01 Feb

Der moderne „Kampf“ um die Menschenwürde

Von Holger Gutschmidt (Göttingen)


Daß der Mensch „Würde“, „Menschenwürde“, genieße, ist weder eine besonders alte, noch eine besonders selbstverständliche Meinung. Wenn wir nicht von der Wortgeschichte ausgehen (die freilich bis zu Cicero reicht), sondern von dem Begriff der jedem einzelnen Menschen intrinsisch – nur als Menschen betrachtet – zukommenden Rechte, dann ist die Menschenwürde gerade einmal wenige Jahrhunderte alt. Verstehen wir sie gar als universellen Anspruch auf Beachtung bestimmter grundlegender Freiheits- und Bürgerrechte durch den Staat und die Gesellschaft, dann ist sie noch jünger und rührt gerade einmal von der Zeit des Zweiten Weltkrieges her. So gesehen ist es nicht verwunderlich, daß bis heute eine klare und allgemeingültige Bestimmung der Menschenwürde aussteht. Hinzu tritt, daß ihr jüngster Begriff vor allem aus der juridischen Sphäre stammt: Er ist das Resultat des Scheiterns moderner Gesellschaften darin, dem Einzelnen einen hinreichenden rechtlichen Schutz gegen Gewalttaten von Regierungen und anderen politischen oder gesellschaftlichen Machtzentren zu gewähren.

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02 Jun

Warum man sich mit Max Weber beschäftigen sollte!

Von Hans-Martin Schönherr-Mann (München)


Nicht dass Max Webers Texte so schwierig zu verstehen wären wie diejenigen Hegels. Aber sie zeichnet ein schwerfälliger Stil aus, der die Lektüre mühsam macht, auch wenn diesen Stil gelegentlich ein gewisses Pathos unterbricht. Immerhin sind manche Ausdrücke berühmt geworden wie das ‚stahlharte Gehäuse‘ oder das ‚langsame Bohren von harten Brettern‘.

Wenig verwundert, dass sich dieser Stil teilweise auch auf die Weber-Experten überträgt, die zum 100. Todestag 2020 mit zahlreichen Publikationen aufwarten. Diese bemühen sich zumeist darum, die zum 150. Geburtstag 2014 erschienen Biographien zu relativieren, die sich mit Weber äußerst kritische auseinandersetzen. Warum lohnt es sich trotzdem, sich mit Weber auseinanderzusetzen?

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18 Apr

Heidegger und das Wesen der Dichtung

Von Gerhard Poppenberg (Heidelberg)

Der Beitrag zeigt, dass Heideggers Engagement für den NS und seine Abwendung davon philosophisch parallel zu seiner „Kehre“ stattfindet: seiner Wendung zur Dichtung als einer Neukonzeption der Ontologie. Deren Implikationen werden im Folgenden angedeutet. Das Problem eines nicht metaphysischen „Wesens der Dichtung“ steht mit Hölderlin im Kontext eines ebenfalls nicht metaphysischen, sondern historischen „Wesens des Deutschen“, das Heidegger vor allem in seinen Hölderlin-Vorlesungen der Dreißiger- und Vierzigerjahre sowie seinen Aufsätzen zum Werk des Dichters entfaltet. Damit deutet sich die Komplexität der Frage nach Heidegger und dem NS an, die jenseits wohlfeiler Verurteilungen als philosophisches Problem zu erörtern ist. Der Beitrag ist eine Ergänzung zu den Ausführungen des Autors in der Philosophischen Rundschau. (Anmerkung der Redaktion der Philosophischen Rundschau)

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03 Feb

»Denken dichten. Philosophische Poetologien jüngerer und ältester Gegenwart« – Ein Vorwort

Von Florian Arnold (Stuttgart und Offenbach)


Lyrik genießt derzeit freudigen Zuspruch. Eine rege Szene, insbesondere im deutschsprachigen Raum, ist in den letzten zehn-fünfzehn Jahren durch weithin beachtete Veröffentlichungen, gutbesuchte Lesungen, aber auch poetologische-programmatische Reflexionen einem größeren Publikum bekannt geworden. Darunter finden sich Bestseller von einem späteren Büchner-Preisträger (Jan Wagners Regentonnenvariationen von 2014), experimentierfreudige Produktions- und Lebensgemeinschaften (kookbooks), aber auch parauniversitäre Forschungsprojekte (Spekulative Poetik) auf der Grenze zwischen Wissenschaft und Kunst. So fehlt es weder an euphorischen Suggestionen in einer neuen „Blütezeit der Lyrik“[1] zu leben noch an halbironischen Hassliebe-Bekundungen, von den Prätentionen dieser Gattung nicht lassen zu wollen, auch wenn ein beständiges Scheitern der Sache nach unvermeidlich, ja geradezu gefordert scheint.[2]

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21 Sep

Seine Geschichte der Philosophie. Zum Alterswerk von Jürgen Habermas

Vittorio Hösle (University of Notre Dame, USA)


Für alle eine Überraschung war es für viele ein erneuter Anlass zur Bewunderung und für einige wohl auch ein kleines Wunder, als Jürgen Habermas mit seinem umfangreichen Alterswerk: Auch eine Geschichte der Philosophie (2 Bände, Suhrkamp 2019) nochmals die Summe aus seinem Schaffen und dem seiner Zunft zu ziehen unternahm. Die Resonanz war groß, wie zu erwarten vielstimmig und doch immer auch von der Verlegenheit begleitet, die knapp 1700 Seiten überhaupt angemessen würdigen zu können. Vittorio Hösle hat es in der Philosophischen Rundschau, anlässlich des neuen Hermeneutik-Sonderhefts, nun auf sich genommen, auf immerhin knapp 40 Seiten eine eingehende Besprechung zu verfassen, die sich zugleich als Antwort auf Habermas philosophisches Epochen- und Weltbild versteht. Im folgenden Beitrag, einem repräsentativen Auszug, findet sich eine Art Resümee der Auseinandersetzung, die insbesondere das Verhältnis von Glauben und Wissen bei Habermas kritisch pointiert. (Anmerkung der Redaktion)

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