
Zwischen Begehren und Gewalt. Dark Romance und die Philosophie der Sexualität
von Rebecca Bachmann, Florian Lamade und Gottfried Schweiger
Wer in diesen Tagen durch Buchhandlungen spaziert oder auf TikTok den Hashtag #BookTok verfolgt, stößt auf eine erstaunliche literarische Strömung: Millionenfach werden Romane über weibliche Unterwerfung, männliche Dominanz und leidenschaftliche Erlösung gekauft, gelesen, geteilt. Dark Romance heißt das Genre, das weltweit Bestsellerlisten anführt und vor allem von jungen Frauen gelesen wird. In Passau diskutierten auf der XII. Tagung für Praktische Philosophie die Philosoph*innen Rebecca Bachmann, Florian Lamade und Gottfried Schweiger, was diese Faszination über unsere Vorstellungen von Liebe, Sexualität und Geschlecht verrät – und warum die Philosophie sich mit ihr beschäftigen sollte.
Schon der Einstieg der Diskussion zeigte: Dark Romance ist keine Randerscheinung, sondern ein Massenphänomen. In den sozialen Medien, besonders auf TikTok, wird es ästhetisiert, kommentiert, performt. Leser*innen inszenieren dort Szenen aus Romanen wie Haunting Adeline oder Very Bad Kings, analysieren Figuren, weinen, lachen oder streiten. So entsteht ein digitaler Resonanzraum, der nicht nur Unterhaltung bietet, sondern kollektive Selbstverständnisse formt. Wie Bachmann betonte, ist Dark Romance Teil einer Kultur, in der weibliche Lust öffentlich verhandelbar geworden ist – aber zugleich in ambivalente, patriarchale Muster eingebettet bleibt. Die Bücher spiegeln nicht einfach Gewaltfantasien wider, sie geben ihnen eine ästhetische Form, die zugleich anzieht und befremdet.
Fiktion als Spiegel des Begehrens
Für Bachmann lässt sich die Faszination an Dark Romance nicht verstehen, wenn man sie reinmoralisch beurteilt. Entstanden in der Sphäre digitaler Lesekulturen, vor allem über TikToks BookTok, erreiche das Genre ein Publikum, das sich nicht nur als Rezipientin, sondern als Teil einer Szene begreife. Leser*innen inszenieren dort die emotionalen Höhepunkte der Bücher, teilen Zitate, diskutieren Figuren und Moral. So werde Dark Romance zu einem performativen Raum, in dem Themen wie Stalking, Kontrolle, Grenzverletzung oder Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern verhandelt werden – allerdings auf ambivalente Weise. Diese Romane sind zugleich gefährlich und befreiend, problematisch und produktiv. Sie eröffnen Leser*innen die Möglichkeit, sich mit Macht, Abhängigkeiten und sexuellen Grenzen auseinanderzusetzen, ohne selbst gefährdet zu sein. Indem die Geschichten den inneren Konflikt zwischen Begehren und Ohnmacht inszenieren, können sie eine Form symbolischer Bewältigung bieten – eine kontrollierte Begegnung mit dem Unkontrollierbaren. Viele Leser*innen, so ihre Beobachtung, erleben die Lektüre als einen Raum, in dem sie verbotene Fantasien ausleben dürfen, ohne sie realisieren zu müssen. Für andereLeser*innen können diese gewaltvollen Geschichten als Coping Mechanismen fungieren, um durch den Spiegel der Fiktion besser mit der alltäglichen (Partnerschafts)Gewalt umgehen zu können. Dark Romance wird damit zu einer ästhetischen Zone zwischen Furcht und Lust, zwischen Scham und Selbstermächtigung. Dennoch bleibt das Genre ambivalent. Es arbeitet mit uralten Erzählmustern – der unschuldigen Frau und dem mächtigen Mann, der sie beherrscht und zugleich rettet. Solche Geschichten sind tief im kulturellen Gedächtnis verankert, von Die Schöne und das Biest über Wuthering Heights bis zu Fifty Shades of Grey. Doch während frühere Liebesromane auf moralische Läuterung oder romantische Versöhnung hinausliefen, zelebriert Dark Romance die destruktive Spannung selbst. Die Grenzüberschreitung wird hier nicht bestraft, sondern begehrt.
