Die bedrohliche Effizienz einer Lehnstuhlökonomik. Über die Existenzvergessenheit herrschender Wirtschaftstheorien und das gesellschaftspolitische Potential der Pandemie

Von Manuel Schulz (Jena) Dieser Blogbeitrag basiert auf einem Aufsatz, der in einem Schwerpunkt zur COVID-19 Pandemie in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift für Praktische Philosophie (ZfPP) erschienen ist. Der Aufsatz kann auf der Website der ZfPP kostenlos heruntergeladen werden. Die sich im Frühjahr des Jahres 2020 verbreitende Einsicht, dass es…

Warum es höchste Zeit ist, Rawls zu historisieren – und so die politische Philosophie der Gegenwart vom Bann des politischen Liberalismus zu befreien

Von Oliver Flügel-Martinsen (Bielefeld) Rawls‘ politische Philosophie kann seit Erscheinen seines epochemachenden Buches A Theory of Justice im Jahr 1971 als das einflussreichste Paradigma der politischen Philosophie der Gegenwart gelten. Das mag man bewundern. Aber eine solche Dominanz – welcher Prägung auch immer – schränkt nicht nur im Allgemeinendie Vielfalt…

Über das (eigene) Ende hinausdenken – Philosophie und deep adaptation

Von Daniel Neumann (Klagenfurt) Der Klimawandel stellt uns nicht mehr vor eine Krise, die es abzuwenden gilt. Vielmehr haben wir den point of no return bereits überschritten. Die Frage lautet jetzt nur noch, wie wir mit dieser Erkenntnis umgehen sollen. Dies ist die Kernthese des 2018 von Jem Bendell veröffentlichten…

Einspruch … und die nicht unwesentliche Frage, welches Verhalten hier sündig ist

Von Sigrid Rettenbacher (Linz) Heteronormativität bzw. heteronormative Zwangsordnung – ein Schlüsselbegriff der gender studies. Heteronormative Zwangsordnung bezeichnet die in einer vermeintlich naturgegebenen Ordnung grundgelegte Vorstellung, dass sich Menschsein in der binären Gegenüberstellung von Mann und Frau verwirklicht – wobei das Männliche in einem patriarchalen Gestus oft als das aktive, gestaltende…

Ein Loch in der „Leaky Pipeline“ der akademischen Philosophie? Eine geschlechtsspezifische Betrachtung von Anträgen und Förderquoten bei der DFG

Andrea Klonschinski (Kiel), auf der Basis eines gemeinsamen Textes mit Lisa Herzog und Christine Bratu Einleitung In der akademischen Philosophie wird der Frauenanteil umso geringer, je höher es die akademische Karriereleiter hinauf geht – ein Phänomen, das als „Leaky Pipeline“ bezeichnet wird. Woran aber liegt es, dass Frauen der Philosophie…

Was spricht gegen persönliche Impfspenden?

Von Simone Dietz (Düsseldorf) Ein Achtzigjähriger, für den die Familie das Wichtigste im Leben und dessen Sorge groß ist, seine Tochter könnte an Covid-19 erkranken und ihre kleinen Kinder ohne Mutter zurücklassen, fragt verzweifelt: Warum darf ich meine Impfung nicht an meine Tochter weitergeben?

Rawls und die Religion

Von Martin Breul (Erfurt) Es hat nicht viel gefehlt, und Rawls wäre nicht der bedeutendste Vertreter der Politischen Philosophie im 20. Jahrhundert, sondern Theologe und Pfarrer geworden: Vor seinem Studium und während seines Dienstes im US-Militär im 2. Weltkrieg spielte Rawls – als gläubiger episkopaler Christ – mit dem Gedanken,…

Toleranz in Liebe und Freundschaft

Von Michael Kühler (Karlsruhe) Ähnlich wie in der politischen Philosophie scheint Toleranz auch innerhalb von Liebesbeziehungen oder Freundschaften ein zweischneidiges Schwert zu sein.[1] Tolerant zu sein wird einerseits für ein friedliches und gedeihliches Miteinander als außerordentlich hilfreich oder gar geboten gesehen (für eine einführende Übersicht siehe Forst 2017). Dies gilt…

Im Namen von Wissenschaftsfreiheit. Eine Replik

von Dieter Schönecker (Siegen) Dieser Blogbeitrag kann auch als Podcast gehört und heruntergeladen werden: Das neue Netzwerk Wissenschaftsfreiheit (NW) ist in kürzester Zeit um mehrere hundert Mitglieder gewachsen. Aber es hat auch zahlreiche Kritiker, ja Feinde, die es als „rechts“ abtun oder als überflüssiges Spektakel. Auf praefaktisch hat auch Alexander…

Eine Frage der Berührung

Barbara Schellhammer (München) Dieser Blogbeitrag basiert auf einem Aufsatz, der in einem Schwerpunkt zur COVID-19 Pandemie in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift für Praktische Philosophie (ZfPP) erschienen ist. Der Aufsatz kann auf der Website der ZfPP kostenlos heruntergeladen werden. Dieser Blogbeitrag kann auch als Podcast gehört und heruntergeladen werden: Gerade in…

Was bleibt vom späten Rawls?

