Dürfen Wissenschaftler:innen alles sagen und erforschen, unabhängig von moralischen Erwägungen? Oder gibt es Wissenschaftler:innen, die man aus moralischen Gründen nicht für öffentliche Vorträge einladen sollte? Darf man einige „canceln“? Wie sollte man mit politisch streitbaren Protesten an Universitäten umgehen? Über diese und ähnliche Fragen wird seit einigen Jahren heftig gestritten. Über Inhalt und Grenzen der Wissenschaftsfreiheit spricht Norbert Paulo für praefaktisch mit Sabine Döring, Philosophin und ehemalige Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung, und Tim Henning, Philosoph und Autor des Buches Wissenschaftsfreiheit und Moral.
Ethik ist eine sehr alte, Soziale Arbeit ist eine vergleichsweise junge Disziplin. Die Beziehung zwischen beiden ist dennoch sehr eng. Einerseits braucht die Soziale Arbeit die Ethik, denn sie muss Entscheidungen im realen Leben treffen, Prioritäten setzen, dabei unterschiedliche Werte gegeneinander abwägen und ihre Entscheidungen begründen. Andererseits braucht die Ethik die Soziale Arbeit, denn diese bietet die praktische Umsetzung für viele soziale moralische Probleme. Eine Ethik ohne Soziale Arbeit wäre in vielen entscheidenden Fragen wirkungslos und müsste um die eigene Existenzberechtigung bangen.
Doch zurück zur ersten Beziehung: Soziale Arbeit braucht Ethik, u.a. weil als Begleiterscheinung zu ihren Entscheidungen häufig ein moralisches Unbehagen, eine Unsicherheit entsteht, ob das, was man tut, gut ist. Soziale Arbeit fragt die Ethik nach Lösungen. Diese Beziehung steht im Fokus des Beitrags und diese Beziehung legt durch die Erwartung der Sozialen Arbeit an die Ethik ein konkretes Verständnis der Ethik fest.
Von Dr. Leonie N. Bossert (Wien) und Dr. Davina Höll (Tübingen)
Billionen von Mikroben leben auf und in den Körpern von Menschen, Tieren und Pflanzen. Sie bilden das menschliche, tierliche, oder pflanzliche Mikrobiom. Mikrobiome existieren entsprechend nicht unabhängig voneinander. Durch die ständige Zirkulation und Interaktion von Mikroorganismen sind wir Menschen auf komplexe Weise miteinander und mit unserer Umwelt verbunden. Damit gehen zahlreiche ethische Fragen einher, welche wir in diesem Blogbeitrag mit einem Fokus auf menschliche Körperlichkeit beleuchten.
Dieser Tagungsbericht erscheint parallel auf demtheorieblog.
Die diskursive Aushandlung von Meinungs- und Interessenkonflikten gilt zu Recht als Lebenselixier der Demokratie. Wie öffentliche Diskussionen geführt werden sollten und obihre Qualität ein Indikator für die Gesundheit einer Demokratie ist, steht indessen zur Debatte. Denn die vielerorts gestellte Diagnose einer demokratischen Krise oder gar einer demokratischen Regression betrifft, neben der institutionellen Ebene, auch Sprach- und Kommunikationspraktiken.
Die Stichworte der üblichen Verfalldiagnose der Gesprächs- und Debattenkultur in den sogenannten konsolidierten europäischen Demokratien – Polarisierung der Inhalte, Desinteresse am Wahrheitsgehalt, Aggressivität, hetzerische Wortwahl – weisen auf eine Verschiebung der Grenzwerte in Richtung steigender Feindseligkeit hin, die auch deshalb viele beunruhigt, weil sie sich allmählich zum Standard öffentlicher Kommunikation etabliert.
Inwieweit ist eine solche Verrohung der Debattenkultur mit demokratischen Werten kompatibel? Wie lässt sich der Aufstieg der politischen Kategorie des Feindes, als Inhalt und Form öffentlicher Kommunikation, innerhalb demokratischer Ordnungen legitimieren? Sind grundlegende Konzepte westlicher Ideengeschichte wie politische Freundschaft und Zivilität inzwischen veraltet, oder können sie in aktualisierter Form einen brauchbaren Kompass für Theorie und Praxis der politischen Debattenkultur darstellen?
Ein Forum für die kritische, aber sicherlich freundschaftliche Diskussion gegenwärtiger (un)demokratischer Debattenkultur bot die internationale Tagung „How to dis/agree like friends.Historical insights, philosophical roots, and fresh perspectives on the current state of debate culture in liberal democracies”, die vom 12.06. bis zum 14.06.2024 in Regensburg stattfand. Das Organisationsteam mit Eva Helene Odzuck, Sarah Rebecca Strömel, Manfred Brocker, Daniel Eggers und Ricarda Wünsch brachte auf der interdisziplinär ausgerichteten Tagung Positionen aus Demokratietheorie, Ideengeschichte und politischer Philosophie in Dialog.