Lamade erinnerte daran, dass die Faszination für das Dunkle, das Verbotene und Gewaltsame eine lange Tradition in der abendländischen Literatur hat. Von Marquis de Sade bis Georges Bataille zieht sich die Idee, dass Begehren immer eine Form der Überschreitung ist – eine Bewegung über moralische, soziale und körperliche Grenzen hinaus. Dark Romance, so Lamade, übersetzt dieses alte Motiv in die Sprache der Gegenwart: Sie verbindet den Wunsch nach Grenzüberschreitung mit dem ästhetischen Stil der Popkultur und der Logik digitaler Vermarktung. Gerade durch Serien wie Very Bad Kings werde sichtbar, dass das Genre an alte romantische Narrative anschließt – etwa an die Vorstellung, Liebe könne soziale Unterschiede überwinden. Die „Trailer-Park-Heldin“, die den gefährlichen Millionär rettet, sei eine Variante des immergleichen Mythos: dass die Liebe stärker sei als soziale Realität. Doch in dieser Romantisierung liege zugleich eine Verklärung von Macht, Gewalt und Klassismus. Lamade hebt hervor, dass die Kommerzialisierung des Genres eng mit dieser Ambivalenz verwoben ist. Triggerwarnungen, Coverästhetik, Marketingkampagnen – all das spiele mit der Verlockung des Verbotenen. Der Tabubruch werde zur Verkaufsstrategie. Lamade sieht darin eine doppelte Dynamik. Einerseits perpetuiert das Genre klassische Machtverhältnisse, indem es männliche Dominanz erotisiert und weibliche Passivität ästhetisiert. Andererseits erlaubt es, diese Muster sichtbar zu machen – und vielleicht auch zu unterlaufen. Gerade die Darstellung moralisch ambivalenter Figuren, so Lamade, eröffne die Möglichkeit, über Gewalt, Schuld und Verantwortung in intimen Beziehungen nachzudenken. Doch die Gefahr bleibe, dass Gewalt ästhetisch legitimiert wird: Wenn die Protagonistin „Nein“ sagt, aber später Lust empfindet, wird Zustimmung in Begehren aufgelöst. Die Grenze zwischen Einwilligung und Übergriff wird damit nicht nur erzählerisch, sondern auch ethisch verwischt. Während Haunting Adeline Stalking und Selbstjustiz romantisiert und erotisiert, gehört Very Bad Kings zur sogenannten „Bully Romance“, die Mobbing verharmlost. Betrachtet man die Verantwortung und Regulierung solcher Bücher, fallen die Triggerwarnungen ins Auge. Doch ob Warnungen wie „Jeder Satz in diesem Buch könnte dein Gehirn ficken“ tatsächlich schützen oder vielmehr provozieren sollen, bleibt fraglich. Vieles spricht dafür, dass sie eher Neugier und Kaufreize, besonders bei jungen Leser*innen, erzeugen sollen. So zeigt sich für Lamade: Die starke Kommerzialisierung des Genres und seine Reproduktion von Gewalt-, Sexismus- und Klassismusnarrativen lassen ein insgesamt kritisches Fazit zu, wenn man nach dem gesellschaftlichen Mehrwert von Dark Romance fragt und Very Bad Kings sowie Haunting Adeline als Stellvertreterinnen hierfür heranzieht.
An dieser Stelle setzte Schweiger an, der den Zusammenhang von Moral und Sexualität aus sozialphilosophischer Perspektive beleuchtete. Er plädierte dafür, Dark Romance als kulturelles Symptom zu lesen – als Ausdruck patriarchaler Strukturen, die in der Populärkultur fortleben, aber auch neu verhandelt werden. Die Geschichten seien weder bloße Unterhaltung noch simple Propaganda für eine Unterwerfung der Frau und ihrer Sexualität. Für Schweiger ist entscheidend, dass die Philosophie diese Ambivalenz ernst nimmt, ohne vorschnell zu moralisieren. Sexualität ist immer eingebettet in Machtverhältnisse, und diese sind historisch, ökonomisch und kulturell geprägt. Das bedeutet: Auch Fantasien sind nicht frei von gesellschaftlichen Strukturen. Wenn Frauen Geschichten lesen, in denen sie beherrscht oder unterworfen werden, spiegelt das nicht einfach individuelle Neigungen, sondern auch kollektive Prägungen wider. Gleichzeitig betonte er, dass die ethische Bewertung von Fantasien schwierig bleibt. Es wäre zu einfach, Dark Romance pauschal als unmoralisch oder gar gefährlich zu verurteilen. Vielmehr brauche es eine doppelte Perspektive: eine, die die Risiken benennt – insbesondere die Normalisierung von Gewalt –, und eine, die anerkennt, dass Fantasien Räume der Selbstermächtigung sein können. Entscheidend sei, zwischen Fiktion und Realität zu unterscheiden, ohne diese Trennung zu verabsolutieren. Dafür braucht es eine Ethik, die nicht nur normative Maßstäbe anlegt, sondern auch empirische Realität berücksichtigt. Wer liest diese Bücher? Warum? Welche Fantasien, Ängste oder Wünsche spiegeln sie? Noch fehle eine solche solide empirische Basis, um zu verstehen, welche Wirkung die Lektüre auf Selbstbilder und Sexualität junger Frauen hat. Ohne diese Grundlage bleibe jede Bewertung spekulativ.
