Zeiten der Pandemie – Zeiten der Improvisation?

Von Claus Beisbart (Bern) Die Pandemie hat so manchen Plan durchkreuzt. Einige halten daher das Improvisieren für angesagt und ziehen eine Parallele zur künstlerischen Improvisation. Doch ein genauerer philosophischer Blick zeigt: Was wir in Zeiten der Pandemie tun, kann zwar aus einer langfristigen Zeitperspektive als Improvisieren gelten. Doch im Detail…

Integrität im Anthropozän

Von Stefan Knauß (Halle & Erfurt) Corona und Anthropozän Als Anthropozän wird das gegenwärtige Erdzeitalter bezeichnet, das durch die massive, menschengemachte Veränderung natürlicher Ökosysteme gekennzeichnet ist (Crutzen und Stoermer 2000). Naturwissenschaftler sprechen von einer „Geologie der Menschheit“ (Crutzen 2002). Sie gehen davon aus, dass die Menschheit spätestens seit der industriellen…

Frauen und der biotechnologische Fortschritt: Philosophische Aspekte künstlicher Befruchtung aus altersethischer Perspektive

Von Esther Redolfi Widmann Die Philosophin Simone de Beauvoir (*1908; †1986) hat in Das andere Geschlecht[1] (1949)und Das Alter[2] (1970) die Situation der Frau luzide analysiert. Sie war damit nicht nur ihrer Zeit weit voraus, sondern ist in ihrem Denken gerade heute wieder verblüffend aktuell.Die Entwicklung ihrer philosophischen Thesen lässt…

Covidologisches Zupfen

Von Martin Krohs (Berlin) Warum sind die Debatten um die Covid-Maßnahmen so rabiat, gerade die virtuellen? Auf facebook und twitter, in den Foren und Kommentarspalten bestimmen Verachtung, Überheblichkeit, Hass und Häme den Ton. Lockdown oder Öffnung, Zero Covid oder mit dem Virus leben? Ziel der Auseinandersetzung ist nicht so sehr,…

Rawls und die Kritik am Distributionsparadigma

Von Bernd Ladwig (Berlin) Für Rawls ist Gerechtigkeit die erste Tugend sozialer Institutionen. Die Grundfrage einer Theorie der Gerechtigkeit laute, wie die gesellschaftliche Grundordnung die Rechte und Pflichten sowie die Früchte der Zusammenarbeit unter den Angehörigen eines Gemeinwesens verteilen sollte. Die gerechte Verteilung beschränkt sich dabei nicht auf ein System…

Zwischen Tugend- und Sozialethik: Armut in der Patristik und im Frühmittelalter

Dieser Blogbeitrag bezieht sich auf einen ausführlichen Beitrag im neuen Handbuch Philosophie und Armut, welches im April 2021 bei J.B. Metzler erschienen ist. Von Peter Schallenberg (Mönchengladbach) Alles Nachdenken einer christlich inspirierten Philosophie zur Armut beginnt mit dem programmatischen Satz Jesu: „Denn wo euer Schatz ist, da ist euer Herz!“…

Freiheit und Krisis – Zu den Ursachen von Fremden-, Schwachen- und Intellektuellenfeindlichkeit

Von Ralph Schröder (Basel) Verachtungsdiskurse sind untrügliche Kennzeichen jeglichen Autoritarismus, Fremden-, Schwachen- und Intellektuellenfeindlichkeit sein abgründiges «Fundament». Matthias Bertschinger legt in seinem 2020 erschienenen Werk «Freiheit und Krisis» in einem neuartigen psychoanalytisch-ontologischen Denkansatz die Ursachen von Autoritarismus frei: als «Abwehr der Freiheit».

Zwischen Interpretation und Adaption: Rawls im Dialog mit Kant

Von Jakob Huber (Frankfurt) John Rawls habe die normative politische Philosophie im und für das 20. Jahrhundert wiederbelebt, so eine weiterverbreitetes (wenngleich zunehmend kritisiertes) Narrativ. Während sich sein Rang in der Ahnengalerie der Gerechtigkeitstheorie 50 Jahre nach der Erstveröffentlichung seines Hauptwerkes weiter festigt, werden Rawls‘ eigene Arbeiten zur Geschichte der…

