18 Jun

Das Leiden der Nutztiere – eine Frage des Verstehens?

Von Janine Borcherding (Bremen)

Alljährlich werden allein in Deutschland Hunderte Millionen sogenannter ‚Nutztiere‘ – meist unter grausamen Bedingungen – für unsere Nutzung getötet[1]. Für diesen ethisch bedenklichen Umgang gibt es sicherlich vielfältige psychologische, soziologische und ökonomische Gründe. Aber gehen wir vielleicht auch deshalb so mit ‚Nutztieren‘ um, weil wir sie nicht verstehen? Und ist dieses Missverstehen womöglich selbst schon eine Ungerechtigkeit ihnen gegenüber? In diesem Beitrag möchte ich zeigen, dass der Begriff der epistemischen Ungerechtigkeit auch etwas zur Erklärung unseres Verhaltens gegenüber Nutztieren beitragen kann.

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09 Mai

Epistemische Ungerechtigkeiten im Kontext Künstlicher Intelligenz

Von Anastassija Kostan (Paderborn/Frankfurt)

Aktuell gibt es fast jede Woche Neuigkeiten zur künstlichen Intelligenz. Aus dem rasanten Wechsel zwischen Personalia-Skandalen bei den Tech-Giganten, der fortlaufenden Präsentation immer wieder neuer Etappen der Technologieentwicklung und den nachhinkenden Regulierungsdebatten ist mittlerweile eine regelrechte „KI-Fatigue“ entstanden. Gleichzeitig ist der Einsatz künstlicher Intelligenz aus unserem Alltag überhaupt nicht mehr weg zu denken. KI getriebene Programme urteilen immer häufiger und zunehmend ohne menschliche Aufsicht darüber, wer einen Job bekommt, Anspruch auf einen Kredit hat oder Sozialhilfe beziehen kann und dergleichen mehr.

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25 Apr

Epistemische Ungleichheiten zwischen Elisabeth von der Pfalz und René Descartes – Im Philosophiestudium wiedergefunden

Von Kim Ann Woodley (Bochum)

Wintersemester 2023/24 — Ich biete ein Lektüreseminar zu Descartes Werk Die Passionen der Seele an. Dazu lesen wir den Briefwechsel mit Elisabeth von der Pfalz, denn ohne Elisabeth gäbe es diese Lektüre nicht. René nennt sie dennoch an keiner Stelle. Dafür entschuldigt Elisabeth sich für ihren „Stumpfsinn“ und ich lese ihre Worte: „Denn das Leben, das ich zu führen gezwungen bin, läßt mir nicht genug Zeit übrig, um eine Haltung der Meditation Ihren Regeln gemäß anzunehmen“ (Descartes & von der Pfalz 2015:14). Im Seminar sind wir uns einig: Irgendwie unfair, das Ganze.

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02 Apr

Epistemische Ungerechtigkeit an Frauen in der Medizin

Von Sarah Stöhr

Ungerechtigkeit an Frauen in der Medizin weist eine beschämende Historie auf. Bereits Platon hatte Frauen aufgrund ihrer Gebärmutter bzw. der „Hysteria“ – dem altgriechischen Begriff für Gebärmutter – für verrückt erklärt. Selbst über zweitausend Jahre später werden Beschwerden von Frauen mit Freud als Hysterie abgetan. Obwohl sich in den vergangenen Jahrzehnten einiges getan hat, werden die Beschwerden von Frauen teilweise weiterhin im medizinischen Bereich bagatellisiert.

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19 Mrz

Epistemische Handlungsfähigkeit in Unterdrückungskontexten: Kann Schweigen (epistemischer) Widerstand sein?

Von Hilkje C. Hänel (Potsdam)

In diesem Beitrag soll ein Fokus auf der epistemischen Handlungsfähigkeit oder Agency marginalisierter Wissender liegen; also jenen Personen, die oftmals systematisch von ungerechten epistemischen Praktiken betroffen sind. Tatsächlich betrachtet der hier gewählte Fokus, ein philosophisches Feld, dass Philosoph*innen of Colorebenso wie indigene Philosoph*innen schon seit langem bespielen. Im Folgenden wird zunächst betrachtet, wie Theorien der Handlungsfähigkeit mit Unterdrückungskontexten umgehen – und leider teilweise an deren Komplexität scheitern –, um dann zu zeigen, dass epistemische Handlungsfähigkeit als widerständige Handlungsfähigkeit auch ganz anders gedacht werden kann. Dabei kann aber selbstverständlich nur ein kleiner Einblick gegeben werden, der den Theorien, die sich mit epistemischem Widerstand auseinandersetzen sicher nicht gerecht werden kann. Hier soll vielmehr angedeutet werden, dass die Debatte um epistemische Ungerechtigkeit viel komplexer und größer ist als oftmals angenommen.