Prof. Dr. Dr. hc. mult. Otfried Höffe im Gespräch mit Dr. Sarah Rebecca Strömel
Ist die demokratische Gesellschaft stabiler, als viele konstatieren? Dem Abgesang auf die demokratische Gesellschaft hält Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Otfried Höffe (Universität Tübingen) eine optimistische Perspektive entgegen: Zahlreiche Faktoren hielten uns auch in Krisenzeiten zusammen. Und WissenschaftlerInnen dürften nicht der Versuchung verfallen, sich des Renommees wegen als „kritische Stimmen“ zu profilieren, die ungerechtfertigt schwarzmalen. Im Gespräch mit Dr. Sarah Rebecca Strömel (Universität Regensburg) beantwortet Höffe folgende Fragen:
01:00 In der Politikwissenschaft, in der Politischen Philosophie und Theorie, aber auch in breiteren gesellschaftlichen Diskursen haben derzeit Krisendiagnosen, Thesen rund um die Spaltung, den Zerfall und den Zusammenbruch der Demokratie oder der Gesellschaft, teilweise auch der Weltordnung Konjunktur. Sie hingegen fokussieren sich in einer Ihrer Publikationen auf die Frage „Was hält unsere Gesellschaft noch zusammen?“ Wie kommt es Ihrer Einschätzung nach zu den vielen pessimistischen und eher destruktiven Diagnosen – warum finden Diskussionen über die Frage danach, was uns zusammenhält, nicht so viel Anklang, wie Sie ja selbst ausdrücklich schreiben?
02:53 Was sind die Faktoren, die historisch für die Stabilität unseres Zusammenlebens gesorgt haben?
04:04 Welche Faktoren halten Sie mit Blick auf den gegenwärtigen Zusammenhalt in unserer Demokratie für entscheidend und inwiefern unterscheiden sie sich gegebenenfalls von den historischen Komponenten?
05:27 Auch eine gemeinsame, geteilte Sprache, durch die wir uns über unsere Wertvorstellungen, Ansichten, Einstellungen und politischen Bedürfnisse austauschen können, halten Sie für essenziell, um langfristig Zusammenhalt zu gewährleisten. Wenn man bedenkt, dass verschiedene Milieus und soziale Schichten, teilweise auch Altersgruppen oder regionale Gruppen unterschiedliche Sprache sprechen, nämlich verschiedene Dialekte oder Wörter nutzen, teils auch andere Ansprüche an Sprache haben oder sich in Form von digitalen Communities abschotten – wie kann eine gelungene, verbindende öffentliche Kommunikation dann gelingen?
07:25 Der Religion sprechen Sie ja einerseits durchaus eine verbindende, gemeinschaftsstiftende Rolle zu, andererseits aber eben nur unter einer Bedingung, nämlich der interreligiösen Toleranz. Ist diese interreligiöse Toleranz Ihrer Einschätzung nach in unserer Demokratie momentan gegeben und was können wir tun, um die interreligiöse Toleranz zu stärken?
10:27 Ein Aspekt, der bei der Diskussion um gesellschaftliche Spaltung oder umgekehrt gesellschaftlichen Zusammenhalt häufig vergessen wird, den Sie in einer Ihrer Publikationen aber erwähnen, ist der demografische Wandel. Wie können wir das intergenerationelle Band zwischen Jung und Alt weiter stärken und wie wichtig ist diese Dimension für die Stabilität der Demokratie?
11:57 Eine Gefahr, die hingegen immer genannt wird, wenn es um die Spaltung der Gesellschaft geht, ist der Populismus. Nicht nur in Deutschland, sondern im Grunde weltweit haben populistische, vor allem rechtspopulistische Parteien und Bewegungen derzeit Konjunktur. Für wie gefährlich halten Sie diese Tendenzen und wie sollten wir im Sinne des gesellschaftlichen Zusammenhalts mit ihnen umgehen?
14:11 Zum Abschluss: Glauben Sie daran, dass unser gesellschaftlicher Zusammenhalt derzeit stark genug ist, um auch künftigen Bedrohungen gewachsen zu sein?
Für etwa sechs Wochen meines Lebens war ich ein Libertärer. Der alleinige Grund hierfür war Robert Nozicks Anarchy, State, and Utopia (ASU), das ich im ersten Jahr meines Bachelorstudiums las. Ich war auch nicht der einzige Nozicksche Sechs-Wochen-Libertäre. Ich kenne mehrere andere Leser, auf die das Buch einen ähnlich starken, wenn auch meist temporären, Eindruck gemacht hat. Aber von Beinahe-Konversionen abgesehen, wie anwesend oder abwesend ist ASU in der kontemporären politischen Philosophie? In diesem Beitrag gehe ich auf eine unvollständige Spurensuche.
Mit der Reihe 300 Jahre Kant – Das Unzeitgemäße in seiner Philosophie möchten wir den Fokus auf das Anachronistische, Antiquierte und Unzeitgemäße bei Kant legen. Dabei geht es nicht darum, Kant zu diskreditieren. Ziel ist vielmehr, durch eine Vielzahl kurze Statements einen Eindruck zu vermitteln, wie divers die heutige Kantforschung (im europäischen Raum und darüber hinaus) ist und wo sie die Grenzen von Kant verortet. Dafür veröffentlichen wir seit dem 22. April 2024 jeden zweiten Dienstag zwei bis vier thematisch verwandte Kurzbeiträge.
