Erwiderung auf die Stellungnahme von Heiner Koch und Deborah Mühlebach zur Stellungnahme der GAP zu Kathleen Stock

Hinweis der Redaktion: Wir möchten an dieser Stelle nochmals betonen, dass wir dazu einladen, Repliken auf Blogbeiträge zu schreiben und uns zu schicken. Wir teilen durchaus nicht alle auf diesem Blog veröffentlichten Meinungen, Argumente und Thesen, veröffentlichen Texte jedoch nur dann nicht, wenn sie klar gegen wissenschaftliche Regeln der Philosophie verstoßen oder jenseits dessen liegen, was uns als eine vertretbare Auffassung erscheint. Auch diese policy kann natürlich kritisiert werden.


von Uwe Steinhoff (Hongkong)


Heiner Koch und Deborah Mühlebach kritisieren auf praefaktisch die Stellungnahme der Gesellschaft für analytische Philosophie (GAP) zum Fall Kathleen Stock. Mir gefällt die Stellungnahme auch nicht – aber aus ganz anderen Gründen. Einige davon lege ich zunächst dar, bevor ich mich den Einlassungen Kochs und Mühlebachs zuwende.

So erklärt die GAP: „Analytische Philosophie hat sich den Idealen der Klarheit, der Genauigkeit und der offenen, kritischen Debatte verschrieben.” In der Tat. Aber zur Klarheit gehört, dass man hinreichend klar definierte Begriffe benutzt. Die GAP verkündet jedoch: “Transphobie ist wie Homophobie, Rassismus, Islamophobie und Antisemitismus eine Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, die zu Recht moralisch geächtet ist.“ Ob das so ist, hängt aber eben davon ab, wie die Begriffe definiert werden. Den Vorwurf zum Beispiel, dass der Begriff „Rassismus“ völlig inflationär gebraucht werde, gibt es schon seit langem, und er wurde auch von analytischen Philosophen diskutiert. Derweil diese von interessierten Kreisen betriebene Inflation dazu dienen soll, ihnen missliebige aber akzeptable Praktiken oder Vorstellungen dadurch zu diskreditieren, dass man sie mit dem aufgeladenen Wort „Rassismus“ bezeichnet, ist philosophisch freilich der umgekehrte Schluss zu ziehen: Wenn diese akzeptablen Praktiken rassistisch sind, dann gibt es in diesem Sinne von Rassismus völlig akzeptablen Rassismus.

Was die Rede von „Homophobie“, „Transphobie“ und „Islamophobie“ angeht, so scheint die GAP nicht zu wissen, was eine Phobie ist. Aufklärung verschaffen die Bemerkungen des bekannten analytischen Philosophen Brian Barry:

„Since a phobia is, by definition, an irrational fear (and one whose irrationality is normally recognized by the victim of the phobia), this way of talking creates a whole analysis of the phenomenon without any need for recourse to argument. If disapproval of homosexuality is psychologically akin to the irrational fear of spiders, the remedy is inevitably some kind of therapy. And for those who are not obliging enough to sign up for it, it had better be administered through every available public channel.“ (Culture and Inequality, Cambridge, MA: Harvard University Press, 2002, S. 274).

Wenn der GAP an offener Diskussion gelegen ist, sollte sie Begrifflichkeiten vermeiden, welche sich eher für das einstige Sowjetregime mit seiner ausgeprägten Neigung eignen, Dissidenten als Geistesgestörte in die Psychiatrie zu sperren. Umgekehrt freilich ist die Popularität solcher Begrifflichkeiten im „woken“ linksautoritären Milieu nur die Fortsetzung der eigenen Tradition.

