Geld für facebook-Nutzer? Was die Bepreisung unserer Daten mit Gerechtigkeit zu tun hat

von Andrea Klonschinski (Kiel) und Alexander Lorch (Kiel)


Wer sich im Internet bewegt, generiert Daten – sei es bei der Nutzung von Suchmaschinen, beim Online-Einkauf oder bei der Verwendung von sozialen Netzwerken. Unternehmen, die Online-Plattformen zur Verfügung stellen, nutzen diese Daten für die Optimierung ihrer Produkte und Werbeanzeigen und handeln darüber hinaus auch mit den aggregierten Daten ihrer Nutzer. Auf einer Veranstaltung in Berlin prangerte Angela Merkel nun den Umstand an, dass die Nutzer für die Preisgabe ihrer Daten nicht angemessen entschädigt würden: „Die Bepreisung von Daten, besonders die der Konsumenten, ist aus meiner Sicht das zentrale Gerechtigkeitsproblem der Zukunft“, sagte Merkel auf dem Global Solutions Summit im Mai.

Worin genau besteht aber eigentlich das „Gerechtigkeitsproblem“, von dem Angela Merkel und andere sprechen und das durch die Bezahlung von Daten gelöst werden soll? In der Debatte werden derzeit verschiedene Argumente auf- und durcheinandergebracht, die jedoch getrennt voneinander betrachtet werden sollten: Erstens die Frage der Entlohnung der Nutzer von Online-Plattformen, zweitens die angemessene Besteuerung von Internetkonzernen und letztlich die (möglicherweise politisch bedeutsamste) Frage der weiteren Verwendung und des Verkaufs der gesammelten Daten durch Internetkonzerne.

Merkel selbst scheint der Auffassung, es sei ungerecht, dass die Menschen Daten kostenlos lieferten und andere damit Geld verdienten. Tatsächlich liefern die Menschen ihre Daten aber nicht „kostenlos“ oder, besser gesagt, ohne einen Gegenwert dafür zu erhalten. Unternehmen wie facebook, Google oder Amazon bieten vielmehr eine Leistung an, für deren Inanspruchnahme wir bereits jetzt mit unseren Daten „bezahlen“. Das angesprochene Gerechtigkeitsproblem kann also nicht darin bestehen, dass die Nutzer überhaupt keinen Gegenwert für ihre Daten erhalten.

Aber worin dann? Der Volkswirt und Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel Dennis J. Snower merkte in einem Gastbeitrag der ZEIT an, es gebe keine Garantie, dass der Wert unserer Daten dem Wert der Dienstleistung auch nur annähernd gerecht werde. Diese Aussage mutet aus dem Mund eines Ökonomen seltsam an: Laut ökonomischer Theorie gehen Individuen doch nur dann freiwillig ein Tauschgeschäft ein, wenn sie beide von dem Tausch profitieren. Sie müssen dafür den getauschten Gütern denselben Wert beimessen. Wenn ein Nutzer nun der Ansicht ist, dass die Gegenleistung von facebook etwa zu gering ist, so die ökonomische Theorie, gibt er seine Daten auch nicht her, nutzt facebook also nicht. Wenn Daten also ohnehin nicht „kostenlos“ von den Nutzern zur Verfügung gestellt werden und ein Tausch aus ökonomischer Perspektive dann gerecht ist, wenn die Parteien ihn freiwillig eingehen, müssen sowohl Snower als auch Merkel bei dem Gerechtigkeitsproblem etwas anderes im Sinn haben.

Naheliegend wäre hier das Urteil, es sei ungerecht, dass wenige Unternehmen sehr hohe Gewinne mit Nutzerdaten generierten, für die die Nutzer nur mit einer vergleichsweise geringen Gegenleistung entlohnt würden. Dieses Problem wäre dann allerdings analog zu dem allgegenwärtigen Phänomen zu betrachten, dass Unternehmen hohe Gewinne einfahren, während sie ihre Arbeitnehmer nur vergleichsweise gering entlohnen (man denke bspw. an Konzerne wie McDonalds), sodass wir es hier nicht mit einem spezifischen Problem der Internetkonzerne zu tun hätten.

