Wissenschaft und Elternzeit. Wunsch und Wirklichkeit
Von Elke Elisabeth Schmidt (Siegen)
Nachwuchswissenschaftler*innen mit Kindern sind immer im Spagat zwischen Job und Familie. Viele Spannungen sind bekannt: ein hohes Arbeitspensum, geforderte zeit- und räumliche Flexibilität sowie Befristung auf der einen Seite und Kinder und all das auf der anderen. Weniger bekannt ist: Mutterschutz und Elternzeit könnten den Spannungen zwar eigentlich Abhilfe schaffen, scheitern aber an der akademischen Lebenswirklichkeit.
Eine Frau, die in Deutschland ein Kind bekommt und in einem Beschäftigungsverhältnis steht, wird vom Mutterschutzgesetz protegiert. Dieses sieht unter anderem vor, dass Mütter sechs Wochen vor sowie acht Wochen nach der Geburt nicht beschäftigt werden dürfen (bei Früh- und Mehrlingsgeburten sowie anderen Sonderfällen gibt es leichte Änderungen); in dieser Zeit erhalten sie eine Art Mutterschaftslohn, welcher sich erfreulicherweise auf das gleiche Netto-Einkommen beläuft, das durchschnittlich in den zwölf Monaten zuvor erzielt wurde. Auf die ersten sechs Wochen Mutterschutz kann man, wenn man lieber arbeiten gehen will, verzichten, die letzten acht Wochen sind dagegen nicht optional: Mütter dürfen zwei Monate nach der Geburt nicht beschäftigt werden. Darüber hinaus hat jedes erziehende Elternteil in Deutschland einen rechtlich verbrieften Anspruch auf bis zu drei Jahre Elternzeit pro Kind, also auf eine Auszeit vom Beruf; Elterngeld als Lohnersatzleistung gibt es für ein Elternteil max. 12, für beide zusammen 14 Monate (man kann diese Zeit auch verdoppeln, dann wird allerdings der Auszahlungsbetrag halbiert, was mehr Sinn ergeben kann, als man denkt, wenn Teilzeit ins Spiel kommt). Das Elterngeld beträgt im Regelfall zwei Drittel des alten Netto-Gehalts, aber nie mehr als 1800,- Euro.
Mutterschutz und Elternzeit im real life
Nicht schlecht, könnte man nun denken, auch und gerade für Wissenschaftler*innen in der Qualifikationsphase. Doch so einfach ist es nicht. Damit mich niemand falsch versteht: Es ist wunderbar, dass es diese Optionen gibt – Mutterschutz, Elternzeit und Elterngeld. Woanders gibt es das nicht, und das ist schlecht. Dennoch gibt es trotz grundsätzlich bestehender Optionen erhebliche Probleme.
Als Nachwuchswissenschaftlerin und Mutter, die gerade mit dem zweiten Kind in Elternzeit ist, berichte ich nun kurz ein wenig aus meinem Leben – und ich weiß, dass es anderen ähnlich ergeht. (Vielleicht darf ich noch anmerken, dass ich als einst alleinerziehende und voll berufstätige Frau durchaus erprobt bin mit Kind und Arbeit.) Während (der ersten Hälfte!) des Mutterschutzes nach der Geburt meines zweiten Kindes (vom Mutterschutz vor der Geburt will ich gar nicht erst reden) habe ich einen Aufsatz fertig geschrieben inklusive ausgiebiger Literaturrecherche, einen anderen habe ich überarbeitet (in beiden Fällen gab es Deadlines); eine recht umfassende Überarbeitung eines anderen Aufsatzes war – unter anderem – während des Mutterschutzes vor der Geburt (nun sage ich doch etwas dazu) über die Bühne gegangen. Ich habe während des Mutterschutzes außerdem an online-Kolloquien mit Kind an der Brust teilgenommen und diverse online-Abendvorträge gehört; bis zum Ende des vierten Lebensmonats meines Kindes musste ich einen weiteren Aufsatz konzipieren und fertigstellen, ich musste Einreichungen für einen Kongress bewerten und ein Gutachten für eine Zeitschrift schreiben. In den nächsten Wochen und Monaten muss ich nun diverse Aufsätze überarbeiten oder an andere Zeitschriften schicken, ich arbeite mit an einem kooperativen Aufsatz, sitze an einer response, ich werde einen Vortrag halten, eine Edition voranbringen und mich an der Organisation einer Konferenz beteiligen. Und immer denke ich, ich müsste noch viel mehr tun. (Gerade erst empfahl mir jemand, nun, wo Zeit sei, einen Drittmittelantrag zu stellen; ein Seminar zur Hochschuldidaktik habe ich immerhin abgesagt, und auch wenn es mich wohl nicht trifft, müssen andere mit weniger Terminglück gegen Ende der Elternzeit die Lehre für das Wiedereinstiegssemester vorbereiten). All das mache ich nicht zum Spaß. Es ist nicht mein Hobby. Es gehört zu meinem Job. Trotz Elternzeit. – Es stimmt schon, dank Elternzeit muss ich weder unterrichten noch Verwaltungsaufgaben wahrnehmen. Aber die Forschung bleibt. Jedenfalls dann, wenn man akademisch Fuß fassen will. Wenn ich meinem Baby beim Schlafen zusehe, denke ich, dass ich eigentlich etwas anderes tun müsste.
