Philosophische Gotteserkenntnis?

von Robert Deinhammer SJ (Innsbruck)


Kann man Gott auf rein philosophischem Weg erkennen, mit unserer „natürlichen“ Vernunft, also ohne Bezugnahme auf Offenbarung und Glaube? Gibt es vielleicht „Gottesbeweise“, die im Prinzip allen Menschen einleuchten müssten? Diese Fragen wurden in der Tradition kontrovers beurteilt, aber der Mainstream abendländischer Philosophie bis Kant war hier durchaus optimistisch. Gegenwärtig scheinen hingegen die meisten Philosophen und auch viele Theologen diesbezüglich sehr skeptisch zu sein.[1] In der zeitgenössischen Philosophie dominieren atheistische und agnostische Strömungen, obwohl religiöse Fragen wieder vermehrt aufgegriffen werden.

In der Tat wäre ein Gottesbeweis problematisch. Die drei großen monotheistischen Religionen und insbesondere die christliche Botschaft behaupten letztlich, dass Gott nicht unter Begriffe fällt: Er sei vollkommener als alles, was gedacht (oder erfahren) werden kann.[2] Dann kann es aber auch keinen Gottesbegriff geben, der sich als Ausgangspunkt, Gegenstand oder Ergebnis von Schlussfolgerungen eignen würde. Man kann daher nichts in der Welt mit Gott erklären oder ihn dazu verwenden, irgendetwas zu „plausibilisieren“. Und Beweise im strengen Sinn gibt es ohnehin nur im Bereich der Logik und Mathematik.

Dennoch setzt die christliche Botschaft philosophische Gotteserkenntnis voraus. Sie behauptet nämlich, dass das Sein der Welt völlig identisch ist mit ihrem Geschaffensein. Die Welt ist jedoch Gegenstand unserer Vernunft. Deshalb müsste Geschaffensein an der Welt selbst ablesbar sein, also schon philosophisch erkannt werden können. In dieser Sicht gibt es aber nur eine indirekte Gotteserkenntnis, bei der die Unbegreiflichkeit Gottes gewahrt werden kann: Man begreift von Gott immer nur das von ihm Verschiedene, nämlich die geschaffene Welt, die als solche völlig auf ihn verweist und ohne ihn nicht sein kann. Gott selbst wird damit nicht zum Gegenstand eines noch Welt und Gott übergreifenden Denkens. Er ist kein „Systembestandteil“, den wir irgendwie einordnen könnten.

Geschaffensein wird jedoch häufig missverstanden. Es geht nicht um ein Kausalverhältnis, als wäre Gott die „Ursache“ der Welt, oder um einen angeblichen zeitlichen Beginn des Universums, den sogenannten „Urknall“. Dass die gesamte Welt und alle ihre Teile „aus dem Nichts geschaffen“ sind (creatio ex nihilo), impliziert vielmehr eine relationale Ontologie, wonach die Wirklichkeit der Welt in jedem Augenblick ihrer Existenz ganz und gar darin aufgeht, ohne Gott nicht sein zu können, weil sie selbst nichts als Relation auf Gott ist.[3] Es handelt sich dabei um eine streng einseitige Relation: Die Welt ist völlig von Gott abhängig; Gott jedoch ist nicht real auf die Welt bezogen und in keiner Weise von ihr abhängig.[4]

Die Welt ist Gott gegenüber also ein „restloses Bezogensein auf …/ in restloser Verschiedenheit von …“. Die Pünktchen in diesem Ausdruck bedeuten: Man weiß nicht zuerst, wer Gott ist, um dann von ihm zu sagen, dass er die Welt geschaffen habe, sondern man kann nur von der Welt ausgehen und sie als völlig auf eine andere, nicht mehr unter Begriffe fallende Wirklichkeit verweisend erkennen. Man kann somit nur analog, nämlich indirekt und hinweisend von Gott sprechen. Die klassische Analogielehre wird erst in einem relational-ontologischen Verständnis wirklich konsistent formulierbar: Die Welt ist aufgrund ihres Geschaffenseins Gott ähnlich (via affirmativa) und unähnlich (via negativa) zugleich; Gott seinerseits aber ist aufgrund der Einseitigkeit der Geschöpflichkeitsrelation der Welt nur unähnlich (via eminentiae); er ist alles Begreifen übersteigende Vollkommenheit. Außerhalb dieses relationalen Ansatzes, nämlich im Rahmen einer Substanzmetaphysik, bleibt das analoge Sprechen von Gott problematisch. Denn dann wäre Gott nicht von einer menschlichen Projektion unterscheidbar. Gott und Welt würden vermischt werden. Gott wäre nicht mehr als ein ins Unendliche gesteigertes Stück Welt.

