22 Sep

Anerkennung und Armut

Von Gottfried Schweiger (Salzburg)


Anerkennung hat sich in den letzten Jahren als ein zentrales Konzept in der politischen Philosophie und Sozialphilosophie etabliert. Ausgehend von seiner Verwendung bei Fichte und Hegel und insbesondere durch seine Aktualisierung im Werk von Axel Honneth, aber auch bei Denkerinnen wie Nancy Fraser oder Charles Taylor, wird Anerkennung zur Analyse und Kritik sozialer Verhältnisse herangezogen. Armut kann als Missachtung und Nichtanerkennung kritisiert werden.

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08 Jun

Was wir dafür tun dürfen. 50 Jahre Rote Armee Fraktion und die Frage der Bruchs in der politischen Philosophie

Von Gottfried Schweiger (Salzburg)


Dieser Text, der das „Jubiläum“ der Gründung der Roten Armee Fraktion (RAF) vor knapp 50 Jahren zum Anlass nimmt, um über politische Gewalt nachzudenken, war schon fertig als in den USA nach der Tötung von George Floyd durch einen Polizisten Unruhen und Proteste ausbrachen. Die Frage dieses kurzen Essays wird durch die Ereignisse der letzten Tage aber in einen neuen und unmittelbar aktuellen Kontext gestellt. Bislang verlaufen die Proteste und Demonstrationen relativ ruhig und gewaltlos (vor allem gemessen am Maßstab der Bewaffnung der Bevölkerung in den USA) – die Situation kann aber jederzeit kippen und der Präsident der USA, Donald Trump, hat relativ rasch offen mit Gewalt und Waffeneinsatz gedroht. Die Aussicht auf ein besseres Leben und soziale Gerechtigkeit ist auch Jahrzehnte nach der Bürgerrechtsbewegung für einen Großteil der schwarzen Bevölkerung in den USA nicht gegeben und sie ist mit alltäglichen Nachteilen, Schikanen durch die Gesellschaft und die Behörden konfrontiert, die, wie der Tod von George Floyd eindrücklich zeigt, ihr Leben bedrohen. Daher auch der eindrückliche Slogan, der eine moralische Minimalbedingung beschreibt: „Black Lives Matter“. Ein weitere aktuelle Ungerechtigkeit zeigt sich in den Auswirkungen der COVID-19 Pandemie, die benachteiligte Bevölkerungsgruppen und insbesondere AfroamerikanerInnen viel stärker trifft als die weiße Bevölkerung. Die Situation zwischen Deutschland 1970 als die RAF sich gründete und den USA 2020 sind natürlich nicht vergleichbar, da die sozialen und politischen Verhältnisse, die Strukturen der sozialen Bewegungen und die Akteure gänzlich andere sind – die Frage der Legitimität der Gewalt, um eine gerechtere Gesellschaft zu errichten, betrifft allerdings beide.

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19 Mai

Demokratisierung und Dekommodifizierung der Arbeit. Überlegungen zum Manifest #DemocratizingWork

von Gottfried Schweiger (Salzburg)


Vor einigen Tagen wurde das Manifest „ARBEIT: DEMOKRATISIEREN, DEKOMMODIFIZIEREN, NACHHALTIG GESTALTEN“ in Zeitungen und Zeitschriften in über dreißig Ländern veröffentlicht, das mittlerweile von über 3000 ForscherInnen, darunter auch viele PhilosophInnen, aus der ganzen Welt unterzeichnet wurde. Der Aufruf bezieht sich auf die COVID-19 Pandemie als Chance und Anlass für eine nachhaltige Veränderung des Erwerbsarbeitslebens. Wie aus dem Titel des Manifests hervorgeht, stehen drei Anliegen im Vordergrund: Arbeit soll demokratisiert werden, also Angestellte sollen in ihren Betrieben umfangreiche Mitspracherechte über Unternehmensentscheidungen erhalten. Arbeit soll dekommodifiziert werden, also jeder Mensch soll Anspruch auf einen würdigen Arbeitsplatz haben, der vom Staat garantiert wird. Arbeit soll nachhaltig gestaltet werden, also so verändert werden, um nicht mehr primär Profitinteressen zu dienen, sondern der Klimakrise entgegenzutreten. Das Manifest bietet vielerlei wichtige Anknüpfungspunkte für eine weiterführende (philosophische) Diskussion, welche sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen mittel- und langfristig erstrebenswert sind und wie der Weg dorthin gestaltet werden kann.