Warum es nicht meine Schuld ist: Elternzeit vs. Forschung und Karriere
Nun könnte man sagen, dass ich mich, erstens, eben besser hätte organisieren müssen (manches hätte ich ablehnen sollen, und überhaupt hätte ich meinen Kram eben vorher erledigen müssen), dass ich, zweitens, ja keine Elternzeit hätte nehmen müssen, wenn ich doch forschen wolle, oder dass mich, drittens, doch ohnehin niemand zu diesen einzelnen Tätigkeiten zwinge. Aber natürlich ist es wieder nicht so einfach. So gut wie jede*r Nachwuchsakademiker*in nimmt, erstens, mit guten Gründen mehr an, als bei Einhaltung aller Fristen zu schaffen ist; Deadlines verschieben sich; nicht jede Schwangerschaft erlaubt die gewohnte Arbeitsbelastung; und im Leben passiert auch anderes. Zweitens will ich eben Elternzeit nehmen (und zwar ohne Teilzeitbeschäftigung, was mein gutes Recht ist), und forschen will ich nicht, weil es – und das muss ich wiederholen – mein Hobby wäre; vielmehr muss ich es, wenn ich mittel- und langfristig weiterhin einen Job haben möchte. (Es stimmt zwar, es macht mir auch Spaß, aber nur weil ein Chirurg Spaß am Operieren hat, ist Operieren gleichwohl nicht sein Hobby.) Und damit sind wir beim dritten Punkt: Es stimmt, dass mich niemand zu den einzelnen Aufgaben im strengen Sinne zwingt. Aber die bittere Wahrheit ist: Will man in der Wissenschaft bleiben, kann man nicht einfach ein Jahr lang (oder länger) komplett aussteigen. Struktureller Zwang eben. Ja, man muss auch selbstbewusst nein sagen können, aber das habe ich getan.
Sieht man genauer hin, so ist das Problem ein zweifaches. Zum einen gibt es eine Kollision von Elternzeit und Forschung, und diese Kollision trifft nicht nur den Mittelbau, sondern alle, die forschen. Man kann auch nicht in der Impfstoffentwicklung forschen, ein Jahr aussteigen und dort weitermachen, wo man aufgehört hat. Die Natur der Forschung verbietet längere Pausen, und mindestens muss man einiges nachholen. Für dieses Problem gibt es vielleicht keine Lösung, wenn auch seine Gewichtigkeit in unterschiedlichen Disziplinen durchaus variieren dürfte. Zum anderen kollidieren Elternzeit und Karriere – wobei „Karriere“ für viele so böse klingt und zu Äußerungen wie selbst schuld geradezu einzuladen scheint. Man könnte auch sagen: Elternzeit und die Möglichkeit, mittel- und langfristig einen Job zu haben, kollidieren für all jene, die auf befristeten Stellen im Mittelbau sitzen (ja, unbefristete Mittelbau-Stellen würden das Problem lösen oder den Zeitdruck entschärfen, aber das geht nicht so einfach und bringt andere Probleme mit sich). Es geht also, anders gesagt, um nicht weniger als (Elternzeit und) die eigene Existenz. Gewiss, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz stellt sich Eltern etwas gnädiger entgegen; und ja, viele Kommissionen berücksichtigen mittlerweile zumindest theoretisch, ob Bewerber*innen Kinder haben und ihr Output daher kleiner ist. Lehnt man sich als Mutter (oder Vater) deswegen zurück? Kann man sich zurücklehnen und ein Jahr in aller Ruhe aussteigen? Ich bezweifle es. Zumindest in einigen Disziplinen ist die Konkurrenz so groß und die Anspruchshaltung in Kommissionen so enorm, dass man sich kaum eine Auszeit erlauben kann. Auch für dieses Problem sehe ich keine oder jedenfalls keine einfache Lösung. (By the way: Der Umstand, dass Elternzeit kein anzurechnender Beschäftigungszeitraum ist und ein bestehender Vertrag um die Monate der Elternzeit verlängert wird, ist faktisch für viele der ausschlaggebende Grund, trotz der beschriebenen Misere überhaupt noch Elternzeit zu nehmen; man fühlt sich beinahe, als hätte man das WissZeitVG in einem gewitzten Akt hinters Licht geführt.)
