06 Jul

Vereinbarkeit zwischen Familie, Studium & Arbeit als ewiger Kompromiss

Von Sonja


Als ich die Anfrage erhalte, ob ich einen Blogbeitrag zum Thema „Vereinbarkeit“ schreiben möchte, muss ich etwas zögerlich antworten, da ich mir aufgrund eben dieser Vereinbarkeit nicht sicher bin, ob ich es schaffe. Es ärgert mich innerlich: Ich würde am liebsten so viele Dinge machen, ausprobieren und angehen, aber es würde mich innerlich zerreißen. Am Anfang galt es, Familie und Studium zu vereinbaren. Während meines Bachelors gab es eine Distanz von 800 km zwischen meinem jetzigen Mann, unserer Tochter und mir, da er ganz woanders lebte und studierte. Neben dem Bachelor-Studium war ich quasi alleinerziehend und hatte vor allem die Unterstützung meiner Oma, um diese Herausforderung irgendwie zu bewältigen. Zu Beginn meines Masters zogen wir endlich zusammen und einige Jahre später  kam dann erst eine Selbstständigkeit meinerseits dazu (da es keinen Job gab, bei dem ich sonst alles unter einen Hut bekommen hätte), dann der Nebenjob in einer NGO mit einem Pensum von circa 13 Stunden die Woche. Es gab mehrere Gründe dafür: Zum einen spürte ich den enormen Druck, mit Ende zwanzig/Anfang dreißig noch nicht im Berufsleben Fuß gefasst zu haben, und es machte sich Panik breit, was die Altersvorsorge und ähnliche Dinge betrifft. Zum anderen brauchten wir dringend eine finanzielle Entlastung, jedoch kam es für uns nicht in Frage, Kredite oder ähnliches aufzunehmen. Wir wollten möglichst schuldenfrei bleiben.

Vereinbarkeit bedeutet also vor allem eines: einen ewigen Kompromiss. Man möchte allen gerecht werden – und am Ende gelingt es einem nirgends so richtig. Da ist beispielsweise das Seminar, das so spannend klingt, aber außerhalb der Betreuungszeiten der Kita oder Tagesmutter liegt. Es ist schwierig, kurzfristig Änderungen in der Betreuung vorzunehmen. Ich erinnere mich daran, wie ich den Kita-Platz meines Sohnes reservierte, noch bevor die Familie überhaupt wusste, dass ich schwanger bin. Von einem Semester zum anderen ist es geradezu unmöglich, etwas zu verschieben, genau wie der Versuch, das Studium mit Kindern in Regelstudienzeit abzuschließen. Das bringt mich auch zum Thema Regelstudienzeit. Innerlich schäme ich mich oft dafür, dass ich bereits so viele Jahre studiere, und manchmal frage ich mich, ob ich mich schon zu alt für die Bezeichnung „Studentin“ fühle.

Aber mal ehrlich: Ich weiß nicht, wie es regulär hätte funktionieren können. Ich habe meinen Bachelor gerade so in der vorgegebenen Anzahl von Semestern geschafft. Das lag jedoch nur daran, dass ich eine relativ junge Oma habe, die mich großartig unterstützen konnte. Während ich in den Vorlesungen saß, schob sie meine Tochter im Kinderwagen über den Campus und schrieb mir eine SMS, wenn ich zum Stillen gebraucht wurde. Später konnte ich meine Tochter zwei volle Tage pro Woche zu ihr bringen, und während ich über den Büchern hing, sorgte sie dafür, dass ich das Essen nicht vergaß. Ohne Unterstützung ist das Thema Vereinbarkeit kaum zu bewältigen. Es fehlen schlichtweg Strukturen, die auch dann einspringen, wenn das Kind krank ist. Und das passiert gefühlt ständig, vor allem in den ersten zwei Lebensjahren und besonders nach Abschluss der Eingewöhnung in der Kita. Ehrlich gesagt waren meine Kinder in den ersten zwei Jahren nach dem Kita-Eintritt öfter krank zu Hause als gesund in der Kita – und ich saß öfter an ihrem Bett als über den Büchern. Manchmal ist es dann einfach wie verhext, wenn beide Kinder auch noch mit einer Woche versetzt die Windpocken bekommen und ein ganzes Semester wiederholt werden muss.