Es ist meines Erachtens nicht möglich, das von der christlichen Botschaft vorausgesetzte Gottesverständnis ohne diese relationale Ontologie sachgemäß darzustellen. Eine solche relationale Ontologie bedeutet einen tiefgreifenden Wandel unseres philosophischen Vorverständnisses. Es gibt nicht nur Relationen, die zu ihrem Träger hinzukommen, sondern Geschaffensein müsste als eine einseitige substanzkonstituierende Relation verstanden werden, die mit ihrem Träger völlig identisch ist. In diesem Sinn ist aber Geschaffensein eine einzigartige Relation, die kein innerweltliches Pendant hat.

Nach dem bisher Gesagten kann es also keinen Gottesbeweis geben, sondern allenfalls einen „Geschöpflichkeitsbeweis“, nämlich ein Argument für das Geschaffensein der Welt. Wie kann man aber nun philosophisch zeigen, dass die Welt tatsächlich im oben dargestellten Sinn geschaffen ist? Ein gutes Argument würde darin bestehen nachzuweisen, dass die Bestreitung der Geschöpflichkeit der Welt widersprüchlich ist und deshalb nicht wahr sein kann (reductio ad absurdum).

Dabei könnte man so vorangehen: Alles in der Welt hat die Struktur einer unauflöslichen Einheit von Gegensätzen, nämlich einer Einheit von Positivität und Negativität. So bedeutet etwa Veränderung eine Einheit von Identität und Nicht-Identität. Wenn sich etwas verändert, dann bleibt es dasselbe und ist doch zugleich nicht mehr ganz dasselbe. Eine solche Einheit von Gegensätzen stellt ein Widerspruchsproblem, weil angegeben werden muss, wodurch sich ihre Beschreibung von einem logischen Widerspruch unterscheidet.[5] Es würde hier nicht genügen, zwischen einem angeblich unveränderlichen „Wesenskern“ und dessen wechselnden Eigenschaften zu unterscheiden. Denn dieser Wesenskern wäre ja in sich selbst vom Wechsel seiner Eigenschaften betroffen. Ebenso unzureichend wäre es zu sagen, dass Identität und Nicht-Identität nur zu verschiedenen Zeiten vorliegen. Wie kann ein und dasselbe überhaupt zu verschiedenen Zeiten existieren, ohne davon in seiner Selbigkeit betroffen zu sein?

Um dieses Widerspruchsproblem zu erklären, also von einem wirklichen Widerspruch zu unterscheiden, benötigt man zwei verschiedene Hinsichten (wegen der Einheit der Gegensätze), die sich aber nicht wiederum ausschließen (wegen der Einheit der Gegensätze). Die Behauptung lautet nun, dass sich solche Hinsichten letztlich nur im Begriff der Geschöpflichkeit finden lassen: „restloses Bezogensein auf …“ und „restlose Verschiedenheit von …“. Die Identität in der Nicht-Identität gründet darin, dass das Seiende restlos auf Gott bezogen ist. Dass die Identität zugleich von Nicht-Identität durchdrungen ist, gründet darin, dass das Seiende zugleich restlos von Gott verschieden ist. Wenn die betreffende Wirklichkeit nicht völlig in einer restlosen und damit einseitigen Relation auf Gott aufginge, würde sich das Widerspruchsproblem in neuer Weise bei Gott stellen.

So kann die Welt widerspruchsfrei beschrieben werden als dialektische Einheit von Gegensätzen, nämlich als eine Einheit von Positivität und Negativität, weil sie geschaffen ist im Sinne eines „restlosen Bezogenseins auf …/ in restloser Verschiedenheit von …“. In diesem Argument wird die Welt nicht durch Gott erklärt, sondern – im Rahmen einer logischen Implikation – durch ihr Geschaffensein, das als solches gerade nicht Gott ist, aber auf ihn verweist.

Dieses sicher sehr ungewohnte Verständnis von Geschaffensein ist übrigens kompatibel mit jeder naturwissenschaftlichen Beschreibung der Welt, so lange die Welt als Einheit von Gegensätzen aufgefasst werden muss. Es würde etwa auch von einer Welt ohne zeitlichen Anfang gelten, oder von einer Welt, deren Ordnung aus einem Wechselspiel von „Zufall und Notwendigkeit“ resultiert. Selbstverständlich trifft es auch auf evolutionäre Welt zu. Alles, was überhaupt existiert, geht restlos darin auf, ohne Gott nicht sein zu können. So ist Gott der, „ohne den nichts ist“. Deshalb gibt es auch keinen Spielraum für ein zusätzliches „Eingreifen“ Gottes, das man welthaft, d.h. mit unserer „natürlichen“ Vernunft, ausweisen könnte.