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05 Mrz

Erzwungenes Verstehbar-Machen

Von Flora Löffelmann (Wien)

„Bist du ein Mädchen oder ein Junge?“ Trans[1] oder genderqueere[2] Personen werden oft dazu aufgefordert, sich „verstehbar“ – also nachvollziehbar oder fassbar – zu machen. Dieser Beitrag beleuchtet diese erzwungene „Erklärarbeit“. Dabei steht der Machtmechanismus „rhetorisch-epistemische Unterdrückung“ (REU) im Fokus. Dieser bestimmt, dass Personen oft nur geglaubt wird, wenn sie über ihre Geschlechtsidentität auf eine ganz bestimmte Art und Weise sprechen – nämlich so, dass dies innerhalb des cisgeschlechtlichen[3] epistemischen Systems verständlich ist. Ich lege dar, wieso dies eine Form der Ungerechtigkeit ist, und welche Konsequenzen dies für das Leben von trans und genderqueeren Personen hat.  

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25 Jan

Wie Erzählungen Wissenssubjekte dehumanisieren

Von Natalie Giuseppina Duţescu (Oldenburg)


Fassungslos stehen wir vor den Ereignissen, die den Nahost-Konflikt in bisher unbekannten Dimensionen neu entfacht haben und ihn seitdem weiter befeuern. Die Philosophie als Wissenschaft kann als Beitrag einen gemeinsamen Boden zur Rückgewinnung dieser Fassung leisten. Sie kann Rahmenbedingungen entwickeln, diese Ereignisse zu deuten und sich über sie zu verständigen. Dieser Auftrag umfasst auch, Barrieren zu identifizieren, die diese gemeinsame Deutung und Verständigung verhindern.

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09 Jan

Über die epistemische Ungerechtigkeit alltäglicher Kommunikation

Von Jonathan Assmus (Universität Bremen)

Epistemische Ungerechtigkeit ist ein allzu alltägliches Phänomen. Wer erst anfängt ihre Zeichen zu erkennen, wird nicht umhinkommen, sie wiederzufinden, wohin der Blick auch fällt. So werden Phänomene sichtbar, die in der Dunkelheit sozialer Missstände verbleiben würden, gäbe es nicht die Möglichkeit sie als epistemische Ungerechtigkeit zu benennen.

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27 Sep

Sprachlose Opfer. Zum Zusammenhang von institutionalisierter Gewalt und epistemischem Unrecht

Von Dietrich Schotte (Regensburg)


Dieser Blogbeitrag basiert auf einem Aufsatz, der in einem Schwerpunkt zur epistemischen Ungerechtigkeit in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift für Praktische Philosophie (ZfPP) erschienen ist. Der Aufsatz kann auf der Website der ZfPP kostenlos heruntergeladen werden.

Dieser Blogbeitrag kann auch als Podcast gehört und heruntergeladen werden:


Nach den zahlreichen Erfahrungsberichten, Dokumentationen und juristischen Gutachten der letzten Jahre kann niemand mehr leugnen, dass über Jahrzehnte, mutmaßlich über Jahrhunderte hinweg in der katholischen Kirche in monströsem Ausmaß sexualisierte Gewalt gegen ‚Schutzbefohlene‘ ausgeübt, geduldet, bagatellisiert, erlaubt und vertuscht wurde. Besonders verstörend ist der ebenfalls nicht zu leugnende Umstand, dass die Betroffenen nicht allein nicht gehört wurden – sondern dass sie selbst oft nicht in der Lage waren, ihre Erfahrungen als das zu erkennen und zu benennen, was sie waren: sexualisierte Gewalt (und auch die irreführende, aber gebräuchliche Rede vom „sexuellen Missbrauch“ übernehmen sie nicht). Die Strukturen der katholischen Kirche machten die Opfer, so scheint es, nicht nur wehrlos, sondern auch sprachlos. Was die Frage provoziert, wie es geschehen kann, dass Menschen ihre eigenen Erfahrungen und Wahrnehmungen, das eigene Empfinden derart falsch einordnen?

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