Ich musste auch einen Kompromiss mit mir selbst eingehen. Eigentlich war ich immer ein sehr ehrgeiziger Mensch, aber mittlerweile bin ich mir nicht mehr sicher, ob dieser Persönlichkeitszug noch irgendwo in mir existiert. Am liebsten hätte ich abends im Bett jede Zusatzlektüre meiner Dozent:innen verschlungen (bin aber aus Schlafmangel meistens schon in die Kissen gefallen, bevor der Drucker das Dokument ausgespuckt hat). Am liebsten hätte ich jede Hausarbeit pünktlich abgegeben (aber dann waren die Kinder krank, die Betreuung ist weggefallen und die Nächte waren meistens besonders kurz). Auch hätte ich es gerne vorbildlich geschafft, alles innerhalb der Regelstudienzeit zu erledigen – doch selbst mit Superkräften wäre das ein sehr naiver Anspruch gewesen.

Naiv war auch meine anfängliche Überzeugung, dass ich als Frau nicht mehr Hindernisse haben würde als mein Mann. Nicht mehr in der heutigen Zeit. Während ich diese Zeilen niederschreibe, fasse ich mir ungläubig an den Kopf. Das habe ich tatsächlich mal geglaubt. Ich habe das dumpfe Gefühl, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der Diskriminierung oft erst erkennbar wird, wenn man (plötzlich) selbst betroffen ist. Als nicht-betroffene Person ist sie wirklich unsichtbar. Oder sie trägt zumindest einen sehr guten Tarnumhang, diese Diskriminierung. Ungleichberechtigung habe ich noch nie so stark gespürt wie ab dem Moment, als ich Mutter wurde. Am Anfang möchte man das noch nicht so wahrhaben, und dann ist man schon mittendrin in der Geschlechterungerechtigkeit und kann sie nirgendwo mehr ungesehen machen.

Ich kann mich gut an eine Situation erinnern: mein Mann und ich studierten, als er einmal zuhause bei unserer kranken Tochter bleiben wollte, um mir den Rücken freizuhalten. Doch sein Dozent an einer anderen Universität wies ihn freundlich darauf hin, dass dies die Aufgabe der Mutter sei, und drohte ihm damit, ihn durchfallen zu lassen. Wir fügten uns – zu erschöpft für diese Arten von Diskussionen und ich blieb zuhause und wiederholte das Seminar ein Jahr später. Dabei frage ich mich, wie ich je zu der Vorstellung kam, Familie, Studium und Job nahtlos miteinander vereinbaren zu können. Die Probleme im Zusammenhang mit der Vereinbarkeit werden schnell noch unsichtbarer: Es mangelt an Energie und Zeit, um gegen fehlende Strukturen anzukämpfen und gehört zu werden. Man ist so damit beschäftigt, die vielen Aspekte der Vereinbarkeit in Balance zu halten, dass, würde man um Hilfe bitten und den Jonglierakt nur für einen Moment unterbrechen, alles zu Boden fallen und zerbrechen würde.

Ein weiterer Kompromiss, den die Vereinbarkeit mit sich bringt, ist das Soziale. Ich kann mich nicht an eine einzige Party erinnern, die ich in den zehn Jahren meines Studiums besucht habe. Niemals wäre ich freiwillig länger als 22 Uhr wach geblieben, in dem Wissen, dass ich jeden Morgen um fünf Uhr geweckt werde (Kinder sind vor dem Schuleintritt notorische Frühaufsteher, zumindest meiner Erfahrung nach). Es ist schön, aber hat nichts mit der Möglichkeit zu tun, auszuschlafen und sich nach durchzechten Nächten zu erholen. Während meine Mitstudierenden sich nach der Uni noch auf einen Kaffee trafen, eilte ich zur Tagesmutter oder später zur Kita meiner Kinder, um sie um 15 Uhr abzuholen. Mir persönlich machte das nicht so viel aus, da ich sowieso eher introvertiert bin und gerne allein in meinem stillen Kämmerlein sitze und über dicken Büchern hänge (in der Theorie. Ich habe keine Ahnung, wann ich zuletzt Zeit dafür hatte. Aber das ist das Erste, was ich tun werde, wenn die Kinder aus dem Gröbsten heraus sind). Dennoch spüre ich, dass mir etwas fehlt. Oder besser gesagt, mir fehlt die Verbindung, der Austausch. Ich unterhalte mich oft mit Kant und Co. wenn ich ihre Werke lese, aber viel zu selten mit anderen über sie, die das Gleiche studieren wie ich (wenn, dann nur in den Seminaren und leider kann ich die Seminare nicht so pedantisch besuchen, wie ich es gerne tun würde). Während der Pandemie haben mir die vielen Online-Sitzungen wirklich geholfen. Es mag grotesk klingen, aber ich konnte noch nie so viele Seminare und Vorlesungen besuchen, wie zu dieser Zeit (ich habe viel mehr in meinen Stundenplan gepackt, als ich für die Credits gebraucht hätte).