Fragwürdig ist auch die leider apodiktisch formulierte Behauptung der GAP, dass die besagten „Phobien“ als Formen „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit … zu Recht moralisch geächtet“ sind. Sagt wer? Der Duden definiert „Feindlichkeit“ als „Haltung einem anderen Menschen gegenüber, die von dem Wunsch bestimmt ist, diesem zu schaden, ihn zu bekämpfen oder sogar zu vernichten”. Jedoch kann man einer von einem solchen Wunsch bestimmten Haltung auch zuwiderhandeln, indem man sich, um mit Kant zu sprechen, autonom an das Moralgesetz hält. In der Tat hätte Kant jemanden, der sich trotz seines empirischen Wunsches und der darauf gegründeten feindseligen Haltung autonom und pflichtkonform verhält, als moralisch besonders auszuzeichnenden Menschen betrachtet. Im übrigen sichert Art. 4, Abs. 1 des GG Menschen Glaubens- und Gewissenfreiheit zu. Dies bedeutet auch, dass Menschen in Deutschland ein durch die Verfassung verbürgtes Recht haben, Gruppen von Leuten (und übrigens auch Religionen) zu hassen, wie sie wollen. Sie haben lediglich nicht das Recht, die Rechte dieser Gruppen zu verletzten – aber Rechteverletzungen geschehen nicht durch bloßes Denken und Fühlen. Natürlich sehen Rechts- wie Linksautoritäre dies anders und wollen “falsches” Denken und Fühlen sehr wohl bestrafen. Aber dies ist totalitär, und solche Strafen sind selbst eine Menschenrechtsverletzung.

Vielleicht wird jemand auf den Unterschied zwischen erzwingbaren Rechts- und nicht erzwingbaren Tugendpflichten verweisen und erklären, dass man Nichthass zwar nicht erzwingen, aber Hass und den Glauben an die Minderwertigkeit bestimmter Gruppen dennoch moralisch verurteilen dürfe. Da aber, wie bereits erklärt, solcher Hass und Glauben nicht die Rechte anderer verletzt, ist unklar, worauf eine solche Verurteilung beruht. Natürlich sind nicht nur Rechteverletzungen unmoralisch (obgleich sie aufgrund eines Notstandes gerechtfertigt werden können), sondern auch bestimmte andere Handlungen (etwa weil sie einen Menschen oder ein Tier unter dessen moralischem Wert behandeln). Aber bloßes Denken und Fühlen hat nun einmal keine Auswirkungen auf andere und gehört somit im striktesten Sinne zur Privatsphäre. Im übrigen ist es auch völlig kontraproduktiv, die Gefühle und Meinungen anderer Leute durch moralische Verurteilung verändern zu wollen. Dazu sind sachliche Argumente besser geeignet. Das einzige, was mit der lautstarken moralischen Verurteilung anderer Leute Gefühle und Gedanken erreicht wird, ist seinen Gesinnungsgenossen die eigene Tugend zu signalisieren – und dies, nicht die propagierte Sorge um vermeintliche Minderheiten, dürfte die gegenwärtige Popularität dieser Praxis erklären.

Eine weitere eigenartige Aussage (mal abgesehen vom Doppelpunkt mitten im Wort) der GAP ist die folgende über Kathleen Stock:

„Sie vertritt hinsichtlich der schwierigen Frage, was die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht begründet, eine Auffassung, die von manchen Philosoph:innen und Transgender-Aktivist:innen als ‚transphob‘ bezeichnet und als diskriminierend abgelehnt wird.“

Schwierige Frage? Nicht für Biologen. Die Körper der Mitglieder des männlichen Geschlechts (von Algen über Spargel bis zu Menschen) sind auf die Produktion kleiner Keimzellen (Sperma) ausgerichtet, die Körper der Mitglieder des weiblichen Geschlechts auf die Produktion großer Keimzellen (Eizellen). Da es keine mittleren Keimzellen gibt, weder unter Menschen noch im Tierreich (sogenannte Paarungstypen bei isogametischen, d.h. gleichkeimzelligen Arten sind irrelevant, da sie keine Geschlechter darstellen), gibt es auch kein drittes Geschlecht (siehe meine Kritik des einschlägigen BVerfG Urteils), geschweige denn ein modisches “Spektrum“ von Geschlechtern. Individuen mit biologischen Störungen der sexuellen Entwicklung (sogenannte Intersexualität) stellen mithin den geschlechtlichen Dualismus mitnichten in Frage. Sie lassen sich meist eindeutig dem einen oder dem anderen Geschlecht zuordnen und immer eindeutig keinem dritten, da es keinen dritten Keimzellentyp gibt.

Der Duden definiert zudem dem allgemeinen Sprachgebrauch folgend Frauen als erwachsene weibliche Personen. „Weiblich“ meint das Geschlecht. Folglich sind Frauen erwachsene Personen, deren Körper Entwicklungsschritte zur Produktion großer Keimzellen aufweisen. Bei Männern sind es kleine. Sogenannte „Transfrauen“ sind mithin keine Frauen. Dies ist nicht schwierig, sondern ein Faktum.

