01 Aug

Theologie und Philosophie im Zeichen der Pluralität

von Michael Bongardt (Universität Siegen)


Es mag sie einmal gegeben haben: Die Zeiten, in denen sich die meisten Gläubigen und ihre Theologen ihres Glaubens gewiss waren; in denen sich die meisten Philosophen der Vernunft sicher waren. Und es mag sie auch heute noch geben: Menschen, die sich ihres Glaubens gewiss und / oder der Vernunft sicher sind.

Zweifel

Doch es ist unübersehbar, dass zumindest in den westeuropäischen Ländern, und nur auf diese beziehen sich meine Beobachtungen und Überlegungen, nagende Zweifel dem Gebälk alter Sicherheiten heftig zusetzen. Die wohl stärkste Infragestellung christlicher Wahrheitsgewissheit geht von der Erfahrung einer unhintergehbaren Vielfalt aus. Menschen, die anderen Religionen – oder gar keiner Religion – angehören, leben ihre Überzeugungen nicht weniger beeindruckend und nicht weniger gebrochen als Katholikinnen und Protestanten. Und in den meisten Lebensbereichen des Alltags, von der Arbeit bis in die Freizeit, vom Konsum bis in die Nutzung von Technik, spielt die religiöse Überzeugung keine Rolle mehr. Gläubige werden nicht mehr nach ihrem Glauben gefragt. Auch für sie selbst hat er in den meisten Kontexten ihres Lebens keine Bedeutung mehr. Die Behauptung von der transzendenten Wahrheit, gar der alleinigen Wahrheit des Christentums verliert durch diese Erfahrungen ihre Glaubwürdigkeit. Nicht anders in der Philosophie. Die Einsicht in die Kontingenz jeder Erkenntnis und aller Systeme, in die Unerreichbarkeit der Wirklichkeit hinter den Vorstellungen, die wir uns von ihr machen, hat zu der verbreiteten Gewohnheit geführt, statt von der einen Vernunft lieber vom Plural der Rationalitäten zu sprechen.

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11 Jul

Ist es rational religiöse Überzeugungen zu haben?

von Georg Gasser (Innsbruck)


Lange Zeit war die Meinung vorherrschend, Religionen würden durch Aufklärung und Wissenschaft verschwinden. Diese Meinung hat sich allerdings nicht bestätigt. Großreligionen mögen zwar an Einfluss verlieren, aber religiös-spirituelle Einstellungen prägen weiterhin das Leben vieler Menschen. Zudem prognostiziert das bekannte Pew Research Center, das sich auf Religionsforschung spezialisiert hat, dass atheistische bzw. a-religiöse Einstellungen mittelfristig aus demographischen Gründen weltweit sogar im Schwinden begriffen sind. „People with no religion face a birth dearth“ hieß es im Untertitel einer großangelegten Studie aus dem Jahr 2017 zur Entwicklung der Weltreligionen bis 2060 (siehe: https://www.pewforum.org/2017/04/05/the-changing-global-religious-landscape/).

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13 Jun

Sind Fragen nach Gott Anfängerfragen?

von Silvia Jonas (München)


Philosophiestudierende, die sich für Fragen zu Gott und Theismus interessieren, haben es nicht leicht. Wer zum Beispiel nach der Rationalität von religiösem Glauben fragt, erntet oft bestenfalls einen mitleidigen Blick. Eine Anfängerfrage! Fortgeschrittene philosophische Kenntnisse werden ihre Irrelevanz offenlegen. So oder ähnlich scheint zumindest die Haltung vieler Philosophielehrender zu sein. Aber sind Fragen nach Gott, Theismus und religiösem Glauben wirklich so obsolet geworden, wie man ihrem Schattendasein in der heutigen Philosophie nach meinen könnte?

