16 Nov

Das Alter bekämpfen oder akzeptieren? Eine philosophische Perspektive auf das gute Leben im Alter

Von Nadine Mooren (Münster)


Der Schriftsteller Jean Améry hat den Umgang mit dem Alter einmal auf die folgende Alternative gebracht: Wir könnten dagegen revoltieren oder resignieren. Für Améry ist die Revolte gegen das Alter der einzig sinnvolle Weg. Im Fundus der Philosophiegeschichte lassen sich jedoch auch Philosoph*innen entdecken, die dafür argumentiert haben, dass ein gutes Leben im Alter vor allem mit Gelassenheit und Akzeptanz zu tun hat.

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13 Mai

Frauen und der biotechnologische Fortschritt: Philosophische Aspekte künstlicher Befruchtung aus altersethischer Perspektive

Von Esther Redolfi Widmann


Die Philosophin Simone de Beauvoir (*1908; †1986) hat in Das andere Geschlecht[1] (1949)und Das Alter[2] (1970) die Situation der Frau luzide analysiert. Sie war damit nicht nur ihrer Zeit weit voraus, sondern ist in ihrem Denken gerade heute wieder verblüffend aktuell.Die Entwicklung ihrer philosophischen Thesen lässt sich in Anlehnung an zahlreiche sozialhistorische Umwälzungen ihrer Zeit nachzeichnen. Immer wieder sind neue Versuche einer Interpretation von Beauvoirs Leben und Werk durch feministische «Wellen» und Strömungen ein Indiz dafür, dass die Emanzipation und Gleichberechtigung der Frauen noch lange nicht adäquat verwirklicht ist, und dass Beauvoirs Leben und Werk für diese Entwicklung nach wie vor relevant und wegweisend ist. Denn bis heute sehen sich Frauen einem gesellschaftlichen, und oft auch religiös motivierten moralischen Druck ausgesetzt, insbesondere auch in biologischer Hinsicht. Dieser Druck wirkt heute allerdings auf eine andere, wesentlich subtilere Weise.

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29 Apr

Der Zahn der Zeit. Altern als Indikator der Endlichkeit

Von Michael Fuchs (Linz)


Was ist Altern?

Wein altert. Häuser altern. Kunstwerke altern. Bäume, Hunde und Menschen altern. Wenn das durchschnittliche Alter in einer Gesellschaft zunimmt, sprechen wir von einer alternden Gesellschaft. Altern bezeichnet, wenn es auf Individuen oder individuelle Dinge bezogen ist, das Verstreichen der Zeit und die Veränderungen, die mit der Zeit erfolgen. Dies können Prozesse der Reifung und des Wachstums oder Vorgänge der Schrumpfung und des Verfalls sein. Auch unter den Lebewesen laufen die Prozesse der Alterung verschieden ab und werden unterschiedlich konzeptualisiert. In der Botanik steht Altern nicht für abnehmende Lebenskraft, sondern für alle zeitabhängigen Prozesse (vgl. Krupinska2021). In der Zoologie und der biologischen Anthropologie ist die Identifikation des biologischen Alterns mit der Seneszenz hingegen weitverbreitet. Was aber ist mit „Altern“ gemeint, wenn Psychologen oder Ratgeber von einem „erfolgreichen Altern“ sprechen? Hier scheint es nicht um einen Prozess zu gehen, der am Subjekt abläuft, sondern der durch das Subjekt gesteuert wird. In verschiedenen Darstellungen einer existentiellen Sicht auf das Altern und das Alter, Sebastian Knell spricht geradezu von einem „existentiellen Altern“ (Knell 2017, 109-110), wird deutlich, dass die Einsicht in die Endlichkeit bzw. in das Illusionäre der Unendlichkeit gerade durch Erfahrungen der Gebrechlichkeit und der Irreversibilität von Verlusten geprägt ist und dass die Erfahrung der Zeit kaum ohne Erfahrungen in der Zeit beschrieben werden kann.

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09 Feb

Das Unbehagen an der Medikalisierung des Alterns – eine reflexive Diagnose

Von Silke Schicktanz (Göttingen) & Mark Schweda (Oldenburg)


Neuartige diagnosti­sche, therapeutische oder präventive Maßnahmen ermutigen den Gedanken eines selbstbe­stimmten und um­sichtig zu gestaltenden späteren Lebens, werfen allerdings zugleich vielfältige Fragen auf. So bietet die wachsende Anzahl prädiktiver (genetischer wie auch nicht-genetischer) Tests zwar die Möglichkeit, Informationen über Risiken für altersassoziierte Erkrankungen in die eigene Lebensplanung einzubeziehen, geht aber mit neuen Verantwortungszuschreibungen einher. Die Präventiv- und Anti-Aging-Medizin verspricht die Verzögerung des Alterungsprozesses, lässt diesen dabei zugleich jedoch zunehmend pathologisch erscheinen. All diese Entwicklungen lösen ein gewisses Unbehagen aus, das es ethisch genauer auszuloten gilt (Schweda et al. 2017).