Jemand, der behauptet, „Transfrauen sind Frauen“, ist also biologisch inkompetent. Oder er benutzt eine „alternative“ Definition von Frauen. (Strenggenommen behauptet er dann allerdings nicht mehr, dass Transfrauen Frauen sind, da sich sein Wort „Frauen“ keineswegs auf Frauen bezieht – er spricht eine alternative Privatsprache.) Das wirft die Frage auf, warum man diese Definition wohl übernehmen sollte, wie auch vor allem die, welche es denn ist. Wenn deutsche „gender studies“ Professorinnen danach gefragt werden, sind sie regelmäßig unfähig, eine klare Antwort, also eine klare Definition zu liefern (siehe dazu auch hier). (Im angelsächsischen Bereich hat es ernsthafte Versuche gegeben, eine „Transfrauen inkludierende“ Definition von „Frau“ zu geben. Wie die Philosophen Alex Byrne und Tomas Bogardus in einer Serie von Artikeln (hier, hier, hier, hier) gezeigt haben, sind diese Versuche gescheitert. Bogardus hält sie zudem für aussichtlos.) Man hat hier also eine fähige, kompetente Seite, die aus einer klaren Definition und erwiesenen empirischen Fakten eine klare Schlussfolgerung logisch ableitet, und eine Seite, deren „Schwierigkeiten“ aus ihrer eigenen Inkompetenz resultieren, da deren Vertreter weder zu definieren wissen, was ein Geschlecht ist, noch was eine Frau ist. Diese Seite versucht die besagte Inkompetenz damit zu verschleiern, dass sie Widerspruch „transphob“ nennt. Das macht sie keineswegs kompetenter.

Kommen wir nun zu Koch und Deborah Mühlebach. Sie erklären zunächst:

„Die Stellungnahme der GAP zum Fall Kathleen Stock suggeriert, dass eine wissenschaftlich neutrale Auseinandersetzung mit politisch relevanten Fragen möglich ist. Weil wir anders als die GAP davon ausgehen, dass Wissenschaftsfreiheit nicht losgelöst von bestehenden Machtverhältnissen in- und außerhalb der Universität gedacht werden kann, halten wir dies für falsch.”

Etwas später meinen sie dann:

„Zweitens ist die Frage, ob trans Personen gesellschaftlich anerkannt werden sollten, schon seit langem in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen verhandelt worden. Das Ergebnis ist – nicht nur in Deutschland – eine rechtliche Anerkennung des Geschlechts von trans Personen. Dabei findet allmählich eine breite Verschiebung statt weg von der Festlegung des Geschlechts durch psychiatrische Gutachten hin zur rechtlichen Anerkennung auf der Basis von Selbst-Identifizierung. Aber bereits hinter den wissenschaftlichen und rechtlichen Stand, in denen Gutachten erforderlich sind, fällt die Position von Stock zurück.“

Angesichts ihrer Eingangsbehauptung werden Koch und Mühlebach sicherlich die ersten sein, welche zugeben, dass diese ihre Aussage keine wissenschaftlich neutrale Stellungnahme ist, sondern eine parteiliche, in der sich Machtverhältnisse ausdrücken. Dies wird durch die offensichtliche Falschheit ihrer Behauptung bestätigt. Denn was ist denn „die Position von Stock“? (Koch und Mühlebach erklären dies nicht. Auch darin mag sich ihre Auffassung von Wissenschaftlichkeit offenbaren.)

Nun, Stocks Position ist zum einen, dass man sein Geschlecht so wenig durch Selbstdeklaration ändern kann wie seine Spezieszugehörigkeit. Da hat sie recht. Wir leben nicht auf Hogwarts, sondern in der Realität. Sie hat allerdings rein gar nichts dagegen, dass „trans Personen gesellschaftlich anerkannt werden“, wenn dies bedeutet, dass sie Rechte haben wie andere auch. Jedoch hat sie allerdings etwas dagegen, dass Männer, nur weil sie Genderdysphorie haben oder zu haben behaupten, mit allen rechtlichen Konsequenzen als Frauen anerkannt werden. Und in der Tat ist es in Deutschland noch nicht so, pace Koch und Mühlebach, dass man sich durch einfache Selbstdeklaration mit allen Rechtsfolgen vom Mann zur Frau umdeklarieren kann. Vielmehr soll das von der Ampel fälschlich als „Selbstbestimmungsgesetz“ deklarierte Gesetz diese Situation zuallererst herbeiführen. Selbst aber, wenn es das Gesetz bereits gäbe – es ist Philosophen durchaus erlaubt, bestehende Gesetze als ungerecht zu kritisieren.

