgl. IPCC 2018). Er hat, so zeigt die zeitgenössische Klimaforschung, mittelfristig Hitzewellen, Stürme und Überflutungen zur Folge: ganze Küstenregionen werden durch den Anstieg des Meeresspiegels unbewohnbar werden. Andere Regionen der Erde werden versteppen. Die menschlichen Grundbedürfnisse werden zunehmend schwerer zu befriedigen sein. Das starke Bevölkerungswachstum beschleunigt diese Entwicklung.

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