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19 Jan

Alter, Literatur und die Gender-Frage

von Marlene Kuch (Würzburg)


Je älter wir werden, desto mehr verlieren wir, und die Frauen verlieren mehr als die Männer, schreibt (frei übersetzt) die Marquise de Lambert, eine französische Schriftstellerin des 18. Jahrhunderts (Traité de la vieillesse, posthum 1747). Umso schlimmer, dass die Frauen, so die Marquise, von den Philosophen vernachlässigt und allein gelassen werden. Sie selbst sieht sich in der Lage, sich mit ihrem eigenen Denkvermögen zu behelfen, aber wehe den „galanten“ Frauen, die ihr Selbstwertgefühl allein aus der Wirkung ihrer weiblichen Reize schöpfen! Sie wird das Alter besonders hart treffen, denn nichts ziemt sich weniger, als seiner Umgebung „un visage sans grâces“, ein Gesicht ohne Reize, zuzumuten. Wenn man (als alternde Frau) öffentliche Orte nicht mehr „schmücken“ könne, solle man sie meiden. Was bleibt dann noch? Loslassen, wie wir heute sagen würden, Rückzug aus der Gesellschaft, Besinnung auf die inneren, die wahren Werte, Hinwendung zu Gott. Madame de Lambert stützt sich auf die einschlägigen (männlichen) Autoren (Cicero, Seneca, Montaigne, Pascal u.a.), um ihren Geschlechtsgenossinnen philosophischen Trost im Alter zu spenden. Dies ist gut gemeint, aber waren ihre Betrachtungen wirklich tröstlich in einer Welt, in der die meisten Frauen gelernt hatten, wie wichtig körperliche Reize sind?

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13 Okt

Alter und Sein. Wie das hohe Alter in die Immanenz transzendiert und welche Rolle das Denken dabei spielt

von Sonja Ehret (Heidelberg)


„Aber Denken, das macht Spaß. Das Denken und neue Wahrheiten zu erfahren, die bleiben bis zum Schluss. Also ich glaube, dass diese ganze Lebendigkeit, die Menschen durch ihr hohes Alter haben, erweckt werden kann.“ (M.Mitscherlich, 94)

Der folgende Beitrag befasst sich mit der Entdeckung des echten Alters als eigene Lebensphase, deren Hauptantriebskraft das Denken ist wie es einst das Spiel des Kindes war. Aufgrund der metaphysischen Verbindung von Natur und Zahl wird der Beginn dieser Lebensphase um das 90. Lebensjahr erwartet.[i] 

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01 Okt

Covid-19 und die vulnerablen Alten

Von Nina Streeck (Zollikerberg)


Wer in den vergangenen Monaten die Zeitung aufschlug, um sich über das Coronavirus zu informieren, dem fiel wiederholt eine Wendung ins Auge: Von «vulnerablen Personengruppen» war (und ist) die Rede, meist verstanden als Gruppen von Menschen, die ein erhöhtes Risiko tragen, dass eine Covid-19-Erkrankung bei ihnen schwerwiegend verläuft. Es scheint auf der Hand zu liegen, um wen es hier geht, schließlich deuten bisherige Erkenntnisse darauf hin: ältere und vorerkrankte Menschen. Ihnen gebühre infolgedessen besonderer Schutz, lautet meist die unmittelbare Schlussfolgerung.

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03 Sep

Betrachtungen zum gelingenden Altern: Salutogenetische Perspektiven

von Ulrich Wiesmann (Universitätsmedizin Greifswald)


Einleitung

Nach Variante 4 der 14. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung befinden wir uns schon seit geraumer Zeit auf dem Weg in eine „alternde“ Gesellschaft. Dieser Trend wird in den nächsten vierzig Jahren seine Fortsetzung finden. Waren im Jahr 2018 13% der deutschen Bevölkerung zwischen 67 und 79 Jahre alt, werden dies im Jahr 2060 17% sein. Der Anteil der über 80-jährigen wird sich verdoppeln: von 6% auf 13%. Demgegenüber wird der Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (zwischen 20 und 66 Jahre) von 62% auf 53% sinken, wobei der Anteil der Altersgruppe unter 20 Jahren ungefähr gleich bleiben wird (18% und 16%).

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11 Aug

Alter und Zeit

Von Kay Herrmann (Chemnitz)


Alter und Altern sind unweigerlich an Zeit gebunden. Doch was ist überhaupt Zeit? Warum scheint Zeit einmal langsamer, ein andermal schneller zu vergehen? Kann man den beharrlichen Strom der Zeit überlisten und Möglichkeiten finden, das Altern zu umgehen? Was sagt die Physik zu Thema der Zeitreisen?

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21 Jul

Successful ageing – eine Tugend? Anfragen aus der Frühen Neuzeit

Von Daniel Schäfer (Köln)


Ist Altern womöglich ein Vorgang mit moralischen Implikationen? Für eine Epoche wie die Frühe Neuzeit war das offensichtlich, wie Beispiele aus der Medizin und der Moraltheologie zeigen. Mein Ziel ist es zu überlegen, inwieweit solche historischen, normativen Vorstellungen mit dem modernen gerontologischen Konzept des Sucessful ageing vergleichbar sind.

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