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11 Mai

Mehrbelastung von Wissenschaftler*innen in der Corona-Pandemie – Eine Replik auf Gottfried Schweigers Kommentar zur SWIP Stellungnahme

von Andrea Klonschinski (Kiel)


Gottfried Schweiger hat an diesem Ort kürzlich *Kritik* an der *Stellungnahme* der Society of Women in Philosophy e. V. (SWIP) zur Corona-Pandemie geübt. Die Stellungnahme, so Schweiger, sei zu vage, benenne weder die für bestimmte Maßnahmen Verantwortlichen, noch differenziere sie hinreichend zwischen den negativ Betroffenen und lasse es an Vorschlägen konkreter gegenseitiger Solidarität im Wissenschaftsbetrieb vermissen. Damit sende sie insgesamt ein zu schwaches Signal. Während ich viele seiner grundlegenden Überlegungen teile, scheint mir eine Kritik an der SWIP-Stellungnahme nicht der richtige Ort, um diese zu artikulieren. Tatsächlich vermengt Schweiger meines Erachtens verschiedene Themen bzw. Fragen, die alle in der derzeitigen Situation relevant sind, aber auseinandergehalten werden sollten, wie ich im Folgenden skizzieren möchte. Dabei weist die Auseinandersetzung mit der SWIP-Stellungnahme über den konkreten Anwendungsfall hinaus, insofern sie Ungerechtigkeiten im Wissenschaftsbetrieb sowie den angemessenen individuellen und institutionellen Umgang damit thematisiert.

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08 Mai

Solidarität im philosophischen Wissenschaftsbetrieb? Ein Kommentar zur Stellungnahme von SWIP Germany

Von Gottfried Schweiger (Salzburg)


Es ist ein Verdienst von SWIP Germany (Society for Women in Philosophy), dass sie sich der Frage der ungleich verteilten Belastungen innerhalb des Wissenschaftsbetriebs in Zeiten der COVID-19 Pandemie in einer Stellungnahme angenommen hat. Obwohl ich die Stellungnahme inhaltlich fast vollständig teile und diese Textsorte immer gewisse Unzulänglichkeiten mit sich bringt, bleibt doch der Eindruck, dass hier ein stärkeres Signal gesendet hätte werden können. So bleibt der Aufruf für mich etwas zu sehr im Vagen hängen.

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22 Apr

Verletzbarkeit und Benachteiligung in Zeiten von COVID-19

von Gottfried Schweiger (Salzburg)


Verletzbarkeit ist nicht nur eine natürliche Eigenschaft aller Menschen, sondern sie ist stark von den sozialen Verhältnissen geprägt, in denen Menschen leben. Das sehen wir auch jetzt in Zeiten der COVID-19-Pandemie. Es ist zu befürchten, dass insbesondere jene Bevölkerungsgruppen, die von Armut, Ausgrenzung anderen Benachteiligungen betroffen sind, in dieser Pandemie zu Opfern werden.

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22 Apr

Blogging in der Philosophie

von Gottfried Schweiger (Salzburg) & Norbert Paulo (Salzburg & Graz)


Das deutsche Bundesministeriums für Bildung und Forschung hat im November 2019 ein Grundsatzpapier zur Wissenschaftskommunikation veröffentlicht. Darin heißt es: „Die Wissenschaft trägt in Zeiten des gesellschaftlichen Wandels besondere Verantwortung: Sie sucht nach evidenzbasierten Antworten und entwickelt Lösungen für die drängenden Fragen unserer Zeit. Ihre Aufgabe ist es jedoch auch, zunehmend den Dialog zu suchen, Debatten zu versachlichen und über Herausforderungen und Chancen wissenschaftlicher Entwicklungen aufzuklären. Die Wissenschaft hat diese Verantwortung erkannt.“

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10 Apr

Blogging in Zeiten von COVID-19. Reflexionen auf 2 Jahre praefaktisch

von Gottfried Schweiger (Salzburg)


Wer hätte das gedacht? Seit zwei Jahren gibt es nun schon den Philosophieblog praefaktisch und es läuft besser, als ich es vermutet oder erhofft hätte. Gerade befinden wir uns in einer beispiellosen Situation einer Pandemie, die neben Krankheit, Leid und Tod auch das öffentliche, soziale und ökonomische Leben fast vollständig zum Erliegen gebracht hat. Es sind interessante Zeiten – auch für philosophisches Blogging.