Diese Überlegungen führen zu der Vermutung, dass es im Kern gar nicht darum geht, die Nutzer adäquat für die Hergabe ihrer Daten zu entlohnen, sondern um die Besteuerung der Gewinne auf der Basis von Daten, die die Unternehmen in Deutschland bzw. von Deutschen generieren. Die Entlohnung der Nutzer einerseits und die Besteuerung der Unternehmensgewinne andererseits sind jedoch zwei verschiedene Phänomene, die in der Debatte nicht immer trennscharf voneinander abgegrenzt werden. Gemeinsam haben sie lediglich, dass die Unternehmen nicht „kostenlos“ Gewinn aus den Daten generieren können sollen. Dass aber die entsprechenden Steuereinnahmen auch spezifisch bei den Internetnutzern ankommen und dies in einem „gerechten“ Verhältnis zu deren offenbarten Daten ist, scheint mehr als unwahrscheinlich.

Welchen Sinn hat vor diesem Hintergrund eine Rhetorik, die suggeriert, es gehe um Gerechtigkeit für die Nutzer, die bislang von den Unternehmen „ausgebeutet“ (Snower) würden? Warum der Fokus auf die wiederzugewinnende Souveränität des Nutzers über seine Daten durch die Festlegung von Eigentumsrechten? Diese auf das Individuum und seine Eigenverantwortung abstellenden Begriffe dienen vor allem dazu, das Phänomen der Preisgabe bzw. Übertragung von Daten klar als wirtschaftliches Problem zu kennzeichnen und es als ein individuelles Tauschgeschäft darzustellen. Der Konsument habe die Souveränität über seine Daten zurück, da niemand mehr unentgeltlich an sie herankommt und er ja schließlich dafür bezahlt wurde. Kann der Nutzer nun aber seine Daten „verkaufen“ bzw. seine „Eigentumsrechte“ an ihnen übertragen, so mag er zwar „volle Kontrolle darüber [haben], wem er Zugriff gewährt“ (Snower), aber er hat nach wie vor überhaupt keinen Einfluss darauf, was dann mit den Daten geschieht. Die Entlohnung der Nutzer löst dieses fundamentalere Problem nicht, sondern lenkt vielmehr von ihm ab.

Dem Nutzer dürfte es aber nicht egal sein und es macht auch aus demokratietheoretischer Perspektive einen bedeutsamen Unterschied, ob etwa facebook die gesammelten Daten bloß zur Schaltung personalisierter Werbung verwendet, oder ob das Unternehmen diese an eine Firma wie Cambridge Analytica verkauft, die auf Grundlage der Daten demokratische Wahlen beeinflussen könnte. Merkel zufolge werde die Antwort auf die Frage „Wem gehören diese Daten?“ letztlich „darüber entscheiden, ob Demokratie, Partizipation, Souveränität im Digitalen und wirtschaftlicher Erfolg zusammengehen“ (Rede von Merkel im Januar in Davos). Um aber Demokratie und Partizipation zu gewährleisten, kommt es nicht nur darauf an, wer die Daten hat, sondern was damit gemacht wird. Und dies lässt sich nicht durch die Festlegung von Eigentumsrechten oder eine „angemessene“ Entlohnung der Nutzer gewährleisten, sondern nur durch entsprechende Gesetze.

Um zu einer sinnvollen Lösung zu kommen, darf die Debatte um die Preisgabe von Daten im Internet nicht in der Terminologie des Marktes stecken bleiben, welche die Verantwortung über die Preisgabe seiner Daten auf das Individuum abwälzt, sondern muss zurückführen zur genuin politischen Frage, was Unternehmen mit diesen Daten tun dürfen, ohne die Demokratie zu gefährden. Mit der Datenschutz-Grundverordnung geht Europa somit zumindest einen Schritt in die richtige Richtung.


Alexander Lorch ist Geschäftsführer des Kiel Center for Philosophy, Politics and Economics und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Praktische Philosophie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Davor arbeitet er an der University of California in Berkeley und an der Universität St. Gallen. Seine Forschungsschwerpunkte sind Wirtschafts- und Unternehmensethik und sozioökonomische Bildung.

Andrea Klonschinski ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Praktische Philosophie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Ihre Forschungs- und Interessenschwerpunkte liegen in den Bereichen Philosophy & Economics und Feministische Philosophie. Außerhalb der Uni philosophiert sie gern über populäre Filme.