Mensch und Natur in der Romantik – Eine romantische Ökologie

von Giulia Valpione (Padua)


Die Romantik reflektiert über die Stellung des Menschen innerhalb der Natur aus wissenschaftlich-naturwissenschaftlicher, metaphysischer und politischer Perspektive. In einer Zeit wie der heutigen, in der die Folgen der ökologischen Krise nicht mehr zu leugnen sind – Anstieg des Meeresspiegels, Verschlechterung der Luftqualität, zunehmende Dürre in ehemals fruchtbaren Gebieten, immer häufiger auftretende Wetterphänomene, die früher als „außergewöhnlich“ galten, und natürlich die aktuelle Pandemie – halte ich es für unerlässlich, zu den Werken der deutschen Romantiker (einschließlich F. Schlegel und Novalis) zurückzukehren, um nach konzeptionellen Werkzeugen zu suchen, mit denen wir unsere Beziehung zur Natur neu überdenken können.

Im 17. und 18. Jahrhundert, vor der Geburt von Schlegel und Novalis, wurde in Europa auf wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Ebene an die Möglichkeit einer vollkommenen Transparenz der Natur für den Menschen geglaubt: Der wissenschaftliche Fortschritt und die beginnende Industrialisierung Europas führten zu der Vorstellung, dass die Natur ein passives Objekt sei, dem man sein eigenes produktives und kognitives Verlangen aufzwingen könne. Naturphänomene, so dachte man, ließen sich auf perfekt vorhersehbare mathematische Formeln reduzieren, die geeignet waren, ein Konzept von Natur und Materie als träges, mechanisches Element ohne Spontaneität zu beschreiben. In diese Richtung gehen auch die Vorstellungen von der Welt als Hebel- und Räderwerk, die auch den Menschen umfassen.[1] Dennoch war die Distanz zwischen Mensch und Natur unüberbrückbar: Die theologische Vorstellung einer menschlichen Seele (die den Tieren, Pflanzen und Mineralien fehlt) blieb. Die res extensa von Descartes folgte den Regeln der Mechanik, nicht aber die res cogitans.

Dieser Dualismus setzt sich bis zu Kant fort, der zwischen der Welt der menschlichen Freiheit und der Natur unterscheidet. Gewiss, auch Kant weist dem Menschen eine Natur zu (die durch eine Pragmatische Anthropologie untersucht werden kann), aber die praktische Vernunft (die Moral) des Menschen verleiht ihm die Würde, an der Welt der Freiheit teilzunehmen, die nicht den deterministischen Gesetzen der Naturwissenschaft unterliegt. Diese Dualität stellt den Mensch in den Mittelpunkt des Kosmos: Die Natur genießt eine geringere Würde als er, weil sie keine Seele und keine Freiheit hat, so dass Mensch und Natur in zwei getrennte Bereiche fallen.

Am Ende des 18. Jahrhunderts kam es jedoch zu Veränderungen, die die deutschen Romantiker dazu brachten, diese Vision in Frage zu stellen. Zunächst einmal kritisiert Schlegel das kantische Modell, das die Freiheit ganz auf die Seite des Menschen stellt und die Natur als Mechanismus betrachtet. In Schlegels Jenaer Vorlesungen zur Transzendentalphilosophie hat auch die Natur Freiheit.[2] Das bedeutet nicht, dass Schlegel auch Pflanzen oder Mineralien einen freien Willen zuschrieb. Freiheit wird hier als Kreativität verstanden, als die Fähigkeit, neue Formen zu schaffen. Laut Schlegel ist alles um uns herum, vom Mineral bis zum Menschen, das Ergebnis einer schöpferischen Kraft, die alles durchdringt. Diese Schlegelsche Theorie wurde auch durch eine Interpretation der neuen Entdeckungen auf dem Gebiet der Wissenschaft des Lebens (bald „Biologie“ genannt) unterstützt. Die Vielfalt der Formen, die die Pflanzen annehmen können, die Vielfalt des Verhaltens von Tieren, das sehr breite Farbspektrum, das alles, was wir sehen, kennzeichnet, sind die Wirkungen derselben Lebenskraft. Und auch wir sind ein Effekt davon.

Indem Schlegel die Freiheit als Schöpfung von Formen begreift, stellt er den Menschen und die Natur auf dieselbe Ebene. Natürlich bleiben Unterschiede zwischen ichnen: Nur der Mensch kann moralisch handeln, aber nicht nur der Mensch kann als frei bezeichnet werden. In Vorlesungen, die er 1804-1805 in Köln hielt, behauptet er, dass der Unterschied zwischen Mineralien, Pflanzen, Tieren und Menschen nur ein Unterschied im Grad der gleichen Prozesse ist.[3]

Novalis ist von dieser Position nicht weit entfernt. Anknüpfend an eine dynamische Deutung der Materie (wie bereits Franz von Baader und später Schelling formulierten), d.h. an eine von gegensätzlichen Kräften durchzogene und zusammengesetzte Materie, sieht auch Novalis das Leben als eine allgegenwärtige Kraft,[4] die die Lebewesen, ihre Formen und ihre Eigenheiten ins Dasein führt.

Sowohl für Novalis als auch für Schlegel ist die Natur keine Maschine, die der menschlichen Freiheit entgegensteht: Mensch und Natur sind das Ergebnis derselben Kräfte, die sowohl in der Materie als auch in unserer Seele wohnen. Und so wie letzteres unserem Verstand immer verborgen bleibt, müssen wir akzeptieren, dass die Natur unseren mathematischen Formeln und Reduktionen immer irgendwie verborgen bleiben wird. Diese Unklarheit soll jedoch nicht der Auslöser für einen Impuls zur Herrschaft des Menschen über die Natur sein, zur Auferlegung einer Ordnung, wo es keine gibt. Der Ursprung der Natur ist zweifellos ein undurchschaubares Chaos, aber aus diesem Chaos entsteht der Kosmos, und seine Harmonie ergibt sich nicht aus der Auferlegung menschlicher Gesetze, seien es die Gesetze der Wissenschaft oder der Ausbeutung.

