Ein Jahr Praefaktisch – oder: sie werden so schnell groß
von Norbert Paulo (Graz & Salzburg)
Am 10. April 2018 haben wir mit einem Interview mit Mari Mikkola den Philosophieblog Praefaktisch gestartet. Seither haben wir – mit kurzen Unterbrechungen im Sommer und um Weihnachten – durchgängig jede Woche mindestens zwei Beiträge veröffentlicht. Immerhin knapp 100 Beiträge im ersten Jahr. Die meisten davon sind Themenblöcken zugeordnet, die den Leser_innen zumindest eine gewisse Orientierung ermöglichen und uns die Planung erleichtern sollen. Begonnen haben wir mit Themenblöcken zum 200. Geburtstag von Karl Marx, zur Rolle der Philosophie in der Öffentlichkeit, zum Problem des Postfaktischen und zu deutschsprachigen Philosophiezeitschriften. Diese Themen waren bewusst divers gewählt, sie betreffen teilweise die Philosophie als Fach, überwiegend aber Fragen von allgemeinem Interesse.
Die Idee ist nicht, dass jede_r sich für jeden Themenblock oder gar für jeden Text interessiert. Aber es sollte regelmäßig für jede_n etwas dabei sein. Und in der Tat ist der Blog schnell zu einem reichhaltigen Fundus für philosophische Gedanken zu allen möglichen Themen geworden, ob es nun der Fussball ist, die Situation des wissenschaftlichen „Nachwuchses“, #MeToo, Bildungsfragen, Religion, experimentelle Philosophie oder der Sinn des Lebens. Da wir bewusst keine engen Vorgaben machen, unterscheiden sich die Texte in Stil und Inhalt erheblich. Alle haben aber einen gewissen intellektuellen Anspruch. Und das ist es auch, was ich mir von dem Blog erhofft habe: mehr oder weniger leicht zugängliche, kluge Beiträge aus philosophischer Perspektive. Die Themen sind eigentlich nicht so wichtig. Ich glaube, dass man jedes Thema auf interessante Art philosophisch angehen kann.
Die Idee zu dem Blog hatte nicht zuletzt mit meiner eigenen Ernüchterung über die Qualität der Beiträge in den meisten klassischen Medien zu tun. Und in der Tat bin ich der Meinung, dass viele unserer Blogbeiträge deutlich kreativer, interessanter und besser geschrieben sind als das meiste, was man so in den großen Zeitungen und Magazinen zu lesen bekommt. Dafür ganz herzlichen Dank an alle Autorinnen und Autoren des ersten Jahres!
Stilistisch sind die als Rezensionen getarnten Essays in der New York Review of Books mein Vorbild für den Blog, was die Vielfalt der Themen und die Breite der Formate angeht eher das Online-Magazin Aeon. Beides sind natürlich professionelle Unternehmungen, hinter denen viele kluge, umtriebige Menschen und nicht wenig Geld stecken. Dafür, dass unser Blog ein rein ehrenamtliches Privatprojekt ist, und dafür, dass der deutschsprachige „Markt“ an Leser_innen (und an Autor_innen) sehr viel kleiner ist als der englischsprachige, schlagen wir uns im Vergleich ganz gut, finde ich.
Als wir im November 2017 mit der Planung für den Blog begonnen haben, war Gottfried und mir wohl nicht ganz klar, worauf wir uns da einlassen. Zwar hatten wir große Lust auf das Projekt. Wir hatten aber keine Ahnung, ob es funktionieren würde: würden wir genügend Beiträge bekommen, würden die Texte gut sein, würde es überhaupt jemand lesen wollen…? Seither verbringen wir beide einen nicht ganz unerheblichen Teil unserer Freizeit mit der Suche nach möglichen Autor_innen, mit Emails und dem Lesen und Lektorieren eingegangener Texte sowie der Planung neuer Themen und Formate.
Wenn es gut läuft, „kostet“ uns ein Beitrag nur drei oder vier Emails. Wenn es schlecht läuft aber auch deutlich mehr. Und leider ist es nach wie vor so, dass wir ganz erheblich mehr Absagen von Autorinnen erhalten als von Autoren. Was wir fast immer lesen, ist, dass die angefragte Person eigentlich keine Zeit hat. Es scheint so, als wären (fast) alle Philosoph_innen strukturell überarbeitet, was eigentlich ein eigenes Thema für den Blog wäre.
Überhaupt könnte ich wahrscheinlich inzwischen eine Art Psychogramm der Disziplin erstellen. So verbreitet einige Eigenarten sind, so verschieden sind andere. Je nach Themenblock scheint man es mit einem anderen Typus der Philosophin/des Philosophen zu tun zu haben. Das zu beobachten, kann mitunter wirklich amüsant sein.
Wenn ich mir für die Zukunft etwas wünschen darf, wäre es, dass der Blog noch mehr Leser_innen findet (im Monat März 2019 hatte die Seite ca. 4500 unterschiedliche Besucher_innen, was auch immer das genau heißt) und dass Ihr uns noch eifriger Eure Ideen für Beiträge, Themenblöcke oder Formate schickt.
In meiner Wahrnehmung verging das erste Praefaktisch-Jahr wie im Flug. So viele neue Bekanntschaften, interessante Texte, Diskussionen mit Gottfried und anderen über den Blog und die dort behandelten Themen. Die Wahrnehmung könnte aber auch mit der Geburt unserer Tochter zu tun haben. Wie fast alle stolzen Eltern kann ich nun mit einem Augenzwinkern sagen: sie (Tochter und Blog) werden so schnell groß. Nun freue ich mich auf das zweite Lebensjahr von Praefaktisch. Es wird mit Geld und Sex beginnen. Damit nicht zu sehr das Gefühl von Rock ’n‘ Roll aufkommt: es warten auch Themenblöcke zur künstlichen Intelligenz, zum Themenfeld Philosophie und Geschichte und zum Phänomen des Nichtwissens. Mal sehen, was davon als Gute-Nacht-Geschichte taugt und was ich unserer Tochter lieber vorlese, wenn sie ein bisschen älter ist.