Der Zahn der Zeit. Altern als Indikator der Endlichkeit

Von Michael Fuchs (Linz) Was ist Altern? Wein altert. Häuser altern. Kunstwerke altern. Bäume, Hunde und Menschen altern. Wenn das durchschnittliche Alter in einer Gesellschaft zunimmt, sprechen wir von einer alternden Gesellschaft. Altern bezeichnet, wenn es auf Individuen oder individuelle Dinge bezogen ist, das Verstreichen der Zeit und die Veränderungen,…

Rawls und die Religion. Zum Verhältnis zwischen Glauben und öffentlicher Rechtfertigung

Von Michael Roseneck (Frankfurt und Mainz) Die Sozialforschung ist weitestgehend von der Prognose Max Webers abgerückt, dass Modernisierung und die Trennung von Kirche und Staat zugleich auch einen Bedeutungsverlust der Religion bedingen. Vielmehr beziehen religiöse Akteure in der demokratischen Öffentlichkeit oder in Institutionen wie beratenden Ethikkommissionen prominent Stellung, zum Beispiel…

Objektiver Idealismus. Fragen an Vittorio Hösle

Der an der University of Notre Dame lehrende Philosoph Vittorio Hösle ist ein profilierter Vertreter eines objektiven Idealismus. Seine zahlreichen Publikationen umfassen u.a. «Wahrheit und Geschichte. Studien zur Struktur der Philosophiegeschichte unter paradigmatischer Analyse der Entwicklung von Parmenides bis Platon» (1984), «Hegels System. Der Idealismus der Subjektivität und das Problem…

Digitalisierung und grüne Hightech Zivilisationen

Von Bernhard Irrgang (Dresden) Thema des Blogbeitrags ist die Entwicklung einer neuen kognitiv orientierten praktischen Philosophie für eine neue Technologiezivilisation nach der Industriegesellschaft, die sich seit ca. 1990 (erste Anfänge im Zweiten Weltkrieg) entwickelt. Dabei sollen in der Geschichte entwickelte Interpretationsmodelle praktischer Philosophie nicht nur fachkundig interpretiert werden, sondern angesichts…

Das Recht der Völker

Von Christine Straehle (Hamburg) Zu Ende der 90er Jahre hatte John Rawls seine Überlegungen zur globalen Gerechtigkeitsdiskussion unter dem Titel Law of Peoples veröffentlicht (dt. Das Recht der Völker). Es sollte als seine Antwort auf all diejenigen gelten, die seine Theorie der Gerechtigkeit auf die internationale Sphäre anwenden wollten. Solchen…

Politische Philosophie und politische Arbeit an der Universität

Von Gottfried Schweiger (Salzburg) Politische Philosophie denkt oft über die großen Probleme und Ungerechtigkeiten in der Welt nach. Wie steht es aber um die politische Arbeit für politische Ideale und Ideen an der Universität? Diese politische Arbeit und die Besonderheiten der Organisation und des sozialen Raums „Universität“ werden nur selten…

3 Jahre praefaktisch. Populäre Philosophie, Aufmerksamkeit und Loslassen

von Gottfried Schweiger (Salzburg) Nun gibt es praefaktisch, den besten aller möglichen Philosophieblogs, seit drei Jahren. Das freut uns sehr. Die Zugriffe haben sich kontinuierlich gesteigert (wir wissen ehrlich gesagt aber nicht, ob unsere Zugriffszahlen hoch oder niedrig sind, da uns die Vergleiche fehlen). Fast alle, denen wir schreiben, haben vom…

Die Attraktivität des Kontraktualismus

Von Tim Reiß (Berlin) Es ist heute vielleicht mehr denn je aktuell, den Individualismus der Vertragstheorie gegen den utilitaristischen Kollektivismus zu verteidigen: Zur systematischen und gegenwärtigen Relevanz der Theorie der Gerechtigkeit.

Das Affektive ist politisch. Eine schemenhafte Skizze des Zusammenhangs zwischen Affektivität und Politik

Von Jule Govrin (Berlin) In politischen Prozessen kochen die Gefühle hoch, sei es in angriffslustigen Debatten in den digitalen Arenen, im erhitzten Schlagabtausch bei Polit-Talkshows, in aufgeregten Bundestagsdebatten, in wütenden Menschenmassen auf Demonstrationen oder in sensationslüsternen Berichterstattungen über tagespolitische Geschehnisse. Bisweilen drängt sich der Eindruck auf, als hätten sich solche…

Die bedrohliche Effizienz einer Lehnstuhlökonomik. Über die Existenzvergessenheit herrschender Wirtschaftstheorien und das gesellschaftspolitische Potential der Pandemie