Die volle Bedeutung dieses Gottesverständnisses, das letztlich in der Anerkennung unseres eigenen Geschaffenseins besteht, erschließt sich aber erst im Kontext des christlichen Glaubens. Hier beginnt dann Theologie im engeren Sinn.

Die philosophische Vernunft erkennt immer nur den abwesenden und verborgenen Gott, den Deus absconditus. Aufgrund der Einseitigkeit der Geschöpflichkeitsrelation gilt, dass keine geschaffene Qualität jemals Gemeinschaft mit Gott ermöglichen kann. Darin besteht auch die Grundproblematik aller Religion. Mehr bildhaft ausgedrückt: Es führt kein Weg von der Welt zu Gott, und die Welt ist kein fester Grund, auf dem wir stehen, sondern in sich selbst widerspruchsproblematisch bzw. radikal fraglich.[6] Diese ernüchternde Einsicht, die man zunächst am liebsten gar nicht wahr haben möchte, ist aber die Voraussetzung dafür, die christliche Botschaft wirklich verstehen zu können. In ihr wird von Jesus her für den Glauben verkündet, dass Gottes Zuwendung zur Welt nicht an der Welt selbst ihr Maß hat, sondern von Ewigkeit her als eine ungeschaffene innertrinitarische Relation besteht: Die Welt ist aufgenommen in die Liebe Gottes zu Gott, die des Vaters zum Sohn, die als der Heilige Geist selber Gott ist. So kann Gott wirklich auf die Welt bezogen sein, ohne dadurch von der Welt abhängig zu werden. (Die drei göttlichen Personen können dabei als drei verschieden vermittelte Relationen der einen göttlichen Wirklichkeit auf sich selbst verstanden werden.)

Weil aber diese Zuwendung Gottes zur Welt, von der ebenfalls nur hinweisend gesprochen werden kann, nicht ihr Maß an der Welt hat, kann man sie auch nicht an der Welt ablesen, d.h. mit der „natürlichen“ oder philosophischen Vernunft erkennen. Sie muss der Welt im „Wort Gottes“ hinzugesagt werden und kann nur im Glauben als wirklich erkannt werden. Obwohl der Glaube also nicht auf Erfahrung oder Vernunftargumenten basiert, ist er aber auch nicht unvernünftig, weil es nicht gelingt, stichhaltige Einwände gegen ihn vorzubringen. Und die Vollmacht der christlichen Botschaft besteht darin, dass ihr konkreter Inhalt (Dreifaltigkeit Gottes, Menschwerdung des Sohnes) erläutert, wie man sie überhaupt als „Wort Gottes“, als die Selbstmitteilung Gottes in mitmenschlichem Wort, verstehen kann. Diese Botschaft vermittelt das berechtigte Vertrauen auf ein letztes, unzerstörbares Geborgensein in der Gemeinschaft mit Gott und befreit damit den Menschen aus der Macht der Angst um sich selbst zu wirklicher Menschlichkeit und Vernunft. Damit erfüllt sie auch einen Dienst an der Philosophie.


Robert Deinhammer SJ hat Philosophie, Rechtswissenschaften und Theologie studiert und arbeitet in Innsbruck an einem Habilitationsprojekt in Philosophie sowie als Lehrbeauftragter und in der Seelsorge. Weitere Texte hier.


[1] Zwei repräsentative Ausnahmen: Edward Feser, Five Proofs of the Existence of God, San Francisco 2017; Holm Tetens, Gott denken: Ein Versuch über rationale Theologie, Stuttgart 2015 

[2] Vgl. etwa Anselm v. Canterbury, Proslogion, 15.

[3] Vgl. dazu und zum Folgenden: Peter Knauer, Der Glaube kommt vom Hören: Ökumenische Fundamentaltheologie, Norderstedt 72015, bes. 21–218.

[4] Vgl. etwa Thomas v. Aquin, Summa Theologiae, I q13 a7, und Summa Contra Gentiles, lib. 2, cap. 12, n. 1–2.

[5] Vgl. etwa Chris Mortensen, Change and Inconsistency, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Winter 2016 Edition), https://plato.stanford.edu/archives/win2016/entries/change/ (31.12.2018)

[6] Vgl. Robert Deinhammer, Fragliche Wirklichkeit – Fragliches Leben: Philosophische Theologie und Ethik bei Wilhelm Weischedel und Peter Knauer, Würzburg 2008