Prof. Dr. Tine Stein im Gespräch mit Dr. Sarah Rebecca Strömel
Wie können wir die Demokratie vor den inneren und äußeren Bedrohungen schützen? Was steckt hinter dem Konzept der „resilienten Demokratie“? Wie weit sollten staatliche Befugnisse im Umgang mit einer der größten Herausforderungen, nämlich der Klimakrise gehen und was können wir hierbei von Hans Jonas lernen? Diese und weitere Fragen thematisiert Dr. Sarah Rebecca Strömel (Universität Regensburg) im Gespräch mit Prof. Dr. Tine Stein (Universität Göttingen).
Die Themen:
00:00 Willkommen, Prof. Tine Stein! 00:58 Derzeit ist überall zu lesen und zu hören, dass sich die Demokratie in der Krise befinde. Einerseits, weil Gefahren wie Pandemien, Kriege und Umweltkatastrophen auf die Demokratie einwirken, andererseits weil die innere Stabilität durch populistische und extremistische Gruppen bedroht wird. Gleichzeitig stand die Demokratie historisch immer wieder vor Herausforderungen. Ist unsere Demokratie im liberalen, rechtsstaatlichen Sinne momentan tatsächlich stärker denn je gefährdet? 02:43 Wie können wir unsere Demokratie gegen die Bedrohungen von innen und außen schützen? Wie schaffen wir es für die Grundwerte zu werben und das Vertrauen wiederherzustellen? 04:53 Auch in Abgrenzung zur „wehrhaften“ oder „streitbaren Demokratie“ machen Sie in Ihren Publikationen den Begriff „resiliente Demokratie“ stark. Was meinen Sie damit und wieso halten Sie das Konzept für zielführend? 06:53 Einen konkreten Vorschlag auf institutioneller Ebene zum Umgang mit der ökologischen Krise haben Sie in Ihrer Doktorarbeit unterbreitet: einen „Ökologischen Rat“. Wie sah dieser Vorschlag im Detail aus – und warum haben es Verfassungsreformen so schwer? 11:19 In den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts hat Hans Jonas in Anlehnung an den kategorischen Imperativ von Kant einen neuen kategorischen Imperativ formuliert, der da lautet: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“ Dieser Imperativ verortet die ökologische Verantwortung klar auf individueller Ebene. Wie weit sollten staatliche Befugnisse beim Thema Umweltschutz gehen? 14:04 Im Zusammenhang mit der Frage nach Klimaschutz und Umweltkatastrophen werden die möglichen „Rechte zukünftiger Generationen“ diskutiert. Sollten wir zukünftigen Generationen Rechte einräumen und wenn ja, warum? 16:20 Bei der Suche nach möglichen Ursachen für den inneren Stabilitätsverlust der Demokratie fällt im historischen Vergleich auf, dass sich die Rolle der Religion stark verändert hat. Sie haben – Böckenförde folgend – auf einen Zusammenhang zwischen unserem Begriff von Menschenwürde/Menschenrechten und christlichen Impulsen hingewiesen. Brauchen wir die Religion als Bindeglied für die Bürgerschaft und Impulsgeber zu bestimmten Werten der Demokratie, wie beispielsweise schon Rousseau und Tocqueville vermutet haben? 21:29 Was können wir in unserem alltäglichen Umgang miteinander tun, in der Öffentlichkeit aber auch im Privaten, um unsere Demokratie zu schützen und zu erhalten?
Das Zunehmen „extremer Rechter“ (als Sammelbegriff für verschiedene rechtsextremer Gruppen), auch in ihrem parteipolitischen Gewandt, aber auch Praxen rechtsorientierter Politikenbedrohen sozialarbeiterische Unterstützungsstrukturen. Um so mehr ist der Rekurs auf den Auftrag der Sozialen Arbeit als Menschenrechts- und Gerechtigkeitsprofession gefragt. Zur Stärkung des Selbstverständnisses der Sozialen Arbeit muss hierbei auf den (inter)nationalen Code of Ethicsder Sozialen Arbeit zurückgegriffen werden. In dem vorliegenden Beitrag werden die darin dargestellten Aufforderungen beispielhaft beschrieben und gefragt, inwiefern es dabei um eine ethisch-politisierte Soziale Arbeit geht.
Mit der Reihe 300 Jahre Kant – Das Unzeitgemäße in seiner Philosophie möchten wir den Fokus auf das Anachronistische, Antiquierte und Unzeitgemäße bei Kant legen. Dabei geht es nicht darum, Kant zu diskreditieren. Ziel ist vielmehr, durch eine Vielzahl kurze Statements einen Eindruck zu vermitteln, wie divers die heutige Kantforschung (im europäischen Raum und darüber hinaus) ist und wo sie die Grenzen von Kant verortet. Dafür veröffentlichen wir seit dem 22. April 2024 jeden zweiten Dienstag zwei bis vier thematisch verwandte Kurzbeiträge.