Von Fabian Wendt (Chapel Hill) In den 1980er Jahren beginnt John Rawls, die Idee einer „freistehenden“, rein politischen Gerechtigkeitskonzeption zu entwickeln, einer Gerechtigkeitskonzeption, die sich aus allen umstrittenen moralischen, religiösen und sonstigen weltanschaulichen Fragen heraushält. Eine solche Konzeption, so Rawls, könnte sich wie ein Modul in die unterschiedlichsten sogenannten „umfassenden…

Zwei gute Methoden der Praktischen Philosophie: idealisierende Hermeneutik und technischer Konstruktivismus

von Christoph Lumer (Siena) Seit den 1980er Jahren verwenden Praktischen Philosophen als Methode immer dominanter den Intuitionismus. Was dabei letztlich zählt, ist die Intuition des Autors. Nach Ansicht der Kritiker liefert der Intuitionismus aber einfach keine Begründung: Argumentationstheoretisch gesehen ist er eine Petitio principii: Er setzt voraus, was er begründen…

Epische Phänomene und Quallen (von denen Mary aber nichts weiß)

Von Sebastian Rosengrün (Berlin) Dieser Artikel ist ein Gedankenexperiment. Es handelt von Mary. Mary ist eine brillante Philosophin, die, aus welchen Gründen auch immer, gezwungen ist, über die Welt von einer Bibliothek aus nachzudenken, die zwar einen durchaus beachtlichen Bestand aufweist, aus deren Büchern, Aufsätzen und sonstigen Texten aber alle…

Rawls und die Neuordnung der praktisch-philosophischen Landkarte

Von Michael Reder (München) John Rawls ist mit Jürgen Habermas die zentrale Figur der praktischen Philosophie des 20. Jahrhunderts. Es gibt gegenwärtig wohl keine Studierenden der Philosophie weltweit, die nicht mit seinen Grundbegriffen vertraut sind: mit den Prinzipien der Gerechtigkeit, dem Urzustand oder dem Liberalismus als politische Ordnungsform. Gerechtigkeit ist…

Emotionen und Handlungen

Von Christiana Werner (Duisburg-Essen) Emotionen scheinen eine besonders enge Beziehung zu Handlungen oder Verhaltensweisen zu haben. Dass das ein Allgemeinplatz ist, legen unzählige Redewendungen nahe, die wir im Deutschen im Alltag benutzen: Wir erstarren vor Angst, platzen vor Wut, strahlen vor Freude usw. Auch das eigene Erleben emotionaler Zustände legt…

Rassismus bei Kant – Philosophie als „System der Selbstprüfung“

von Peggy H. Breitenstein, Danilo Gajić, Daniel Kersting, Yann Schosser Rassistische Äußerungen in Kants Schriften stellen die heutige akademische Philosophie vor Herausforderungen: Wie kann ein angemessener Umgang mit ihnen in Forschung und Lehre, Schule und Hochschule aussehen? Welches Licht werfen diese Passagen auf den Universalismus und Humanismus der Philosophie Kants,…

Wissenschaftsfreiheit? Nur dem Namen nach! Ein kritischer Kommentar zum „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“

Von Alexander Reutlinger (München) Eine Gruppe von Wissenschaftlern und Philosophen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz hat Anfang Februar das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit[1] gegründet. Das Netzwerk möchte Verletzungen der Wissenschaftsfreiheit dokumentieren und kritisieren. Hat dieses Netzwerk nicht ein hehres Ziel? Muss nicht jeder Wissenschaftler, jeder Bürger, aufschreien, wenn die Erforschung und…

Vier offene Fragen über soziale Gerechtigkeit

Von Thomas Pogge (New Haven, USA) Die von John Rawls 1971 vorgelegte Gerechtigkeitskonzeption wirft vier wichtige Grundsatzfragen auf, hinsichtlich derer wir in den letzten 50 Jahren kaum Fortschritte gemacht haben. Diese Fragen sollen hier von den vielen Detailproblemen seiner Theorie abgelöst und so genau, kurz und allgemein wie möglich formuliert…

Rosa Luxemburg – die Wahr-Sprecherin

Von Michael Brie (Rosa Luxemburg Stiftung) Die globale Linke hatte im 20. Jahrhundert viele Helden und auch einige Heldinnen. Aber unter diesen vielen sind zwei, die über alle Spaltungen der Linken hinweg auch heute noch die größte Ausstrahlung haben, sieht man von Karl Marx ab. Es sind Che Guevara und…

Was ist das Ziel wissenschaftlicher Gedankenexperimente?