Moral und Aneignung
Einer der zentralen Begriffe des Abends war der der Zustimmung, des Consent. In der Philosophie der Sexualität gilt Consent als moralische Schwelle zwischen Lust und Gewalt, Freiheit und Zwang. Dark Romance verschiebt diese Grenze immer wieder, inszeniert Situationen, in denen Zustimmung unklar, gebrochen oder nachträglich rekonstruiert wird. Diese erzählerische Unschärfe ist es, die viele Leser*innen fasziniert – und Ethiker*innen beunruhigt. Bachmann sieht darin zugleich ein Risiko und ein Potenzial. Einerseits reproduziert die Unklarheit über Einwilligung Muster der Rape Culture, also jener kulturellen Logik, die sexuelle Gewalt verharmlost oder erotisiert. Angelehnt an die Fan Fiction-Szene spricht man auch in diesem Genre von Dubcon, um darauf hinzuweisen, dass die Zustimmung zu sexuellen Akten – hier primär seitens der Frau – nicht immer ganz klar ist. Konkret bedeutet das zum Beispiel, dass Adeline in Haunting Adeline klar „nein“ zum Sex mit ihrem Stalkersagt, in anderen Szenen gefesselt ist, noch schläft oder mit Waffengewalt zum Sex gezwungen wird. Bei all dem ist Consent klarerweise nicht gegeben. Da sich die Leser*innen in den Szenen aber in der Perspektive von Adeline befinden, erfahren sie, dass diese den Sex mit der Zeit doch will und große Lust empfindet. Diese Szenen können trotzdem nur als Vergewaltigung verstanden werden, die nachträglich durch Adelines Orgasmus scheinbar legitimiert werden. Damit reproduzierendiese Geschichten lange bestehendeVergewaltigungsmythen und müssen deswegen klar problematisiert werden.Andererseits liegt in diesen Geschichten von fehlendem und zweifelhaftem Consent auch ein Potential: Es kann die Leser*innen zur Auseinandersetzung mit der Frage führen, was Zustimmung eigentlich bedeutet: ob sie eine einmalige Willensäußerung ist oder ein fortlaufender Prozess, der innerhalb sexueller Dynamiken immer neu ausgehandelt werden muss.
