28 Mai

Kant’s Logik ist nicht Kants Logik

Von Daniel Erlewein (Münster)

Im Jahr 1799 erteilte Kant einem Kollegen den Auftrag, ein Kompendium zur Logik zu verfassen und stellte ihm dafür seine Notizen zur Verfügung. Das Produkt, Immanuel Kants Logik, erschien noch zu Kants Lebzeiten und trägt seinen Namen im Titel. Viele Interpreten behandeln diese Schrift daher so, als hätte Kant selbst sie verfasst und als enthielte sie seine definitiven Gedanken zur Logik. Der Herausgeber, G. B. Jäsche, ist bei der Ausarbeitung des Textes allerdings sehr willkürlich verfahren. Kant hat seine Position etwa bezüglich der Bildung der Begriffe und der Konzeption der Urteile mehrfach revidiert und hat daher nicht nur ein oder zwei, sondern eine ganze Reihe von Notizen zu diesen Themen verfasst. Jäsche hat nur einen kleinen Teil der Aufzeichnungen zum Abdruck bringen lassen und sie an vielen Stellen gekürzt, ergänzt oder miteinander verquickt. Oft ist zudem nicht klar, ob sie Kants reife Position zum Ausdruck bringen. Immanuel Kants Logik so zu behandeln, als wäre sie Kants eigene Schrift, ist daher mehr als fahrlässig. Es birgt die Gefahr, Kant eine Position zuzuschreiben, die er nicht vertreten oder zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgegeben hat. Es ist höchste Zeit, Immanuel Kants Logik einer quellenkritischen Analyse zu unterziehen!

22 Apr

Kant zwischen Buchstabe und Geist

Von Lucian Ionel (Leipzig)

Wenn wir Kants Textkorpus untersuchen, stoßen wir zunächst auf die Grenze des Buchstabens. Der Buchstabe ist die Grenze des Geistes: Der Geist kann sich nur im Buchstaben verstehen; der Buchstabe ist aber auch die Weise, in der er sich verfehlen kann. Davor warnt uns Kant, wenn er sagt, Philosophie könne man nicht lernen. Er meint damit, dass philosophische Erkenntnis nicht in der Form von Lehrsätzen erworben werden kann. Philosophische Erkenntnis kann man nur erwerben, indem man philosophiert. Das Einzige, was wir von ihm lernen können, ist das Philosophieren. Wenn wir Kant stattdessen buchstäblich lesen, dann grenzen wir unser Verständnis dessen, was wir sind, selbst ein.

Die Übersetzung des kantischen Geistes in Buchstaben wird deutlich in der Art und Weise, wie seine Kritik unserer Erkenntnisvermögen – also seine Artikulation dessen, was wir von dem wissen, was wir als geistige Lebewesen können – zumeist verstanden wird. Allzu oft wird Kants Unterfangen als eine Aneinanderreihung gegebener Dispositionen verstanden – als wären die Erkenntnisvermögen Dispositionen des Geistes, so wie die Zerbrechlichkeit eine Disposition der Knochen ist. Kant aber mahnt, dass es eine natürliche Illusion unserer Selbsterkenntnis ist, das Subjekt für ein Objekt, unser selbstbewusstes Können für eine gegebene Anlage zu halten. Diese Einsicht ist Ausdruck seines kritischen Geistes in der Frage der philosophischen Psychologie, der Selbsterkenntnis des Menschen. Diesen kritischen Geist brauchen wir auch heute – auch um Kant nicht als ein bloßes Lehrgebäude, als toten Buchstaben am Leben zu erhalten.

18 Mrz

Zwei gute Methoden der Praktischen Philosophie: idealisierende Hermeneutik und technischer Konstruktivismus

von Christoph Lumer (Siena)


Seit den 1980er Jahren verwenden Praktischen Philosophen als Methode immer dominanter den Intuitionismus. Was dabei letztlich zählt, ist die Intuition des Autors. Nach Ansicht der Kritiker liefert der Intuitionismus aber einfach keine Begründung: Argumentationstheoretisch gesehen ist er eine Petitio principii: Er setzt voraus, was er begründen sollte. Der Hauptkonkurrent, der methodische Naturalismus, bleibt hingegen rein empirisch und kann normative nicht Fragen beantworten. Aber es geht auch anders, nämlich mit philosophischen Methoden, die u.a. auch Werturteile begründen können.

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