Von Harald A. Wiltsche (Linköping) Die wissenschaftstheoretische Debatte um Gedankenexperimente (kurz: GEs)dreht sich häufig darum, das so genannte „Paradox der GEs“ zu lösen. Dieses besteht darin, dass GEs zwar nur im Geiste durchgeführt werden und demnach ohne den Import neuer Daten auskommen, aber dennoch beanspruchen, Wissen über die Welt zu…

Wie die Welt sich zeigt. Zum sozialen Wirken von Emotionen

Von Paul Helfritzsch (Jena) Es wird in der Philosophie und generell in den Geistes- und Sozialwissenschaften schon seit längerer Zeit versucht, mit dem Diktum zu brechen, Emotionen seien willkürlich auftretende Phänomene, die nur in der ersten Person Singular artikuliert werden könnten und auch nur von der Person, die sie empfindet,…

Licht und Schatten John Rawls‘ politischer Philosophie

Von Julian Culp (Paris) John Rawls‘ egalitärer Liberalismus ist in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur dominanten politischen Philosophie in der angloamerikanischen Wissenschaft avanciert und hat auch in der deutschsprachigen Wissenschaft eine sehr große Wirkung entfalten können. Was erklärt die Strahlkraft Rawls‘ politischer Philosophie?

Darf man heute noch Kinder haben?

Wir freuen uns sehr euch die drei Gewinnervideos unseres Wettbewerbs für Student*innen zu präsentieren. Die Preisfrage war: Darf man heute noch Kinder haben? Als Preis erhalten die drei Gewinner*innen jeweils einen Büchergutschein der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft (WBG) über 100€.

John Rawls zum Hundertsten – und warum er auch in weiteren hundert Jahren noch wichtig sein wird

Von Mathias Risse (Cambridge, Massachusetts) John Rawls (1921-2002) ist einer der wichtigsten politischen Denker der letzten Jahrhunderte, und wohl einer der wichtigsten überhaupt in der westlichen Tradition. Erstens hat Rawls eine umfassende und plausible Sichtweise darauf angeboten, wie wir in den eng verknüpften Gesellschaften, die die industrielle Revolution möglich gemacht…

Kleinkinder und Corona

von Monika Platz (München) Dieser Blogbeitrag basiert auf einem Aufsatz, der in einem Schwerpunkt zur COVID-19 Pandemie in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift für Praktische Philosophie (ZfPP) erschienen ist. Der Aufsatz kann auf der Website der ZfPP kostenlos heruntergeladen werden. Betreuungseinrichtungen für Kleinkinder sollen nur im äußersten Notfall geschlossen werden –…

Ethik als Methode

Von John-Stewart Gordon (Kaunas, Litauen) Ohne Zweifel haben sich die bisherigen ethischen Theorien als fehlerhaft erwiesen, insbesondere dann, wenn geglaubt wurde, dass man mit einem (oder wenigen) Moralprinzip(ien) in der Lage ist, alle ethischen Probleme aufzulösen. In Wahrheit sind einzelne ethische Theorien jedoch lediglich nur unvollkommene Annäherungsweisen an die moralische…

Gedanken- als Wahrnehmungsexperimente. Überlegungen zu audiovisuellen Fake-Gesprächen Alexander Kluges

Von Florian Wobser (Passau) Das Spannungsfeld aus Wahrnehmen und Denken betrifft jedes Philosophieren. Alexander Kluge nimmt darin eine eigensinnige Verschiebung vor. Während ein Gedankenexperiment von seiner Form lebt, die eine oft kreative kontrafaktische Situation als Vorstellung verlangt, letztlich aber der Reflexion dient, wertet Kluge die audiovisuelle Inszenierung ihrer Artikulation auf,…

Das Unbehagen an der Medikalisierung des Alterns – eine reflexive Diagnose

Von Silke Schicktanz (Göttingen) & Mark Schweda (Oldenburg) Neuartige diagnosti­sche, therapeutische oder präventive Maßnahmen ermutigen den Gedanken eines selbstbe­stimmten und um­sichtig zu gestaltenden späteren Lebens, werfen allerdings zugleich vielfältige Fragen auf. So bietet die wachsende Anzahl prädiktiver (genetischer wie auch nicht-genetischer) Tests zwar die Möglichkeit, Informationen über Risiken für altersassoziierte…

Sicherheit auf Kosten von Freiheit und Lebensqualität?

Warum richtiges Handeln in der Coronakrise nicht nur von Expertenwissen abhängt Von Gerhard Schurz (Düsseldorf) Selten hatten medizinische Experten soviel politische Macht und wurden andererseits so massiv angezweifelt. Dieser Essay möchte zur Klärung dieses Widerspruchs beitragen. Aber nicht, wie bei Gegnern von Corona-Schutzmaßnahmen üblich, indem medizinisches Faktenwissen mit fragwürdigen Argumenten…