Schweiger ergänzte, dass hier pädagogische und philosophische Arbeit ineinandergreifen sollten. Wenn junge Menschen Dark Romance lesen, müsse man nicht vor der Lektüre warnen, sondern Räume eröffnen, um über deren ethische Dimensionen zu sprechen. Gerade weil Sexualität ein sensibles Terrain bleibe, sei es hilfreich, Konzepte aus dem BDSM wie Safe, Sane, Consensual oder Risk Aware Consensual Kink ernst zu nehmen, die in Dark Romance bewusst nicht zu finden sind – nicht als bloße technische Regeln, sondern als Ausdruck einer moralischen Haltung, die Verantwortung, Reflexivität und Achtung voreinander verlangt. Dark Romance geht es eben gerade nicht um Sexualität im Rahmen ausgemachter Rahmenbedingungen, sondern ist eine Übertragung einiger Praktiken aus dem BDSM ohne gemeinsame Verständigung, safe words oder andere Sicherheiten. Dennoch gilt es auch, die Verbindungslinien von BDSM und Dark Romance nicht einfach zu leugnen. Feministische Ethik hat seit Langem darauf hingewiesen, dass BDSM und verwandte sexuelle Praktiken nicht jenseits der gesellschaftlichen Macht- und Geschlechterverhältnisse stehen, in denen sie gelebt werden. Auch wenn sie auf Einvernehmlichkeit gegründet sind, können sie zugleich Szenarien fortschreiben, in denen Gewalt, Kontrolle und Geschlechterdifferenz ästhetisiert und erotisiert werden. Gerade deshalb, so Schweiger, müsse man wachsam bleiben, dass die Sprache des Konsens nicht zur Legitimation von Unterdrückung wird. Eine feministische Ethik fordert berechtigterweise, das eigene Begehren und die eigenen sexuellen Praktiken immer wieder kritisch zu befragen – nicht, um sie zu verurteilen, sondern um sie zu verstehen. Das gelte sowohl für die literarische Fiktion von Dark Romance als auch für die gelebten Formen von Sexualität, in denen rough sex und Pornografisierung mittlerweile festetabliert sind: Jede Form von erotisierter Dominanz sollte daraufhin geprüft werden, ob sie Ausdruck von Freiheit oder Fortsetzung gesellschaftlicher Gewalt ist. Eine solche Reflexion verlangt, wie Schweiger betonte, mehr als das liberale Paradigma, demzufolge alles, was konsensual ist, moralisch unbedenklich erscheint, leisten kann. Diese Vorstellung unterschätzt nämlich tendenziell, dass Einwilligung selbst unter nicht-idealen Bedingungen steht – geprägt von Erziehung, ökonomischer Abhängigkeit, internalisierten Geschlechternormen oder kulturellen Skripten. Eine Ethik der Sexualität sollte deshalb auch den Liberalismus selbst kritisch befragen, ohne die Hoffnung auf Freiheit, Selbstbestimmung, Authentizität und Gleichheit aufzugeben. Nur eine solche doppelte Bewegung – die Verteidigung der Freiheit und ihre beständige Selbstkritik – erlaubt, Begehren als soziales wie persönliches Phänomen zu verstehen. Wie schwer es ist, über Entfremdung, falsche Präferenzen und die Erotisierung von Herrschaftsverhältnissen zu sprechen, entbindet die Philosophie nicht von dieser Aufgabe. Im Gegenteil: Sie muss dort ansetzen, wo Begehren und Macht ineinander übergehen, und zeigen, dass Freiheit nicht in der bloßen Zustimmung beginnt, sondern in der Fähigkeit, die Bedingungen des eigenen Wollens zu reflektieren. Pädagogische Auseinandersetzung mit Dark Romance darf daher weder moralisieren noch trivialisieren. Sie muss lernen, über Sexualität, Macht und Grenzen zu sprechen.
Im Verlauf der Diskussion verschob sich der Fokus zunehmend von der Bewertung einzelner Praktiken zur Frage, wie Leser*innen diese Geschichten aneignen. Schweiger sprach von „Aneignungsstrategien“, die zwischen Faszination und Kritik, Distanz und Identifikation changieren. Viele Frauen, so die Beobachtung, lesen Dark Romance nicht, um Unterwerfung zu feiern, sondern um sie symbolisch zu beherrschen – indem sie sie imaginieren, durchleben, reflektieren. Diese Form der ästhetischen Verarbeitung könne paradox, aber produktiv sein. Bachmann betonte, dass weibliche Sexualität in der Populärkultur nach wie vor mit Schuld und Scham belegt sei. Dark Romance könne hier, trotz aller problematischen Inhalte, auch ein Ventil sein: ein Ort, an dem Lust, Macht und Gewalt thematisiert werden dürfen, ohne moralische Sanktion. Wenn Frauen über ihre sexuellen Vorlieben sprechen, stoßen sie häufig auf Tabus – gerade wenn es um Dominanz oder Gewalt geht. In Bezug auf die sexuelle Selbstermächtigung der Leser*innen zeigt sich nämlich auch, dass laut Studien viele Frauen (erotische) Vergewaltigungsfantasien haben, obwohl sie gleichzeitig eine sehr gesunde Vorstellung von Liebe, Partnerschaft und Sexualität aufweisen. Dieses gesellschaftliche Tabu und der damit einhergehende Scham könnte durch das Ventil der Bücher für die betroffenen Frauen verständlich und kommunizierbar gemacht werden.Das Genre ermögliche es demnach, Tabus und Ängste zumindest in der Fiktion zu durchbrechen.