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08 Apr

Anerkennung in Zeiten von COVID-19

von Gottfried Schweiger (Salzburg)


Zeiten der Krise sind Zeiten, in denen Helden gemacht und Heldenerzählungen geschrieben werden. Die COVID-19-Pandemie kennt einige Helden: das gesamte medizinische Personal vorne weg, aber auch die vielen anderen Menschen, die die Gesellschaft am Laufen halten und sich gegen die Pandemie stemmen. Es mehren sich so auch die Stimmen, die diesen „Helden des Alltags“ öffentlich ihre Anerkennung aussprechen. Eine bekannte Supermarktkette in Österreich hat zum Beispiel eine Anzeige geschaltet, in der sie ihren Angestellten ihren Dank ausspricht für das, was sie gerade jetzt leisten. Während einige Berufsgruppen wie zum Beispiel ÄrztInnen es gewohnt sind, weit oben in der Anerkennungshierarchie zu stehen, kommen nun auch Menschen in den Genuss solcher Anerkennung, die normalerweise davon ausgeschlossen sind. Gemeint sind damit unter anderem die schlechte bezahlten Angestellten in den Supermärkten und Lagerhallen, aber auch die vielen, die Pflege- und Fürsorgearbeiten in den Krankenhäusern, Pflegeheimen oder in privaten Arrangements für bedürftige und chronisch kranke Menschen leisten. Zwei Fragen stellen sich: wie verschieben sich Anerkennungsregime in Zeiten der Krise und was ist eigentlich mit allen, die keine „Helden des Alltags“ sind, was macht die Krise mit ihnen?

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15 Mrz

Philosophie in Zeiten von COVID-19

von Gottfried Schweiger (Salzburg)


Für viele, mich eingeschlossen, wirkt die Szenerie surreal. Heute, Sonntag, der 15. März 2020, ist der letzte Tag einer Woche, die von einer ständigen Eskalation der Ereignisse hier in Österreich, in ganz Europa und manchen anderen Teilen der Welt, geprägt war. Ab morgen sind alle Schulen und die meisten Geschäfte geschlossen und Restaurants und Cafés dürfen nur noch bis 15.00 Uhr geöffnet haben. Die Universitäten laufen auf Notbetrieb, alles online und die so beliebte Tätigkeit des Besuchs von Tagungen und Vorträgen ist vollständig zum Erliegen gekommen. Gestern gab es, angetrieben durch fake news, die über die Sozialen Medien und Whatsapp verbreitet wurden, in den Supermärkten teils chaotische Zustände, Hamsterkäufe, leere Regale (insbesondere Klopapier, Nudeln, passierte Tomaten und Damehygieneartikel waren beliebt)  und lange Schlangen vor den Geschäften und Kassen. Aus Italien hört man immer wieder Schreckensmeldungen über ein zusammenbrechendes Gesundheitssystem, über immer mehr Kranke und Tote und die Notwendigkeit, darüber zu entscheiden, wer noch behandelt und wer seinem Schicksal überlassen wird. Welchen Beitrag kann eine philosophische Reflexion hier überhaupt leisten? Gibt es nicht wesentlich wichtigere Dinge gerade als abstrakte Theorien und Argumente zu wälzen? PhilosophInnen sind keine ÄrztInnen und keine sonstigen wichtigen Fachkräfte, die wir brauchen, um so eine Krise zu überstehen und Menschenleben zu retten. Zumindest nicht direkt. Ihre Tätigkeit des Abwägens und Ergründens liegt vor oder nach der Krise, meist nicht mittendrin.

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