Die Kinder waren krank – trotzdem hat es funktioniert. Auf meinem Laptop lief die Zoom-Sitzung, während meine Kinder außerhalb des Blickfelds der Webcam im Bett lagen und Paw Patrol oder Bibi Blocksberg auf Netflix schauten. Wenn die Betreuung es zeitlich nicht erlaubte, zwischen Kita und Uni hin- und herzupendeln, war das kein Problem – mein Laptop war mein Verbündeter und schlug eine Brücke über die vorherige tiefe Schlucht.

Daraus ergab sich auch etwas ganz Neues: ein Gefühl der Sichtbarkeit. Durch den ganzen Wirbel der Vereinbarkeit, wenn man nicht persönlich an Seminaren teilnehmen kann und vieles einem Kompromiss zum Opfer fällt, verschwindet man öfter von der Bildfläche, als man es möchte. Mir erging es zumindest so. Genau deswegen ist es mir auch so wichtig gewesen, diesen Text zu schreiben und tatsächlich auch zu Ende zu bringen. Klar ist es manchmal schwierig, alles unter einen Hut zu bringen, aber wenn es dadurch in Zukunft (für andere) etwas leichter wird, dann ist es das auf jeden Fall wert.

Es wäre so wichtig, diese Strukturen zu stärken und die Teilnahme – unabhängig vom Lebensmodell – zu erleichtern, dann wäre die Vereinbarkeit nicht ganz so kompliziert. Oder zumindest wäre sie besser bewältigbar. Und manchmal kann diese Struktur so einfach sein wie ein Bildschirm und moderne Technik. Aber auch ein anderer Aspekt hat mir geholfen, zwischendurch nicht doch alles hinzuwerfen. Ich habe das Glück, einige Dozent:innen zu haben, die von Anfang an hinter mir gestanden und mir den Rücken gestärkt haben. Die mich daran erinnern, warum ich das eigentlich alles mache. Da ist hier eine E-Mail mit dem Nebensatz, dass sie wissen, dass es manchmal schwer ist und sie den Hut davor ziehen, wie ich alles unter einen Hut bekomme. Dort die einfache Frage, wie es mir geht, und die Versicherung, dass ich das schon schaffen werde. Oft ist da einfach Verständnis und es sind diese kleinen Gesten, die mir manchmal vor Dankbarkeit ein paar Tränen in die Augen treiben. Vereinbarkeit kann schwer sein, aber sie wird etwas leichter, wenn man weiß, dass man nicht allein ist.


Mein Name ist Sonja und ich bin 31 Jahre alt. Nachdem ich meinen Bachelor in Philosophie und Erziehungswissenschaft an der Uni Bielefeld abgeschlossen hatte, begann ich meinen Master in Philosophie und Soziologie in der Schweiz. Leider musste ich ihn aufgrund von Vereinbarkeitsschwierigkeiten abbrechen. Während der Pandemie kehrte ich an die Uni Bielefeld zurück und setzte dort meinen Master in Philosophie fort, den ich nun bald abschließen möchte. Ich bin Mutter von zwei Kindern im Alter von fast 10 und 6 Jahren. Neben der Uni arbeite ich in einer dreißig Prozent Anstellung im Bereich Kommunikation und Fundraising bei einer NGO. Vorher war ich selbstständig und habe Workshops und Vorträge im Bereich Nachhaltigkeitsbildung gegeben.

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