Von Manuel Schulz (Jena) Dieser Blogbeitrag basiert auf einem Aufsatz, der in einem Schwerpunkt zur COVID-19 Pandemie in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift für Praktische Philosophie (ZfPP) erschienen ist. Der Aufsatz kann auf der Website der ZfPP kostenlos heruntergeladen werden. Die sich im Frühjahr des Jahres 2020 verbreitende Einsicht, dass es…

Warum es höchste Zeit ist, Rawls zu historisieren – und so die politische Philosophie der Gegenwart vom Bann des politischen Liberalismus zu befreien

Von Oliver Flügel-Martinsen (Bielefeld) Rawls‘ politische Philosophie kann seit Erscheinen seines epochemachenden Buches A Theory of Justice im Jahr 1971 als das einflussreichste Paradigma der politischen Philosophie der Gegenwart gelten. Das mag man bewundern. Aber eine solche Dominanz – welcher Prägung auch immer – schränkt nicht nur im Allgemeinendie Vielfalt…

Über das (eigene) Ende hinausdenken – Philosophie und deep adaptation

Von Daniel Neumann (Klagenfurt) Der Klimawandel stellt uns nicht mehr vor eine Krise, die es abzuwenden gilt. Vielmehr haben wir den point of no return bereits überschritten. Die Frage lautet jetzt nur noch, wie wir mit dieser Erkenntnis umgehen sollen. Dies ist die Kernthese des 2018 von Jem Bendell veröffentlichten…

Einspruch … und die nicht unwesentliche Frage, welches Verhalten hier sündig ist

Von Sigrid Rettenbacher (Linz) Heteronormativität bzw. heteronormative Zwangsordnung – ein Schlüsselbegriff der gender studies. Heteronormative Zwangsordnung bezeichnet die in einer vermeintlich naturgegebenen Ordnung grundgelegte Vorstellung, dass sich Menschsein in der binären Gegenüberstellung von Mann und Frau verwirklicht – wobei das Männliche in einem patriarchalen Gestus oft als das aktive, gestaltende…

Ein Loch in der „Leaky Pipeline“ der akademischen Philosophie? Eine geschlechtsspezifische Betrachtung von Anträgen und Förderquoten bei der DFG

Andrea Klonschinski (Kiel), auf der Basis eines gemeinsamen Textes mit Lisa Herzog und Christine Bratu Einleitung In der akademischen Philosophie wird der Frauenanteil umso geringer, je höher es die akademische Karriereleiter hinauf geht – ein Phänomen, das als „Leaky Pipeline“ bezeichnet wird. Woran aber liegt es, dass Frauen der Philosophie…

Was spricht gegen persönliche Impfspenden?

Von Simone Dietz (Düsseldorf) Ein Achtzigjähriger, für den die Familie das Wichtigste im Leben und dessen Sorge groß ist, seine Tochter könnte an Covid-19 erkranken und ihre kleinen Kinder ohne Mutter zurücklassen, fragt verzweifelt: Warum darf ich meine Impfung nicht an meine Tochter weitergeben?

Rawls und die Religion

Von Martin Breul (Erfurt) Es hat nicht viel gefehlt, und Rawls wäre nicht der bedeutendste Vertreter der Politischen Philosophie im 20. Jahrhundert, sondern Theologe und Pfarrer geworden: Vor seinem Studium und während seines Dienstes im US-Militär im 2. Weltkrieg spielte Rawls – als gläubiger episkopaler Christ – mit dem Gedanken,…

Toleranz in Liebe und Freundschaft

Von Michael Kühler (Karlsruhe) Ähnlich wie in der politischen Philosophie scheint Toleranz auch innerhalb von Liebesbeziehungen oder Freundschaften ein zweischneidiges Schwert zu sein.[1] Tolerant zu sein wird einerseits für ein friedliches und gedeihliches Miteinander als außerordentlich hilfreich oder gar geboten gesehen (für eine einführende Übersicht siehe Forst 2017). Dies gilt…

Im Namen von Wissenschaftsfreiheit. Eine Replik

von Dieter Schönecker (Siegen) Dieser Blogbeitrag kann auch als Podcast gehört und heruntergeladen werden: Das neue Netzwerk Wissenschaftsfreiheit (NW) ist in kürzester Zeit um mehrere hundert Mitglieder gewachsen. Aber es hat auch zahlreiche Kritiker, ja Feinde, die es als „rechts“ abtun oder als überflüssiges Spektakel. Auf praefaktisch hat auch Alexander…