Diese Perspektive, die Mensch und Natur einander näherbringt, und die in den Tieren, Pflanzen und Mineralien dieselben Prozesse sieht, die zum Menschen führen, ist bereits ein erstes Element, das meiner Meinung nach heute aus einer ökologischen Perspektive aufgegriffen werden kann oder vielmehr soll. Die Entdeckung einer Perspektive, die auf eine Gemeinsamkeit zwischen den Organisationsprozessen des Menschen und denen der Elemente der Natur hinweist,[5] kann dazu beitragen, unsere Einstellung der Natur gegenüber zu ändern.

Ein zweiter Aspekt, den ich hier hervorheben möchte: Zu den wissenschaftlichen Umwälzungen jener Jahre gehörten neben der Bedeutung, die dem Leben und dem Lebendigen beigemessen wurde, sicherlich die Entdeckungen von Galvani und Volta zum Elektromagnetismus, die durch die Vermittlung des Philosophen und Wissenschaftlers Johann W. Ritter die gesamte deutsche Romantik beeinflussten. Ritter konzentrierte sich insbesondere auf die galvanische Kette, bei der elektrische Ladung zwischen Körpern, die als Leiter fungieren, übertragen wird. Diese wissenschaftliche Entdeckung wurde von Schlegel und Novalis – wie auch von anderen ihrer Zeitgenossen – zu einem Beweis einer Einheit der Natur (zu der, wie wir gerade gesehen haben, auch der Mensch gehört), in der jedes Element die anderen Elemente beeinflusst. Die Natur ist ein einziger Organismus, in dem alle Teile zu seinem Gleichgewicht und seiner ständigen Schöpferkraft beitragen. Die Natur ist eine Vielfalt von Formen (wie oben gesehen), aber sie ist auch eine Einheit in der Vielfalt. Entgegen der Vorstellung von der Dominanz des Subjekts Mensch über das Objekt Natur sind wir für die deutschen Romantiker alle Teile derselben Einheit, desselben Organismus, derselben galvanischen Kette: unsere Handlungen gegen die anderen Elemente, aus denen wir dieses Ganze zusammensetzen, fällt auf das Ganze selbst zurück.

Ich glaube, dass diese beiden Aspekte der Philosophie von Novalis und Schlegel für jeden von uns Gegenstand neuer Studien und Interessen sein sollten. Dank ihnen ist es möglich, die Nähe und Zugehörigkeit des Menschen zur Natur zu verstehen – indem man beide nicht auf Maschinen reduziert, sondern indem man die Kreativität beider betont – und gleichzeitig lehren sie uns, dass wir die Vorstellung aufgeben müssen, dass die Natur uns zu Diensten steht und unserem Willen unterworfen ist. Wie Alison Stone vor einigen Jahren in einem Buch beschrieben hat, führt die romantische Unergründbarkeit der Natur zu einer Form von Respekt vor ihr. [6] Das ist sicherlich richtig, aber ich glaube, dass ein weiterer Aspekt hinzukommen muss: Durch die Romantik können wir auf noch radikalere Weise die Rolle des Menschen im Kosmos neu überdenken. Er ist ein Geschöpf, das sicherlich etwas Besonderes in der Natur ist, aber er bleibt ein Teil von ihr.

Unsere ontologische Verbundenheit mit der Natur muss meiner Meinung nach wieder in den Mittelpunkt unseres Interesses rücken. Hinzu kommt der Gedanke, dass wir ein Element in einem Spiel von Interdependenzen und Gleichgewichten sind. Schlegel beschreibt in seinen bereits erwähnten Vorlesungen zur Transzendentalphilosophie die Tugend als eine Handlung, die sich in das Ganze –  das heißt, die Gemeinschaft oder Gesellschaft in der sie geübt wird – ausdehnt und auf die Bildung desselben wirkt.[7] Ich glaube, dass die beiden Väter der deutschen Romantik uns helfen können, unser Dasein in der Welt so zu denken: Jede unserer Handlungen hat einen Einfluss auf das, was uns umgibt, und wie in einer geschlossenen galvanischen Kette breitet sich diese Wirkung um uns herum aus und kehrt dann verändert und verstärkt zu uns zurück. Ich glaube, dass das ökologische Denken an dieser Stelle ansetzen muss, um die Art und Weise, wie wir über uns selbst, unser Zusammenleben und unser Handeln denken, radikal zu verändern.


Giulia Valpione ist Forscherin an der Universität Padua.


[1] Sehe z. B. L’Homme machine (1747) von Julien Offray de La Mettrie.

[2]Freiheit des Willens und Gesetze der Natur stehen und fallen mit einander“, Friedrich Schlegel, Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe [=KFSA],Bd. XII, hrsg. von E. Behler et al., München–Paderborn, Schöningh, 1964,  S. 50. „das All ist absolut frey. Und der Mensch […] ist frey, so wie die Natur frey ist“, ibidem, S. 72.

[3] KFSA XIII, S. 19 und 26.

[4] Novalis, Das allgemeine Brouillon, Bd.III, hrsg. R. Samuel, H.-J. Mähl, G. Schulz, Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1968, S. 281, Nr. 235.

[5] KFSA, XVIII, S. 150, Nr. 326.

[6] Alison Stone, Nature, Ethics and Gender in German Romanticism and Idealism, London – New York, Rowman & Littlefield, 2018,S. 64.

[7] KFSA XII, S. 76.