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23 Apr

Vom philosophischen Glauben zum Wissen von Religion. Der Beitrag der klassischen deutschen Philosophie

von Georg Sans SJ (München)

„Glauben könnt ihr in der Religion“, pflegte unser alter Mathematiklehrer zu sagen, wenn ein Schüler das Ergebnis einer schwierigen Aufgabe mehr erriet als errechnete und ihn unsicher fragend ansah. Damit verlieh der Lehrer einer weit verbreiteten Überzeugung Ausdruck. Der religiöse Glaube hat mit der Art von Gewissheit, wie sie die Mathematik oder die Naturwissenschaften suchen, nichts zu tun. Nicht wenige Philosophinnen und Philosophen schließen sich dieser Auffassung an. Insofern die Philosophie beansprucht, Wissenschaft zu sein, muss sie die Religion aus ihrem Bereich verbannen.

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26 Mrz

Zum Verhältnis von Ritus, Mythos und Wahrheit in religiösen Systemen

von Markus Wirtz (Köln)


Für das spirituelle Selbstverständnis und die gelebte Praxis religiöser Gemeinschaften und Individuen spielt es vermutlich nur eine untergeordnete Rolle, dass es sich bei Religionen um soziale Konglomerate aus sehr verschiedenen Komponenten handelt. Erst aus der distanzierten Außenperspektive der Religionswissenschaft, Religionssoziologie oder Religionsphilosophie erschließt sich die nähere Zusammensetzung der religiösen Phänomenkomplexe, die von den religiös Engagierten in der Regel ganzheitlich erlebt und mitvollzogen werden. Ritual, Mythos und Wahrheitsglaube (oder Glaubensgewissheit) können als essentielle Charakteristika benannt werden, welche alle Weltreligionen miteinander teilen. Als divergent erweisen sich jedoch im interreligiösen Vergleich – neben der konkreten Ausgestaltung der Riten, Mythen und Doktrinen in den einzelnen Religionskulturen – besonders die Relationen zwischen diesen drei Komponenten innerhalb der jeweiligen Religionen. Rituelle Vollzüge, mythische Erzählungen und als wahr geglaubte Lehrinhalte gehen in den Religionen jeweils verschiedene Verbindungen ein und erhalten in diesen Verbindungen ein von Religion zu Religion unterschiedliches Gewicht.

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14 Mrz

Das Religiöse im Übergang von Religion zu Religion. Anmerkungen zur Logik der Konversion

von Sebastian Edinger (Potsdam)


Der gemeinsame Nenner der meisten Diskussionen über Religionen im Plural besteht darin, dass sie als Entitäten aufgefasst werden, wodurch sie einerseits zwar überhaupt erst wirklich als etwa Christentum oder Islam identifizierbar werden, andererseits aber auch in der gemeinen Handhabung wie monolithische Blöcke erscheinen. Selten thematisiert wird allerdings das philosophisch bedeutsame und zu bloßen Religionsunterscheidungen und Verhältnisbeschreibungen querstehende Phänomen der Konversion, d.h. der im Glauben vollzogene Übergang von einer Religion zu einer anderen Religionen oder von der nicht-religiösen in die religiöse Existenz. Eine allgemeine Formel für den Umgang der Religionen mit Konversionen – abgesehen davon, dass die „Exo-Konversion“ von Religionen generell nicht erwünscht ist – gibt es nicht: Der Hinduismus ist eine Geburtsreligion, der man also qua Geburt angehört und zu der man nicht konvertieren kann; das Judentum wiederum, gleichwohl eine auserwählte Schicksalsgemeinschaft der besonderen Art, verbietet keine Konversionen; zu Islam und Christentum als missionierungsfreudigen Religionen erübrigen sich weitere Ausführungen. Doch gerade um (vorwiegend institutionelle) Konversionen zu Religionen, die über eine politische Machtfülle verfügen, geht es mir nicht, sondern um die individuelle Konversion im Glauben. Deshalb werde ich von der Glaubenskonversion reden. Was geschieht überhaupt, wo eine Konversion vollzogen wird, und warum ist die Konversion der aufschlussreiche blinde Fleck der Frage danach, was es heißt, ein Gläubiger zu sein?

