17 Sep

Über die vermeintliche Heuchelei von Klimaschutzaktivist*innen und individuelle Pflichten zum Klimaschutz

Von Christian Baatz (Kiel)


Vor Ausbruch der Corona-Krise war Klimaschutz in aller Munde, die Jugend forderte Regierungen lautstark zum entschiedenen Handeln auf. Aber muss auch jede/r Einzelne ihren oder seinen Beitrag zum Klimawandel reduzieren? Greta Thunberg, Initiatorin der Fridays for Future (FFF) Bewegung, versucht mit der gleichen Unnachgiebigkeit, mit der sie vor dem schwedischen Parlament Mahnwache gehalten und vor Staats- und Unternehmensführungen Reden gehalten hat, ihren persönlichen Treibhausgas(THG)-Ausstoß zu minimieren – zumindest wird das suggeriert, wenn man sie auf Segelbooten den Atlantik und in Zügen Europa durchqueren sieht. Interessanterweise scheinen sich Thunberg und ihre schärfsten Kritiker*innen in diesem Punkt einig: wer Wasser predigt, sollte keinen Wein trinken; wer für radikale THG-Reduktionen plädiert, sollte einen THG-armen Lebenswandel führen.

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13 Aug

Engagiert und hoffnungslos: Philosophieren am Ende der Welt (wie wir sie kennen)

Von Ana Honnacker (Forschungsinstitut für Philosophie Hannover)


Im Sommer 2019 saß ich schwitzend am Schreibtisch und zweifelte zunehmend die Sinnhaftigkeit meines Tuns an. Die Aussicht darauf, ein mehrjähriges Schreibprojekt zu verfolgen, während das Zeitbudget, das der globalen menschlichen Gemeinschaft bleibt, um ihre Treibhausgasemissionen auf Null zu bringen, ähnlich rasant dahinschmilzt wie der Grönländische Eisschild, befremdete mich zusehends. Ein Buch auf den Weg zu bringen, zumal ein akademisch-philosophisches, dessen gesamtgesellschaftlicher Wirkungsgrad eingestandenermaßen gering sein würde, schien an geradezu lachhafter Weltferne nicht zu überbieten.

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28 Jul

Wer regelt das mit dem Klimawandel? Unternehmen und ihre Pflichten

Von Swaantje Siebke (Dortmund)


Der Klimawandel ist nicht nur bedrohlich, er ist auch ungerecht. Die negativen Konsequenzen erleben vor allem diejenigen, die am wenigsten dazu beigetragen haben: Arme Menschen, Menschen, die im globalen Süden leben und Menschen, die noch gar nicht geboren wurden. Es werden die grundlegenden Rechte vieler Menschen auf Nahrung, Trinkwasser sowie Lebensraum verletzt und es sieht momentan nicht so aus, als würde sich das bessern. Bei so viel Ungerechtigkeit werden die meisten Menschen darin übereinstimmen, dass etwas gegen die Klimawandel und sein Folgen getan werden sollte. Aber: Wer hat eigentlich die Pflicht, etwas zu tun?

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07 Jul

Individuelle Verpflichtungen im Kampf gegen den Klimawandel

Von Benedikt Namdar (Graz)


Der Klimawandel ist zweifellos das dringendste umweltbezogene Problem der heutigen Zeit, und die Aussichten werden nicht gerade rosiger. Vor allem zukünftig, jedoch auch gegenwärtig lebende Personen bekommen die Auswirkungen unüberlegten, profitgetriebenen Verhaltens zu spüren. Nicht leichter wird der Umgang mit dem Thema dadurch gemacht, dass Politik und Industrie den Anschein machen, an einer konstruktiven Lösung nicht interessiert zu sein. Diese Kombination aus immensen Schäden, fehlenden Maßnahmen “von oben” und dem Wunsch, dass sich etwas verändert, lässt eine Frage immer prominenter werden: Haben Individuen moralische Verpflichtungen, ihre Emissionen einzuschränken, um den Klimawandel zu bekämpfen? Und wenn ja, wie gewichtig sind diese Verpflichtungen?

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11 Jun

Wir wissen genug

Von Anne Burkard (Göttingen)


Die Komplexität der Klimawissenschaften und der ethischen Fragen, die durch die Klimakrise aufgeworfen werden, können zu lähmenden Zweifeln führen. Benötigen wir nicht größere Sicherheit in den wissenschaftlichen Ergebnissen und bessere normative Orientierung, bevor wir sagen können, ob und wie wir uns im Kampf gegen den Klimawandel engagieren sollen? Doch philosophische Reflexion kann uns zeigen: Wir wissen genug. In diesem Beitrag skizziere ich, wie dies möglich ist, obwohl die Philosophie häufig gerade dadurch charakterisiert wird, dass sie Zweifel erzeugt. Ich zeige auf, wie insbesondere ethische Reflexion zu dem Ergebnis führen kann, dass wir genug wissen, um im Hinblick auf die Klimakrise bestimmte grundlegende Zweifel begründet zurückzuweisen – und um zu erkennen, dass wir verpflichtet sind, jetzt zu handeln.