Koch und Mühlebach erklären zudem:

„Doch selbst in Fällen, in denen es in einem nennenswerten Ausmaß kontrovers ist, ob eine Position in gravierender Form diskriminierend ist, kann man nicht mehr so einfach eine offene wissenschaftliche Debatte fordern. Denn was ist, wenn die Betroffenen Recht haben und Stocks Positionen diskriminierend sind? … Wenn eine Position mit guten Gründen als diskriminierend kritisiert wird, dann muss auch die Forderung, dass diese Position einen Platz an der Universität hat, gut begründet sein. Die GAP müsste also zumindest inhaltlich darstellen, weshalb es gute Gründe gibt anzunehmen, dass Stocks Positionen – entgegen etwa der deutschen Gesetzgebung – nicht diskriminierend sind. Dies leistet die Stellungnahme der GAP nicht. Neutralität wird damit zu einer verdeckten Form der Legitimierung der diskriminierenden Position.“

Zunächst einmal ist es juristisch falsch zu erklären, Stocks Positionen seien gemäß „der deutschen Rechtsprechung“ „diskriminierend“. Es gibt kein einziges deutsches Gesetz, dass eine Position für diskriminierend erklärt. Vielleicht meinen Koch und Mühlebach, dass der Sprechakt der Verkündung von Stocks Position diskriminierend sei. Aber auch das ist schlicht falsch. Diese Position zu lehren ist von der Wissenschafts- und Meinungsfreiheit eindeutig gedeckt (und jedes Gesetz, welches dies zu ändern suchte, wäre verfassungswidrig und unmoralisch). Diskriminierend können freilich Gesetze sein. Wenn also Koch und Mühlebach einseitig fragen, „was ist, wenn die Betroffenen Recht haben und Stocks Positionen diskriminierend sind?“, so darf man vielleicht einmal tun, was sie unterlassen, nämlich zurückfragen: Was, wenn Stock recht hat, und das Selbstbestimmungsgesetz Frauen diskriminiert? (Und natürlich tut es das und unterminiert zudem Elternrechte, Kindeswohl und Redefreiheit, wie ich andernorts ausführlich argumentiert habe.) Müsste man dann die GAP rügen, sollte sie z.B. Mühlebach, Koch, Andrea Geier, Jule Govrin und Paula-Irene Villa Braslavsky, welche (übrigens durchaus ohne „gute Gründe“) über Stock herziehen und das Gesetz loben, einmal gegen Mobbing der Gegenseite verteidigen müssen (was unwahrscheinlich ist: die Bereitschaft, Mobbing zu verniedlichen, ist in dieser Debatte auffällig einseitig ausgeprägt)? Denn was Koch und Mühlebach über Stock sagen (und offenbar als Entschuldigung für ihre schlechte Behandlung werten), nämlich dass man die „Bücher und wissenschaftliche Artikel schreibende Stock von der lehrenden, betreuenden, Blogbeiträge verfassenden, auf social media und anderweitig politisch aktiven Stock” nicht trennen könne, gilt ja auch für die durch ihre Unterstützung der Transgenderideologie frauen-, kindeswohl- und redefreiheitsfeindliche Positionen propagierenden Personen Mühlebach, Koch, Geier, Govrin und Villa Braslavsky. Ich vermute stark, Koch und Mühlebach würden in diesem Fall auf die Rüge verzichten. Das läge dann jedoch ihren eigenen Erklärungen zufolge nicht an ihrem Eintreten für ein neutrales Verständnis von Wissenschaftsfreiheit, sondern an ideologischer Parteilichkeit. Wie ihr Blogbeitrag zeigt, geht diese auf Kosten der Wissenschaftlichkeit.


Uwe Steinhoff ist Professor am Department of Politics and Public Administration der Universität Hongkong sowie Senior Research Associate im Oxford University Programme on the Changing Character of War. Zuletzt erschien von ihm das Buch „The Ethics of War and the Force of Law – A Modern Just War Theory“.