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07 Mrz

Religion, Philosophie und Religionsphilosophie

von Benedikt Paul Göcke (Bochum)


Um das Verhältnis von Religion und Philosophie zu erläutern, wird in einem ersten Schritt dafür argumentiert, dass der Religionsbegriff nicht präzise genug ist, um religiöse von areligiösen Weltanschauungen zu unterscheiden und daher aus wissenschaftlicher Perspektive nicht von Religionen an sich, sondern von konkreten Weltanschauungen wie beispielsweise der christlichen, der buddhistischen oder der schintoistischen Weltanschauung gesprochen werden sollte. Im Anschluss daran wird nach einer rudimentären Klärung der Aufgabe der Philosophie im Allgemeinen der Begriff der Religionsphilosophie im Speziellen skizziert, bevor abschließend einige zentrale Fragestellungen christlicher Religionsphilosophie erläutert werden.

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14 Feb

Philosophische Gotteserkenntnis?

von Robert Deinhammer SJ (Innsbruck)


Kann man Gott auf rein philosophischem Weg erkennen, mit unserer „natürlichen“ Vernunft, also ohne Bezugnahme auf Offenbarung und Glaube? Gibt es vielleicht „Gottesbeweise“, die im Prinzip allen Menschen einleuchten müssten? Diese Fragen wurden in der Tradition kontrovers beurteilt, aber der Mainstream abendländischer Philosophie bis Kant war hier durchaus optimistisch. Gegenwärtig scheinen hingegen die meisten Philosophen und auch viele Theologen diesbezüglich sehr skeptisch zu sein.[1] In der zeitgenössischen Philosophie dominieren atheistische und agnostische Strömungen, obwohl religiöse Fragen wieder vermehrt aufgegriffen werden.

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07 Feb

10 Gründe, besser heute als morgen Atheist zu werden

von Lisz Hirn (Wien)


1. Atheisten glauben auch. Nur eben daran, dass es Gott nicht gibt.

Der Atheismus ist nicht der Gegenspieler der Religionen, für den er gehalten wird. Der schlaue Hinweis kam bereits von Arthur Schopenhauer: „Was für eine schlaue Erschleichung und hinterlistige Insinuation in dem Wort Atheismus liegt! – als verstände der Theismus sich von selbst.“ Ein Atheist glaubt nämlich, dass es Gott nicht gibt. Denn auch das nicht-an-einen Gott-zu-glauben ist noch immer ein Glaube, der sich unter Kategorien wie wahr oder falsch stellen lässt. Friedrich Nietzsche, einer der bekanntesten Gottlosen in der Philosophiegeschichte, schreibt in seinem Buch „Ecce Homo“: “Ich kenne den Atheismus durchaus nicht als Ergebnis, noch weniger als Ereignis: er versteht sich bei mir aus Instinkt. Ich bin zu neugierig, zu fragwürdig, zu übermütig, um mir eine faustgrobe Antwort gefallen zu lassen.“

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24 Jan

Heilloses Lachen. Gelotophile Affinitäten in Philosophie und Religion

von Robert Lehmann (Greifswald)


Selbstbeherrschung

„Religion ist eine ernste Sache“, dachte ich, als mich vor einigen Jahren zwei Notärztinnen mit Kabeln umkränzt aus einer Kirche trugen. Myokardinfarkt mit Anfang 30 ist unwahrscheinlich, selbst unter Philosophen. Und auch ich sollte am Ende zum rettenden Durchschnitt gehören. Was meine Brust zuschnüren, Arm und Kiefer schmerzen ließ, war, wie ich später erfuhr, nämlich nicht der träge Muskel meines Herzens. Es waren wohl auch nicht die Verlockungen des Engels der Duineser Elegien, die an diesem Abend mit Verve und heiligem Ernst von der Kanzel erklungen waren. Es war vielmehr die schiere Gewalt, die es brauchte, damit ich der unfreiwilligen Komik dieses Ernstes nicht den Platz einräumte, den sie so dringlich einforderte. Verkniffen und verkrampft habe ich mich in den Griff bekommen, bin nicht dem rüden Reflex schallenden Gelächters erlegen. Das war schon deshalb vernüftig, weil ich nun für einen Augenblick Repräsentant eines erstaunlichen Menschenschlages war: des Selbstbeherrschers, jenes Wesen, das sich in der paradoxen Leistung gefällt, sich zusammenreißen zu können.

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