Neue Männlichkeiten, patriarchale Muster
Lamade richtete den Blick schließlich auf die männlichen Figuren, die in Dark Romance meist als Verkörperung traditioneller Macht erscheinen. Diese „starken Männer“, reich, gefährlich, charismatisch, verkörpern eine Männlichkeit, die sich über Kontrolle und Besitz definiert. Zugleich, so Lamade, spiegelt sich darin die Krise der Männlichkeit in modernen Gesellschaften: Der dominante Mann ist nicht nur Objekt weiblicher Fantasie, sondern auch eine Reaktion auf die Verunsicherung männlicher Identität. Schweiger griff diesen Gedanken auf und betonte, dass feministische Philosophie längst nicht nur weibliche, sondern auch männliche Sexualität kritisch befragen müsse. Eine Ethik der Intimität könne nicht darauf verzichten, neue Formen von Männlichkeit zu denken – solche, die sich nicht aus Dominanz, sondern aus Verletzlichkeit und Gleichheit speisen. Nur so lasse sich verhindern, dass patriarchale Muster in neuen Gewändern fortbestehen. Während die männlichen Figuren in Dark Romance nach außen hin nahezu archetypisch wirken – stark, verschlossen, gefährlich –, offenbaren sie bei genauerem Hinsehen eine andere Dimension: ihre innere Zerbrechlichkeit. Gerade diese Ambivalenz, das Zusammenspiel aus Dominanz und Verwundung, macht sie für viele Leser*innen so faszinierend. Der dunkle Held, der Gewalt ausübt, ist oft zugleich Opfer seiner eigenen Geschichte – traumatisiert, verletzt, unfähig zu Nähe. Das Patriarchat produziert damit nicht nur Täter, sondern auch beschädigte Subjekte. In diesem Sinne zeigen die Romane, wenn auch unbeabsichtigt, wie Männlichkeit selbst unter dem Gewicht ihrer eigenen Ideale leidet. Schweiger betonte, dass eine kritische Philosophie der Männlichkeit hier ansetzen könne: bei der Einsicht, dass die vermeintlich souveräne männliche Figur Ausdruck einer tiefen Angst vor Kontrollverlust ist. Die Gewalt, die sie ausübt, richtet sich auch gegen das eigene Begehren, das als Schwäche empfunden wird. Eine neue, postpatriarchale Männlichkeit bedeutet dann nicht die Abkehr von Begehren, sondern die Fähigkeit, Abhängigkeit, Lust und Verletzlichkeit als Teil menschlicher, also auch männlicher Existenz und Sexualität anzuerkennen.
Literatur als moralisches Labor
Am Ende des Gesprächs zeichnete sich ab: Dark Romance ist weder bloße Trivialliteratur – auch wenn sie schlechte Literatur sein kann – noch moralische Bedrohung, sondern vor allem ein kulturelles Labor. In ihm verdichten sich Spannungen und Konflikte unserer Zeit – zwischen Freiheit und Kontrolle, Lust und Gefahr, Begehren und Ethik. Die Romane ermöglichen es, über das nachzudenken, was in der Realität noch immer für viele Menschen schwer sagbar bleibt. Für Schweiger ist genau darin der philosophische Wert dieser Texte zu finden. Philosophie, so sein Fazit, müsse dort ansetzen, wo die Gesellschaft sich in ihren Fantasien zeigt – in ihren Ängsten, Begierden und Widersprüchen. Statt Dark Romance zu verdammen, gelte es, sie als kulturelle Diagnose zu verstehen. Vielleicht, so könnte man sagen, liegt die Bedeutung von Dark Romance weniger darin, was sie erzählt, als darin, was sie sichtbar macht: die unaufgelöste Spannung zwischen Eros und Ethik, zwischen Selbstermächtigung und Verstrickung, zwischen der Sehnsucht nach Kontrolle und dem Wunsch, sie zu verlieren. So blieb der Eindruck eines Gesprächs, das weniger Antworten als Fragen hervorbrachte. Doch genau das war sein Wert. Denn vielleicht zeigt sich im Erfolg von Dark Romance nichts anderes als das fortwährende Ringen einer Gesellschaft, die noch immer lernen muss, Lust und Macht, Freiheit und Risiko gemeinsam zu denken.