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27 Mai

Was, wenn andere nichts tun? Eine Replik auf Rudolf Schüßler

Von Christian Baatz (Kiel) und Felix Pinkert (Wien)


In seinem aktuellen Beitrag zur Klimakrise stellt Rudolf Schüßler eine unbequeme Frage: Hat Deutschland bzw. die EU auch dann die moralische Pflicht, Treibhausgas-Emissionen erheblich zu reduzieren, wenn die Mehrzahl anderer großer Emittenten dies nicht tut?

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14 Mai

Warum eigentlich (nicht) Menschenrechte? – Zum Diskurs über die Klimakrise

Von Christoph Herrler (Erlangen)


Die mit dem anthropogenen Klimawandel einhergehende Erderhitzung ist mit vielen negativen Folgen verbunden. Dies dürfte allen, die naturwissenschaftliche Fakten als solche begreifen, nicht entgangen sein. Diese Folgen lassen sich häufig als Verletzung oder zumindest Bedrohung von Menschenrechten beschreiben. Gleichwohl sprechen die direkt politisch Verantwortlichen – meinem Eindruck nach – beim Klimaschutz eher von Kosten und Nutzen als von Menschenrechten. Wäre ein Umdenken angebracht?

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30 Apr

Radikaler versus behutsamer Klimaschutz: warum Behutsamkeit angesichts der Risiken ungerecht wäre

von Eugen Pissarskoi (Tübingen)


Die internationale Staatengemeinschaft hat sich im Jahr 2015 darauf geeinigt, die globale Erwärmung auf maximal 2°C, nach Möglichkeit auf 1,5°C, zu begrenzen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen nahezu alle Staaten, insbesondere aber die wohlhabenden, frühzeitig industrialisierten wie Deutschland, ihre Treibhausgasemissionen reduzieren. Politisch umstritten ist jedoch, in welchem Umfang und wie schnell ein Land wie Deutschland seine Treibhausgasemissionen reduzieren soll. Zivilgesellschaftliche Akteure wie beispielsweise Vertreter*innen der Fridays for Future Bewegung fordern, dass politische Maßnahmen getroffen werden, mit denen die Treibhausgasemissionen bis 2035 vollständig reduziert werden. Teils tun sie das mit reißerischen Slogans („I want you to panic“; „Wir sollen handeln, als wenn unser Haus brennt“). Hingegen halten andere gesellschaftliche Akteure wie beispielsweise der Klimawissenschaftler Hans von Storch (SPIEGEL 43/2019) solche Forderungen für naiven Aktionismus und Panikmache. Von Storch zieht in Zweifel, dass die Forderungen aus der Zivilgesellschaft sachlich fundiert seien: „Was die jungen Klimaaktivisten anbieten, ist ein wilder Mix aus Fakten und Spekulationen.“ Er plädiert vielmehr dafür, Treibhausgasemissionen langsamer und insbesondere durch neuartige Technologien zu reduzieren. Die Politik soll insbesondere die Entwicklung solcher Technologien fördern, radikalere Schritte sind eher kontraproduktiv, lässt sich aus seinen Aussagen schlussfolgern.

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14 Apr

Wer, wenn nicht wir? Über einen Topos der Klimadebatte

von Rudolf Schüßler (Bayreuth)


Wer, wenn nicht wir, soll die Klimakrise beheben, von der die Welt bedroht wird? Das ‚wir‘ in diesem Satz bezieht sich auf alle Menschen, wird aber oft genug auch für einzelne Staaten und Staatengruppen beansprucht. Angela Merkel meint die Deutschen, wenn sie fordert: Wer, wenn nicht wir. Aber weshalb sollten bestimmte Staaten mehr für den Klimaschutz leisten müssen als andere? Die Klimaethik nimmt in dieser Hinsicht vor allem die Industriestaaten in die Pflicht, die mehr Treibhausgase emittieren als andere Staaten. Allerdings lassen sich auf diesem Weg zunächst nur Prima-facie-Pflichten begründen, also in erster Annäherung geltende Pflichten, von denen noch gezeigt werden muss, dass sie auch in der konkreten Realität handlungsbindende Geltung haben. In diesem Blogbeitrag möchte ich auf eine gravierende Hürde für diesen letzten Schritt der Geltungsbegründung hinweisen. Die Unsicherheit der politischen Kooperation zwischen Staaten steht der verbindlichen Geltung besonderer Leistungspflichten von Industriestaaten im Weg.

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