Gegen die Romantisierung der Überarbeitung
Für all jene, die immer noch sagen, aber ansonsten sei unser Job doch super vereinbar mit Kind und Hund (home office etc. pp.); was ich zu tun hatte und habe, sei doch gar nicht so viel; Eltern hätten doch so viele Vorteile im Mittelbau; unser Job sei nun mal so, es gehe eben nicht anders, und daher sei doch alles gar nicht so schlimm: Doch, ist es. Für viele von uns mag das alles normal sein, weil wir wenigstens meinen, immer und ständig arbeiten zu müssen. Eigentlich ist es aber nicht normal. Oder wohl besser: nicht gut. Bei allen Vorzügen bleibt es dabei, dass im (befristeten) Mittelbau trotz Elternzeit gearbeitet wird. Wer das selbst als Elternteil gut findet, der soll, bitte schön, den ganzen Tag lang forschen – aber all jene, die es nicht uneingeschränkt gut finden, haben eben ein berechtigtes Problem. Elternzeit, wie sie ihrer Idee entspricht, ist schlicht und ergreifend nicht möglich. (Und dass die Welt schwerwiegendere Probleme kennt und es in anderen Berufsgruppen ebenfalls verbesserungswürdige Zustände gibt, dass es Docs und Post Docs gibt, die gar nicht erst eine Stelle haben, auf der sie Elternzeit beantragen könnten, ist alles wahr und schlimm, ändert aber nichts an dem Problem, um das es mir jetzt gerade geht. Probleme sind Probleme, wie David Löwenstein im Anschluss an Amrei Bahr so treffend formuliert hat.
Nun gibt es noch eine letzte, eher dumpfe Befürchtung, die alles noch komplizierter macht: Darf ich ‒ beinahe möchte man sagen: wissenschaftsethisch betrachtet ‒ als (Nachwuchs)Wissenschaftlerin überhaupt Elternzeit wollen? Disqualifiziere ich mich mit diesem Wunsch nicht vielleicht schon grundsätzlich als Akteurin im Wissenschaftsbetrieb, in dem viele die Wissenschaft immer noch als beinah einzig wirklich sinnstiftende, exklusive Lebensform begreifen, der man sich ganz und gar verschreiben müsse (mit der Konsequenz, dass alles andere zur bloßen Verfügbarkeitseinschränkung wird, wie Tina Jung in ihrem Beitrag es so schön analysiert hat)? Mache ich mich verdächtig, die Wissenschaft nicht genug zu ehren, wenn ich ihr einige Monate lang meine Energie nicht widmen will? – Wer meint, heute sehe das sicher niemand mehr so: Oh doch. Und auch wenn eine solch absolutistische Haltung zur Wissenschaft gegenwärtig vielleicht mehr implizit als explizit Macht und Einfluss ausübt, so ist sie eben doch noch wirkmächtig. Auch das ist Teil des Problems.
Der erste Schritt: awareness
Obwohl man zwar sicherlich der gerade beschriebenen absolutistischen Haltung aufrecht und hier und da wirksam entgegentreten kann, weiß ich im Grunde auch nicht, wie die Spannung zwischen Elternzeit und wissenschaftlicher Karriere, realistisch betrachtet, verschwinden könnte. Auch wenn manches, wenn man willens wäre, hier und da gewiss durchaus verbessert werden könnte, scheint der eigentliche Konflikt nicht ohne Weiteres auflösbar. Auch ohne konkreten Lösungsvorschlag darf ich aber auf das Problem aufmerksam machen. Andere (und jedenfalls jene, die Personalverantwortung haben) sollten wissen, wie Elternzeit ist. Dass ich mich nicht auf dem Spielplatz sonne. Und dass der schmerzende Spagat auch in der Elternzeit nicht kleiner wird.
Elke Elisabeth Schmidt ist Post-Doktorandin an der Universität Siegen. Sie arbeitet zur Philosophie der Liebe und Emotionen, zur Praktischen Philosophie Kants sowie zur Trolley-Problematik.